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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1982 erschienen.

Frieden als Kultur
PIMEN UND NICOLE

Bis zum nächsten Krieg ist "der Frieden" nicht mehr aufzuhalten: Strahlender Sieger aller großen Festivals - vom Grand Prix d'Eurovision in Harrogate über den 1. Mai bis zur Moskauer Weltfriedenskonferenz der Weltreligionen - ist "der Frieden" auch beim Treffen der NATO-Liedertafel Anfang Juni in Bonn der Favorit. Schmidt ist sowieso für ihn und hat unlängst Ronald Reagan mit Arien zur Null-Lösung der Russenfrage auf den Geschmack gebracht. Das gibt zweimal volle Punktzahlen. Frau Thatcher zieht garantiert mit, besteht sie doch gerade einen "Konflikt" mit ein paar hundert Toten im Südatlantik für die "friedliche Lösung". Das sollte für "den Frieden" schon reichen.

Punkte sind zusätzlich aber auch noch von der Bonner Friedensdemo zu erwarten, die zwar nicht eingeladen ist, aber aus ihren Sympathien bislang keinen Hehl gemacht hat. So heißt es etwa zum Sieg Nicoles in Harrogate, wo "der Frieden" zum Schlager avancierte:

"Der Ansatz des deutschen Liedes war... auf etwas Positives gerichtet. Das Furchtbare wurde nicht genannt. Ein bißchen Frieden... wurde angedeutet und damit ein konstruktiver Weg zu etwas hin, nicht von etwas weg. Die Akzeptanz und die Bejahung der 'message' durch die Massen gelang - natürlich unterstützt durch die gefällige Melodie und die nette Interpretin... Gerade in Krisensituationen gilt es, äußerst pragmatisch zu bleiben, also die Vorgehensweise weniger an der Gewaltigkeit eines Problems zu orientieren. ..." (Frederic Vester in der 'Süddeutschen Zeitung' vom 8./9. Mai 82)

Nett hat Frederic Vester das gesagt und sicher allen Friedens-Freaks aus dem Herzen gesprochen: Da sind die Massen zwar nicht gegen "das Furchtbare" auf die Barrikaden gegangen, sondern haben sich im Gegenteil genießerisch zurückgelehnt und ein bißchen friedlich unterhalten, aber was soll's ? Die Friedensbewegung braucht, um ihre 'message' loszuwerden, "äußerst pragmatisch" gar keine massenhafte Resonanz: "Der Frieden" hat auf jeden Fall erfolgreich zugeschlagen - als Idee, die höher ist als alle Vernunft.

So betrachtet bleibt "die nette Interpretin" die Flunze Nicole, aufgefordert, sich "den Frieden" noch ein bißchen friedvoller zu wünschen und auf diese Weise für ihn mitzupunkten:

"Nicole, wir brauchen den Frieden ganz. Sei nicht bescheiden. Sing nicht: 'Ich weiß, meine Lieder, die ändern nicht viel,...' Ich weiß, der 'Spiegel" hat Dich zitiert mit einem seltsamen Satz: 'Ich singe nicht für die Friedensbewegung und die Demonstrationen, die veranstaltet werden, sondern nur für den kleinen persönlichen Frieden.'

Du, Nicole, das nehm' ich Dir nicht ab, da spricht, ich bin sicher, Ralph Siegel aus Dir, Dein Plattenchef und Komponist. Trau ihm nicht, dem falschen Hund. ... Laß Dich nicht von denen trennen, die - wie Du - den ganzen Frieden wollen." (Otto Köhler in 'metall'vom 12. Mai 82)

Ralph Siegel ist jedenfalls von dieser Front für "den Frieden" bereits niedergerungen worden: Er, der "schon dreimal beim Zuhören geweint" haben will, hat endlich einen Hörsturz erlitten. Es geht vorwärts!

Russische Kulturlosigkeiten

Erfreulich ist in diesem Zusammenhang auch, daß der finnische Grand-Prix-Beitrag ziemlich unverständlich blieb und null Punkte bekam. Einzelne wollen Töne wie "nukebomb, nukebomb" herausgehört haben - Grund genug, in dem Sänger im roten (!) Lederanzug einen finnlandisierenden KGB-Mann zu vermuten, der "den Frieden" schamlos ausnutzen will. Graf Huyn von der CDU/CSU hat daher im Bundestag die Anfrage gestellt, ob der Regierung nichts Genaueres über derartig hinterhältige kommunistische Anschläge bekannt sei. Ihm sei zu Ohren gekommen, daß der KGB sogar Priester ausbilden lasse, die unter dem Deckmäntelchen ihrer Soutane kräftig "am Frieden" dieser Welt herummanipulierten. "Der Frieden" vertrage das nicht. Sein wahrer Geist läßt sich eben nicht auf russisch interpretieren, sondern fordert westlich-freie Pflege einer Friedens-Kultur. Und die werden die im Osten so lange nicht zustandebekommen, wie die Kreml-Führer sich nicht dazu durchringen können, ihre Kardinäle für sie beim Heiligen Vater in Rom um "den Frieden" beten zu lassen, wie das argentinische und britische zur Zeit tun. Zwar hat Breshnew schon erste Versuche in diese Richtung unternommen und seinen Patriarchen Pimen dazu aufrufen lassen, "die Erfüllung der Abrüstung zu beschleunigen und nicht zu ruhen, solange alle Arten von Nuklearwaffen nicht vernichtet sind."

Aber der Patriarch ist russisch(!)-orthodox. Wer weiß also, was sich wirklich unter seiner Kutte rührt! Um das herauszufinden und die Sowjets mit dem wirklichen Friedensgedanken zu konfrontieren, der per se niemals "Wasser auf die Mühlen des Atheismus" sein kann (Pater Gahbauer vom Kloster Ettal in der 'Süddeutschen Zeitung' vom 22./23. Mai 82), weil er die imperialistische Politik schmiert, hat sich vorige Woche eine Gruppe professioneller Friedensfreunde nach Moskau auf die dortige "Friedenskonferenz der Weltreligionen" begeben. Mit einhellig antikommunistischem Resultat:

"Die russischen Friedenskämpfer brauchen Hilfe" (Lew Lopelew),

die man ihnen - einmal an Ort und Stelle - dann auch gleich angedeihen ließ:

"Westliche Delegationen hätten das Schlußdokument so beeinflussen können, daß eine Verurteilung der einen Seite durch die andere Seite verhindert worden sei. ... Wer behaupte, durch die Teilnahme an dieser Konferenz hätten westliche Kirchen sich in den Dienst der sowjetischen Propaganda stellen lassen, der kenne entweder die Fakten nicht oder er verbreite bewußt die Unwahrheit." (Landesbischof Hanselmann zit. nach der 'Süddeutschen Zeitung' vom 17. Mai 82)

Diesen Erfolg "des Friedens" über kommunistische Agitation hatte wohl auch das amerikanische "Maschinengewehr Gottes ", Billy Graham, vor Augen, als er bei russischem Kaviar und russischem Sekt auf die Kirchen anstieß. "Der Weltfrieden" kommt ja voran! Bestochen war der Mann sicher nicht (die kurze Absprache mit Reagan kann wirklich nicht als solch ein Tatbestand gewertet werden) - er wird schon an die "Friedensdemonstrationen auf dem Roten Platz" gedacht haben, von denen Heinrich Böll vor kurzem schwärmte. Über den nächsten Krieg ist er mit seinen schönen Visionen schon längst hinaus.