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Hans Dietrich Genscher
DIE MITTE ZWISCHEN DEM NATIONALEN INTERESSE
"Es ist ein großer, männlich wirkender Mann. Er hat vielleicht nicht - wie die Franzosen sagen - 'das gewisse Etwas' wie Kanzler Schmidt, aber er ist sehr geistreich und die Macht, die er verkörpert, wirkt wie Schönheit." (Freundin Lilo Pulver)
Biographisches
Warum H. D. Genscher, nachdem er 1952 aus der sowjetischen Besatzungszone in die Freiheit rübermachte, bei der FDP gelandet ist, um dort im Beruf des Politikers eine steile Karriere anzutreten, ist nicht von Belang. Denn daß der kleine Hans-Dietrich als Einzelkind in einer bäuerlichen Umwelt aufwuchs, als "richtiger Lausebengel" mehrmals vom Heuwagen fiel und mit anderthalb Jahren auf Fotos mindestens genauso dämlich aus seinem Kinderwagen grinste, wie jeder andre Säugling, erhält nur darüber Bedeutung, daß es der ausgewachsene Genscher von solchen Anfängen zu einer Position gebracht hat, die ihn weit über die Normalität gewöhnlicher Lebensläufe heraushebt. Demnach wäre er zum deutschen Liberalen-Führer aufgestiegen, weil er es verstand, mit den Talenten seiner sächsischen Rasse zu wuchern:
"Die Hallenser sind eine gut gezüchtete, mittel(!)deutsche Rasse. Zu den Eigenschaften dieser aus der alten preußischen Provinz gleichen Namens zählenden Menschen, den Sachsen, gehörten geistige Elastizität und realistischer Blick, Genscher zählt heute zu den bedeutendsten Denkern der deutschen Liberalen."
Auch das Lungenleiden des jungen Genscher, das ihn drei Jahre ins Krankenbett und von dort aus zum Fernstudium der Jurisprudenz zwang, ist deshalb von so großem Interesse, weil es sich vom Standpunkt der Bewunderung für die Macht, die sich der Mann inzwischen als Außenminister und Vizekanzler angeeignet hat, rückwirkend als Wurzel einer besondern Qualifikation zur Herrschaft reklamieren läßt:
"Auch diese Tatsache (der TBC) gehört zu den Erklärungsversuchen, weshalb er einer der nachdenklichsten Politiker ist."
Gleichwohl vermochte diese krankheitsbedingte "Nachdenklichkeit" den etwas verspäteten, dafür aber umso zügigeren Aufstieg Genschers als Politiker nicht zu stoppen.
Kaum im freien Westen, war er schon Anwalt von dessen Rechten und wissenschaftlicher Assistent der FDP-Bundestagsfraktion. Von da an hatte ihn auch schon "die Politik mit Haut und Haaren gefressen". Gemäß seinem von Max Weber übernommenen Leitspruch, "daß die Politik als ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern, mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich, angesehen werden kann", verbohrte er sich derart leidenschaftlich in dieses Metier, daß er schon 1959 als Geschäftsführer der liberalen Fraktion im Bundestag rauskam. Obwohl erst 1965 gewählter Abgeordneter, "katapultierte" ihn sein "Augenmaß " bereits vier Jahre später auf den Sessel des Bundesinnenministers. 1974 schließlich machte Walter Scheels Ausstieg ins Amt des obersten Repräsentanten der Nation für Genscher den Platz des Parteivorsitzenden frei. Seitdem ist er auch Bundesaußenminister der sozialliberalen Bundesregierung.
Der Innenminister
Daß das Innenministerium als angestammtes Regierungsamt der FDP gilt, liegt allein am Koalitionsproporz. Nur FDPler wollen daran glauben - wenn man sie fragt -, dieses Amt benötige unbedingt einen liberalen Politiker, der bei der Verwaltung der Gewalt gegen die Bürger mit Polizei, Bundesgrenzschutz und anderen Waffen auch auf die Freiheit des einzelnen achten täte. Als Innenminister bewies H. D. Genscher liberales Profil schon allein dadurch, daß er "der erste Bundesinnenminister war, der sein Amt populärer verließ, als er es angetreten hatte." Während auch sein Nachfolger in der Funktion des Polizeiministers, Maihofer, aufgrund einer etwas "glücklosen Hand" bei der Terroristenhatz vorzeitig wieder den Professorenhut nahm, paßte Genscher "der Anzug des Bundesinnenministers wie angegossen". Er hatte das Glück, mit seiner Amtstätigkeit in eine Zeit zu fallen, in der der Vorwurf "ungeschickter", "erfolgloser" oder "überzogener" und deshalb "ineffektiver" Wahrung der inneren Sicherheit nicht aufkommen und zu keinem Skandälchen werden konnte. Das Ansehen, das er sich für den Schutz der Freiheit der Bürger durch die Verstärkung der Sicherheitskräfte erwarb, litt auch nicht, sondern gewann durch den in seinen Verantwortungsbereich fallenden Zwischenfall im olympischen Dorf von München. Wie man sich erzählt, war es der Ressortleiter in Sachen staatlicher Gewalt nach außen, der damals seinem in derselben Angelegenheit nach innen tätigen Kollegen vor versammeltem Kabinett durch einen warmen Händedruck sein Mitgefühl ausdrückte. Derselbe Helmut Schmidt übrigens, der jüngst in einer Bundestagsrede die höhere Moral der verheerend wirkenden Praxis von "Verantwortungsethikern" seines Schlages gegen die seichte Angst von Friedensgesinnten hoch leben ließ - an eben diesem Beispiel:
"Und Herr Kollege Genscher hatte Angst um das Schicksal der israelischen Sportler, die während der Sommer-Olympiade 1972 in München von bewaffneten Gangstern als Geiseln gefangen gehalten wurden und schließlich bei diesem Verbrechen um Leben gekommen sind."
Ja, in Sachen rechter, und damit über jeden moralischen Zweifel erhabener Gesinnung, läßt sich ein demokratischer Politiker nichts am Zeug flicken. Er bürgt dafür mit der Bürde seines Amtes, welches umgekehrt ihm die Pflicht auferlegt, am Maßstab seiner Gewalt die Bürger in deren Freunde und Feinde zu unterscheiden. Genscher kommt hierbei zweifellos das Verdienst zu, als Hüter der Inneren Sicherheit die staatliche Behandlung von Verfassungsfeinden rigoros nach den Prinzipien der Staatsraison verfolgt zu haben, was er selbstverständlich "modernen Liberalismus" nannte. Wo schon der alle Friedrich Naumann die demokratische Durchsetzung der Staatsgewalt gegen die ihr Unterworfenen zum "doppelten Grundsatz" eines mit seiner Herrschaft identischen und um die effektivste Form der Selbstbeschränkung ringenden "Wir" verfabelt:
"1. Der Staat sind wir alle;
Der Staat darf nicht alles" (= wir dürfen nicht alles),
da kann das der Diener der Gewalt nach innen erst recht und ohne groß nachzudenken. Beispielhaft verbindet er die Exekution staatlicher Beschlüsse durch die ihm unterstehenden Beamten mit Grundsatz 1 des Demokratischen Liberalismus:
"Das Wort vom 'Staatsdiener' trifft heute nicht mehr ganz den inneren Kern der Aufgabe des öffentlichen Dienstes. Die Aufhebung des Gegensatzes zwischen Staat und Gesellschaft hat auch den Beamten zum Diener der Gesellschaft gemacht. Er vertritt nicht den Staat gegen den Bürger. Er vertritt immer den Bürger selbst in der Durchsetzung seiner Rechte, er wird zum Partner des Bürger, der sich ja in einer so vielfach verordneten und geordneten Welt ohne einen solchen Partner kaum mehr zurechtfinden würde." (Genscher '72),
um als Partner Innenminister jedem die realistische Freiheit zn verschaffen, sich unbedingt zurechtfinden zu müssen. Dabei darf der Staat vor allem eines nicht (= Grundsatz 2 ), nämlich seine Handlungsfreiheit riskieren:
"Aber dieser Freiheitsraum bedarf zu seiner Sicherung eines handlungsfähigen Staates... Der Rechtsstaat ist kein schlapper Staat und kein wehrloser Popanz, den sich jeder nach seinen Zwecken beliebig zurechtbiegen könnte. Die Waffe des Rechtsstaats ist das Recht und nur das Recht. Dies aber muß angewandt werden." (Genscher '74)
Was einen "freien Demokraten" von jeher so unverwechselbar auszeichnet: "sein unbedingtes Eintreten für die Freiheit der Persönlichkeit", praktizierte Genscher durch die zügige Verstärkung ihrer staatlichen Schutzengel, deren mit legitimer Gewalt ausgestatteter (Rechts-)Waffeneinsatz den unguten Zweifel am "Selbstbehauptungswillen" des Staates erst gar nicht aufkommen ließ.
Der "Aufhebung des Gegensatzes zwischen Staat und Gesellschaft" widmete er sich vom praktischen Standpunkt der Macht aus, indem er der von ihr betroffenen "Gesellschaft" den rechten Gebrauch der gewährten Freiheit umstandslos als die Pflicht zu einem lauten Ja abverlangte was schon aus Dankbarkeitsgründen eine Selbstverständlichkeit sein sollte:
"...Wer die Vorzüge unserer freiheitlichen Ordnung in Anspruch nehmen will, muß auch öffentlich ja sagen zu den Institutionen, die unsere innere und äußere Freiheit garantieren," (Genscher '72)
Daß sich dieses konservative Bekenntnis zur Gewalt beim gewöhnlichen Volk am angemessensten im unspektakulären Gehorsam gegenüber den vom Kapital eingerichteten Arbeitsbedingungen ausdrückt, trug Genscher immer in der liberal-staatsmännischen und genauso "konservativ" zu nennenden Pose eines Vorkämpfeis für das Freiheitsrecht zur Erbringung "individueller Leistung" vor. Dabei stand er nicht an, zum einen seinen ihm untergebenen Landsleuten das (von jedem überholten Klassendenken gereinigte) Lob eines gemeinsamen Dienstes an der wiedererstandenen Stärke der Nation auszusprechen:
"Der Wiederaufbau unseres Landes ist ein Ergebnis gemeinsamer Arbeit unseres Volkes. ... Daran wollen wir uns erinnern, wenn falsche Propheten darangehen, das Leistungsprinzip zu diskriminieren." (Genscher '72)
Zum anderen machte der qua Amt richtige Prophet Genscher korrekt einseitig Gefahren fürs gemeinsam Erreichte stets in dem Volksbestandteil aus, der für die - ob wachsender ökonomischer Potenz - stolzgeschwellten Brüste seiner Politiker als Lohnarbeiter gerade steht. Genschers Lieblingsspruch von einer gedächtnismäßigen Restauration des "Leistungsgedankens" reihte sich bruchlos ein in die lange Reihe des nicht erst von Erhard aufgestellten staatlichen Anspruchs, den Bürgern ihre Ansprüche abzugewöhnen.
"Die Erinnerung an den Leistungsgedanken scheint mir besonders dringlich in einer Phase unserer Entwicklung, in der wir noch unter den Folgen einer ins Grenzenlose gewachsenen Inflation der Ansprüche leiden, in der wir die Grenzen des ökonomisch Möglichen schon deutlich voraussehen, ja zum Teil überschritten haben." (Genscher '75)
Für solche nicht unbedingt originellen, doch jederzeit streng der Praxis des Klassenstaats verpflichteten Sprüche erntete der Minister nicht nur den Beifall von der gewichtigen Minderheit, auf die sein Materialismusvorwurf schon deshalb nie zutrifft, weil sie über die "ökonomischen Möglichkeiten" verfügt, an denen gemessen sich das Interesse der in ihrem Dienst Arbeitenden laufend als "überzogen" herausstellt. Auch in der breiten Öffentlichkeit gewann Genscher an Popularität, indem er sich zum "unpopulären" Gebrauch der ihm zustehenden Macht bekannte. Die durchgesetzte Handlungsfreiheit der Staatsgewalt nach innen - wie sie sich beredt auch in der üblichen, rein methodischen Würdigung des Politikerhandwerks ausdrückt:
"Er (Genscher) sah sich nicht nur als Sicherheitsminister, obwohl er das Feld der inneren Sicherheit so souverän beherrschte, daß" (außer ihm) "keiner Kapital aus diesem konfliktträchtigen Thema schlagen konnte." -
war es auch, die dem Auftreten des Außenministers Genscher auf dem Weltparkett einen "beachtlichen Start" garantierte. Der Innenminister hatte getan, was alle Innenminister tun. Spektakuläre Einfällen waren seinem Kopf dabei nicht gekommen. Aber man hatte ihm auch keinen Dreck am Stecken im Amt nachweisen können. Also galt er als guter Innenminister, der noch mehr werden konnte.
Der Außenminister
Warum Genscher Außenminister wurde, ist keine Frage. Seine persönliche Qualität, die ihn für dieses zweithöchste Amt in der Regierung befähigte, bestand darin, daß der bisherige Außenminister und Parteichef Bundespräsident wurde und es neben Genscher keinen in der FDP gab, der ihm die Übernahme der Doppelrolle seines Vorgängers streitig machen konnte. Doch auch ohne ein Politiker der sogenannten alten Diplomatenschule zu sein, wie man von Brentano und Schröder sagt, ohne den heiligen Friedensschein eines Willy Brandt und den eloquenten Starglanz seines Parteikollegen Walter Scheel konnte Genscher schon bald nach Beginn seiner Amtszeit im Ministerium des Äußeren befriedigt feststellen: "Ein Außenminister gilt draußen doch als etwas Besonderes." Er bestätigte damit die politische Wahrheit, daß ein Staatsmann an Bedeutung gewinnt, je größer die Macht, die er nach innen und gegen andere Staaten verwaltet. Was Wunder, daß H. D. Genscher, über den bei Amtsantritt noch die Frage gestellt wurde, ob er mit den Vorgängern im Amt mithalten könne, deshalb bald schon als mit "analytischen Fähigkeiten" und "raschem Verstand" begabt angesehen werden mußte, der "Können im Verhandeln" beweist. Der platte Geist Genschers, der einen in Versuchung führt, den Fehler zu begehen, vom Gesicht dieses Menschen auf seinen Intellekt zu schließen, hatte es wieder einmal geschafft, Glück zu haben. Er wurde Außenminister der BRD in einer Phase, als Westdeutschland sich daranmachte, zu einer - nicht nur ökonomischen, sondern auch politischen - Großmacht heranzureifen. Das färbte natürlich ab auf die farblose Figur des H. D.. Macht repräsentierte der Außenminister von Jahr zu Jahr mehr, und die Ideologien dazu brauchte Genscher auch nicht zu erfinden. Mit dem Gestus der Bescheidenheit der Macht, die weiß, was sie gilt, und der Lüge, auf der ganzen Welt friedlich zu vermitteln, ansonsten nur nützliche Wirtschaftsgüter anzubieten zu haben, die niemand erpressen, sondern nur allen Seiten guttun, stellt der Außenminister den westdeutschen Imperialismus vor, als wäre er keiner.
"Für uns selbst hat sich die Politik der internationalen Kooperation und der internen Stabilität vollauf gelohnt. Wir sind keine Großmacht in dieser Welt, weder militärisch noch politisch, Und wir wollen darauf auch keinen Anspruch erheben. Wenn wir trotzdem heute gutes Ansehen genießen in der Welt, dann verdanken wir das vor allem der Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland seit ihrem Entstehen sieh konsequent um eine Friedenspolitik bemüht hat und nachgewiesen hat, daß sie Kooperation und nicht Konfrontation will und der Tatsache, daß wir eine Wirtschaftskraft wiedererlangt haben, die uns an die Spitze der Welt gebracht hat, eine Wirtschaftskraft, die sich gründet auf eine konsequente freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik." (Genscher '75)
Genscher benutzt das international anerkannte Anwachsen deutscher Macht und Stärke genauso wie die entsprechenden Ideologien, was ihm zur Ehre gereicht. Dabei ist ihm sogar eine Besonderheit gelungen. Als Außenminister deutscher Friedenspolitik, die sich rentiert hat, vertritt er wie kein anderer schnörkellos die Grundsätze einer Politik des nationalen Interesses - entsprechend den aktuellen politischen Leitlinien der Schutzmacht Amerika. Illusionen, träumerische Erwartungen oder idealistische Perspektiven, wie man sie bei seinem Partner SPD vermutet, läßt er erst gar nicht aufkommen. Er sieht es vielmehr als seine Aufgabe an - und so verschafft er sich das Profil der Mitte -, den Friedens-, Entspannungs- und Reformimpetus, der den Sozialdemokraten noch immer anhaftet, zu bremsen. Liberale Außenpolitik ist demnach "realislisch" und sonst nichts - wie sie nicht nur an ihrer Illusionslosigkeit in Sachen Entspannungspolitik unter Beweis stellt:
"Entspannungspolitik, so wie die FDP sie versteht, ist eine Politik des nüchternen Realismus; sie beschönigt nicht, sondern sie blickt der harten Wirklichkeit des Ost-West-Gegensatzes ins Auge; sie orientiert sich am Machbaren, aber verliert das Wünschbare darüber nicht aus dem Auge." (Genscher '77)
Der Realismus, den der Bundesaußenminister als originär liberalen für seine Partei reklamiert, bezieht seine politische Überzeugungskraft schlicht aus dem Bekenntnis zur herrschenden westlichen Strategie der Umgangsform mit dem Hauptfeind. Daß die mit der sogenannten "Entspannungsphase" eingeleiiete Anerkennung der Sowjetunion als militärisch nicht mehr zu ignorierende Macht durch die USA nichts an ihrer grundsätzlichen Behandlung als Störfaktor für die grenzenlosen imperialistischen Ambitionen des freien Westens änderte, wird Genscher nicht müde, als den nationalen (= nüchtern liberalen) Standpunkt des von ihm verwalteten Bundesministeriums zu betonen:
"Liberale Entspannungspolitik ist sich in jedem Moment bewußt, daß die langfristigen Erwartungen, mit denen Ost und West in den Entspannungsprozeß eingetreten sind, einander entgegengesetzt sind." (Genscher '77)
Da "Realismus" eben die Durchsetzung des nationalen Interesses im Bündnis der NATO und an der Seite der USA ist, ändert sich dieser ja nach den "Perioden der Weltpolitik", die auf die Entspannungsphase folgen und ihre Ernte einbringen sollen, also je nach den neuen Richtlinien des großen Bündnispartners Amerika. Als wenn Genscher sich extra dafür so große Löffel hätte wachsen lassen, ist er für weltpolitische "Wenden" ganz Ohr und vollzieht sie schnell und ohne Bedenken (während Sozialdemokraten noch ihrer vergangenen Entspannungshochzeit nachtrauern). Schließlich sind das für einen Genscher dann die neuen Realitäten, die es anzupacken gilt. Entspannung beendet - okay!
"Wir stehen heute zu Beginn der achtziger Jahre am Anfang einer neuen Periode der Weltpolitik und damit unserer eigenen Außenpolitik. ... Die Entwicklung des Ost-West-Verhältnisses hat die Frage nach Sinn und Zukunft der Zusammenarbeit zwischen Ost und West neu gestellt." (Genscher '80)
Die Russen sind sowieso schuld, also geht die amerikanische Offensive in Ordnung.
"Die in diesem Zusammenhang (der Anerkennung) gegebene Zusage zur Zurückhaltung hat die Sowjetunion, wie nicht nur Afghanistan, sondern wie auch ihr Verhalten in Afrika und in Südostasien zeigt, nicht eingehalten. Hier liegt der Grund für die seit der Jahreswende 1979/80 erkennbare Entschlossenheit der Vereinigten Staaten, diese Herausforderung anzunehmen und die notwendigen Anstrengungen zu unternehmen, um weiteren Verschiebungen des Gleichgewichts in der Welt entgegenzutreten." (Genscher '80)
Die Nachrüstung muß auf jeden Fall sein, es sei denn die Russen werfen ihr Waffen-"Gleichgewicht" weg - aber das wäre unrealistisch gedacht:
"Der Schlüssel für eine Reduzierung oder gänzliche Vermeidung der Nachrüstung liegt nicht in Washington, er liegt nicht in Bonn, er liegt allein in Moskau." (Genscher '81)
In seiner jüngsten liberal-realistischen Tat tritt der Außenminister sogar amerikanischen Bedenken aus dem Munde McNamaras und anderer gegen die Strategie der Abschreckung entgegen, als er die Verträge für die Unterbringung zusätzlicher amerikanischer Divisionen auf deutschem Boden im Krisenfall (läppische 600 Millionen DM) unterschreibt.
Genscher ist so schlau schon, den Unterschied zu merken, ob er sich mit dem amerikanischen Außenminister trifft oder einen Herrscher aus Afrika vor sich hat. Im ersten Fall ist seine Pose der Bestätigung des Anliegens des großen Freundes angebracht natürlich ohne so Unterwürfigkeit zu zeigen, daß sie auffiele. Der zweite Fall dürfte ihm mehr liegen: Eine Nation im Rücken, die ökonomisch und politisch genug zu bieten hat, daß sich die Dritt-Welt-Länder es bieten lassen müssen, kann der große weiße Mann sehr frei die deutsche Tour reiten, sich als Anwalt der Probleme der Dritten Welt aufzuführen, als Vermittler zwischen Nord und Süd und als Diplomat, der jeden Neger-Herrscher extra behandelt -. nämlich in der Pose des "fairen Partners", sehr jovial. Man möge im Fernsehen nachsehen, wie Genscher diese seine Rolle ausgefüllt hat, immer mit dem Gestus des vermittelnden Gebers, dem man keine imperialistischen Gelüste nachsagen kann.
In Zeiten, in denen die Führungsmacht der "Ersten Welt" sich der "Probleme" der (dank zügigen imperialistischen Geschäftsgangs) "unterentwickelten" Länder vor allem unter dem globalen strategischen Gesichtspunkt ihrer politischen Verläßlichkeit für die höhere Aufgabe der Zurückhaltung "russischer Aggression" annimmt, entdeckt auch der deutsche Genscher neue weltpolitische Verantwortung jenseits der laufenden Geschäfte. Wo der "freie Westen" so frei ist, jeden ihm tauglich erscheinenden souveränen Erdenwinkel zu seinem militärischen Aufmarschgebiet gegen den "Weltterroristen" Sowjetunion auszubauen, ist Genscher mit der eigenen Erkenntnis zur Stelle: "So viele Konfliktherde, so viele Herausforderungen an die westliche Politik." Realistisch und liberal wie immer macht er sich an die Einlösung seiner Prognose:
"Die kommenden Jahre werden gekennzeichnet sein von der Auseinandersetzung um die Alternative: politische Unabhängigkeit oder Anlehnung an die Sowjetunion." (Genscher '80),
und zwischenlandet beispielhaft - noch bevor die Ägypter den offiziellen Totenschein auf ihren gemeuchelten Regenten Sadat ausgestellt hatten - schon im Zentrum "unserer Ölregion", um den dortigen Herrschaften mitzuteilen, wie sich ihre "Selbstbestimmung" im Rahmen der vom Imperialismus strategisch geplanten "geschichtlichen Entwicklung" hinfort verwirklicht:
"Die geschichtliche Entwicklung, die eindeutig auf Verwirklichung der Selbstbestimmung gerichtet ist, spricht dafür, daß sich der Weg der Unabhängigkeit gegen den Weg der Anlehnung durchsetzen wird." (Genscher '80)
So national-liberal, wie man ihn in der SPD einordnet, ist Genscher immer noch, daß er alle Methoden der Einmischung in auswärtige Angelegenheiten nicht als Ansprüche einer Großmacht, sondern als Nichteinmischung einer Mittelmacht vorstellt. H. D. Genscher hat vor der UNO gesprochen. Seine Rede wurde mit großem Beifall aufgenommen und auch sonst sein Auftreten dort als sein internationaler Erfolg gewertet. Das gelang ihm mit einer Rede, die man getrost im Schlußwort zusammenfassen kann:
"Nur wenn wir im Bewußtsein unserer Verantwortung für die Sicherung des Friedens und die Achtung der Menschenwürde und mit dem Willen zu globaler Solidarität handeln, werden wir den Weg in eine gute Zukunft finden. Hier liegt die vornehmste Aufgabe unserer Weltorganisation. Wir bekennen uns zu den Vereinten Nationen." (Genscher '81)
Es war halt das heutige Gewicht der zweitgrößten Industrie- und Militärmacht der westlichen Welt, das Genscher mit seiner Laberei repräsentieren durfte. Aber eben - er war es, der das durfte. So gewann er schon wieder Ansehen, wofür er nichts kann.
Der Parteiführer
Die Frage "Was will Genscher?", wie sie heute von den kritischen Beobachtern der Parteienkonkurrenz aufgeworfen wird, war schon immer saublöd. Die Taten des FDP-Vorsitzenden, mit denen er seiner "Regierungsverantwortung" gerecht wird, sprechen da eine unmißverständliche Sprache. Und woran eh niemand zweifelt, das bringt Genscher so auf den Begriff:
"Ich gehöre der Bundesregierung seit zwölf Jahren an. Ich hätte ihr nicht einen einzigen Tag angehört, wenn ich der Meinung gewesen wäre, sie hätte bis zum Jahre 1981 die nationalen Interessen unseres Landes nicht vertreten." (Genscher '81)
Gegenstand der öffentlichen Debatte ist nicht, was dieser dicke deutsche Politiker im Namen der paar auf seine Partei entfallenden Wählerprozente alles an "nationalem Interesse" gegen die Leute ins Feld führt, sondern welcher mehr oder weniger überzeugenden Verfahrensweisen er sich dabei bedient. An die Adresse der FDP gerichtet, lautet so die Frage traditionell: Wie wird sie ihrer Rolle als relativ mickrige, aber entscheidende "dritte Kraft" zwischen den zwei großen "Parteiblöcken" im Sinne einer funktionsfähigen Herrschaft gerecht? Der Parteivorsitzende Genscher hat diese Frage regelmäßig genauso methodisch beantwortet, wie sie gemeint war: Indem die Freidemokraten sich einen exakt "in der Mitte" plazierten "unabhängigen Standort" zuweisen und von dort aus immer der Partei den mehrheitsbeschaffenden Zuschlag geben, die ihnen eine möglichst große und stabile Beteiligung an der Macht garantiert. Getreu dieser streng liberalen Linie verfaßte Genscher (damals noch Vize der nationalen Mitte) mit Walter Scheel zusammen 1971 die "Freiburger Thesen", um auch auf Grundlage einer eigenen Parteiideologie ("...entspringt aus einem gewandelten Verständnis der Freiheit, das dem modernen Liberalismus die neue politische Dimension eines nicht nur Demokratischen, sondern zugleich Sozialen Liberalismus erschließt!") die stattgefundene Wende zur sozialdemokratischen Partei auf Bundesebene nachzuvollziehen.
Um dieselbe "Strategie der Eigenständigkeit" handelte es sich ein paar Jahre später, aus der heraus Regierungsbündnisse mit der CDU in Hannover und Saarbrücken entstanden. Hier war es eben "die neue politische Dimension" einer regierungsfähigen Mehrheit mit den Christdemokraten, die das "liberale Element" herausforderte. Umgekehrt sah der FDP-Chef "geradezu dogmatische Verkrampfungen" am Werk, wenn sich einmal eine regionale Parteigliederung wie unlängst in Berlin - entgegen aller freidemokratischen Vernunft der "staatspolitischen Verantwortung" in möglichen Ministerämtern verweigerte - und das ausgerechnet aus Gründen der "Glaubwürdigkeit und Programmtreue" (Parteifreund Kunze).
Ein Stück praktischer Glaubwürdigkeit realisierte sich für ihn überall dort, wo es die FDP war, die einem der beiden Großen das fehlende Quentchen an Parlamentssitzen für eine "handlungsfähige " Regierung lieferte und damit - klein aber oho! - die innere Stabilität der Republik auf ihr eigentliches Konto verbuchen konnte.
Daß die Liberalen auf Bundesebene mit den Sozialdemokraten, in den Ländern auch mit den Christdemokraten gemeinsame Staatssache machten, verkaufte Genscher als bundesweites Modell der "Auflockerung":
"Die Demokratie und der Staat bedürfen des frischen Windes, sonst gäbe es Inzucht. Nur das Wechselspiel könne dem Staat bekömmlich sein."
Solange die FDP mindestens ihr 5% Pflichtpensum an Wählerstimmen erreichte (und 1975 saß die Partei zum ersten Mal seit fast zehn Jahren wieder in allen Länderparlamenten), galt Genscher als gewiefter Parteitaktiker, dem der Erfolg Recht gibt. Immer dann, wenn die Freidemokraten aus Landtagen rausflogen (beispielsweise 1977/78) oder unter ihren bisherigen Ergebnissen blieben oder ihr Drang in Ministersessel durch eine schon bestehende absolute Mehrheit abschlägig beschieden wurde, eruierten "Wahlanalysen" im Trend einen "konturlosen" Genscher, der es wieder einmal nicht geschafft hatte, vom Image des "Schaukelpolitikers" loszukommen. Der viel beschworene Wählerwille, wie er sich nach demokratischem Brauch in der periodischen Abgabe von Kreuzen auszudrücken pflegt, fungierte dabei jeweils als prozentualer Gradmesser für die Sorgen (nicht der Bürger - Gott bewahre, schließlich leben wir in einer parlamentarischen Demokratie!) des Herrn Genscher mit der Selbstdarstellung seiner Partei. Abgrenzen und zugleich nach allen Seiten (für mögliche Koalitionen) offen bleiben, lautete entsprechend die parteitaktische Devise des obersten Liberalen. Zu so viel Politikerschläue ist auch ein "Farbloser" fähig.
"Voraussetzung dafür ist, daß wir den sich ständig beschleunigenden strukturellen Wandel in unserer modernen Welt bewältigen. Dies aber ist eine Aufgabe, die weder die Konservativen mit ihrem Ruf nach einem Zurück noch die Sozialisten mit ihrem Traum von einer utopischen Zukunft erfüllen können. Diese Aufgabe kann vielmehr nur eine Politik lösen, die fortschrittlich und realistisch zugleich ist." (Genscher '77)
In dieser genialen Standortbestimmung der FDP, die sich als pure Methode des eigenständigen Dazwischen von jeder Bezugnahme auf vermeintliche Bürgerinteressen freigemacht hat, konnte Genscher sich durch die Bundestagswahl 1980 bestätigt sehen. Das zweitbeste Ergebnis in ihrer Nachkriegsgeschichte erzielten die Freien Demokraten über das "Wahlversprechen" weiter als FDP an der Ausübung der Macht beteiligt sein zu wollen: "Für die Regierung Schmidt-Genscher, gegen die Alleinherrschaft einer Partei, gegen Strauß". Schlaue Bürgernähe wurde der demonstrativen Selbstdiziplin des FDP-Vorsitzenden bescheinigt, mit der er sich im Wahlkampf "aus der Schlammschlacht der beiden Großen herausgehalten" hat.
"Jetzt kann der Sieger sich schmeicheln, er habe im Duell der Giganten genau die richtige Mitte gefunden. Jedenfalls hat er mit seiner Regierungsmaxime des Sowohl-als-auch tiefsitzende Bedürfnisse der Bürger nach Frieden und Harmonie gefüttert." (Spiegel Nr. 41/1980)
Wenn heute wieder die Rede vom "Slalomfahrer" oder "Wendelin" Genscher umgeht, so hat der FDP-Chef dafür selbst neue Maßstäbe gesetzt. Noch bevor er mit seiner Politik der "Wende" "aus dem politischen Sommerloch des vergangenen Jahres hervorbrach, um Freund und Feind aufzuscheuchen" (ZEIT), verschrieb er seiner Partei eine Programmatik, deren "Liberalität" sich an keinem anderen Kriterium mehr messen läßt als dem der nationalen Verantwortung. Nicht einmal mehr dem Schein nach bemüht Genscher in diesen "schweren Zeiten" liberal-ideologische "Grundpositionen", wenn er sich schlicht als "dritte'Kraft" für die anstehenden "Bewährungsproben" des Staatswesens nach außen und innen profiliert. "Unser Land steht an einem Scheideweg", veröffentlichte der Vorsitzende im August '81, prophezeite in nationalen Schicksalsfragen "eine ähnliche grundsätzliche Auseinandersetzung... wie beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg" und faßte seine ganze liberale Mitte in einem "Wir sind dazu bereit!" zusammen:
"Das darf nicht die Stunde schwächlichen Taktierens und halbherziger Schritte sein. Wir als Freie Demokraten sind entschlossen, unsere Verantwortung wahrzunehmen."
Situationsgerecht - anläßlich der aktuellen "unpopulären" Vorhaben des Staates in Sachen Kriegsvorbereitung - will der FDP-Vorsitzende nur noch ein parteiübergreifendes Beurteilungskriterium für die "Glaubwürdigkeit" der Politik gelten lassen: das der unbeirrbaren Durchsetzungskraft und starken Hand. So gesehen hat der Genscher der achtziger Jahre tatsächlich seine Partei vom unguten Ruch des opportunistischen "Umfallers" gereinigt. Heutzutage "fällt" die FDP nicht mehr "um", sie steht fest zu dem von ihr selbst in die Welt gesetzten Glaubwürdigkeitsmaßstab der Meisterung von nationalen "Schicksalsfragen" und zieht dariiber den Koalitionspartner (Motto: "Wir sind es nicht...") in Zweifel und einen Wechsel in Erwägung. Denn daß die besten Jahre der ehedem mit Reform- und Entspannungspolitik zum "Modell Deutschland" verklärten sozialliberalen Koalition vorbei sind, pfeifen inzwischen die meinungsbildenden Spatzen aus jeder Kommentarspalte. Nicht zuletzt deshalb, weil Genscher mit seinem Instinkt für die regierungsfähige Mitte das gemerkt und kräftig nachgeholfen hat.
All das, was sich früher in dem vorn Schein des wohltuenden sozialen Netzes, vom Friedens- und Entspannungswillen geprägten Gesicht des Helmut Schmidt so schön als Stolz auf Deutschland zusammenfassen ließ, definiert sich heute neu: Die Entspannungsphase gilt - bei allem geschäftsmäßigen und politischen Nutzen den sie erbracht hat - von höchster NATO-Stelle aus für beendet. Sozialdemokratischen Reminiszenzen an sie wird "Nostalgie" und Unentschlossenheit vor dem Feind bescheinigt. Auch die Zeiten, wo sich Politiker noch mit Reformen in Pose warfen, sind passe. Sie haben heute den schlechten Ruf einer Ära der maßlosen "Überdehnung des sozialen Netzes" und werden als "staatliche Leistungen" zur Bewältigung der ausgerufenen "Krise" wieder einkassiert. Und wo bleibt der Vize-Kanzler? Früher war es sein - das Profil der FDP stärkendes - Anliegen, als mäßigende Kraft der "sozialistischen Utopien" seines Koalitionspartners anzutreten. Heute sind es einfach die "realistischen" nationalen Notwendigkeiten, die den Spezialitäten der Sozialdemokratie vorgesetzt werden und die bessere Glaubwürdigkeit der Mitte beweisen. Chronologisch so: Im tätigen Hintergrund, solange der sozialdemokratische Regierungschef die unangefochtene Nr. 1 blieb. Das wurde Genscher zwar nicht selten als "Farblosigkeit" ausgelegt, aber ebenso als honorierungswürdige Mittäterschaft am Erfolg der Koalition. Zugleich verschaffte ihm diese zurückgezogene Position den nicht unliebsamen Verdacht des "heimlichen Kanzlers", sobald der Stern Helmut Schmidt zu verblassen begann. Während seinen SPD-Kabinettskollegen bei ihrer Entschlossenheit, den neuen Tatsachen der Politik Geltung zu verschaffen, zunehmend der Beweis der politischen Kontinuität zu schaffen machte, trat der FDP-Vorsitzende ("Genscher hat das Gespür eines langgedienten Polizeihunds" E. D. Lueg) mit seinem Bekenntnis zur "Wende" an die Öffentlichkeit. Unter anderem am Beispiel der ehemals für das Ansehen der Koalition so brauchbaren Markenbezeichnung "Reformpolitik", grenzte Genscher seine Partei strikt von der Verantwortlichkeit für die heute gründlich zur Bereinigung anstehenden "alten Fehler" aus. Reform richtig verstanden - will für ihn schon immer "Sparprogramm" geheißen haben:
"Höhnisch hat mancher davon gesprochen, die Zeit der Reformen sei vorbei.
Wenn man Reformpolitik mit immer neuen Wohltaten ohne Rücksicht auf ihre Finanzierbarkeit verwechselt, ist das sicher richtig."
Auf Grundlage der prinzipiellen Einigkeit der Koalitionäre, daß für die Regierungspolitik des neuen Kalibers nur noch ein Erfolgskriterium zu gelten hat: die Entschlossenheit, mit der sie für ihre "Sparzwänge" die Bürger gerade stehen läßt, nimmt der FDP-Vorsitzende am Partner SPD öffentlichkeitswirksam Maß. Das Image des "konturlosen Prozentbuchhalters", der nicht links noch rechts, sondern korrekt im Zentrum des nationalen Interesses steht, gereicht ihm dabei zur Qualifikation. Wo die Sozialdemokraten noch die besondere Befähigung, dem Volk "schwere Zeiten" zu verschaffen, durch den Rückgriff auf alte "Symbolwerte" ihrer Partei unterstreichen und dabei stets negative Profilierungspunkte ("Unter einer CDU/CSU-Regierung wäre alles noch viel schlimmer!") für sich zustande bringen; da bekennt sich Genscher zur "Wende" in der Politik und beweist regierungsfähige "Glaubwürdigkeit", indem er zu keiner Staatsnotwendigkeit je ein anderes Argument gekannt haben will als das der "nationalen Schicksalsfrage". Durchaus "glaubwürdig" ist es demnach auch, wenn der Führer der "dritten Kraft" sich vom "maroden Zustand" der Koalition distanziert und einen Lambsdorff (in Sachen "Ergänzungsabgabe", "Meldepflicht", "Zumutbarkeitsregelung" etc.) am Ruin der ganzen schönen Politiker "Fortune " des Herbert Ehrenberg arbeiten läßt. "Glaubwürdig" auch, wie er sich der alten Freundschaft zum anderen Helmut (wohl, weil das Klima mit dem Helmut Kanzler so "unterkühlt" ist) erinnert und "zunehmende Übereinstimmungen" mit ihm entdeckt; wie er seiner Vorliebe zum Starkbier mit Strauß frönt und den Parteikollegen Lambsdorff "keine Wechsel" mehr auf den Fortbestand der sozialliberalen Koalition ausgeben läßt und gleichzeitig Bekenntnisse zum "Wählerauftrag" und zum "Koalitionsprogramm" abgibt: "Die SPD zerredet die Koalition." - "Die FDP wird ihre Pflicht erfüllen." Eines steht heute schon fest: An Genscher hat es nicht gelegen, wenn er demnächst seiner nationalen Pflicht mit einem anderen Koalitionspartner gehorcht. Doch seine Leistung wird es sein, den richtigen Zeitpunkt erkannt zu haben.
Sein Portrait
Es ist nicht leicht, ein treffendes Bild dieses deutschen Politikers der 70er und 80er Jahre zu zeichnen. Einmal gerät einem sein Portrait zu lang, weil man ihm politische Taten und Ideologien zuweist, die er zwar mitgemacht hat, die aber nie auf seinem ureigenen Mist gewachsen sind. Dann wieder kommt man in Gefahr, bei diesem Mann wegen seines politischen Ansehens unbedingt irgendwelche hervorragende Fähigkeiten suchen zu wollen, so als wüßte man nicht, daß Politiker nicht wegen ihres scharfen Geistes groß werden. Nein, bei H. D. Genscher findet man hervorstechende geistige Fähigkeiten oder Charaktereigenschaften überhaupt nicht. Die braucht er auch gar nicht, ja es ist sein Glück, in seinem politischen Geschäft nicht durch eigenen Geist und eigenes Wissen gestört zu werden. Macht kennt kein anderes Argument als sich selbst, Macht. Genscher hat mit seiner "Farblosigkeit" das Glück gehabt, die sich zur Großmacht mausernde BRD nach außen zu vertreten. Er führt eine Partei an in einer Parteienlandschaft, die von ihm nicht, wie fälschlicherweise behauptet wird, die Kunst des "Lavierens" verlangt, sondern nur so viel Bauernschläue, daß er merkt, wo er seine Mitte realistisch anzusiedeln hat, um weiter Macht auszuüben. So ist Genscher die vollendete Charaktermaske der Macht, die in seiner Dummheit einen guten Verwalter hat. Deshalb ist er wer!