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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1982 erschienen.

Systematik

Politologie
IDEOLOGISCHE VARIATIONEN ZUR WELTLAGE

Die USA und ihre NATO-Verbündeten rüsten auf, was das Zeug hält. Der oberste Führer des freien Westens hat beschlossen, "daß die Geschichte heute die letzte Seite des Kommunismus schreibt". Verhandlungen mit dem erklärten Kriegsgegner gestalten sich demgemäß einfach: Kein westliches Entgegenkommen, wenn die Sowjetunion nicht ihre Hauptverteidigungswaffen SS 20 und landgestützte strategische Raketen abbaut, sich also freiwillig weitgehend entwaffnet und damit Entgegenkommen überflüssig macht. Das zündende Verhandlungsangebot des Westens lautet: Wir rüsten auf alle Fälle "nach". Mit dem Ausbau des "Schlachtfelds Deutschland" macht sich die Bundesregierung um die Glaubwürdigkeit dieser Kriegsandrohung verdient. Die gewachsene weltpolitische Bedeutung der westlichen Mitmacher dokumentieren Argentinien und Großbritannien unterschiedlich, aber unisono: die "nationale Ehre" verträgt und gebietet heute einen Krieg. An der gewalttätigen Auseinandersetzung im südlichen Atlantik darf sich ein zeitgemäßes Gewissen bewähren, den Krieg als selbstverständliches Ereignis begutachten und diesen besonderen als "überzogen" verurteilen: Die Falklands sind noch nicht "unser" Krieg.

Ein Grund für Politologen, über den eigenen guten Glauben an den Dienst der Politiker für das "Sicherheitsbedürfnis" und den "Ordnungswunsch" der Menschheit zu stutzen oder zumindest das Scheitern friedlicher Absichten anzuklagen? Keineswegs!

Was wissenschaftliche Idealisten der Staatsgewalt heute bemerken, ist ein Realismus besonderer Sorte: Die offensiv betriebene Kriegsvorbereitung des Westens paßt - zumindest zu den Vorstellungen, die sie sich schon immer über Politik gemacht haben wollen. Die wissenschaftlichen Übersetzer der praktischen Taten der Politiker finden sich in ihrem Verständnis für die "Schwierigkeiten", gewaltsam "Ordnung zu schaffen" heute erst so richtig bestätigt. Erhabene Zwecke, wie "Konfliktlösungen" suchen, das "internationale System" im Gleichgewicht halten, die jenseits der Welt der politologischen Gedankenfreiheit nicht die Spur einer Realität besitzen - immerhin setzen Staaten sehr bestimmte "Konflikte" in die Welt und ganz sicher nicht aus der Absicht, sie zu lösen -, verstehen Politologen heute mehr denn je als Auftrag der Politik. Die "veränderte Weltlage" gebietet zur Zeit verantwortliche Entscheidungen, vor denen der Vergleich der Taten politischer Herrschaft mit den ihr unterlegten menschenfreundlichen Absichten sich als unsachgemäßer politologischer Hochmut blamiert. Auf idealistische Ausmalung der eigentlichen Qualitäten der Politik - nach dem Muster: Ohne die gewaltsame Festlegung der Menschennatur auf nützlichen Dienst an "der Wirtschaft", auf willige Unterordnung unter das staatlich dekretierte "Allgemeinwohl" und auf den "Ernstfall" der Verteidigung dieser Freiheit, kein friedliches Überleben der Menschheit - kommt es jetzt erst recht an: Die Weltlage gebietet wissenschaftlichen Politikinterpreten heute umstandlose Sorge um das Scheitern der Politik, das nur durch konsequente Fortführung zu vermeiden ist. Die politologische Geistesfreiheit gerüstet für den kommenden Weltkrieg? - Aber immer!

I. Ein "antisowjetischer Drall" im "internationalen System" des Politologen

"Wandel scheint das Kennzeichen der eerikanischen Außenpolitik zu sein," (E.-, Czempiel, Amerikanische Außenpolitik im Wandel, 1982)

So beginnt ein Politologe sein Buch über die Außenpolitik der USA unter Reagan und mehr wird auf den folgenden 170 Seiten nicht geboten. Für die nötige Stoffülle sorgt der Zettelkasten: Der Wandel der Außenpolitik rührt daher, daß alle anderen Stichworte, die einem Politologen einfallen, sich gewandelt haben.

"Der 'Wandel der amerikanischen Außenpolitik' stellt sich dar als die Summe der Wandlungen, die sich auf den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Sachbereichen vor allem auf den Gebieten der Rüstung, der Außenwirtschaft, der Energie, aber auch der Ideologie - in Gestalt der Menschenrechte - vollzogen haben." (8)

Bei dieser "Darstellung" ist die "Prognose" auf zukünftigen Wandel eine sichere Bank.

"Politologen sind keine Propheten. Aber wenn es richtig ist," (aber Czempiel!) "daß die aktuellen Prozesse von der Struktur mitbestimmt werden, innerhalb derer sie sich bewegen, dann deuten die Analysen auch ein Stück Zukunft aus, die die amerikanische Außenpolitik der nächsten Zeit erfüllen wird." (Was immer Reagan in Gang setzt, eine Zukunftserfüllung ist es allemal!) (S. 8)

Wovon redet der Mensch eigentlich? Von den Zwecken, Absichten, Zielen und Handlungen amerikanischer Politik ist offensichtlich nicht die Rede, wenn unter dem Gesichtspunkt des Wandels an politische Fakten erinnert wird. Die Auskunft: Politik ist Veränderung ist ebensowenig ein Urteil, weil es auf jede Beurteilung verzichtet. Der Schein eines Urteils über Politik taugt nur noch für eines: die grundlose Konstatierung einer Notwendigkeit des faktischen Vollzugs der von der USA und ihren Verbündeten ins Werk gesetzten Kriegsvorbereitung. Wenn sich das Programm Reagans, den Osten totzurüsten, nicht nach den Vorstellungen des Politologen richtet, wird der doch noch seine Einbildung zeitgemäß reformieren dürfen und sich erneut an die theoretische Spitze der "Weltpolitik"-Bewegung setzen dürfen: Ein Wandel ist fällig! Damit hat der Politologe sein Verständnis für das Wirken der Gestalten, die Politik machen und daher allein seines Interesses würdig sind, kriegskonjunkturgerecht befreit von jedem Anspruch, deren Wirken müßte ihm noch einen Anlaß liefern für das Lob, was Politik alles an Sicherheitsstiftung und Friedenssicherung zustande bringen könnte. Die Zustimmung zur Politik des freien Westens ist seine Erklärung, und der Stolz des Politologen besteht heute darin, "Fortschritte", die ihm alle einleuchten, sobald sie gemacht werden, hintennach zu kommentieren. Nach dem Muster der Historikerweisheit: Geschichte ist, weil es so hat kommen müssen, sorgt der Politologe dafür, daß er bei seinen "Prognosen" keine Niete ziehen kann. Hat er nicht rechtzeitig von

"der Neigung zur Vereinfachung in der Außenpolitik" gesprochen, die "bei Reagan, dessen Mannschaft... noch weniger von Außenpolitik verstebt als die Carters, leicht zu einem High-Noon-Stil werden kann," (S. 39)?

Da wird sich doch nach Ausbruch des Weltkriegs dieser als leider "gescheiterter Wandel", also Vergehen der Politiker gegen das Problembewußtsein des Politologen von den schier undurchschaubaren Fakten und Aspekten der "Lagestruktur", also als Bestätigung des Politologenidealismus fassen lassen. Gegenwärtig befinden sich die von der Politologie gehegten Ideale von einer ordentlichen "Weltordnung" ziemlich außerhalb der Schußweite des weltpolitischen Geschehens. Sie deutet sich das so, daß die entschiedenen Veranstalter der Maßnahmen, die die UdSSR vor die Entscheidung Kapitulation oder Weltkrieg stellen, sich im Würgegriff der "Ost-West-Eskalation" befinden. Mit Reagan ist ein Wandel der amerikanischen Außenpolitik ium Zug gekommen - "also" ist dieser ausführendes Opfer und Teil einer Trendwende, für die er nichts kann: Schließlich ist der Wandel amerikanischer Politik und von Politik überhaupt das Subjekt, dem kein Politiker auskommt.

"Das internationale System hatte einen antisowjetischen Drall bekommen, dessen Wirkung umso stärker ausfallen mußte, als sich auch in den Vereinigten Staaten selbst die Stimmung weiter zuungunsten der SU und zum Nachteil einer Politik der Entspannung verändert hatte." (S 32)

So bemerkt der Politologe, daß die Erfolge der Entspannungspolitik - friedliche Destabilisierung des Ostblocks, siehe Polen, und die Aufrüstung mit all den Mitteln, die dem Osten als einleuchtendes Abrüstungsargument vorgehalten werden - die weltpolitischen Ansprüche des Westens gesteigert haben: Das "Scheitern der Entspannung" hat zu Reagan geführt, der ist nur der Ausdruck einer Stimmung in Amerika und einer selbständigen Bewegung in einem System, in dem sich die verschiedenen Macher der Politik wie auf einem Karussell mitdrehen. Diese "Erklärung" ist freilich nichts als eine zum Stimmungswbild ausgemalte Einverständniserklärung, aber sie läßt sich mit dem Glauben, Politik wäre Dienst im Auftrag der Massen, gut vereinbaren. Der freie Umgang der führenden Gestalten des Westensw mit ihren Völkern, die die Aufrüstung zu bezahlen und mit ihrem Leben für deren Erfolg einzustehen haben, erweckt bei Politologen eine Sorge: Heute bläst dem Verständigungs- und Entspannungswillen eben dieser Politiker der eisige Wind des "internationalen Systems" entgegen. Ungemütlich ist nicht die verkündete und praktizierte Kriegsdiplomatie, sondern "der Wandel der internationalen Umwelt", auf die die amerikanische Außenpolitik antworten mußte:

"Der Wandel der Sowjetunion hin zu einer militärisch gleichstarken Supermacht stellt zweifellos diejenige Veränderung der internationalen Umwelt dar, die den Vereinigten Staaten, ihrem politischen System wie ihrer Gesellschaft am meisten zu schaffen macht. Sie haben das Monopol militärischer Macht, auf die sie sich seit 1947 in erster Linie verlassen hatten, verloren. Da sich diese Macht infolge der relativen Verstärkung und Veränderung der Welt insgesamt auch dort nicht mehr einsetzen läßt, wo eine klare Überlegenheit gegeben ist, verstärkt sich das Gefühl der Schwäche in den Vereinigten Staaten." (S. 15)

Nie will sich der Politologe den Krieg als einen Zweck staatlicher Gewalt vorstellen können - und kaum bebildert er diesen seinen Glauben, kommt ein veritabler Kriegsaufruf zustande. Wenn schon die Überlegenheit der Amis nicht mehr dazu taugen soll, sie auch "einzusetzen", dann ist es wohl geboten, die Überlegenheit zur Einsatzreife zu bringen. Das drücken Politologen so aus, daß "aus amerikanischer Sicht" amerikanische Rüstungspolitik "verständlich" ist. So entdeckt auch die Politologenriege den angesagten Feind mit einem Argument, das mit den praktischen Zwecken amerikanischer Politik nichts zu tun hat, aber die höchsteigene Betroffenheit des Weltmodellkonstrukteurs als ganz originelle Zustimmung auffährt. Die Russen haben das Gleichgewichtsmodell der politologischen Weltordnung verletzt - und darauf mußte Amerika reagieren.

Eine zeitgemäße Modernisierung der seit je gehegten Vorstellung von Politik - diese wäre eine Konfliktlösungsstrategie, mit der die Staatsmänner dem Bedürfnis des "internationalen Systems" nach ganz viel friedlicher Ordnung nachkommen oder daran scheitern - ist allerdings fällig. Das Ideal der Weltfriedensordnung buchstabiert sich ganz realitätsbewußt als Überlegenheit der Weltmacht Nr. 1 - zwei "gleichstarke Supermächte" verträgt der Weltfrieden nicht -, so umstandlos gilt der Politologenzunft ihr oberstes Ideal als verständlicher Kriegsgrund.

Zu praktischer Solidarität mit Feldherrn wie Schmidt und Reagan aufzurufen, ist freilich nicht die Aufgabe, der sich Politologen stellen. Sie haben sich nur einen neuen Maßstab gesetzt, mit dem sie sich jetzt um das Gelingen der Politik sorgen. Politiker ernsteren Krisen ausgesetzt sehen als je zuvor. Ausgerechnet die härteste Entscheidung, vor die Reagan die Russen stellen will, wird dann zu einem einzigen Beleg ohnmächtigen Scheiterns:

"Sie müssen einer Sowjetunion Widerstand leisten, die sich, gesteigerte militärische Macht im Rücken, politisch ausbreitet und haben ihr nichts anderes entgegenzusetzen als militärische Macht." (Ein Weltsystembastler hält die militärische Macht des Staates für ein "nur"!) "Der Versuch, der SU die politische Parität zu versagen, kann damit nur instrumentiert werden durch die Wiedererlangung militärischer Superiorität. Aber selbst wenn sie zu erreichen wäre... trifft sie nicht die sowjetische Politik, sondern neutralisiert höchstens deren militärische Basis." (S. 36)

Das also heißt Scheitem: Die vorhandenen Mittel reichen nicht aus, weil Atombomben die politologische Eigenschaft haben, nur das russische Militär zu treffen und die Politik intakt zu lassen? Fällt eigentlich niemanden auf, daß bei dem politikwissenschaftlichen Reden über Politik, so verrückt es auch ausfallen mag, die Menschen regelmäßig überhaupt nicht vorkommen, daß amerikanische Überlegenheit als ein selbstverständliches Ziel unterstellt wird, und nur noch über die besten Mittel für die Durchsetzung weltweiter Freiheit für den Führungsstaat des Westens spekuliert wird? Die Weltherrschaft gegen angebliche russische Expansion verteidigen (Wer muß sich da "ausbreiten"?), na klar. Aber mit weltweitem Militäreinsatz, das ist Schwäche!

Heute besteht die selbstgewählte Aufgabe der Politikwissenschaft offensichtlich darin, aus der behaupteten Unmöglichkeit des Krieges eine Offensive für die Vorkriegszeit zu machen. Die tatsächliche Kriegsvorbereitung wird theoretisch umsorgt und vor einem drohenden Versagen der Politik gewarnt, um zu einem umfassenden Einsatz dieser Politik aufzurufen. Nur einen einzigen Vorbehalt will der Politologe machen, der genügt freilich für die Bedeutung der Politikwissenschaft, die sie sich zumißt: Ein Scheitern der Politik ist immer drin und will im Nachhin ein als wissenschaftliches Ergebnis in Buchform gefaßt sein.

II. Politologischer Anspruch auf aktuell passende "Konfliktlösung"

Auf diese Weise bleibt der Politologe jetzt erst recht ein Skeptiker des Erfolgs der staatlichen Gewalt, wenn das westliche Bündnis sich gefechtsklar macht. Das harte Urteil über den Nachrüstungsbeschluß lautet: Er ist kein taugliches Mittel für die Erfüllung des westlichen Kampfauftrags gegen den Osten, weil er mit dem "Ost-West-Konflikt" nichts zu tun hat:

"Die Diskussion um den Doppelbeschluß der NATO gibt Anlaß zum Nachdenken darüber, ob überhaupt die richtigen Probleme verhandelt werden. Für sich genommen, verdient der Beschluß die Bedeutung nicht, die ihm zugemessen wird; sie entstammt eher der innenpolitischen Lage der westeuropäischen Staaten als der Rüstungseskalation zwischen Ost und West" (E.-O. Czempiel, Nachrüstung und Systemwandel, Das Parlament 6.2.82)

Originell, Herr Professor! Ohne Pershings kehrt in der Bundesrepublik keine innenpolitische Ruhe und Zufriedenheit ein, während die Veranstalter der bedingungslosen Aufrüstung gegen die UdSSR immer ganz unangebracht an die "Ost-West-Rüstungseskalation" denken. Damit wäre ja alles klar! Der Politologe entzieht diesen Idioten seinen geistigen Beistand und erklärt die Nachrüstung für überflüssig - und hat damit seinen Glauben, Krieg könne kein Mittel der Politik sein, gerettet. Weit gefehlt! Für diese Moral stellt sich kein moderner Politikwissenschaftler dumm. Er ruft die gewählten Verteidiger westlicher Freiheit dazu auf, bei den von ihnen installierten Bömbchen auch wirklich an den Feind im Osten zu denken -und die überflüssigen Debatten über den Doppelbeschluß schleunigst zu beenden.

Den Friedensauftrag der Politik sieht Czempiel eben heute vor größere Aufgaben gestellt. Die untertänige Phantasie, ausgerechnet die Figuren, die laufend Kriegsgründe in die Welt setzen, zu in der Klemme sitzenden, also verhinderten Meistern der Konfliktlösung und zu um den ständigen "Abbau" von "Spannungen" bemühten Diplomaten im Dienste der Menschheit zu stilisieren, trägt dieser Politologe als Anspruch auf eine aktuell passende Konfliktlösung vor. Der Westen hat den "Konflikt" erfolgreich durchzustehen:

"Die neue Strategie würde, indem sie den Zielen des Westens endlich adäquate Mittel zuordnet, diese Situation beenden, den Konsens nicht nur wiederherstellen, sondern verstärken. Sie würde dem Westen im Ost-West-Konflikt wieder diejenige Funktion zuweisen, die ihm aufgrund seines Leistungsvorsprungs zweifellos zukommt: die initiative Systemsteuerung." (46)

Bei der Aufgabe, die systematisch störenden Russen zu einer Konsensverstärkung mit der westlichen Überlegenheit zu zwingen, darf durchaus an Krieg gedacht werden - verboten ist freilich, in der "Nach"rüstung eine Mobilmachung für eben dieses Ziel zu entdecken. Nur, fragt sich Czempiel, reicht denn der bloß militärisch angelegte Schlag aus für "eine so angelegte Entspannungsstrategie, nämlich die perspektivische Destabilisierung repressiver und illegitimer Regime" (31)? Und macht sich anheischig, den "durch seine Militarisierung deformierten Ost-West-Konflikt" (32) wieder in seiner vollen Größe zu rekonstruieren:

"Heißt Entspannung vielleicht, den militärischen Konflikt zurückdämmen und dafür den politischen, ideologischen, gesellschaftlichen zu profilieren?" (22)

Seine Friedensvorstellung ist die eines besseren Kriegs: Geht es nicht, die Russen zu erledigen, ohne ihnen Gelegenheit zu geben, ihre Waffen einsetzen zu können, lautet sein verrückter Wunsch. Das Mißverständnis von friedlichem Ausgleich und Zusammenarbeit, mit dem einstmals Politologen dem Friedenskanzler ihr nationales Lob abgestattet haben, weist Czempiel entschieden zurück:

"Er hat aber nichts zu tun mit einer Minderung, Abschwächung oder gar Aufhebung des Konfliktes," (25)

Seine Kritik, die NATO solle auf die Nachrüstung verzichten, kommt aus dem alleinigen Wunsch, dieser Kriegsansage erst noch die von Reagan und Schmidt vernachlässigte Wucht freiheitlicher "Destabilisierung" zu verleihen. Als "Sanktionsofferte" gefällt ihm der Doppelbeschluß durchaus:

"Dazu ist der Doppelbeschluß der NATO sehr gut geeignet, weil er die beiden Teile einer gradualistischen Strategie, die Offerte und die Sanktion, bereits enthält, wenn auch in einer alten, dysfunktionalen Verbindung." (46)

Wenn schon der Erfolg des Imperialismus und die Selbstaufgabe der Sowjetunion beschlossene Sache ist, warum der Umweg, erst aufzurüsten und dann dem erklärten Kriegsfeind die "Nulloption", also die Selbstaufgabe, seiner militärischen Mittel anzubieten, fragt sich Czempiel allen Ernstes.

Mit der Wirklichkeit dessen, was westliche Politiker an Kriegsvorbereitung in Gang setzen, hat die Vorstellung, der Westen solle auf Nachrüstung verzichten, um den Osten anzureizen, sich selbst wehrlos zu machen, nichts zu schaffen und braucht dies auch nicht. Hier will ein Politologe ja nur seine originell konstruierte Zustimmung zum praktischen Geschäft des Imperialismus mitgeteilt haben - und wo wäre ein besserer Platz für den Beifall der Wissenschaft als im Anhang der stenographischen Mitschrift aller Äußerüngen der Leute, die in Bonn Politik machen? Die Zufriedenheit des Politologen gilt aber nicht einfach den in "Fehlperzeptionen befangenen" Führern und Feldherren des freien Westens - er entdeckt in ihrem Wirken die Gelegenheit, ein politologisches Weltmodell, das sich durch Originalität auszeichnet, zum Grund seiner höchsteigenen Zustimmung zu machen. Was er darin über den "Ost-West-Konflikt" meldet, müßte - ernstgenommen - selbst den bescheidenen Verstand seines Erfinders glatt verrückt machen, wäre es nicht so eindeutig und allein aus einem antikommunistischen Geist heraus und daher auf das Einverständnis mit den Maßnahmen der Vorkriegszeit neu konstruiert. Die wenig gemütlichen Absichtserklärungen der Staatsmänner, daß die "Konfliktlösung" des "Ost-West-Konfliktes" zur Zeit endgültig ansteht und militärisch vorbereitet wird, lassen sich nämlich quantifizieren und graphisch darstellen:

Die Spannungsgerade des Ost-West-Konflikts

arbeit.htm bahro.htm bilanz.htm demo.htm demokr.htm dgb.htm falk2.htm falk3.htm falk.htm familie.htm folter2.htm folter.htm frieden2.htm frieden3.htm frieden4.htm frieden5.htm frieden6.htm frieden.htm genscher.htm gipfel2.htm gipfel.htm goethe.htm habermas.htm italien.htm jugo.htm korr.htm literat.htm mai2.htm mai.htm matt.htm nation.htm nicole.htm oekon.htm polen.htm polito.htm porst.htm ration.htm ruest.htm spruch.htm start.htm tmp.html utf8 weiss.htm

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Abgeleiteter *

Konflikt arbeit.htm bahro.htm bilanz.htm demo.htm demokr.htm dgb.htm falk2.htm falk3.htm falk.htm familie.htm folter2.htm folter.htm frieden2.htm frieden3.htm frieden4.htm frieden5.htm frieden6.htm frieden.htm genscher.htm gipfel2.htm gipfel.htm goethe.htm habermas.htm italien.htm jugo.htm korr.htm literat.htm mai2.htm mai.htm matt.htm nation.htm nicole.htm oekon.htm polen.htm polito.htm porst.htm ration.htm ruest.htm spruch.htm start.htm tmp.html utf8 weiss.htm sehr hoch (aufgesetzte Spannung)

Rüstungsdynamik *

*

Sekundärer Konfflikt arbeit.htm bahro.htm bilanz.htm demo.htm demokr.htm dgb.htm falk2.htm falk3.htm falk.htm familie.htm folter2.htm folter.htm frieden2.htm frieden3.htm frieden4.htm frieden5.htm frieden6.htm frieden.htm genscher.htm gipfel2.htm gipfel.htm goethe.htm habermas.htm italien.htm jugo.htm korr.htm literat.htm mai2.htm mai.htm matt.htm nation.htm nicole.htm oekon.htm polen.htm polito.htm porst.htm ration.htm ruest.htm spruch.htm start.htm tmp.html utf8 weiss.htm hoch

Differenzen über Macht- *

und Einflußverteilung *

in der Dritten Welt *

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Sicherheitsdilemma arbeit.htm bahro.htm bilanz.htm demo.htm demokr.htm dgb.htm falk2.htm falk3.htm falk.htm familie.htm folter2.htm folter.htm frieden2.htm frieden3.htm frieden4.htm frieden5.htm frieden6.htm frieden.htm genscher.htm gipfel2.htm gipfel.htm goethe.htm habermas.htm italien.htm jugo.htm korr.htm literat.htm mai2.htm mai.htm matt.htm nation.htm nicole.htm oekon.htm polen.htm polito.htm porst.htm ration.htm ruest.htm spruch.htm start.htm tmp.html utf8 weiss.htm beträchtlich

Unsicherheit über Nichtangriff *

des anderen *

*

Originärer Konflikt arbeit.htm bahro.htm bilanz.htm demo.htm demokr.htm dgb.htm falk2.htm falk3.htm falk.htm familie.htm folter2.htm folter.htm frieden2.htm frieden3.htm frieden4.htm frieden5.htm frieden6.htm frieden.htm genscher.htm gipfel2.htm gipfel.htm goethe.htm habermas.htm italien.htm jugo.htm korr.htm literat.htm mai2.htm mai.htm matt.htm nation.htm nicole.htm oekon.htm polen.htm polito.htm porst.htm ration.htm ruest.htm spruch.htm start.htm tmp.html utf8 weiss.htm niedrig

Positionsdifferenzen über gesellschaft- *

liche, wirtschaftliche und politische Ordnung *

arbeit.htm bahro.htm bilanz.htm demo.htm demokr.htm dgb.htm falk2.htm falk3.htm falk.htm familie.htm folter2.htm folter.htm frieden2.htm frieden3.htm frieden4.htm frieden5.htm frieden6.htm frieden.htm genscher.htm gipfel2.htm gipfel.htm goethe.htm habermas.htm italien.htm jugo.htm korr.htm literat.htm mai2.htm mai.htm matt.htm nation.htm nicole.htm oekon.htm polen.htm polito.htm porst.htm ration.htm ruest.htm spruch.htm start.htm tmp.html utf8 weiss.htm

Die Schichtung des Ost-West-Konflikts

In Worten:

"Den Fuß bildet der originäre Konflikt als Differenz zwischen unterschiedlichen Herrschafts- und Gesellschaftssystemen. Die ihm zuzuordnenden Austragungsmodi sind nicht notwendig und schon gar nicht in erster Lrnie gewaltsam." (27)

"Oberhalb des originären, des sekundären Konfliktes und des Sicherheitskonfliktes türmt sich dann der abgeleitete, prinzipiell nicht begründbare" (klar, bei diesen Prinzipien!) "Konflikt zwischen Ost und West, der sich im Rüstungswettlauf niederschlägt und dort eine zusätzliche, aufgesetzte, aber besonders hohe Spannung erzeugt." (27)

"Die einzelnen Bestandteile des Konfliktsyndroms weisen also ganz unterschiedliche Spannungsgrade auf, wobei der Teil mit dem böchsten Spannungsgrad die geringste Konfliktqualität besitzt." (30)

Nun mal langsn, Herr Modellbauer! Die bloße Verschiedenheit zweier "Herrschafts- und Gesellschaftssysteme" kann niemals den Grund dafür abgeben, daß das eine "System" dem anderen die Existenz bestreitet (in Czempiels Ausdrucksweise: zur "Anpassung" an das eigene "System" zu "veranlassen" sucht); dazu bedarf es schon handfester Gründe, nämlich daß sich die westliche Staatenwelt in ihren weltweiten Geschäften und Einflußsphären von der Sowjetunion durch deren bloße Existenz gestört sieht, also eines politischen Willens, der dieses "System" für unvereinbar mit den eigenen Ansprüchen auf dem Globus hält - sonst müßte es zwischen den USA und Brasilien dieselbe Feindschaft geben wie zwischen den USA und der SU. Wenn Czempiel den feindlichen Gegensatz als eine Sache hinstellt, die mit der "Differenz" der "Systeme" selbstverständlich gegeben sei, dann bekundet er damit zweierlei. Erstens hält er den politischen Willen, das östliche "System" zu beseitigen, für eine völlige Selbstverständlichkeit, die keiner Erklärung bedarf, ohne Benennung auch nur eines die Feindschaft begründenden Inhalts auskommt und damit über jede Kritik erhaben ist. Zweitens will er die Politik, die den Gegensatz setzt, als das unschuldige Unterfangen verstehen, mit einem ihr vorausgesetzten Gegensatz zurechtzukommen.

Es ist absurd, wenn Czempiel die "abgeleiteten Konflikte" bis hin zum "Rüstungswettlauf" als Verlaufsformen der System-Feindschaft bespricht und zugleich leugnet, daß in ihnen diese Feindschaft ausgetragen wird. Ausgerechnet die Rüstung soll ein inadäquater Überbau über den "Systemkonflikt" sein und ausgerechnet dann, wenn er nach der Kapitulation der anderen Seite schreit. Der Modelleur der Weltpolitik ist offenbar nicht einmal bereit, seine eigenen Abstraktionen zu denken: Wenn es schon um die Auflösung eines Herrschaftssystems nach Vorgabe eines anderen geht, dann ist dafür die militärische Gewalt doch wohl das adäquate Mittel schlechthin!

Der Beweis für "die geringste Konfliktqualität" der "Rüstungsdynnik" für einen Konflikt, bei dem Czempiel unbefangen immer an Krieg denkt, ohne sich dadurch seinen moralischen Geschmack am menschheitlichen Auftrag der Staatsmänner vermiesen zu lassen, ist unschlagbar: In seinem Modell setzen die nichtkriegerischen Umgangsformen näher am "originären Konflikt" zwischen den Systemen an. Wie soll sich denn auch der in Spannungsgraden gemessene Glaube an das gute Gelingen des westlichen Freiheitsdranges an einer Realität blamieren, deren Machem der Politologe , mit "einem neuen, entwickelten Konfliktverständnis" unter die Arme greift und dafür keine seiner wissenschaftlichen Phantasie zur Verfügung stehenden Dummheiten scheut. Seine Absicht ist, den westlichen Oberbefehlshabern das Geheimnis ihres todsicheren Erfolgs über den Osten aufzudecken. Entsprechend dieser Absicht sind seine Ratschläge eine überaus sympathische Kombination aus ungeteilter Zustimmung zum imperialistischen Zweck, aus Bekundungen der Arroganz, die sich dem Selbstbewußtsein westlicher Überlegenheit auf allen Gebieten verdankt, sowie nur der Ignoranz des Modell-Strategen. Halten sich die angesprochenen Politiker nicht an diese Ratschläge, so ist das ein Gewinn für das Modell: Im Kriegsfall wird es um einiges Scheitern und um differenzierte "Einordnungsprobleme" erweitert, bis es wieder zur Welt paßt. Für unrealistisch soll die idealistische Zustimmung auf keinen Fall gelten - die Fortschritte des politologischen Friedensideals sind schon jetzt unübersehbar. Czempiel plädiert dafür, so etwas ähnliches wie die westdeutsche Entspannungspolitik - die heißt jetzt Politik der "Nichtanpassung" des Westens an die Russen und ist gleichbedeutend mit dem Zwang zur "Anpassung" des Hauptfeindes - zur maßgeblichen Linie des Westens zu erheben. Er lobt sie aber nicht mit den früheren Idealen von friedlichem Ausgleich und Zusammenarbeit, sondern als effektive Strategie der Destabilisierung des Ostblocks. Und von den gemütlichen Vorstellungen, ganz viel friedlicher Handel und Händeschütteln der Politiker wären der beste Beweis dafür, daß die "Friedenssehnsucht" der Massen bei Staatsgewalt und Kapital in besten Händen sei, will Czempiel schon gar nichts mehr wissen. Diplomatie und ökonomischer Verkehr mit dem Osten sind strategisch einzusetzende Mittel fürs Niedermachen - bessere Alternativen zum Militär - und darin machtvolle Friedensgaranten für die Herstellung eines Friedenssystems, wie es der Westen in den Augen von Czempiel vom 'differierenden' Osten mit Fug und Recht verlangen kann. Denn darüber läßt er bei seiner Konstruktion von "Positionsdifferenzen" ja keinen Zweifel aufkommen: Da differiert "unsere Freiheit" von östlicher "Unfreiheit". Und dieses bekennende Wissen konkretisiert noch jedes Modell!

III. Der Weltkrieg - die verfehlte Ausführung einer guten Absicht?

Umstandsloser Parteigänger ist der Politologe nur in einem: Er glaubt an seine phantasievollen Ausmalungen der guten Absichten, die r der Politik zugutehalten will. Darin kann ihn kein Reagan und Schmidt widerlegen; denn was die politische Gewalt ist, die diese Feldherren der, westlichen Freiheit schlagend zur Geltung bringen, interessiert den Erfinder moralischer Weltbilder nicht es sei denn als Belege für die Möglichkeit, die eigene gutgläubige demokratische Schafsnatur in Modelle und Schaubilder zu kleiden. Die besorgte Spinnerei halten Politologen für ihre, ihnen erlaubte Aufgabe, und die selbstbewußte Dankbarkeit, diese Parasiten am Wirken der Staatsgewalt sein zu dürfen, macht sie zu umstandslosen Befürwortern der bloßen Existenz von Politik und zu Konjunkturrittern ihrer gerade aktuellen Verlaufsform. Wo bei Politologen Kritik laut wird, ist sie vom gleichen abgehobenen Kaliber und führt zum gleichen Ergebnis, keine Verrücktheit zu scheuen, um die Politik überhaupt zu einer ganz menschheitlichen Notwendigkeit zu erklären. Der Verfasser eines Buches, in dem von der "Nachrüstung" als einer "verhängnisvollen Fehlentscheidung" abgeraten wird, beginnt seine Warnung mit einem herzlichen Glückwunsch für die Intentionen der "Sicherheits"politik, für die Pershings aufgestellt werden:

"Äußere Sicherheitspolitik kann definiert werden als Vorsorge gegen Eirigriffe von außen, die mit Androhung oder Anwendung insbesondere militärischer Gewalt die Entschlußfähigkeit der Regierung, die Entscheidurigsfreiheit des Parlaments, die eigenständige Entwicklung der Gesellschaft oder die Existenz des Staates und der ihm angehörenden Menschen gefährden. Gewahrt werden soll die politische Unabhängigkeit, die territoriale Integrität sowie die Lebensfähigkeit eines Landes und die Existenzerhaltung und -entfaltung seiner Bürger." (Dieter Lutz, Weltkrieg wider Willen?, S. 13)

Und das Loblied der durch und durch "friedfertigen" Politik soll man ihm glauben, ausgerechnet deswegen, weil nur die militärische Drohung und Kriegsvorbereitung des Staates (ohne Bömbchen keine Entscheidung im Parlament und keine "Entwicklung der Gesellschaft" möglich?) die unglaubliche Idylle des Politologen - Herrschaft und Untertanen als harmonisches Miteinander - sichern soll? Die Für- und Vorsorge des Staates für alle ausgerechnet da, wo er einen "Sicherheits"anspruch durchsetzt, der die "Existenzerhaltung und -entfaltung" seiner Bürger unter die harte Bedingunge stellt, auf Befehl ins Gras beißen zu dürfen?

Das hat der Politologe allerdings nicht gemeint. Seine sonstigen Bedenklichkeiten, ob der Staat nicht an den Problemen, die ihm seine Bürger bereiten, permanent scheitert, hat er vergessen, weil er unbedingt bei der Aufrüstung sein Wunschbild eines total ungetrübten Nutzens der Politik vorstellen wollte. Glauben braucht er sein Unschuldsgemälde nicht: Er hat ja nur einen idealen Maßstab erfunden, der seine Kritik unschlagbar macht - denn an diesem Anspruch muß sich das Treiben der Staatsmänner unfehlbar blamieren - und jedes Bedenken zur zufriedenen Zustimmung macht - denn der Maßstab, der an die vom Westen betriebene Kriegsvorbereitung gelegt wird, erklärt diese zur verfehlten Ausführung einer unschlagbar guten Absicht. Wer "kann" denn eigentlich "äußere Sicherheitspolitik" o "definieren"? Offensichtlich nur der Politologe, der jenseits aller Realität Reagan und Schmidt das Gütesiegel, an ihren menschendienlichen Auftrag glauben zu wollen, ausstellt. Aber gleichzeitig soll sein Wunsch eine Bestimmung all dessen sein, was diese Staatsmänner täglich verkünden und ins Werk setzen für die Vollendung einer Sicherheit der westlichen Freiheit, die schon die Existenz des Ostblocks für ein untragbares Sicherheitsrisiko erachtet. Warum? Nur weil der Politologe sein untertäniges Wunschbild der praktizierten Politik zugutehalten will.

Einen Fehler möchte D. Lutz den Agenten seiner Wunschträume durchaus vorrechnen. Auf 150 Seiten zählt er das Waffenarsenal des Westens und des Ostens nach, nennt das "kooperative Rüstungssteuerung" und kommt zum Befund: Die NATO-"Nach"rüstung ist überflüssig, weil für die "abschreckende Vorsorge gegen Eingriffe von außen" zu viel. Eine Idiotie gehobenen Kalibers: Wenn schon die "Abschreckung" so gut und notwendig ist - woher kommt denn eigentlich diese Notwendigkeit? Der normale Mensch läuft ja auch nicht mit einem Gewehr durch die Gegend, bloß weil es noch andere Menschen gibt! -, dann ist die Überlegenheit das ihr adäquate Mittel und nur die Beseitigung des angesagten Gegners die glaubwürdige Form, Sicherheit zu stiften!

Vom erfundenen Gegensatz zwischen "Abschreckung" (gut) und "Überrüstung" (gefährlich) kommt der Politologe schnurstracks auf die Zustimmung zur harten Realität, die die westlichen Politiker zur Zeit auf die Tagesordnung gesetzt haben. Die in Mitteleuropa neu aufgestellten Raketen taugen deshalb nichts für die "friedliche Abschreckung", weil sich mit ihnen kein erfolgreicher Krieg mehr führen läßt,und zum Nachweis dieser Botschaft wird der politologische Friedensforscher ein begeisterter Stratege der Kriegsführung, entwirft ein Kriegsszenario nach dem anderen und listet peinlich genau die Wirkungen des vorhandenen Waffenarsenals auf, weiß also sehr wohl, daß ihre abschreckende Funktion in der Anwendung liegt. Geht der "nukleare Entwaffnungsschlag", und "wieviel an Vernichtungskapazität ist genug?" fragt sich Lutz ein ums andere Mal und kommt mit der ergreifenden Unterstellung, Kriege würden nicht geführt, um zu gewinnen - wofür nie genug getan werden kann -, sondern seien ein Anschlag auf "das Überleben der Menschheit" - als wollten Politiker unbedingt die Weltkugel in die Luft sprengen -, zur besorgten Warnung: Gehen die Zwecke der Politik nicht auch ohne großen Knall zu erfüllen? Aber nicht einmal da möchte der Politologe wahrgenommen haben, daß für den Sieg des Westens weitgehende Zerstörung und der Tod von -zig Millionen Menschen einkalkuliert ist. Machen sich die Waffen und die "Rüstungsspirale" nicht unabhängig von der Politik, und sind Politiker nicht einem "Zugzwang" ausgesetzt, der ihren Händen zu entgleiten droht? Der Politologe weiß also sehr genau, wen er als Subjekt von Rüstung und Kriegsvorbereitung an spricht: die Politiker, ohne deren festen Willen, sich damit weltweit Geltung zu verschaffen, es schließlich weder Waffenarsenale noch Kriegsgefahr geben würde. Aber als 'Verantwortliche' behandelt er sie, um sie vor einer Ohnmacht ihres Wirkens zu warnen, in die sie damit hineinschlittern würden. Und das soll man ihm als Angst vor einem kommenden Weltkrieg abnehmen?

Daß die derzeit betriebene Politik das glatte Gegenteil seines ersponnenen Modells der Politik ist, will sich der Politologe durchaus vorstellen können:

"Vermutungen, daß es den USA und der NATO mit den skizzierten Modernisierungsmaßnahmen nicht um Parität und Ausgleich geht, bzw. rein rechnerisch nicht gehen kann und auch nicht um eine Auslastung von Entwicklungs- und Produktionskapazitäten" (da lassen Politiker Waffen auf Teufel komm raus entwickeln und produzieren und stehen dann unter dem Zugzwang, wegen mangelnder Auslastung könnte die Investition unnütz sein!), "sind allerdings nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen." (S. 283)

Ein Problem bietet das dem Politologen nicht. Er will sich von der Realität ja nur die Erlaubnis abholen, sein erfundenes Wunschbild von den guten Absichten, als die er Politik definiert und verstanden wissen will, auch noch - in aller Fiktivität versteht sich - bezweifeln zu können. So ist das Fragezeichen des Titels "Weltkrieg wider Willen?" die einzige Botschaft des Buches. Mit diesem Problembewußtsein, mit dem er jeden Bezug zur Wirklichkeit zurückweist, ist der Politologe bombensicher für den Weltkrieg gerüstet.

IV. Linke Alternativen: Amerika und Keynes in Schwierigkeiten

Es wäre ein Wunder, hätten der Anspruch des Westens, die Existenz eines unfreiheitlichen und unfriedlichen Ostblocks nicht länger zu dulden und die Formen der Durchsetzung dieses Anspruchs nicht auch linken Vertretern der Politologenzunft etwas zu bieten. Eine Erkenntnis über die wirklichen Zwecke, die kapitalistische Staaten diese Verschärfung der Weltlage geraten sein lassen, steht von ihnen jedoch ebensowenig zu befürchten. Schließlich taugte ihr Anspruch noch nie zu mehr als zur Hoffnung auf eine fortschrittliche Welttendenz, der sich Kapital und Imperialismus nicht entziehen können sollten - und damit war schon klar, wem die im Namen der Arbeiterklasse oder der Massen geäußerte Sorge galt.

Die Sucher nach "Möglichkeiten der Veränderung" setzten auf die "Veränderungsfähigkeit" von Staat und Kapital - eine höchst zuneigungsvolle Gegnerschaft.

Heute führt man sich in Berlin und Bremen als enttäuschter Realist auf, erteilt den Einbildungen, die man einmal gehabt haben will, eine antikommunistische Absage nach der anderen und setzt sie zeitgemäß fort auf sein methodisches Handwerkszeug, das ihn vom Rest seiner Zunft unterscheidet, will ein linker Politologe nicht verzichten. An absichtsvoll versponnener Weltfremdheit ist so ein Mensch kaum noch zu übertreffen, wenn er an der augenblicklichen Politik, von deren Fortschritten er ja etwas bemerkt haben will, die Belege sucht und findet, die seinen Glauben, die Welt richte sich nach seinen von ihm erfundenen linken Prinzipien, bestärken. In dieser Zufriedenheit linken Durchblicks sind selbstredend einige zeitgemäße Retuschen des eigenen Weltbilds eingeschlossen.

Warum rüsten die USA zum "überlegenen Erstschlag"? fragt sich Krippendorf und beantwortet die Frage getreu der Devise: Imperialismus im Niedergang begriffen:

"Nicht unmittelbar militärische Notwendigkeiten, sondern ökonomische Zwänge haben die Rüstungsproduktion (in den USA) ansteigen lassen". (Jahrbuch für Weltpolitik 1, S. 16)

Da hat Reagan seinem Wunsch, die Prosperität der amerikanischen Wirtschaft zu befördern, wohl den falschen Namen "Niedermachen der Russen" gegeben? Und die Freiheit des Präsidenten, sich der Potenz seiner Ökonomie zu bedienen, um den Russen die Unausweichlichkeit ihrer Kapitulation zu bedeuten - alles Selbstbetrug eines Unzurechnungsfähigen?

Was ist der Grund für die wirtschaftliche Schwäche der USA, die an den Mitteln für die Führung eines Weltkriegs nicht spart? Die 'wirtschaftliche Bedrohung' durch Europa und - wer hätte das gedacht - der Dritten Welt - und deshalb haben die Amerikaner die NATO gegründet und Westeuropa aufgerüstet.

"Genauer gesagt: über die NATO haben die USA seit nunmehr 25 Jahren den westeuropäischen Staaten ihre sicherheits- und rüstungspolitischen Vorstellungen und Interessen oktroyieren können - bis Anfang der sechziger Jahre ohne nennenswerte Schwierigkeiten, seitdem allerdings gegen zunehmenden Widerstand." (12)

Sind die amerikanischen Präsidenten denn ganz verrückt und Schmidt und Genscher dazu, wenn sie sich zum mächtigsten Militärbündnis, das die Welt je gesehen hat, zusammenschließen aus keinem anderen Grund als abgrund tiefer Gegnerschaft? Und über welchen Tiefblick muß Krippendorf verfügen, wenn er das entschiedene Mitmachen der westeuropäischen NATO-Partner als "zunehmenden Widerstand" deutet! Schmidt, der Erfinder der europäischen Raketenlücke, unter auf"oktroyiertem" Zwang handelnd?

Wieso ausgerechnet die Rüstungsproduktion, deren Produkte ja keineswegs für profitable Weiterverwendung, sondern für den Kriegseinsatz bestimmt sind, das Mittel der Akkumulation des amerikanischen Kapitals sein sollen, fragt sich Krippendorf allerdings auch - und gibt seine Verrücktheit an die Politiker weiter. Er weiß, das klappt nie, die Amis schwächen sich selbst, und die schlauen Europäer, die weniger aufrüsten, sahnen ab.

"Der relative Weltmachtverlust der USA steht in engem Zusammenhang mit der amerikanischen Weltmacht selbst... Die hohen amerikanischen Rüstungsausgaben sind eine entscheidende Ursache für den Machtverlust der amerikanischen Wirtschaft, für die im Vergleich mit den europäischen Ländern höhere Inflationsrate und für das geringere wirtschaftliche Wachstum sowie die gegenüber Europa und Japan zurückbleibende Konkurrenzfähigkeit in anderen zivilen Sektoren." (14)

Unfähig des Gedankens, daß wer sich diese Rüstungsausgaben leistet, wohl einen anderen Zweck als Konjunkturbelebung verfolgt und in seiner Wirtschaft die Mittel für diesen anderen Zweck hat, stellt sich für Krippendorff die augenblickliche Kriegsvorbereitung gegen die UdSSR, an der sich die westeuropäischen Staaten sehr aktiv und selbstverantwortlich beteiligen, als ein Versuch Amerikas dar, seine Bündnispartner zu schädigen, die er sich deshalb als eine einige, mächtige internationale Nationalökonomie vorstellt: Die EG als Superstaat:

"Werden mehr Verteidigungslasten den Europäern aufgebürdet, dann wird nicht nur diese überbeanspruchung der USA abgebaut, sondern zugleich wird damit auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Europäer geschwächt, nicht zuletzt auch ihre wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen." (16)

So kann man sogar an der entschieden betriebenen Verarmung der Bevölkerung und am Streichen der Sozialausgaben, die sich der westdeutsche Staat heute im Zeichen der Aufrüstung nicht mehr leisten will, seinen Glauben an den bürgerfreundlichen Wohlfahrtsstaat BRD bestätigen. Schmidt wird nicht gelassen, die Segnungen der staatlichen Wohlfahrt und die "Leistungsfähigkeit bundesdeutschen Kapitals" - für Krippendorff so ziemlich dasselbe - voranzubringen, weil, wenn Reagan Rußland sagt, meint er die Vernichtung Europas und der BRD. Zustimmend zitiert Krippendorf einen französischen Ex-General:

"Rußland ist immer noch gar nichts. Sein Bruttosozialprodukt erreicht gerade die Hälfte des europäischen. Europa ist weitaus die führende Handelsmacht. Wenn die USA nun, in einer Krise stecken, wenn die Wirtschaften des Westens Probleme haben - der amerikanischen Wirtschaft kann es nur gut bekommen, wenn Europa zerstört wird." (22)

Bleibt nur noch die Frage, warum ein guter Mensch wie Schmidt so mit sich umspringen läßt. Klar, die von den USA gefürchtete wirtschaftliche Großmacht BRD ist ihrerseits ohnmächtig dem Druck Reagans ausgesetzt.

"In eben diesem Zusammenhang ist die Forderung z.B. der Bundesregierung zu verstehen, die USA von ihrem harten, anti-sowjetischen Kurs abzubringen und auf Rüstungsverhandlungen zu drängen. Das ist ihr bzw. Bundeskanzler Schmidt über rhetorische Zugeständnisse hinaus anläßlich seines ersten Besuches bei Reagan... nicht gelungen; folglich (!) glaubt der Kanzler derzeit keine Alternative zu haben, als sich dem amerikanischen Druck zu beugen und die militärische Logik der USA zugunsten der Raketenstationierung voll zu übernehmen." (25)

Mit dem Verlust der "Glaubwürdigkeit" des Machers kann es so weit nicht her sein - an dem Politologen Krippendorff ist dieser Verlust glatt vorbeigegangen. Wie sollte der zutrauliche Glaube an die guten Absichten eines deutschen Politikers, der zum einzigen Inhalt wissenschaftlichen Gehabes geworden ist, sich auch jemals an der Realität blamieren können. Eher ist es doch umgekehrt. An das eigene Bekenntnis zum nationalen "Friedenskanzler" braucht Krippendorff nicht einmal ernsthaft zu glauben, es ist ja nur ein Modell des Politologen, vor dem sich die Politik unsterblich blamiert und so zur Bestätigung einer wissenschaftlichen Eitelkeit beiträgt, der bei Kriegsvorbereitung nur einfällt, daß die Politik scheitern muß.

"Deswegen wird die neue Generation strategischer Waffen wie die MX-Raketen und Atom-U-Boote zwar pahantastische Summen verschlingen, einen bedeutsamen Einfluß auf die Wiederherstellung von Vollbeschäftigung oder auf die Konkurrenzfähigkeit der Industrie wird sie nicht haben, so daß diese hinter der von Europa und Japan zurückbleiben wird." (28)

Das ist abgeklärtes Denken: Wozu diese schönen Waffen angeschafft werden - kein Problem. Ein untaugliches Unternehmen zur Beschaffung von Arbeitsplätzen durch Wirtschaftswachstum. Schließlich bestätigt der kommende Weltkrieg das "Krisen"bewußtsein des linken Politologen - das macht ihn auf seine Dummheit zufrieden und stolz.

Linke Politologen beherrschen neben euro-ökonomischen Machtphantasien auch das Schmarotzen an den jetzt für gültig erklärten, weil zu dem Programm einer absoluten Freiheitsverteidigung passenden Ideologien. Wieso kommt ein Linker 1982 dazu, den Nationalismus zu einer "sozialen Gegebenheit" zu erklären, ihn also, weil es ihn gibt, für gut zu befinden und als "eine Werteordnung", um die sich zu kümmern gehört, in wissenschaftliche Pflege zu nehmen? Natürlich von links, als einer Bewegung von unten, die dem Nationalgefühl der Massen entspringt und insofern nichts mit alldem zu tun hat, wofür er mißbraucht wurde. Aber so einfach nun auch wieder nicht: Schließlich will auch Fenner bemerkt haben, daß ohne die Abhängigkeit von einer Staatsgewalt niemand das Bedürfnis verspüren würde, Nationalist zu sein - und dreht das gleich positiv um. Der "volks"tümliche Nationalismus - "die Fähigkeit zur Identitätsbildung von Großgruppen" (Heimatvereine?) - ist ein guter Grund, für den Nationalismus, so wie er existiert, zu sein. Ohne staatlicherseits gelieferte "Wertordnung" blieben "höchstens unterschiedliche Eigen- und Fremdbilder" übrig - und das wäre entschieden zu wenig. Ein umstandsloses Bekenntnis zum Nationalismus will Fenner damit nicht geliefert haben. Er sorgt sich um den guten Gebrauch jenes Untertanenbewußtseins, mit dem der Staat im Namen der Nation seine Bürger auf alle ihm dienlichen Opfer verpflichtet. Ob ihm beim Mißbrauch je mehr einfallen wird als der Faschismus, bezweifeln wir. Schließlich hat Fenner selbst im Schrei: "Haut die Argies auf die Schnauze!" die gute englische Volksseele entdeckt: Die Engländer sind heute noch ein Volk von Seefahrern, und deshalb ärgert sie der Anschlag auf die Falklands. Im übrigen ist das auch egal. Mehr als: "Nationalismus ist ein schwieriges Problem, wo sich angenommen gehört", wollte Fenner sowieso nicht sagen. Wo linke Politologen die geheimen Gründe all dessen, was sich Politiker heute vorgenommen haben, rein in ihrer Phantasie entdecken, die nur in einer Richtung produktiv wird, nämlich in der, wenn auch verrückte, so doch gute Zwecke dieses Treibens zu erfinden, da läßt sich der Unterschied zwischen Wahn und Wirklichkeit getrost auch ganz vergessen. Allen Ernstes meint Altvater (Prokla 44) die "gescheiterte Reformpolitik" der 60er Jahre - das kann auch nur einem "Krisen"fanatiker einfallen - sei identisch mit dem "Scheitern des keynesianischen Krisenmanagements" - von dem er, Altvater, noch nie viel gehalten hat. So als hätten die damaligen Politiker nicht mit der ihnen anvertrauten Staatsgewalt regiert, sondern ein ökonomisches Lehrbuch ausprobiert.

"Die ökonomische Krise der 70-er Jahre hat die Hoffnungen des keynesianischen Krisenmanagements zerstört; die Gewißheit, daß der Sozialstaat als materielle Grundlage der sozialen Demokratie und in dieser Eigenschaft auch als politische Festung der Sozialdemokratie unangefochten die Gefährdungen der Krise bestehen könnte, ist berechtigtem Zweifel gewichen; die individuellen Hoffnungen und Perspektiven der Jahre der Prosperität" (von wem spricht er eigentlich?) "haben sich zerstreut..."

Wenn es nach Altvater gegangen wäre, hätte der "Keynesianismus" nicht zu scheitern brauchen; er jedenfalls glaubt ja den ganzen Quatsch, den er für widerlegt hält, weil ihm die Politiker den Gefallen getan haben, die Überlegenheit eines linken Ökonomen über Keynes zu beweisen.

Jetzt jedenfalls ist der "Neoliberalismus" an der Macht - und bekommt deswegen ein dickes Plus, zumal er den Individuen keine Versprechungen macht, was zur "Krise" der guten Absichten der einstmals regierenden Keynes-Apostel geführt haben soll:

"Der Neo-Liberalismus gewinnt also ohne eigenes Zutun Punkte - und verspielt sie nicht gleich wieder, da er jegliche Ansprüche von Individuen an die Gesellschaft zurückweist und also auch keine, dann nicht einlösbare Versprechungen macht."

Einverständnis mit "dem gar nicht diskreten Charme der neo-liberalen Konterrevolution" soll dies freilich nicht sein, was da an Bewunderung ausgesprochen wird. Daß es offen sichtlich keinen Grund für Altvater gibt, gegen die Politik eines Reagan und einer Thatcher - beide gelten ihm als in Regierungssessel gelangte Chicago-Boys - etwas einzuwenden, tut seiner Kritik am "Monetarismus" keinen Abbruch. Er kann sich auch ohne ein Argument eine Widerlegung vorstellen:

"Die Chicagoer Rationalität muß nicht unbedingt die des mexikanischen Indios, Les Arbeiters aus Tokio oder des sardischen Hirten sein."

Mexikanische Wissenschaft steht nicht zu erwarten. Altvater geht es nur darum, die Eitelkeit eines linken Ökonomen als ausreichenden Unterschied zur Welt der Politik und zu allem theoretischen Schwachsinn, der nicht auf Altvaters Mist gewachsen ist, herauszustreichen.

Ein persönliches Schlußwort: Das Problem, ob Du angesichts der durchgesetzten "Rationalität des homo oeconomicus" überhaupt noch eine Chance hast, eben dies der Welt mitzuteilen, ist uns ziemlich egal: Du wirst es eh nicht bleiben lassen.