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Der Beitrag der Friedensbewegung zum Reagan-Besuch
EIN AUFSTAND FÜR DEN FRIEDEN
Ob die westdeutsche Friedensbewegung vor lauter internen Abgrenzungsanstrengungen ganz übersehen hat, daß ihre Demonstration am 10. Juni in Bonn genau unter demselben Motto steht wie die der CDU am selben Ort fünf Tage zuvor: "Frieden in Freiheit"? So sei's nicht gemeint? Damit keiner, wie damals im Oktober, hinterher sagen kann, so habe er die Demo nicht gemeint, würdigen wir den Aufruf der Friedensbewegung "Aufstehen für den Frieden", der - verrückte Welt! - weiten Teilen der Friedensbewegung nicht radikal genug ist, in der Frontstellung gegenüber dem Osten!
NATO-Gipfel trotz weltweiter Friedensbewegung
Daß die NATO am 10. Juni verabredet, welche neuen militärischen, wirtschaftlichen und politischen Maßnahmen gegen den erklärten Störenfried ihrer Weltfriedensordnung auf die Tagesordnung gehören; daß der freie Westen in dieser Frage keine Kompromisse mehr zu machen gedenkt und alle Fronten gefechtsklar macht; daß schließlich die bundesdeutschen Friedenspolitiker am 10.6. demonstrativ und stellvertretend für das deutsche Volk ihr vollstes Einverständnis mit dem "Großen Bruder" abgeben - das alles erscheint der deutschen Friedensbewegung völlig abwegig und weltfremd. Aber Naivität ist es wohl nicht allein, was im Demo-Aufruf folgendes Vexierbild der Welt des Jahres 1982 hervorbringt:
"Trotz der weltweit wachsenden Friedensbewegung und der Anfang Juni beginnenden UNO-Abrüstungskonferenz in New York will die NATO am 10. Juni eine Gipfelkonferenz in Bonn durchführen, um neue Aufrüstungsprogramme zu beraten. Mit dieser Konferenz sollen die NATO-Staaten auf die von der Reagan-Administration angestrebte weltweite Vormachtstellung festgelegt werden. Dieser NATO-Gipfel ist eine Herausforderung für alle Menschen, die für die Erhaltung des Friedens und für konkrete Abrüstungsschritte eintreten."
Fast ist man angesichts solcher Passagen geneigt, den alten revisionistischen Idealismus sympathisch zu finden, wonach der Imperialismus ein einziger Verstoß gegen die unaufhaltsame Tendenz der Welt zum Sozialismus ist. Es war zwar schon immer ein verhängnisvoller Fehler, die imperialistische Absicherung des kapitalistischen Geschäfts für den Vollzug eines historisch gefällten Todesurteils zu halten. Aber in der falschen Vorstellung vom Aggressiven, weil niedergehenden Imperialismus steckte wenigstens noch die Ahnung vom weltpolitischen Gegensatz, steckte noch die Andeutung einer Kampfansage an die global durchgesetzte Herrschaft der imperialistischen Staatenwelt. Heute stellt die westdeutsche Friedensbewegung mit derselben Denkfigur den in Bonn versammelten imperialistischen Führern ein einziges Unbedenklichkeitsattest aus. Sie agieren in einer Welt, in der es keinen Gegensatz gibt (von der Sowjetunion als Adressat der imperialistischen Weltkriegsdrohung weiß der Aufruf nichts zu vermelden, dafür tauchen die Russen gleich ein Dutzend Mal als Störenfriede der Weltfreiheitsordnung auf), in der sich Reagan und Konsorten nur eines zuschulden kommer lassen: den Verstoß gegen die Ideale des weltpolitischen Geschäfts, eben Frieden und Abrüstung. Den ganzen lieben langen Tag wollen die Politiker, wie die Friedensbewegung sie sieht, nichts anrichten auf der Welt - und immerzu vergreifen sie sich in den Mitteln! Ist die Friedensbewegung eigentlich durch keine Zeitungsmeldung mehr zu erschüttern in ihrem Glauben an die prinzipielle Unschuld westlicher Politik und in ihrer eigenen Selbstzufriedenheit?
- Die UNO-Abrüstungskonferenz in New York zu einer Filiale der weltweiten Friedensbewegung zu machen und im Bonner Gipfel ausgerechnet eine Provokation gegenüber dem diplomatischen Hauptquartier der Staatenwelt zu sehen, ist ein starkes Stück. Gehen wir recht in der Annahme, daß es sich um dieselbe UNO handelt, auf deren Resolution sich Maggie Thatcher, Gipfel-Teilnehmerin, stützt, wenn sie für die Ehre der britischen Nation argentinische Schiffe versenken läßt? Gehen wir recht in der Annahme, daß die Herren Haig und Genscher nach erfolgreich durchgeführtem Gipfel das angebliche Weltfriedensmeeting in New York nicht wegen gefährlicher anti-imperialistischer oder doch zumindest pazifistischer Tendenzen boykottieren werden, sondern vor eben diesem Forum einen flammenden Aufruf in Sachen Abrüstung loslassen werden - Abrüstung im Osten. Und diese Typen sollen sich selbst provozieren?
Offenbar will die Friedensbewegung nicht wahrhaben, daß Reagan, Schmidt, Thatcher und Konsorten nicht zusammentreffen, um den Endsieg über die Ideale des zwischenstaatlichen Verkehrs, Frieden und Abrüstung zu planen, sondern den Endsieg über den Feind im Osten im Namen dieser Ideale. Ist denn niemand in der Friedensbewegung auf die Idee gekommen, den Aufruf einzustampfen und die Demo abzublasen, als Ronald Reagan in seiner Eureka-Rede vorgeführt hat, wie souverän er die Mittel der Abrüstungsdiplomatie zum Zwecke der Kapitulation des Hauptfeindes einzusetzen vermag. Mehr als die Einschätzung "unehrlich" wird die Friedensbewegung als Charakterisierung des Reagan-Angebots wohl nicht hinkriegen. Damit liegt sie 100%ig schief und Reagan steht wieder einmal recht harmlos da - als mißbräuchlicher Benutzer der hochgeschätzten Abrüstungsidee. So billig ist also die Weltsicht der Friedensbewegten, die es jetzt auch als Demo-Aufruf zu lesen gibt. Was immer der Oberste Führer des westlichen Bündnisses unternehmen mag, nie fällt ein häßliches Wort gegen ihn, dafür gleich 100 lobende Worte für den Frieden. Es soll uns keiner weismachen, die Bonner Veranstalter hätten mit der Rede von der "angestrebte(n) weltweiten Vormachtstellung" der USA auch nur den Hauch der Idee verbreiten wollen, der Weltmacht No. 1 ginge es um die endgültige Regelung der Zuständigkeitsfrage auf dem Globus. Gegen wen oder was denn auch! Gegen den Frieden? Der gehört den Amis doch schon. Gegen die Abrüstung? Die nutzen sie doch schon. Gegen die Friedensbewegung? Die macht sich doch schon zu nützlichen Idioten. - Und mehr als Reagan, Frieden und sich kennt die Friedensbewegung sowieso nicht auf der Welt.
- Kein Wunder deshalb, daß die Aufständler für den Frieden an der amerikanischen "Vormachtstellung", wie überhaupt am Bonner Gipfel, nur eines interessiert. Man lese den einzigen Satz des Aufrufs, in dem überhaupt etwas über Sinn und Zweck der NATO-Tagung und des Reagan-Besuchs ausgesagt wird: Die NATO-Staaten sollen durch die "Reagan-Administration festgelegt" werden. Ein Rührstück: Vierzehn von Haus aus unschuldige NATO-Mitglieder werden seitens der USA an die Kandare genommen. Ja, glauben die friedensbewegten Demonstranten im Ernst, am 10.6. müßte in Bonn die NATO samt Auftrag gen Osten erst auf die Beine gestellt werden, gegen den erbitterten Widerstand der euopäischen Souveräne, die womöglich noch mit einem Bein im weltumspannenden Lager der Friedensbewegung stehen? Der Erfinder der europäischen 'Raketenlücke' und Unterzeichner des "Host Nation-War-Support"-Vertrages; die Oberbefehlshaberin der britischen Falkland-Armada; der Chef der Force de Frappe, lauter Gestalten, die aus ihrem arbeitsteiligen Auftrag im Bündnis gegen den Osten nationales Kapital geschlagen haben, sollen die Opfer eines amerikanischen Diktats geworden sein? Und wenn die Friedensbewegung schon an Falkland nichts lernen will, dann vielleicht an der demonstrativen Vorbereitung des Gipfels seitens des Gastgebers und der hiesigen parteipolitischen Konkurrenz in Sachen Bündnistreue.
Ach so, als Gastgeber und Mitveranstalter kommt die BRD der Schmidts und Genschers im Aufstand für den Frieden gar nicht vor, dann schon eher als Opfer weltweiter Verstrickungen und als Ansprechpartner in Sachen internationaler Good-Will. In diesem Sinne ein geraffter Durchgang durch den Aufruf:
Absatz 1: Die BRD: ein Opfer des amerikanischen Diktats
Absatz 2: Die BRD: bedroht durch die "Gefahr der atomaren Vernichtung der Welt"
Absatz 3: Die BRD nach innen: ein Opfer der weltweiten Rüstungsspirale
Absatz 4: Die BRD: Stationierungsort fremder Waffen
Absatz 5: Die BRD: eine gute Bedingung für eine "echte Null-Lösung"
Absatz 6 ff: Die BRD: Menschenrechtshelfer auf der Welt
Schlußpassage: Die BRD: der Verbündete der Friedensbewegung in Sachen Abrüstung, Entspannung, Demokratisierung, Verhandlung.
Das muß ja einen Aufstand in Bonn geben! Naives Weltbild hin oder her. Diese Sicht der Dinge ist geleitet von der eindeutigen Parteilichkeit eines westdeutschen oder westeuropäischen Nationalismus, der sich keine große Mühe mehr gibt, auch noch alternativ zu wirken. Mitten im NATO-Gipfel entdeckt die Friedensbwegung ein einziges Vertrauenspotential in Form der europäischen Staatsmänner. Wir überspringen alle Zwischentöne des Aufrufs und kommen zum eigentlichen Thema der Rheinauen-Demonstration.
Aufstand für Frieden und Freiheit
"Frieden ist für uns mehr als die Abwesenheit von Krieg. Frirden fordert soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit, politische Freiheit, die Achtung det Menschenrechte und das Selbstbestimmungsrecht der Völker."
Die Friedensbewegung erteilt dem Pazifismus eine eindeutige Absage. Aber nicht, weil sie in ihm einen Fehler entdeckt hätte, sondern weil es auch für sie mittlerweile Wichtigeres gibt als den Frieden, den Frieden in Freiheit nämlich. Mit der Aufzählung all der Ideale, mit denen der Imperialismus seine Macht auf dem Globus durchgesetzt hat, läßt die Friedensbewegung die Absichten und Anstrengungen des NATO-Bündnisses endgültig links liegen und widmet drei Viertel ihres Demo-Aufrufs einer eindeutigen Sortierung der Welt. Als hätten die Bonner-Gipfelteilnehmer nicht längst die Parole "Frieden in Freiheit" zu ihrer eindeutigen Kampfansage an die Sowjetunion und ihre Verbündeten gemacht, nach dem billigen Maßstab: Wo die Sowjetunion ist, ist keine Freiheit, also kein Frieden, also..., zerlegen Grüne, DKPler, Christenmenschen, Jusos und andere die Welt in exakt zwei Teile. Wo Freiheit herrscht, sprich: Wo die Zugehörigkeit zum westlichen Lager eindeutig ist, kann es sich bei der Anwendung von Gewalt bestenfalls um eine Abweichung von der Freiheit handeln; wo Freiheit fehlt, sprich: Wo die Zugehörigkeit zum östlichen Lager feststeht, ist der Störenfried der Weltfriedens- = Weltfreiheitsordnung zu beseitigen. In diesem Sinne läßt die Friedensbewegung dem Globus Gerechtigkeit widerfahren. Folgende Transparente sind in Bonn zu befürchten:
1. "Wir fordern von der Bundesregierung die eindeutige Unterstützung einer polilischen Lösung in El Salvador unter Beteiligung der vereinigten Oppositio FDR und FMLN..."
Im Klartext: El Salvador gehört zur westlichen Welt. Deswegen hat es nichts dringender nötig als die Errungenschaften der westlichen Demokratie. Wenn die drüben eine anständige Opposition haben, wird nicht mehr geschossen und die Herrschaft hat ihre Ordnung. Unserer eigenen Regierung trauen wir nie und nimmer zu, daß sie eigene Interessen in Mittelamerika verfolgt, deshalb wollen wir sie als ehrlichen Verhandlungsmakler eingeschaltet wissen. So ist die BRD gleich ein Puffer gegen die Vormachtstellung der USA.
Ein Gipfelteilnehmer wär' somit schon mal aus dem Schneider.
2. "Wir uerurteilen die Unterstützung der Militärregierung der Türkei durch die NATO-Mitgliedstaaten."
Im Klartext: Die Türkei gehört zum Westen. Aber wär' ihr mit einer Zivilregierung nicht besser gedient? Schließlich regieren ja in den anderen NATO-Staaten auch nicht die Militärs. Ansonsten bleibt da unten alles beim alten.
So hat letztens die Europaratsdelegation auch argumentiert.
3. "Wir sind für die Aufhebung des Kriegsrechts und eine politische Lösung in Polen. Wir wehren uns aber (!) dagegen, daß die Situation in Polen durch die NATO aLs Mittel zur Verschärfung der internationalen Spannungen benutzt wird."
Im Klartext: Polen gehört zum Osten, das soll aber nicht so sein. Deswegen raus mit den Russen, auch wenn sie Jaruzelski heißen. Solche Leute bieten der NATO doch nur einen Vorwand, das zu erledigen, was die Polen selbst in die Hände nehmen sollen.
Komisch, in Sachen Polen gibt sich die Friedensbewegung nicht einfach so mit einer zivilen Regierung zufrieden, es muß schon die richtige sein.
4. "Wir fordern eine politische Lösung des Konflikts in Afghanistan, die die nationale Selbstbestimmung des afghanischen Volkes sicherstellt, jegliche ausländische Einmischung beendet und den Abzug der sowjetischen Truppen einschließt."
Im Klartext: Russen raus. Denn Afghanistan gehört zum Westen, ist aber von der SU besetzt. Hier heißt die "politische Lösung" eben Befreiung von der Fremdherrschaft. Andere Ausländer haben sich ja nicht eingemischt.
Also Opposition in EL Salvador, Zivilregierung in der Türkei, Russen raus aus Polen und Afghanistan - es gibt tatsächlich Wichtigeres als den Frieden!
Und deshalb meinen wir, die Friedensbewegung sollte am 10.6. gar nicht erst folgenden verschlungenen Satz auf ihre Spruchbänder schreiben: "Wir wenden uns gegen jede Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker der Welt, egal von wem und wo immer die begangen wird." Ehrlich wäre die Parole "Frieden in Freiheit". Dann heißt es nur aufpassen, daß keiner fünf Tage zu früh damit nach Bonn zieht!
Pro-Hamburger-Demo
Den Vogel bei der Anstrengung, der Bonner Demonstration auch nur den leisesten Anklang eines "Anti" zu nehmen, hat zweifellos das Sozialistische Büro mit folgender Erklärung abgeschossen:
"Wir werden keine Dcmonstration des Antiamerikanismus veranstalten, Reagan steht nicht für 'die Amerikaner'. Wir müssen uns in aller Schärfe von einer deutschen, bürgerlichen Tradition des Anti-Amerikanismus abgrenzen, die heute vielleicht die 'Hamburger' als Symbole einer angeblich nur 'amerikanischen' Zivilisation kritisiert und gestern noch den Jazz und die 'Negermusik' als 'entartet' bezeichnete." (links-Extrablatt)
Wahrscheinlich tritt am 10.6. neben einem Yankee-Bischof auch noch ein hamburgerfressender, friedensbewegter und schwarzer Jazzer von drüben auf.
Ode an die Westliche Freiheit, einstudiert und vorgetragen von der westdeutschen Friedensbewegung anläßlich des Besuchs von Ronald Reagan in Bonn
"'When in the course of human events...', so beginnt die Unabhängigkeitserklärung des amerikanischen Volkes, die auch eine Deklaration der Freiheitsrechte und der Emanzipation der Menschen von bedrückender Vergangenheit war. Wir Europäer haben Amerika viel zu danken. Als Land der Freiheit und der Demokratie waren die Vereinigten Staaten eine Zuflucht für viele, die aus Deutschland und Europa wegen Bedrohung an Leib und Leben fliehen mußten. Die USA haben wesentlich zu unserer Befreiung von faschistischer Herrschaft beigetragen. An dieses Amerika, in dem die Ideen der Freiheit aller Menschen und des friedlichen Zusammenlebens der Völker eine Heimat gehabt haben, wenden wir uns heute. Dieses Amerika möchten wir für einen gemeinsamen Weg der Abrüstung und des Friedens gewinnen." (Aus dem Aufruf "The West German Peace Movement appeals to the American People", unterschrieben von 300 deutschen Friedensfreunden, erschienen in der "New York Times")
Und wer legt am 10.6. in New York einen Kranz zu Füßen der Freiheitsstatue nieder?