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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1982 erschienen.

Systematik


Antwort der Friedensbewegung auf die Polenkrise


SEHR REPRÄSENTATIV

Schon im Februar hielten es zahlreiche repräsentative Köpfe der Friedensbewegung für angebracht, sich zur Polenkrise zu äußern. In den "Blättern für deutsche und internationale Politik" Nr. 2/82 fanden sich gleich 15 Stellungnahmen. Doch nicht, um den Imperialismus anzugreifen, daß er erst dieses Land ökonomisch ruiniert hat und dann mit dieser Waffe bei der Zersetzung des Ostblocks gewaltige politische Fortschritte macht; doch nicht, um den westlichen und westdeutschen Antikommunismus gehörig zu kritisieren, der in Polen unter dem Kriegsrecht der Generäle einen Grund nach dem anderen findet, das Feindbild der Freiheit auszustaffieren; schon gar nicht, um der Frechheit des westlichen Freiheitsbündnisses entschieden entgegenzutreten, Polen als schon zum Westen gehörig zu betrachten, aus welchem Blockland sich die Sowjetunion auf jeden Fall herauszuhalten hat. Nein, dann würde es sich ja nicht um "die Friedensbewegung" handeln. Die hat so hehre und große Ziele und ist von ihrer historischen Aufgabe so sehr überzeugt, daß sie sogleich an sich denkt - was sie beides beim Falkland-Krieg mangels Interesse überhaupt nicht macht.

Genaugenommen, also wenn man sich ganz fest die Friedensbewegung als ein aktuelles Subjekt der Geschichte einbildet, verfolgt nämlich die NATO ihren politischen Kurs nicht gegen Polen, sondern gegen die Friedensbewegung:

"Reagans Polenkampagne ist... nicht zuletzt als frontale Herausforderung der europäischen Friedensbewegung kalkuliert." (Bredthauer)

"Es darf u.E. nicht übersehen werden, daß - insbesondere von den USA ausgehend - heute versucht wird, das Thema Polen zur Verdrängung, Ablenkung und Aufspaltung des Widerstands gegen Atomrüstung und Kriegsvorbereitung zu instrumentalisieren." (Einleitung zu den Stellungnahmen)

So ein Glaube, der die Welt auf den Kopf stellt, ist keineswegs überheblich, sondern er stärkt das Selbstbewußtsein und gibt sogleich die Richtung an, wie unter friedliebenden deutschen Menschen, die in Bewegung sind, das Thema Polen zu behandeln ist - was man natürlich nicht Zynismus nennen darf: Schadet oder spaltet die Polenkrise die Friedensbewegung? Das darf nicht sein!

"Das Thema Polenkrise hat die Friedensbewegung sozusagen über Nacht aus den Medien, aus der öffentlichen Meinung fast völlig verdrängt." (Bredthauer)

Das ist gemein von der Polenkrise und vom Westen, der sie schürt. Aber es gibt ja Mittel, um wieder öfter ins offizielle und anerkannte Fernsehen zu kommen:

"Die unabhängige Friedensbewegung, nicht nur in der BRD, aber in allen europäischen Ländern, stellte sich viele Fragen nach dem 13. Dezember 1981 - während die Medien zynisch fragten, zugleich unterstellten: 'Wo sind die Friedensdemonstranten geblieben?' Die Friedensbewegung steht vor einer großen und schweren Aufgabe. Sie steht vor der Aufgabe, 'glaubwürdig' und 'handlungsfähig' zu bleiben, in Teilen auch 'zu werden'!" (Petra Kelly)

Dementsprechend sind sie denn auch, die Stellungnahmen von den "Persönlichkeiten aus den unterschiedlichen, in der Friedensbewegung zusammenwirkenden Strömungen": Erstens darf sich die Friedensbewegung durch die Polenkrise auf keinen Fall spalten lassen. Denn "es gibt - trotz Haig nichts Wichtigeres als den Frieden!" Zweitens darf die europäische Friedensbewegung durch die Polenkrise nicht an ihrem Ideal einer europäischen Friedensmacht irre werden. Drittens ist eine "konsequente Fortsetzung der Friedensbewegung" vonnöten und viertens: "Die Friedensbewegung darf sich nicht auseinanderdividieren lassen." Das ist auch nicht passiert, die "Menschen... geteilter Meinung" sind nämlich so geteilt gar nicht, obwohl ein paar Unterschiede nicht zu übersehen sind.

Die Persönlichkeiten, die mit einem festen Fuß in ihren Parteien stehen, den anderen aber auch ein wenig in der Friedensbewegung stehen haben möchten, die Epplers, 'Borms und anderen angetretenen Jungdemokraten erobern sich nationale Glaubwüidigkeit für die Friedensbewegung, indem sie die angeblich "maßvolle" Polenpolitik der Bundesregierung kopieren, so als würde diese Polen im Prinzip anders behandeln, als das die USA tun. Schließlich will man sich bei seiner beständigen Befassung mit dem "polnischen Drama" vom RCDS unterscheiden, der per Demonstration die angeblich so gedankenlose Bundesregierung auffordert, über ihrem parlamentarischen Auftrag nicht den Freiheitsdrang der Polen zu vergessen. "Am sinnvollsten erscheint im Augenblick in der Tat die Haltung der Bundesregierung, die klar erkannt hat, daß dem polnischen Volk und der polnischen Führung die Möglichkeit gegeben werden muß, die zweifellos vorhandene Situation der Unfreiheit und Außerkraftsetzung demokratischer Rechte schnellstmöglich zu beenden - unter Ausschaltung wie auch immer gearteter Einmischung von außen." (Strässer).

Borm schließt sich denn an und kommt mit dem starken friedensliebenden Argument:

"Sanktionen haben nach allgemeiner Erfahrung noch niemals die beabsichtigte Wirkung erzielt."

daher. Auch Eppler will die Sache mit Polen lieber die Europäer allein machen lassen -

"Erstens, mit Verlaub, liegt Polen in Europa und ist zueist einmal Sache der Europäer," -,

ist sich aber im Grunde mit den USA und dem ganzen Westen einig darin, daß das Defizit an Menschenrechten in Polen freiheitliche Hetze erfordert und was so dazugehört:

"Alle jene haben recht, die aus den Ereignissen seit dem Sommer 1980 folgern, hier habe ein System sich selbst zugrunde gerichtet, und es habe dies auch nicht besser verdient, Im Grunde sagt dies auch der General, der dieses Land heute mit dem Kriegsrecht regiert.

...Da kann Protest durchaus sinnvoll sein. In Warschau und Moskau soll man wissen, daß wir uns mit einer Militärdiktatur in Polen nie abfinden. Gegen die Verletzung von Menschenrechten ist Protest in jedem Falle nötig."

Das letzte, was der Eppler noch sagen wollte, daß nämlich den Russen ihr Polen weggenommen gehört, erklärt schon der Judo Lutz und vollendet so erst einmal die Glaubwürdigkeitskampagne der Friedensbewegung, wenn auch etwas einseitig. Aber für die Einheit der Friedensbewegung ist das nur gerecht:

"...und die Friedensbewegung selbst wird sich spalten, wenn es ihr nicht gelingt, solidarisch die bisher fehlende Diskussion über die sozialökonomischen Grundlagen der unfriedlichee Gesellschaften in Ost und West zu führen, sowie die Frage, ob die Machtverhältnisse nach Jalta tatsächlich der Abschluß der Geschichte sind."

Die zweite Strömung im Großen Ganzen der Bewegung für den Frieden, die grüne und christlich durchsetzte, weiß genau, wie diese Geschichte zu gehen hat, mit einer "gesamteüropäischen Friedensordnung", die eigenartigerweise ihre machtvolle Selbständigkeit immer in ein und dieselbe Richtung richtet.

"Die beste Unterstützüng für die Bestrebungen von Bürgerrechtsbewegungen der Staaten des Ostblocks ist es, wenn die europäischen Staaten des Westens selber erste konkrete Schritte für die Auflösung der Blocksysteme unternehmen... mehr Phantasie, mehr Zivilcourage, mehr Einfallsreichtum an die Macht!" (Petra Kelly)

Dieser alternativen Machtpolitik - ganz Europa den Europäern! -, die die Wiedervereinigung Deutschlands selbstverständlich einschließt, kann die Theologin Uta Ranke-Heinemann getrost den Segen geben, der sogar nationalen Realismus enthält:

"Die Sowjetunion muß erkennen, daß Polen im Warschauer Pakt auf die Dauer nicht zu halten ist, weil ein wesentlicher Teil der Bevölkerung ein solches Verbleiben nicht will. Andererseits ist eine Neutralisierung ausschließlich Polens für die Sowjetunion nicht akzeptabel, weil sie eine einseitige Schwächung des Warschauer Pakts bedeutet. Eine Neutralität jedoch, die nicht nur Polen, sondern auch die beiden deutschen Staaten umfaßt, muß sowohl für die Sowjetunion als auch für die USA zumutbar sein."

Die dritte "geteilte Meinung" des gemeinsamen Anliegens 'Frieden' hat es am schwersten, handelt es sich doch um die - auch in der Friedensbewegung - immer der Einseitigkeit verdächtigten Anhänger des Krefelder Appells, insbesondere um die dort angesiedelten der DKP nahestehenden Persönlichkeiten. Wie den Opportunismus hinkriegen, keine Breitseite gegen das realsozialistische "Unrechtssystem" in Polen schießen zu wollen, aber auch ganz in der Breite der Friedensnewegung aufgehen zu mögen, mit der man sich auf keinen Fall auseinandersetzen will? Das geht so:

1. Man hält seinen Standpunkt zurück, weil man angeblich nichts Genaues wüßte über die Verhältnisse in Polen und die Gründe für die dortigen Zustände:

"Der Autor maßt sich nicht an, das Rezept für die Lösung der tiefen wirtschaftlichen und politischen Krise zu wissen, das in den vergangenen Jahren noch von keiner der beteiligten polnischen Seiten gefunden wurde..." (Bredthauer)

2. Fehler werden zugegeben. Aber kein Wort vom ökonomischen Wirken des Imperialismus in diesem prohlematischen Ländchen:

"Daß es zur polnischen Krise gekommen ist, war offensichtlich - weder die polnische Arbeiterpartei noch die UdSSR bestreiten das - die Konsequenz einer verfehlten Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung Gierek und der polnischen Partei. Sie hat eine spontane Massenaktion erzeugt, in der zuletzt jener in sich völlig widerspruchsvolle Utopismus, der jede nur spontane, von keinen rationalen Kadern gesteuerte und deshalb zur Lernfähibkeit der Massen übergeleitete Bervegung begleitet, die Oberhänd gewann. Dadurch entstand für antisozialistische Gruppierungen die Chance..." (Abendroth)

3. Nach diesen Vorgaben, die sicherlich kein DKPler als Verrat an der eigenen Sache ansieht, landet man dort, wo man so unbedingt und bei Preisgabe des letzten Quentchens Antiimperialismus dabei sein will: Polen, das ist schlimm für die Friedensbewegung.

"Die polnische Krise ist bitter, nicht nur für Polen, nicht nur für den Warschauer Pakt auch für die Friedensbewegung in den NATO-Ländern..." (Abendroth)

4. Was Wunder, daß diese ehrliche Anwanzerei mit den Maßstäben der Glaubwürdigkeit arbeitet, die in der deutschen Friedensbewegung so beliebt sind, Deutschland und Europa! Ein Plus für die Bundesregierung:

"Der Regierung der BRD soll man zugute halten, daß sie gewiß nicht zu den Antreibern der interventionistischen Repressaliendrohungen gehört." (Abendroth),

dazu die saudumme Entschuldigung derselben Regierung:

"Aber aus innenpolitischen Gründen - vor allem um der Hoffnung willen (s.o.), die Friedensbewegung spalten und zurückwerfen zu können - treibt sie den antikommunistischen Wahn (!) voran und gerät darum... in die Gefahr, der Gefangene der selbsterzeugten Hysterie zu werden..." (Abendroth)

Ein Hoch auf Europa und Deutschland! Diese Mitmacher sind schwer betroffen und sollten mehr Selbständigkeit an den Tag legen.

"Die bewußte Eskalation der Polenkrise trifft aber letztlich alle, vor allem alle Europäer, denn sie verschärft in einer ohnehin angespannten internationalen Lage die Ost-West-Spannungen weiter, erhöht die im vergangenen Jahr vielen schockartig bewußt gewordene Kriegsgefahr..." (Bredthauer)

"Wir sind gemeint, Europa." (ibid.)

"Die Entspannungspolitik der 70er Jahre hat den Westeuropäern" (was ist mit den Osteuropäern) "wesentlich verbesserte Ausgangspositionen verschafft. Die Zeit ist reif, sie für einen von den USA unabhängigeren Kurs zu nutzen." (ibid.)

Eppler und Petra Kelly müßten hier zustimmen, wenn sie nicht weiter Taktik dahinter vermuten würden. Obwohl es nicht Taktik, sondern eine Strömung der Friedensbewegung ist, die so redet. Der Vorzeige-Oberst des Krefelder Appells stellt klar, daß die Opposition der Friedensbewegung aus lauter guten Menschen besteht, die keinem deutschen und europäischen Politiker weh tun wollen.

"Es geht nicht um Ost oder West, sondern um die Menschen in Ost und West. Abbau der Atomkriegsgefahr ist das dringende Gebot für 1982." (Weber)

Repräsentativ sind sie alle, die Persönlichkeiten der Friedensbewegung. Nur, was hat das alles eigentlich mit der "Polenkrise" zu tun? Genau, Polen heifßt für die Friedensbewegung das Problem, ihre "neutrale Zone" nicht im Niemandsland anzusiedeln, sondern... Ja wo schon?