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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1982 erschienen.

Systematik


ANMERKUNGEN ZU EINER "UNMENSCHLICHEN" SACHE

Jeder Staat auf dieser Welt hat seine Polizei und sein Militär. Und jeder weiß, daß diese Vollstrecker der staatlichen Gewalt ziemliche Freiheiten haben, oder sich nehmen, den Ermittlungsprozeß gegen von ihnen Festgenommene und Verdächtige in ihrem Sinne zu gestalten. Die Malträtierung der Gefangenen ist nichts Ungewöhnliches, schließlich widersetzt sich in jedem Staat der (politische) Verbrecher dem behördlichen Aufklärungsanspruch - weil er "verstockt" ist, kann dieser gar nicht anders, als sein Repertoire von "zivilisierten" bis "offen brutalen" Einwirkungsmöglichkeiten zu entfalten.

Der Skandal beginnt immer erst dann wenn ruchbar wird, daß staatliche Stellen permanent die von ihnen selbst gesetzten Grenzen gesetzlicher Torturmittel überschreiten und gar zu sichtbare Zeichen ihrer Verhörmethoden hinterlassen. Anstatt nun die offenbare "Gewalt gegen Personen" als das Argument gegen den Staat festzuhalten, weisen kritische Bürger die Berechtigung ihrer Empörung nach: Ausgerechnet dem Gesetzgeber lasten sie Gewaltakte als Rechtsbruch an. Bei allen Einwänden gegen staatliche Folterpraxis steht daher die Gewalt von vornherein unter einem höheren Gesichtspunkt zur Debatte: Ob sie dem Staat gut oder schlecht zu Gesicht steht, ob sie berechtigt, opportun oder in ihrer Grausamkeit noch zeitgemäß ist. Wenn man ausschließlich die Härte der Erpressung von Geständnissen oder Hinweisen an die Ermittlungsbehörden oder die Sinnlosigkeit von gar nicht auf ein Geständnis berechneten Amtssadismen beklagt, dann will man nichts gegen die Notwendigkeit von Verhör und Geständnis gesagt haben.

Folter? Bitte ohne!

Genau dies - können denn die Staaten nicht "menschlicher" bei ihrer Rechtsprechung vorgehen? - macht den Kern der Vorwürfe von amnesty international bei ihrer "Kampagne zur Abschaffung der Folter" aus. Die Abschaffung der jeweiligen Staaten zu fordern, das ginge ja wirklich zu weit. Schließlich ist die Folter erstens ein "weltweites" Phänomen, also nicht mit bestimmten Staaten in Verbindung zu bringen, und zweitens muß ganz deutlich gesagt sein: Bei uns gibt es Folter nicht. Die Kritik von amnesty an der Folter gerät so zu einem Bekenntnis zum Rechtsstaat und der in ihm üblichen Form von Gewaltanwendung.

"Wer wird der Foltetung unterworfen? In Ländern, in denen eine einzige Staatspartei oder eine mit dem Staat gleichgesetzte Bewegung die Politik bestimmt, in denen also keine freie Willensbildung möglich ist, herrscht zugleich Terror gegen jede abweichende Gesinnung. Wer nicht die Linie der Partei vertritt, wer das System auch nur teilweise kritisiert, ist unerwünscht. Er muß damit rechnen, in ein Lager, in eine psychiatrische Klinik oder in ein Staatsgefängnis eingeliefert zu werden. ... Da die 'einfachen Disziplinierungsmaßnahmen' in der Regel wenig ausrichten, greifen die Vertreter der Staatsideologie dann zur Folter, um jeden Widerstand zu brechen." (amnesty international, Kampagne zur Abschaffung der Folter)

Klar, wo die größten GULAGs stehen? Diese Fanatiker eines sauberen Staats haben auf die Frage "Folter - warum?" eine bestechend einfache Antwort: Die betreffenden Staaten können sich nicht mehr anders zur Wehr setzen - gegen übermächtige "Ideen". Weil der Staat so schwach ist, läßt er seinen Folterern als einem Letzten Mittel freie Bahn. (Der Umkehrschluß dieser Logik hieße übrigens: Der demokratische Staat ist so sattelfest, daß er Folter nicht nötig hat...) Daß der Staat in voller Absicht und unter Abwägung aller seiner Mittel foltern läßt - also gerade seine ganze Macht einsetzt -, in Lateinamerika beispielsweise in aller Öffentlichkeit exemplarisch seine Untertanen durch Folter bestrafen läßt, entgeht den auf einen ordentlichen Staat fixierten amnesty-Fans. Sie kennen nur eins: Bitte, lieber Staat, benimm dich nicht so unanständig und laß' auch einmal Gnade walten. - Deswegen wollen sie die Folter auch durch einen Appell an den Staat abschaffen:

"Folter kennt nur einen Feind: Öffentlichkeit. Kaum eine Regierung wagt es, sich zu den von ihr gedeckten oder veranlaßten Folterungen zu bekennen - Hier müssen wir ansetzen!" (ibid.)

Am besten, die UNO verabschiedet eine "Konvention gegen die Folter" (wahrscheinlich hat sie schon 50 Resolutionen in dieser Richtung verabschiedet!), auf die man sich beim "Gefangenen des Monats" berufen kann.

"Folter muß so undenkbar werden wie Sklaverei."

Als ob sich am Schicksal der Schwarzen etwas geändert hätte, seit ein kleiner Teil Lohnsklaven, der größere überflüssige Bevölkerungsmasse sind!

Folter - "sehr grausam"

Mit diesem Prädikat verpflanzt der aufgeklärte Zeitgenosse die Gewalt des Staats ins Mittelalter und entdeckt sie in der Neuzeit beim nationalsozialistischen Un-Rechtsstaat oder an südamerikanischen Diktatorenregimes, und ist voll des Lobes über unseren aufgeklärten Staat. Von Gewalt keine Spur, seit der Staat mit den Häfltingen nicht kurzen Prozeß, sondern ihnen den Prozeß macht. Welch ein Fortschritt gegenüber all seinen gewalttätigen Vorgängern, daß man sich beim modernen Rechtsstaat dafür zu bedanken hat, daß er einen nicht ins KZ schickt. Klein und häßlich ist die Staatsgewalt aber nicht, wenn von Gewalt auf seiten des Staates nicht die Rede sein darf, weil sie allein dem Staat rechtmäßig zukommt und so zweckmäßig kalkuliert ist, daß sie nicht wahllos zuschlägt. Das Schöne am Recht, zu dessen Definition nur die Staatsgewalt befugt ist, ist ja gerade, daß es allen gewalttätigen Formen der "Austragung von Konflikten" überlegen ist.

Folter - "unvorstellbar"!

Das ist sie immer dann, wenn sie im eigenen Land passiert. Hierzulande erregte man sich mit diesem Aufschrei der Empörung nicht über das Faktum der Isolationshaft, sondern daß die Terroristen Isolationsfolter dazu sagten. Wo allein die für das Renommee des Rechtsstaats schädlichen Wirkungen solch "unhaltbarer Verleumdungen" thematisiert werden, da ist die Folter wieder denkbar: Mit ihrer "tierischen Grausamkeit" unterwühlen die Terroristen den Rechtsstaat selbst noch aus dem Gefängnis. Wie generös, daß sich der Verfemte selbst treu blieb und mit Stammheim die Parole ausgab: Unsere Waffe ist das Recht! Bei den Schauprozessen mußte kein Terrorist wie in Moskau Selbstkritik üben: Hier stellte vielmehr der Rechtsstaat höchste Ansprüche an sich selbst, indem er die Gültigkeit der Paragraphen an einem Personenkreis vorexerzierte, für die sie nach dem Urteil weiter Kreise zu schade waren:

"Ein Tag im Leben des Terroristen Baader. Behutsam weckt der Gong die Schlafenden: 'Ding-Dong'. Kurz danach wird an die Tür geklopft: 'Guten Morgen!'... 23 Uhr: Der Strom wird abgeschaltet: Gute Nacht, Genossen! Gute Nacht, Vater Staat!" (Bild, 16.5.77)

Und so werden die Terroristen korrekt zwangsernährt - gibt es eine bessere Werbung für den Rechtsstaat, als daß er selbst seine Feinde vor den zerstörerischen Konsequenzen ihres Tuns schützt?

Kein Wunder, daß Folter nun offen heraus als "überflüssig" bezeichnet wurde: Angesichts des nach Mogadischu in fremdes Staatsgebiet eingeflogenen Gewaltapparats können die "drei Grade der peinlichen Frage" bei der Folter ja wirklich einpacken!

Folter - "ein vielseitig schillernder Begriff"

So hat man heute über die Folter zu reden, nachdem praktisch mit den Terroristen aufgeräumt ist und gewisse Behandlungsmethoden sich endlich als Selbstverständlichkeit eingebürgert haben sollten. Ein Staatsfeind, wer da immer noch die Sache zur Sprache bringt. Ihm gegenüber den Tatbestand abzustreiten, ist angesichts der Gefährlichkeit solcher Kritik viel zu defensiv. Folter hin, Folter her - solange es noch welche gibt, die dem Staat gerade in der Stunde des Erfolgs die Sympathie versagen, sind sie die üblen Burschen: Ihre Kritik ist alles andere als moralisch, nämlich staatszersetzend:

"Gerade jetzt, da den italienischen Ordnungskräften Fahndungserfolge gelingen, von denen sie vor kurzem kaum zu träumen wagten, kommt dieser üble Folterungsvorwurf auf, wollen einige Leute offenbar der erfolgreichen Polizei 'in den Arm fallen'. Steckt dahinter - eine Verschwörung, die den Rechtsstaat diskreditieren, ihn jetzt, da der 'bewaffnete Kampf' gescheitert ist, auf diese Weise zur Strecke bringen will?

Der Verdacht, der Staat sei im Grunde doch 'faschistisch', liegt in Italien bei einer ganzen Generation ideologisch aufgepumpter junger Menschen immer griffbereit - wie die Pistole." (Carlos (!) Widmann, SZ vom 16.3.82)

Bei einem so leicht zerbrechlichen Wesen wie dem Staat gilt also bereits mangelnde Zustimmung als Gewalt. Und damit endlich der Foltervorwurf aus der Welt geschafft wird, muß der Dampf raus und die Sache nüchtern, d.h. rein fiktiv betrachtet werden. Vielseitig schillert da der Begriff in ein- und dieselbe Richtung: Angenommen, es gäbe die "Folter" (Anführungszeichen nie vergessen!), dann könnte man sich schon ein paar gute Gründe für sie einfallen lassen. Und so fortgeschritten ist bereits die Besinnung, daß sich weit und breit keine Nachteile finden lassen, wenn man die Vorzüge der Folter zusammenzählt. Carlos Widmann z.B. wäre immer schon gern Polizist geworden, weil ihm die "verführerischen Gedanken" nicht fremd sind, aufgrund derer einem Bullen "halt" mal die Hand ausrutscht; handelt es sich doch im Grunde genommen auch bei den Polizisten um Schreibtischtäter, denen "die äußerste Spekulation nicht fremd" ist, daß

"durch dosierte Quälerei es möglich sein werde, in nächster Zukunft nicht nur das Leben von Polizisten, sondern letztlich auch das ihrer terroristischen Feinde zu schützen, diese vor einer tieferen Verstrickung zu bewahren."

Daß dem Rechtsstaat Folter noch nie geschadet, versteht sich daher von selbst - "wie kurz" auch immer "der Weg vom gutgemeinten 'Vermöbeln'... bis zum brutalen Polizeistaat" ist.

Bei solch feinsinnigem Verständnis für die Folterproblematik muß es dem Staat ja ganz warm ums Herz geworden sein. Oder läßt sich der Weg zum Polizeistaat durch eine Steigerung des Dafürseins noch irgendwie beschleunigen?