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Großbritannien
SDP - TOTALES STAATSPROGRAMM
Vor einem Jahr erst gegründet - und schon Aussichten auf die Übernahme der Macht! An der "Frische und Modernität" einer Shirley Williams liegt das sicher nicht.
Diese Partei ist nämlich gegründet worden von zumeist in Labourregierungsämtern ergrauten Hängern - der "Viererbande" -, die ihrer alten Partei die traditionelle Ablösung der gegenwärtigen Toryregierung nicht zutrauten, obwohl diese Verhältnisse in die Welt setzten und setzen, welche nach demokratischen Gesetzmäßigkeiten geradezu nach einem "Wechsel schreien". Zum Zweck der sofortigen Regierungsübernahme (Man vergleiche die Langzeitphantasien hiesiger Grüner!) hat sie auch die "Allianz" mit den Liberalen gebildet, einer Partei, die seit den 20er Jahren um die 10% der Stimmen für sieh verbucht, ohne - wegen des Mehrheitswahlrechts - mehr als ein Schattendasein im Unterhaus zu führen. An diesem unbedingten Drang an die Hebel der Macht wäre allerdings nichts Besonderes, nicht einmal an der Entschlossenheit ("Frische"), mit der sie ihn verfolgt. Dafür gibts nun mal Parteien in der Demokratie, daß sie den "politischen Willen" = Regierung bilden. Das Neue in der englischen Parteienlandschaft ist vielmehr die Ausschließlichkeit, mit der sie diesen Zweck zum Wahlprogramm macht.
Einen Wahlknüller hat die SDP nicht. Der Knüller ist ganz einfach sie selbst. Sie, weil sie mit beiden Traditionsparteien nicht identisch ist. Mit dem Fingerzeig auf deren angebliche Regierungsunfähigkeit ist die Wahlwerbung auch schon erledigt: Die Regierung bekommt "Englands Tragödie": 3 Mill. Arbeitslose vorgerechnet, wohlweislich ohne die Spur einer Andeutung, man selbst wolle den Engländern wieder einträgliche Jobs verschaffen; und bei labour genügt der Verweis auf die parteiinterne Diskussion (mit der diese jahrzehntelang Wahlen gewonnen und Regierungen gebildet hat), um diese als entschlossene Regierungsalternative zu diskreditieren. Die SDP präsentiert sich als "dritte", noch "unverbrauchte Kraft", die unbedingt "erste" werden muß, wenn "Englands Untergang" Einhalt geboten werden soll - ein "Argument", das offensichtlich deshalb zieht, weil viele Engländer sich auch von den bisherigen Regierungen nichts anderes erwartet haben; und gemessen am Empire sieht nun mal die diesbezügliche Nachkriegsbilanz nicht blendend aus. (Wenn schon der Außenminister einer ehemaligen Kolonie: englisches Territorium ungestraft als "Pickel am Hintern des Fortschritts" bezeichnen darf!). Es ist zunächst nichts anderes als der Radikalismus des Es-muß-alles-anders-werden, der das Programm dieser Partei ausmacht und keines Inhalts bedarf, weil auch englische Wähler von ihrer Stimmabgabe gerechterweise nichts anderes als die Installation einer kraftvollen Regierung erwarten und der "Allianz" in einer Nachwahl nach der andern zu rauschenden Erfolgen verhelfen.
Aus diesen Erfolgen schmiedet die Partei ihr zweites zentrales "Argument": Ihre Erfolge sind schließlich der Beweis, daß Jenkins und Co in der Lage sind, England hinter sich zu bringen, und deshalb zur Wachablösung berufen sind. Zwischen den Nachwahlen werden regelmäßig Meinungsumfragen inszeniert und Mitgliederzahlen veröffentlicht, um zu zeigen, daß man es bringt:
"W. Rodgers sagt, daß es nun mehr als 78000 Mitglieder gibt, alles Beitragszahler und wöchentlich kommen einige Hundert hinzu, was zeigt, daß der Schwung der Partei erhalten bleibt."
Ergänzt wird diese Demonstration der Regierungsfähigkeit durch ein geschickt zur Schau gestelltes Parteileben, indem der Streit um die Pfründe zwischen Sozialdemokraten und Liberalen als Diskussion um die besten und das sind natürlich die erfolgversprechendsten Kandidaten vorgeführt und sofort wieder hinter die Kulissen verlagert wird, wenn Umfragen Zweifel an der Einigkeit der Allianz zutage fördern. Eine Partei, die damit Propaganda macht; daß man gut beraten sei, sie zu wählen, damit sie an der Macht sei, agitiert also folgerichtig mit ihrer Geschlossenheit und dem Erfolg, den sie hat.
Schon der Schein einer Verpflichtung auf ein Programm mit bestimmten Inhalten, worauf sich zwar keine Partei der Welt verpflichten läßt, wäre für diese Partei störend. Sie hat es ja gar nicht darauf abgesehen, über Probleme und Anliegen der Bürger diese für sich zu mobilisieren; solcherart Werbung betrachtet sie als lästiges Hindernis einer "realistischen Politik", weshalb sie ganz umstandslos die Zustimmung zur Freiheit in Sachen Staatsgeschäft verlangt:
"Cut and dried policies (politische Koniepte, die fix und fertig sind) haben sich bisher immer als Mühlsteine erwiesen." (Roy Jenkins)
Der durch seinen kürzlichen Nachwahlsieg zum künftigen Allianzchef qualifizierte Jenkins, langjähriges Mitglied der Labourpartei, um deren Opposition er sich als Mitglied mehrerer Labourregierungen herzlich wenig zu scheren brauchte, will sich gerade mit der absoluten Programmlosigkeit - Ideologiefreiheit als sachkompetenter Macher vorstellen, der keinem etwas verspricht, außer,
"daß die SDP tun würde, was getan werden muß, wenn es nötig sei".
Der Besitz eines Programms gilt der SDP geradezu als Ausweis der Unfähigkeit einer Partei, weil es ihre Freiheit beschneide, indem es "sachliche" = staatszuträgliche Entscheidungen durch die Verquickung mit interessensgebundenen Ideologien verhindere. Diese Partei tritt also durchaus mit einer Ideologie an: derjenigen des Regierens pur. Sie macht das Prinzip der Opposition zur Plattform einer kommenden Regierungspartei. Alle staatlichen Erfolge werden verheißen und alle als negativ beim Wähler vermerkten Konsequenzen verspricht die SDP abzuschaffen, weil sie die einzige wählbare Partei sei, die wirklich regiert. Und da kultiviert die SDP das Vorurteil, die Konservativen seien ein Anhängsel der upper classes (= derjenigen, die zum cricket gehen) und die Labours ließen sich über die Gewerkschaften für "falsch verstandene" Interessen der Arbeiter (= derjenigen, die zum Fußball gehen) "mißbrauchen", ganz so als hätten die Konkurrenzparteien zuviel Rücksicht auf die Interessen ihrer Wähler genommen:
"Eine Allianzregierung wird klugerweise alles einsetzen, um mit dem Management und mit den Gewerkschaften als Sozialpartner zu arbeiten. Aber (!) sie wird eine Kraft haben, die ihren politischen Vorgängern verwehrt war. Sie wird niemandem verpflichtet sein. Sie braucht sich nicht in einseitige Händel zu verwickeln. Sie kann eine Langzeitpolitik anbieten, die auf Zustimmung aller basiert, da sie sich auf die Interessen aller bezieht."
Im Namen aller verspricht sie gegen alle Einzelinteressen vorzugehen, bedeutet den Wählern also, daß sie am meisten von ihrem Staat haben, wenn sie nichts von ihm verlangen. Gerade so ist mit der SDP eine echte Volkspartei in England entstanden, die das Volk immer als das behandelt, was es ist: eine wesentliche Grundlage eines souverän handelnden modernen Staates. Ganz ohne den Ballast einer Parteigeschichte verkündet sie das Programm eines totalen Staates, indem sie die Methode demokratischer Herrschaft: sich in Wahlen der Zustimmung der Beherrschten zu versichern, zum zentralen Argument ihrer Agitation macht. Die Ähnlichkeit mit der hiesigen SPD ist gewollt. Nur haben die dortigen Macher aus der Vergangenheit nur die Erinnerung an ihre Regierungsverantwortung mitgenommen - die Partei haben sie den Bennites überlassen, weshalb auf ihren Parteitagen nicht mehr Geschlossenheit, sondern nur noch Siegeszuversicht demonstriert wird.
Gewerkschaftlicher Wahlkampf
Sozialpartner - so wie es die SDP zum Wohl der Nation fordert - sind die einen schon - eben durch das, was sie sind: Unternehmer. Die anderen beweisen seit geraumer Zeit sehr tatkräftig, daß sie als nationale Gewerkschaft ihren Beitrag zum Staatsprogramm leisten will. Wie ein Auszug aus dem Guiness Book of Records lesen sich die Meldungen im Wirtschaftsteil über die englische Ökonomie:
"Neuer Streik - Tiefstand innerhalb der letzten 12 Monate", "Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhe bei verbesserter Durchschnittsproduktivität und steigenden Neuinvestitionen in der britischen Industrie", "größte Erfolge bei Eindämmung der Lohnkosten." (Neue Zürcher Zeitung)
Der Dachverband der englischen Gewerk schaften, TUC, samt seinen Einzelgewerkschaften hat andere Sorgen, als zur Abwemdung von Schaden seiner Mitglieder Streiks zu organisieren. Mit "Zurückhaltung", der Ideologie des "man wolle ja, aber könne leider nicht", werden die Anstrengungen der englischen Gewerkschaften verharmlost: Waren früher Streiks ein opportunes und von jeder Einzelgewerkschaft anerkanntes Mittel einer bornierten "Verteidigung der Rechte eines Berufstandes", so wird heute - angesichts ständiger Massenentlassungen (gegen die man nichts unternimmt), zunehmender Gewerkschaftsaustritte und damit verbundener Beitragsrückgänge - konsequent der Übergang zur Sorge um den Niedergang der eigenen Berufsorganisation gemacht. So beschimpft die National Union of Mineworkers die streikenden Train Drivers, daß ihre Arbeitsniederlegung - die außer drei mickrigen Lohnprozenten den Verzicht auf, ihre Hauptforderung nach Minderung des Schichtbetriebs erbrachte -
"ihre Mitglieder arbeitslos macht, weil die Kohle, die sie abbauen, nicht abtransportiert werden kann." (Guardian)
oder mit den Worten von Mr. Sidney Weighell, Generalsekretär der National Union of Railwaymen; in Sorge um die Folgen des Driver-Streiks für seine Gewerkschaft:
"Es wird keinen Gewinner in diesem Streit geben," (Guardian),
was nur stimmt, wenn man den Staat und die englischen Kapitalisten dabei vergißt!
Waren früher Solidaritätsstreiks fällig, weil man diese ja auch für die Anliegen des eigenen Berufstandes erwartete, so wird heute der Konkurrenzkampf zwischen den Einzelgewerkschaften um das Überleben der jeweiligen Standesorganisation eröffnet.
Ergänzt wird das Treiben der Einzelgewerkschaften durch die politische Offensive ihres Dachverbandes TUC, der in alter Tradition auf den Verein der britischen Parteienlandschaft setzt, der schon immer in "schweren Zeiten" der Gewerkschaft anerkennend auf die Schulter klopfte. Seine Streikkasse und Beitragsgelder setzt er zu einer massiven Poster- und Zeitungswerbung für die Wiederwahl der Labour Party ein, um darauf den englischen Proleten mitzuteilen:
"See what happens, when you don't vote Labour".
So hat sich der englische Arbeiter die staatlich verordnete Verelendung selbst zuzuschreiben, hat er doch die falsche Partei gewählt. Nicht gewerkschaftliche, sondern politische Vertretung braucht also die Arbeiterklasse. So funktioniert die Gewerkschaft am besten.