Info

Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1982 erschienen.

Systematik


EIN NATIONALER OSTERSPAZIERGANG

When the saints go marching in...

Von über 300000 sprachen am Ostermontagabend die Veranstalter, während die Polizei kleinkariert wie immer in solchen Fällen bestenfalls die Hälfte gezählt haben wollte: Ostermärsche in der BRD und Westberlin, das bessere Deutschland war unterwegs. In der Hamburger "Morgenpost" füllten seine Aufrufe eine ganze Seite: Betriebsräte, Personalräte und aktive Gewerkschafter, Künstler, Pastoren, soziale und freie Demokraten und auch die Deutschen Kommunisten waren mit dabei. In Dortmund hatten sie auf ihrem Wagen das K und das P mit großem Friedenstauben überklebt; so blieb als Kennzeichen D. Zwischen München und Flensburg demonstrierte man nicht nur die Einigkeit aller Menschen guten Willens, sondern auch Tradtionsbewußtsein: Die hanseatischen Pastoren spannten den Bogen von der Reeperbahn (Ort der Schlußkundgebung) gleich bis zu jenem legendären ersten Ostermarsch zurück, der anno domini als "Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus" stattgefunden haben soll. Bescheidener die Gewerkschafter, die nur an ihren seeligen Otto Brenner erinnern wollten, der "bereits 1964... jede Politik verhindern" wollte, die einem "Kampf mit atomaren Waffen... Vorschub leisten könnte". Die Ironie, die in solchen Reminiszenzen liegt, ficht natürlich einen Arbeitervertreter nicht an, der ja auch warmen Stolz in der Brust fühlt beim Gedanken, einer Bewegung anzugehören, die seit weit über 100 Jahren dafür sorgt, daß Arbeiter auch Arbeiter bleiben - es sei denn, sie sind gerade arbeitslos. Umso mehr sonnte sich der intellektuelle Teil der Ostermarschierer im Bewußtsein, geradewegs ans 68er Jahr anknüpfen zu dürfen, wo letztmalig "gegen den Atomtod" in deutschen Landen an diesem Datum demonstriert wurde. Daß die alten Ostermärsche 9 Jahre lang die fast schon zum Brauchtum verfestigte Protestkulisse abgaben, mit der sich der Auf- und Ausbau von Bundeswehr und NATO vollzog, läßt bei den heutigen keineswegs eine Ahnung davon aufkommen, daß die Wiederbelebung dieses schönen Brauchs mit dem Kriegsbeginn ihr Ende finden wird. Im Gegenteil: Die Fortschritte der anderen Seite liefern der Bewegung die attraktivsten Zielorte:

"Bundesdeutsche Friedensinitiativen marschieren in diesem Jahr zu schon bestehenden oder geplanten militärischen Standorten. Deshalb soll das Ziel des Ostermarsches in Berlin auch eine militärische Einrichtung sein: Die Militärstation auf dem Teuelsberg."

Kein Vergleich mit jenem Karsamstag 1960, wo ein paar hundert Leute nach Bergen-Hohne gingen auf das bloße Gerücht hin, hier hätten Bündeswehrsoldaten mit Raketenatrappen geprobt!

Immerhin brachte die vorläufig vorletzte deutsche Friedensbewegung 1968 die erste 300.000-Mann-Demo auf die österlichen Straßen bis dann - so berichtet "Friedenszeitung" in Bielefeld, "das Bündnis der Gruppen, die bis dahin den Ostermarsch getragen hatten, über politischen Meinungsverschiedenheiten zerbrach." Das stimmt wohl so: Als Gruppen anfingen, wirklich gegen "die Politik" vorzugehen, wurde gleich von einer "Studentenrevolte" gesprochen und das einigende Band des Friedens riß. Inzwischen hat die Politik solche Fortschritte gemacht, daß eine neue Bewegung zusammenfand, die - wie einstens Ostern 1960 - sich mit der dringenden Bitte an sie wendet, sie möge doch tun, was sie wolle, aber vom Kriege auf einem "Schlachtfeld Europa" ablassen, weil das viele Tote kostet und es zahlreichen Menschen das Vertrauen raubt, das die Politiker eigentlich verdienen. Eben zu dieser Demonstration gereichte es allen diesjährigen Ostermärschen anscheinend zur besonderen Ehre, wenn führende Politiker der Regierungsparteien zu den Friedensfreunden sprechen wollten. In Dortmund gar gelangte ein Brief der Oberbürgermeister des Ruhrgebiets zur Verlesung, in denen die Schlußkundgebungsteilnehmer daran erinnert wurden, daß ihre "berechtigten Wünsche" bei der Bundesregierung am besten aufgehoben seien. Die Veranstalter nahmen's nicht als Distanzierung, sondern als Solidaritätserklärung. Beim Gros der Teilnehmer ließ alles bisher erwähnte die rechte Stimmung nicht aufkommen: Zünftig wurde es erst und nur, als der Osterspaziergang ins Kulturprogramm einmündete. In München die Biermöslblasn, die eine Resonanz auslöste, der gegenüber der Hauptredner Dieter Lattmann (natürlich SPD) wie eine gerade noch in Kauf genommene Warmspielband aufgenommen wurde, die man sich geduldig anhörte, weil ihr Auftritt im Eintrittspreis für das Hauptereignis enthalten war. In Hamburg Degenhardt, dem selbst die "Bildzeitung" Entertainerqualitäten nicht absprechen wwollte: "'Zugabe', forderten die Demonstranten nach seinen Liedern." Die größte Kundgebung fand auf dem Frankfurter Paulsplatz statt. 25000 "warteten zum Teil stundenlang frierend", um sich von dem Psychoanalytiker H. E. Richter die Osterbotschaft zukommen zu lassen, daß "im Schatten der Atombombe alle Menschen Brüder" seien. Bruder Helmut war verhindert, dafür kam Erhard Eppler, der der Brüder und Schwestern in der DDR gedachte. Die von den dortigen Evangelen geschmierte Parole "Schwerter zu Pflugscharen" war überhaupt der absolute Renner bei den Meinungsknöpfen. Kein Wunder: Mit ihm ließ sich - für Frieden, gesamtdeutsch und zugleich ausgewogen und für Freiheit - dokumentieren, wo man heutzutage zu stehen hat. So schlug denn auch Eppler die Brücke nicht nur nach Osten, sondern auch nach Bonn und Washington: "Wir sagen allen Regierungen in Ost und West: Frieden gibt es nicht ohne Risiko." Da wird man sich mit den Regierungen doch noch über die Risikostreuung einigen können.

P.S.

Nicht verschweigen wollen wir das beherzte Engagement des Deutschen Kinderschutzbundes e.V. ("parteipolitisch neutral" aber "keineswegs allgemein politisch gleichgültig"), der auf mehreren Demonstrationen die Osterspaziergänger per Flugblatt auf die Unverantwortlichkeit eines III. Weltkriegs wegen der damit einhergehenden "körperlichen, seelischen und sozialen Gefahren" für das deutsche Kind und insbesondere das Kleinkind hinwies. Uns sollte es nicht wundern, wenn Ostern 1983 ein Aufruf des "Deutschen Tierschutzvereins e.V." zur besonderen Gefährdung des deutschen Schäferhunds im Gefolge eines thermonuklearen Erstschlags Stellung nähme.