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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1982 erschienen.

Systematik

Demokratische Sozialisten
LINKS... VON DER SPD

Ende März haben sich in Recklinghausen über 1000 Leute getroffen, um die "Demokratischen Sozialisten" aus der Taufe zu heben. Als Partei, versteht sich.

Auch wenn viele Altlinke das Forum zum Anlaß nahmen, die "Organisationsfrage" auf der siebten Meta-Ebene wiederzubeleben, und Gefallen daran fanden, kokett zweifelnd Bedingungen der Möglichkeit einer dezentral vernetzten autonombasisdemokratischaktivselbstbestimmten Organisation auszumachen (vgl. "Moderne Zeiten", MSZ 3/82) "überraschend" (wie nachher die Presse tat), gar ein "Gewaltakt" gegen sich selbst, war der Beschluß, unter Führung von Coppik und Hansen die Parteigründung anzustreben, keineswegs.

Denn da haben sich Leute zusammengefunden, für die eine politische Heimat erst dann als so recht anheimelnd gilt, wenn sie das Kriterium einer bürgerlichen Partei erfüllt, das sie an der SPD so schätzen: Sie muß ohne Einschränkung wahlfähig sein. Und dies ist freilich keine Frage der Organisation! Wo sich Kongreßteilnehmer an dem pathetisch vorgetragenen Ausruf von Uta Ranke-Heinemann

- "Ein Traum wird wahr, die DS ist eine Hoffnung für das gesamte deutsche Volk." -

berauschen; wo man 5 Stunden lang ein zentrales Thema verhandelt, nämlich Glaubwürdigkeit beim Bürger in Konkurrenz zu den Grünen, drückt das Hin und Her um die Frage Partei und möglicher Wahlantritt samt seiner sehr eindeutigen Entscheidung nicht etwa Taktik, sondern innige Verbundenheit zu jenen Institutionen aus, in denen viele Gründungsmitglieder schon so "viele leidvolle Erfahrungen" gemacht haben. Weder mit der SPD, aus der fast alle kommen, noch mit dem Parlament sind diese Leute fertig.

Zu bemängeln haben sie nur eines: Mit ihren politischen Vorstellungen kommen sie in der SPD nicht zum Zuge. Man hat sie einfach nicht gelassen, obwohl manche es bis zur Verzweiflung versucht haben. Daraus ziehen sie den Schluß: Raus aus diesem Verein und einen eigenen aufgemacht. Bei ihrer Abrechnung mit der SPD-Politik wollen die Demokratischen Sozialisten selbst bei härtester und offensichtlichster Demonstration der Zwecke sozialdemokratischen Einsatzes von Regierungsgewalt Absicht nirgendwo entdecken. So hat sich hier der ewige Glaube an das Gute in der SPD in eine neue Organisationsform gekleidet, die der alten SPD Konkurrenz durch eine alternative SPD machen will. In ihren Reihen hat sich die gängige Kritik am "Abweichen von sozialdemokratischen Idealen" zusammengefunden. Das ist für die SPD alles andere als ungünstig, weil es einen Teil enttäuschter Wähler, die sonst für die Grünen votiert hätten, von dieser Konkurrenz wieder abzieht und ihre Chance, in den Bundestag einzuziehen, schmälert. Als ob sie Agenten - eines taktischen Schachzugs der Baracke wären, so führen sich die Noch Parlamentarier Hansen und Coppik auch auf: Kaum aus der Fraktion ausgeschieden, wollen sie in den Bundestag zurück als Vertreter einer sozialdemokratischen Position, die von der Parteimehrheit zwar nicht mehr zugelassen wird, dennoch aber als Koalitionspartner sich jetzt schon andient. Entsprechend matt wie falsch fallen die Angriffe auch aus.

Da wurde mit hochrotem Kopf ausgerufen, die SPD sei "schlimmer entartet als die CDU". Nicht zu verwechseln ist diese Äußerung mit der Erfahrung oder der Erkenntnis, daß die SPD den deutschen Klassenstaat mit seinen bekannten Folgen für das Proletariat mindestens ebensogut zu befördern vermag wie die verhaßte CDU. Denn sie gilt einem DSler wohlgemerkt nicht als schlimmer, sondern als "schlimmer entartet". Dies ist keine Wortklauberei, sondern trostlose Realität von Sozialisten, die selbst nach dem Austritt aus der Partei dieser noch viele schöne "Sonntagsreden" attestieren, die sie leider nur nicht montags - freitags in die Tat umsetze. Während diesen Leuten selbst im Schlaf noch mindestens zehn üble Nachreden gegen Franz-Josef Strauß locker von den Lippen gehen, hat sich auf dem ganzen Recklinghauser Forum, also immerhin der öffentlichen programmatischen Selbstdarstellung, kein einziger getraut, Helmut Schmidt das zu nennen, was er ist. Das kann kein Zufall sein. Sie wollen es einfach nicht wissen. Wenn überhaupt einmal die Bundesregierung ins Visier genommen wurde, dann so: Sie sei

"politisch blinder Krisenverwalter zu Lasten der abhängig Beschäftigten."

Selbst Typen wie Coppik und Hansen, die immerhin auf den Hinterbänken der Macht gesessen haben und noch sitzen, behaupten also, nicht gemerkt zu haben, wie die vielbeschworene "Krise" in Bonn gemacht wird. Sie, die kritischen intimen Kenner der Regierungsarbeit, verbreiten - wie der "herrschende Block" samt seinem Rüstungskanzler selbst! - die Fiktion, Regieren bestünde in diesen "schweren Zeiten" darin, eine "politische Lösung" auf die weltweite Krise zu suchen, wobei sich Schmidt/Genscher zu Ungunsten der Massen vergaloppiert hätten. Daß genau umgekehrt das elende Krisengeschwätz eine ganze Latte von souveränen Ansprüchen auf weitere Opfer für den Staat darstellt (also weder "Reaktion" noch "falsche Analyse"), die deswegen eben nicht anders verteilt werden können, will den Fanatikern gerechter Verteilung nicht im Traum einfallen.

Und fast ulkig gerät diese verharmlosende Illusion, wenn sie in die Aufforderung an die SPD mündet, "den Widerstand gegen den Sozialabbau mitzuorganisieren". Helmut Schmidt darf dem Sozialabbau seiner Regierung also nicht weiter untätig zusehen, "dann gewinnt er viele Verbündete". Auch eine Strategie, an der Macht zu bleiben. Nur: Was macht er dann mit der Macht, wenn er laufend gegen seine eigenen Maßnahmen auf die Straße gehen muß? Rudolf Bahro hat also durchaus nicht unrecht, wenn er sagt:

"Das ganze Unternehmen ist ein Versuch, die alte SPD ein überletztes Mal zurückzuverbessern diesmal von außen."

Was r damit allerdings meint und welche Sorte Gegnerschaft dieser Einschätzung zugrundeliegt, machten Bahros Parteifreunde in Recklinghausen deutlich:

Was die Grünen an den DS als Überbleibsel alter SPD-Traditionen zu identifizieren glauben, speist sich aus ihrem Haß auf alles, was nach Arbeiterbewegung riecht. Dem ökologischen Dogma, daß der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit aufgehoben sei in der Menschheit, die unter einer ungleichgewichtigen Natur gemeinsam zu leiden habe, fielen auch die demokratischen Sozialisten anheim: Wo ein hessischer Betriebsrat es wagte, das Wort "Ausbeutung" nicht im Zusammenhang mit Sauerklee, sondern mit Fabrik auszusprechen, und wo die Anwesenden sich mit "Genossen" anredeten, überall wittern Grüne "den Mief des 19. Jahrhunderts".

Aufgeregt hat sich von den DSlern darüber freilich keiner. Streit über so etwas war verpönt; schließlich ging es um Höheres, um die Hessenwahl und andere Wahlen. Und da ging der Eiertanz erst richtig los: Warum eigentlich noch eine Partei neben den "etablierten " (!) Grünen - inhaltliche Differenzen ja, nein, jein - wie groß, was folgt daraus Kooperation, Eigenständigkeit - Ökologie und/oder Ökonomie - usw.

Diesen Themen freilich mögen sich andere Zeitschriften widmen.