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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1982 erschienen.

Systematik

Die Vorbereitungen der Friedensbewegung auf den Reagan-Besuch
EINE DEMONSTRATION DER ABGRENZUNGSERFOLGE

"So dürfte die Reagan-Demonstration eine Demonstration der Abgrenzungserfolge werden. Dabei wäre Ronald Reagan als Chef der Weltmacht Nr. 1 so tauglich gewesen, sich auf den Grund der öffentlich bekannt gemachten und leider nur mit Friedensliebe beantworteten Kriegsgefahr zu besinnen. Dann wäre auch die Einheit kein Problem. Aber wo die Liebe zum Frieden Einheit stiftet, da herrscht selbst über den größten Imperialisten der Weltgeschichte keine Klarheit." (Aus einem Flugblatt der MG zur "Aktionskonferenz" der Friedensbewegung am 4.4. in Bonn)

Warum kommt der Chef des westlichen Kriegsbündnisses am 10.6. nach Bonn? Warum hat die Bundesregierung alles getan, damit der fällige NATO-Gipfel in die Bundeshauptstadt verlegt wird? Was werden die westlichen Herrschaften dort wohl beraten? Die westdeutsche Friedensbewegung hat sich am 4.4. für eine Antwort auf diese Fragen entschieden; die es ihr erspart, auch nur einen Gedanken darauf zu verschwenden, was die für die allseits beschworene "Kriegsgefahr" Verantwortlichen treiben.

Daß die NATO am 10.6. verabredet, welche neuen militärischen, wirtschaftlichen und diplomatischen Maßnahmen gegen den Störenfried ihrer Weltfriedensordnung auf die Tagesordnung gehören; daß der freie Westen in dieser Frage keinerlei Kompromisse mehr zu machen gedenkt und alle Fronten gefechtsklar macht; daß schließlich die bundesdeutschen Friedenspolitiker am 10.6. demonstrativ und stellvertretend für das deutsche Volk ihr vollstes Einverständnis mit dem Kurs des "Großen Bruders" abgeben - das alles erscheint der deutschen Friedensbewegung völlig abwegig und weltfremd. Keineswegs abwegig und weltfremd hingeen kommt den Vertretern dieser Bewegung die Auffassung vor, die obersten Kriegsherrn des Westens würden den ganzen Aufwand einzig und ausschließlich wegen der Friedensbewegung betreiben:

"Der NATO-Gipfel ist eine Herausforderung für alle Menschen, die für die Erhaltung des Friedens und für konkrete Abrüstungsschritte eintreten." (aus dem Aufruf zur Demonstration "Aufstehen für den Frieden" am 10.6.)

"Der NATO-Gipfel ist eine Kriegserklärung - an die Friedensbewegung" !!! (DS-Gründer und MdB K-H Hansen am 4.4.)

Wer die Welt so auf den Kopf stellt - jede in diplomatischer Form, als Verhandlung, abgewickelte Erpressung des Ostblocks ist ein Erfolg der Friedensbewegung, umgekehrt jeder Aufrüstungschritt keinesfalls eine Offensive gegenüber dem Feind, sondern ebenfalls eine Reaktion auf die "wachsende" Friedensbewegung -, hat sich ein absolut sicheres, weil durch die wirklichen Erfolge und Fortschritte westlicher Kriegsvorbereitung unanfechtbares Erfolgskriterium aufgestellt. Da mögen Reagan, Mitterrand und Schmidt beschließen, was sie wollen; da mag die hiesige Öffentlichkeit noch so hämisch und siegessicher konstatieren, daß die Strategie des Totrüstens und die ökonomischen Maßnahmen des Westens beim Gegner die gewünschten Wirkungen zeitigen; da mögen amerikanische Atomkriegsübungen noch so sehr klarstellen, daß alle militärischen Optionen gegen den in Bedrängnis gebrachten Gegner genauestens durchkalkuliert werden, usw. - die deutsche Friedensbewegung ist so zufrieden mit sich, daß sie das alles - wenn überhaupt - entzückt als Beweis für ihre Bedeutung zur Kenntnis nimmt.

Abgrenzungserfolg I: Wir lassen uns nicht provozieren!

Klar, daß ein solcher Ausgangspunkt nicht im geringsten auch nur die Frage aufwirft, wie die westliche Kriegsvorbereitung zu behindern ist. Die deutsche Friedensbewegung hat ganz andere Probleme und faßt den Besuch des größten Imperialisten aller Zeiten allen Ernstes als einen verantwortungsvollen Auftrag auf - und zwar an sich selbst. Möglichst breit soll er sein - der Protest, den sie am 10. 6. erheben will. Aber vor allem glaubwürdig! Das steht, jenseits aller Taktiererei der diversen Fraktionen dieser Bewegung während und nach der "Aktionskonferenz", unumstößlich fest: Wenn Reagan kommt, um die deutsche Friedensbewegung zu provozieren, dann wird sie ihm die gebührende Antwort erteilen - nach dem Motto: Wir lassen uns nicht provozieren! Ein Kurzprotokoll der unstrittigen Beschlüsse über den Charakter der friedensbewegten Aktivitäten zum NATO-Gipfel:

- Keinesfalls eine Demonstration gegen Reagan!

Wir lassen uns doch nicht auf Personen fixieren, sondern wenden uns gegen die hinter ihnen stehende Politik: "Reagan ist für mich bloß eine Marionette in einem Spiel..." (ein Teilnehmer repräsentativ für die allgemeine Stimmung). Mit anderen Worten: (Gerade der Besuch des obersten Kriegshetzers ist für uns als Friedensbewegung die schönste (Gelegenheit zu demonstrieren, daß wir keine Gegnerschaft gegen diejenigen aufmachen wollen, die den Krieg machen. Diese einmalige Chance für die Klarstellung, daß wir eine durch und durch positive Bewegung sind, sollten wir nicht ungenutzt verstreichen lassen. Steckbriefe, die uns für die Mobilisierung iu unserer (gar nicht personenbezogenen!) Anti-Breschnew-Demo im November sehr recht waren ("Vorsicht, dieser Mann ist mit SS 20 bewaffnet!"), kommen am 10.6. überhaupt nicht in Frage! Allerdings: "Es wird keine Begrüßungsdemo für Reagan werden." (Mannhardt, DFG/VK, offenbar, um jeglicher Verwechslung mit einer Veranstaltung aus gleichem Anlaß am 5.6. vorzubeugen!)

- Keinesfalls eine Demonstration gegen die USA!

Wo die gesamte westliche Öffentlichkeit aus diesem Anlaß mit antiamerikanischen Demonstrationen in "unserem Land" rechnet, da werden wir Schmidt, Genscher und Kohl ein Schnippchen schlagen. Die werden sich wundern! Für uns besteht Amerika doch nicht aus den für die Kriegsvorbereitung maßgeblichen Politikern dieser Nation; schließlich gibt es dort doch auch so gute Menschen wie wir es sind. Also: Solidarität mit dem "anderen Amerika", statt häßliche Töne gegen das maßgebliche! Das "andere Amerika", die dortige Friedensbewegung also, kann es dann bei ihrer Demonstration am 12.6. in New York genauso machen und sich für unsere Solid arität revanchieren, statt gegen Reagan... Auf eines freilich müssen wir aufpassen: "Wir dürfen uns das Stichwort 'antiamerikanisch' nicht aufdrängen lassen. Das haben wir nicht nötig. Es ist doch klar, daß die Friedensbewegung nicht antiamerikanisch ist!" (Hansen am 4.4.)

Also: mehr Selbstbewußtsein in dieser Frage. Nicht soviel darüber reden, sonst könnte noch einer auf die Idee kommen, wir hätten solche Dementis nötig!

- Keinesfalls eine Demonstration gegen die Bundesregierung!

Das erwähnen wir nur der Vollständigkeit halber. Wer sollte auch schon auf die Idee kommen, die Friedenspolitik der Bundesreierung mit dem NATO-Gipfel in Verbingung zu bringen? Denjenigen, denen wir den Rücken stärken wollen, dürfen wir doch nicht in den Rücken fallen - deshalb kein Wort gegen Schmidt und Genscher in unserem Aufruf!

- Keinesfalls eine Demonstration...!

Zeitpunkt und Ort unserer Manifestation für den Frieden wollen sorgfältig abgewogen sein. Nach reiflicher überlegung haben wir uns doch für den 10.6. entschieden und doch auch für Bonn. Wir wissen, daß das nicht unproblematisch ist und zu Mißverständnissen Anlaß geben könnte: der Eindruck einer Konfrontation... Aber wir meinen, daß wir als Friedensbewegung diese Prüfung auf uns nehmen sollten - das sind wir uns schuldig! Zumal der Erfolg umso größer ausfallen könnte: trotz der Anfechtung durch Ort und Datum ein Bild der Harmlosigkeit und Friedfertigkeit! Wenn das nicht beeindruckt!

Konkret schlagen wir vor: 1. Wir wählen eine Form, bei der erst gar nicht der Anschein entsteht, es handle sich um die Kundgabe von Gegnerschaft. Ein Friedensjahrmarkt auf den Rheinauen (ökologische Probleme - Rasen! - werden mit dem Bonner Gartenbauamt eingehend besprochen) ist genau das Richtige. Da kann jeder sein Anliegen Öko, "3. Welt", Kultur, Tanz und Gebet - den anderen vorführen. Das eint und macht stark. 2. Damit vermeiden wir auch jede Konfrontation mit den Frohnleichnamsprozessionen der katholischen Christen:

"Wir sollten die religiösen Gefühle der Bonner Bevölkerung ernstnehmen. Wir müssen versuchen, diese Mitbürger für uns zu gewinnen." (Tagungsleiter Mannhardt)

Das werden wir in einem Offenen Brief an die Katholische Kirche endeutig klarstellen (Einstimmiger Beschluß!).

Umso größer ist unsere Betroffenheit, daß die christlichen Träger vom 10.10. Aktion Sühnezeichen etc., unserem Vorhaben ihren Segen entziehen ("Wir wollen keine Demonstration gegen Herrn Reagan..." "Wir wollen keine Gegen-Parolen, wir wollen für etwas eintreten - deshalb sind wir gegen Ort und Zeitpunkt.") Das ist ein harter Schlag, wo wir doch wollen, daß jedes aufrechte Gotteskind bei uns mitmachen kann. Laßt uns beten, daß es sich Pfarrer Schäufele und seine Schäflein noch einmal überlegen! Ein kleiner Trost: Gott sei Dank haben wir ja noch die ESG. Das sichert uns ein Stück Glaubwürdigkeit!

Abgrenzungserfolg II: Raus mit der "Agentur des anderen Blocks in der Friedensbewegung"! Die deutsche Friedensbewegung hat sich also entschlossen, den NATO-Gipfel in Bonn zu einem Anlaß auszugestalten, an dem sie nur eines vorführen will: sich selbst. Genau deswegen hat sie auch nur noch das Thema, was sie noch alles tun kann, um dem Maßstab zu entsprechen, der ihr heilig ist, dem der Glaubwürdigkeit gegenüber denen, gegen deren Aufrüstungskurs sie Bedenken angemeldet hat. Die entsprechenden Auflagen, die ihr vor gut einem halben Jahr von oben auferlegt worden sind, hat diese Bewegung längst geschluckt: nicht einseitig - was spätestens seit Polen heißt, daß die Friedensbewegung NATO von unten spielt und sich im Namen der Ideale des Imperialismus - Freiheit, Menschenrechte - lauter gute Gründe dafür vorstellen kann, daß Reagan und Schmidt gegenüber dem anderen Block nicht mehr Frieden halten können; nicht antiamerikanisch - mittlerweile gibt es von den Veranstaltern des 10.6. ernsthaft die Überlegung, ob sie nicht den US-Reservepräsidenten Ted Kennedy ("der Führer der amerikanischen Friedensbewegung") als Redner einladen sollen; absolut gewaltfrei sprich: vollkommene Toleranz gegenüber den Machern des Modells Deutschland, die untertänig an die gemeinsame Verantwortung für "unser Land" ermahnt werden.

Damit nicht genug: Im Vorfeld der Reagan-Friedensdemonstration sind erhebliche Teile der Friedensbewegung voll und ganz damit beschäftigt, einen weiteren Schritt nach vorne zu tun. Frontbegradigung an dem Teil der Heimatfront, für den sie sich zuständig fühlen, heißt das Ziel, und dazu sind sie weder von Schmidt noch von einem bürgerlichen Schreiberling aufgefordert worden. Umgekehrt ist es: Seit dem 4.4. kann sich die bundesdeutsche Journaille von "Frankfurter Rundschau" über "Frankfurter Allgemeine Zeitung" bis zur "BILD"-Zeitung mit Fug und Recht auf Vertreter der Friedensbewegung berufen, um einen Aufruf zur Erledigung des inneren Feindes loszulassen:

"Unter den Blinden sei der Einäugige König... Für den Bereich der Politik allerdings ist dieses Wort unbrauchbar. Einäugigkeit ist hier gelegentlich fast gefährlicher, auf jeden Fall aber unredlicher als Blindheit. Um diese Unterscheidung geht es auch in einer Auseinandersetzung innerhalb der westdeutschen Friedensbewegung. ... Man kann nur hoffen, daß diese Diskussion ohne falsche Kompromisse zu Ende geführt wird." (Frankfurter Rundschau, 10.4.)

"Wenn die Grünen sich jetzt mit einer Schärfe gegen die DKP wehren, die sich Kritiker der Friedensdemonstration vom vergangenen Oktober nicht ungestraft leisten konnten, so geht es ihnen neben der wahrlich berechtigten Sache natürlich auch um ihr Schicksal als Partei." (Süddeutsche Zeitung, 8./9.4.)

"Grün sieht Rot! Endlich!" (BILD, 6.4.) usw.

Der Anlaß für die von der freien Presse begeistert aufgegriffene Offensive der 4. Partei gegen die "DKP und ihre Subsysteme" war ein vorher zwischen sämtlichen Abteilungen der Friedensbewegung (incl. Grüne und DKP) ausgekartelter Aufruf. Dieser erfüllt neben der üblichen Feststellung eines anonymen Gegners namens "gefährlichstes Jahrzehnt", "Gefahr der atomaren Vernichtung", "lebensbedrohende Situation" etc. und der linientreuen Aufforderung an die USA, "in Genf ernsthaft zu verhandeln", durchaus das Ausgewogenheitsgebot der bundesdeutschen Obrigkeit: Keine Frage, Reagan wird selbstverständlich mit seiner eigenen Forderung nach einer "Aufhebung des Kriegsrechts in Polen" begrüßt; ebenso mit seinem Lieblingsthema "nationale Selbstbestimmung des afghanischen Volkes", "Beendigung jeglicher ausländischer Einmischung und Abzug der sowjetischen Truppen".

Damit meinten die DKPler offenbar - opportunistisch wie sie sind - ihren Eintrittspreis für das breite Bündnis entrichtet zu haben. Denkste! Laut Juso-Pieczyk zeugt gerade die Selbstverleugnung der kommunistischen Friedensfreunde von deren besonderer Hinterhältigkeit:

"Wenn die DKP-Organisationen dies geschluckt haben, so sagt das viel über den Taktizismus (!) der DKP, ändert aber nichts an deren Unglaubwürdigkeit."

Und die grünen Nachwuchspolitiker nutzten die Gunst der Stunde (die Kameras des öffentlich-rechtlichen Fernsehens waren schon in Wartestellung), um die deutsch-kommunistische Nachgiebigkeit mit einer weiteren Erpressung zu quittieren (Analogien zu den Umgangsweisen der wirklichen NATO mit sowjetischen Abrüstungsangeboten sind rein zufällig!): Verschärfung der Erklärungen zu Polen und Afghanistan und ausdrückliche Solidaritätserklärung mit der Friedensbewegung in der DDR - sonst könnt ihr euch eure Einheit an den Hut stecken! In der Pose des angeblichen Opfers finsterster Machtstrategien seitens der DKP (die der frommen Petra Kelly zufolge das Verbrechen beging, "eine bestimmte Linie durchzupowern"; in Wahrheit benutzten die Protagonisten der unaufhaltsamen Völkerfreundschaft ihre Mehrheit auf der "Aktionskonferenz" höchstens dazu, die schlimmsten Offenbarungseide bezüglich ihrer Linie abzuwenden) machen sich die Grünen zum Vorreiter einer zeitgemäßen Selbstkritik der Friedensbewegung: Hat sie sich nicht schon viel zu lange als eine "Anti-Raketenbewegung" verstanden? War die Orientierung auf die Verhinderung der "Nachrüstung" nicht der Fehler, der falsche "Minimalkonsens", der der "Agentur des anderen Blocks, dem Fremdkörper und Fossil des Kalten Krieges in der Friedensbewegung" (Bahro mit Schaum vor dem Mund) das Untertauchen überhaupt erst ermöglicht hat? Ist Frieden in Freiheit nicht die geeignete Parole, die für "qualitative" Friedensliebe, also die nötige Glaubwürdigkeit per "Ausgrenzung" der falschen Fuffziger bürgt?

Die mittlerweile reputierlich gewordenen Basisdemokraten befinden also: Es ist höchste Zeit, daß die deutsche Friedensbewegung um ihrer moralischen Integrität willen diejenigen zum öffentlichen Abschuß freigibt, die sie bisher als ihre nützlichen Idioten mehr oder weniger in ihren Reihen geduldet hat. Schluß mit dem "naiven" Friedensgedusel - echte Friedensliebe heißt heute: Keine gemeinsame Friedenssache mit den Handlangern des äußeren Feindes!

Wozu ein Staatsbesuch des Oberkommandierenden der Freiheit bei seinem treuesten Vasallen nicht alles taugt! Jedenfalls dazu, daß friedensbewegte Untertanen ganz autonom ihren speziellen Beitrag zur Beendigung der Vorkriegszeit abliefern. Natürlich mit dem besten Gewissen, zu dem moralische Mnenschen fähig sind:

"Ich will nicht in eine antikommunistische Ecke gestellt werden. Ich will in eine promenschliche Ecke gestellt werden." (Petra Kelly am 4.4. in Bonn)

P.S.

Noch ein Wort zur "DKP und ihren Subsystemen": Denen ist auch nicht mehr zu helfen! Wo sie aus der großen Friedenseinheit hinausgesäubert werden sollen, kontern sie mit einem trostlosen Appell an die Einheit der Bewegung: Ihr spaltet! Und ausgerechnet das soll ihre grünen und sozialdemokratischen Kontrahenten beeindrucken?? Wo die in aller Deutlichkeit darauf setzen, daß die deutsche Friedensbewegung dann ihre größte Breite hat, wenn sie sich die hiesige antikommunistische Staatsdoktrin zulegt!