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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1982 erschienen.


EDITORIAL

Die vielbeschworene "Weltordnung", deren Erhaltung nach allgemeiner Auskunft das ausschließliche, vornehmste und begrüßenswerteste Anliegen des Westens, insbesondere aber der friedliebenden Bundesrepublik ist, gerät zunehmend "in Gefahr". Jede Woche eine neue "Krise" an irgendeinem Ende der Welt, die nicht mehr im wechselseitigen Einvernehmen oder durch den machtvollen Willen der einen oder anderen Seite beigelegt wird. Längst sind es nicht mehr nur die erklärten Anmaßungen der SU in ihrem Block, bzw. in dessen Vorfeld, die als Dauerbrenner westlicher Rüstungspolitik und -diplomatie herhalten. Polen und erst recht Afghanistan sind im Gegenteil gegenwärtig in die zweite Reihe sowjetischer Bedrohungen und westlicher Aufmerksamkeit zurückversetzt. Längst findet unter öffentlicher Anteilnahme eine blutige Ausrichtung der mittelamerikanischen Staaten auf den aktuellen amerikanischen Freiheitskurs statt, längst wird aus Ostasien erklärtermaßen eine weitere Front europäischen Kalibers mit einem eigenen "Gleichgewicht" gemacht. Und neuerdings wird auch innerwestlich zwischen Verbündeten der USA und Mithütern des weltweiten "Status quo" darum gestritten, wer die Weltordnung wie verändern darf.

Daß sich Krisen dem wohlkalkulierten und mit Drohungen und Gewalt agierenden Willen zur Durchsetzung politischer Ansprüche gegen andere Nationen verdanken und daß die westlichen Nationen sich schon längst die Freiheit herausnehmen, solche Auseinandersetzungen unter sich auszutragen und dabei und daneben dieses "Recht" der Sowjetunion selbst dort zu bestreiten, wo sie es längst nicht mehr anmeldet, geschweige denn wahrnimmt, das könnte eigentlich dem blindesten staatsbürgerlichen Verstand auffallen. Auffallen könnte ihm auch, daß da in getreulicher Abstufung nach Rang und Auftrag im Rahmen der gemeinsamen Strategie die westlichen Mächte erster, zweiter und dritter Ordnung mit allen Mitteln ihrer Gewalt immer unzufriedener sind, von Ägypten über Israel, Argentinien, Großbritannien bis zur Bundesrepublik alle dem amerikanischen Vorbild nationaler Interessenvertretung nacheifern, wenn auch unter sorgfältiger Beachtung ihrer eigenen Möglichkeiten und der amerikanischen Billigung. Unübersehbar, daß mit den Fortschritten der Konfrontationsstrategie gegen den Osten auch die Ansprüche der an ihr beteiligten Global- und Lokalmächte auf Herrschaft in irgendeiner Ober- oder Unterregion eskalieren, daß diese Ansprüche je nach ihrer Bedeutung für die gemeinsame Linie von der Führungsmacht gefördert oder in die Schranken gewiesen werden - und noch in jedem, aber auch wirklich jedem Fall die Sowjetunion als Bedrohung dieser gegen sie mobilisierten Weltordnung ausgemacht wird.

Das alles wird ja auch nicht einfach übersehen. Ganz im Gegenteil! Kein sowjetisches Angebot zur Erhaltung eines "Gleichgewichts", das es für sie längst nicht mehr gibt, an dem nicht die Hinterhältigkeit sowjetischer Aggressionsstrategie entlarvt würde. Keine Ausweitung israelischer Sicherheitsinteressen, an denen nicht ihre Auswirkung auf die Sicherung dieser Region für den Westen debattiert würde. Kein Gemetzel in El Salvador, an dem nicht der sowjetische Einfluß, die berechtigten amerikanischen Sorgen und die besten Mittel zur Konsolidierung des amerikanischen Vorgartens besprochen würde. Keine englische Flottendrohung gegen Argentinien, die nicht zur Äußerung von Verständnis für Großmachtansprüche, für die Abwägung richtiger oder "unvernünftiger" Kriegsgründe und für die Besorgnis über die Schwächung der NATO hergenommen würde. Und all das unter strikter Einhaltung des Maßstabs "unserer" Interessen, die eben im einen Falle NATO, im andern Falle deutsch-israelische und deutsch-arabische Freundschaft, Beziehungen und Geschäfte, im dritten Fall Respekt vor dem amerikanischen Dilemma vor seiner Haustür, im vierten Fall europäische Solidarität und deutsche Zurückhaltung heißen, weil die Falklands nicht Helgoland sind. Was gegenwärtig an "objektiver Berichterstattung" aus aller Herren Länder läuft, das verschweigt nichts, das hat sich vielmehr all die Maßstäbe zueigen gemacht, mit denen jede Eskalation der Gewalt noch zum Exempel der Schwierigkeiten und Berechtigungen nationaler Politik ausgestaltet werden kann. Wenn alles, was passiert, letztendlich Frontberichterstattung geworden ist, weil nur noch der Geist der Verteidigung nationaler Interessen die Feder führt, dann haben Diskussionen der Schlächtereien in El Salvador unter dem Gesichtspunkt des Erhalts einer Position der Freien Welt den Status einer "realistischen Hintergrundinformation"; dann stehen gespannte Wetten über den ersten feindlichen Kontakt zwischen britischen und argentinischen Schiffen und Bilder von badenden und übenden Soldaten auf Flugzeugträgern für die ernste Sorge um den Erhalt des Friedens; dann ist mit der Wiedergabe der offiziellen Absagen an sowjetische Angebote auch die Bedrohung durch die Sowjetunion nachgwiesen. Dann nimmt man bestenfalls noch mit Palavern über "Krisen", "Schwierigkeiten" und global wachsende "Gefahren" Scheinabstand vom deutschen Standpunkt der Beteiligung oder leistet sich die Pseudodistanz des "realistischen" Spruchs: So geht halt die Weltpolitik, um dann die westlichen Positionen schleunigst wieder zu verstehen, die des Ostens aber ganz und gar nicht.

Auch die Linken nehmen kräftig am Krisengerede, diesem Urargument der Anteilnahme am nationalen Leben, teil allerdings mit viel Bezug auf sich selbst. Sie wollen eine "Utopie" nach der anderen ins Reich der Utopie verweisen, argumentieren für "Realismus", meinen damit die Einstimmung in den blühenden Antikommunismus und das allgemeine Debattieren über die besten Weisen der Friedenssicherung gegen den Osten.

Je offener die politischen Gewalten mit ihren militärischen Mitteln kalkulieren, umso mehr wächst die Übereinstimmung in der Nation mit ihren Anliegen und das Verständnis für ihre Mittel. Deswegen fängt sich Opposition in der Sache außer Gegnerschaft auch von den alternativen Nationalisten den Vorwurf ein: 'Was wollt ihr eigentlich?' Von dem, was an Angeboten von oben und alternativ gehandelt wird, nichts! Daher keine Spur von Optimismus und keinerlei "konstruktive Vorschläge" auf den folgenden 82 Seiten. Aber man täusche sich nicht: Hoffnungslosigkeit ist eine Kampfperspektive! Unseres Wissens die einzige, die diesen Namen verdient!

MSZ-Redaktion