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DEMOKRATISCHE LEKTIONEN BEIM STREIT UM DIE MACHT
Vor dem Regierungswechsel
DEMOKRATISCHE LEKTIONEN BEIM STREIT UM DIE MACHT
Wie wichtig scheint sie zu sein, die Frage, wann die Regierungskoalition zerbricht, ob die Opposition schon bald oder erst im Herbst ans Ruder kommt. Welche Bedeutung suggerieren die Berge von Artikeln, Kommentaren, Interviews, die Stunden in Funk und Fernsehen, die sich mit dem Niedergang der SPD, dem Wechselspiel der FDP und dern Aufschwung der Union befassen. Dabei handelt es sich bloß um den anstehenden Wechsel der parteiischen Figuren der Herrschaft über Land und Leute. Aber das ist ja gerade das Demokratische an der freiheitlichen Politik: Die bundesrepublikanische Herrschaft ist nicht im geringsten in Frage gestellt - durch die Unannehmlichkeiten einer Politik in Vorkriegszeiten schon gar nicht.
Die Politiker sind sich des Fleißes und Gehorsams ihrer Untertanen sicher, sie widmen sich frei ihren Staatsgeschäften, bescheren den Bürgern schwere Zeiten und bereiten sie auf noch schwerere vor. Damit und daneben streiten sie um den Machtwechsel bzw. um den Machterhalt. Die gesamte Bonner Szene und die Öffentlichkeit mit ihren staatsfrommen Medien beschäftigen sich mit diesem Thema. Sie praktizieren, beobachten, kommentieren die Methoden, die Parteien pflegen, und demonstrieren, registrieren und deuten den Erfolg, der dabei wirklich oder vorgestellt erzielt wird. - Was der gemeine Bürger damit zu tun hat?!
I. Lektion: Vom Absolutheitsanspruch der Politiker
Was soll man davon halten, wenn allenthalben entdeckt wird, die Koalition sei "innerlich zerrissen", das Regierungslager "zerklüftet", die SPD "rede durcheinander" und zeige ein "trauriges Bild"; die FDP laviere nach vorn und nach hinten, die Regierung "zerbrösele" - "Koalition tot"? Soll man diese begriffslosen Attribute, deren Bildhaftigkeit genauso auf die Alpen oder 1860 passen würde und die nichts von dem enthalten, was die Regierung dem Volk an Segnungen angedeihen läßt, ernst nehmen? Vorsicht, dann ist man nämlich genau da, wo Öffentlichkeit und Politik einen hinhaben wollen. Dann landet man unweigerlich bei dem Urteil, auf das sich die ganzen dummen Kommentare zusammenziehen: Die Regierung hat abgewirtschaftet. Wenn man auf der Seite der Sozialliberalen stehen möchte oder für Schmidt sein will, findet man die Entschuldigungen, die nicht weniger bodenlos sind. Der Kanzler bringt sie schon selbst vor, wenn er - im Parlament - um sein Vertrauen wirbt:
"Es besteht kein Zweifel, daß wir nach außen wie nach innen es mit einer politisch zerklüfteten Wegstrecke zu tun haben. Die tiefreichenden Verwerfungen des Systems der weltwirtschaftlichen Beziehungen haben ihre Spuren auch bei uns hinterlassen... Die Bundesregierung steht vor den gleichen Herausforderungen. Sie will sich diesen Herausforderungen nicht entziehen. Parallel zu den wirtschaftspolitischen Verwerfungen in der Welt unterliegen die internationalen Beziehungen besonders im West-Ost-Verhältnis gegenwärtig harten Belastungsproben."
Eigentlich können sie nichts dafür, der Kanzler und seine Regierung, für das, was sie anordnen und in der Welt anrichten. Das ominöse Subjekt "System" weltwirtschaftlicher und internationaler Beziehungen soll es den Politikern so schwer machen. Aber diese Lüge läßt sich positiv wenden: Wer eine Herausforderung annimmt, der drückt sich nicht vor der Verantwortung, der will über die vorgestellte Ohnmacht gegenüber angeblich aus der Welt erwachsenden Schwierigkeiten seine Fähigkeit und Mächtigkeit beweisen: Er und seine Partei sind genau die Richtigen. Leute, deren Beruf es ist, Macht auszuüben, begegnen dem Vorwurf der Regierungsunfähigkeit einfach mit dem Gegenteil, der gradlinigen Entschlossenheit, ordentlich zu regieren. Das soll Vertrauen schaffen:
"Ich bitte um Vertrauen. Ich bitte um Vertrauen in meine außen- und innenpolitische Stetigkeit und Verläßlichkeit. Ich bitte um Vertrauen für die von den Fraktionen der Sozialdemokraten und Freien Demokraten gemeinsam getragene Bundesregierung. Bitte zeigen Sie, daß wir auch in rauhem Wetter nicht daran denken zu schwanken, sondern daß wir ähnlich einer Kompaßnadel - gleich von welchem Orte aus - unverrückbar dem gleichen gemeinsamen Ziel zustreben." (Schmidt)
Das Vertrauen ist dann hergestellt, wenn alle Abgeordneten der Koalitionsparteien dafür sind, daß das Interesse der Nation weiterhin unverrückbar vom Kanzler verwaltet wird.
Die erste demokratische Lektion, die beim Streit um den Regierungswechsel erteilt wird, ist der Absolutheitsanspruch, den die Politiker für sich reklamieren. Wenn "Regierungsunfähigkeit" und "Regierungsfähigkeit" die Hauptargumente für den Wechsel der Regierung oder gegen ihn sind, dann bleiben die berufenen Politiker ganz unter sich, dann ist klar, daß hier eine Sache behandelt wird, die das gemeine Volk nichts angeht, außer daß es eben für oder gegen den Wechsel votieren soll, mit den Argumenten der Herrschaft, die diese sich aufmacht. Absolut gegenüber den Regierten ist der Streit auch noch in einem anderen Sinne. Der Gegenseite vorzuwerfen, sie regiere schlecht oder überhaupt nicht mehr (wo doch offensichtlich tagtäglich und merklich Politik gemacht wird) oder dagegen zu betonen, wie gut man regiere, das sieht sehr souverän ab von jedem Inhalt der Regierungstätigkeit. Es unterstellt deren Wirkungen für das Volk als selbstverständlich, ja es wirbt sogar mit einer härteren und konsequenteren Gangart für sich, um gegen den politischen Konkurrenten Punkte zu machen. Feine Alternativen sind das! Der eine verspricht den Untertanen ihr solidarisches Opfer, der andere nennt dasselbe gleich Lebensfrage der Nation.
"Aber ich rufe auch jeden einzelnen Bürger im Lande auf. Wir werden uns den Herausforderungen dann gemeinsam gewachsen zeigen, wenn jeder bereit ist, unvermeidliche Einbußen solidarisch im Interesse der Gesamtheit und der Gemeinschaft mitzutragen. Das gilt für Rentner wie für Arbeitnehmer, für Beamte wie für Landwirte." (Schmidt)
"Die Koalition ist nicht mehr in der Lage, in Lebensfragen der Nation zu handeln." (Albrecht)
Das hat also der Bürger damit zu tun und dafür gibt sich her, wer für oder gegen einen Regierungswechsel eintritt.
II. Lektion: Vom Charakter politischer Willensbildung
Nicht das Volk bedarf des Regierungswechsels, mag das auch so verkündet werden. Was soll es auch für die Beherrschten für ein Argument geben, sich die Aufrüstung und die sozialen Opfer dafür lieber von Kohl als von Schmidt aufherrschen zu lassen. Die Leute sind von solbst keineswegs auf die Idee gekommen, daß in Bonn unbedingt neue Köpfe an die Regierung müßten. Dieses Thema kommt von oben. Dort gilt nur ein Argument, die Unbedingtheit der Souveränität. Nicht einmal der Anschein der Illusion kunn da aufkommen, die Alternative läge darin, dem Bürger etwas Gutes zu tun. Selbst ein Unterschied in der politischen Zielsetzung ist in dem Streit nicht zu entdecken. Die Opposition landet den zentralen Vorwurf, die Regierung zeichne sich durch "Nichtstun" aus - sie selbst will also wieder kräftig regieren. Die Opposition spricht von der Unentschlossenheit, der Zerrissenheit der Koalition, von der Uneinheitlichkeit der SPD - die Union will also geschlossen und einheitlich das Zepter führen, mit dem Beifall ihrer ganzen Partei bis zum letzten Mann. Was sind das doch für gute Gründe, eben Gründe der Herrschaft!
Die so angegriffene SPD kontert demonstrativ mit derselben Methode. Weil zu viele in der Partei durcheinander reden würden, soll das aufhören. Entschlossen will man "geschlossenes Handeln" zeigen, sich die Maßnahmen nicht "zerreden lassen" und das "traurige Bild" durch "Uniformität", "positive Signale" und neue Gesichter aufhellen. Vor allem soll das A und O der Sozialdemokratie an der Macht, der Kanzler, deutlich gestärkt werden durch die Parteibasis. Nicht zuletzt ist dafür der erklärte Wille des Kanzlers wichtig, keine Resignation zu zeigen, sondern weitermachen zu wollen - auch nach 1984 -, ebenso wie die Erklärung der Partei, heimlichen Oppositionsgelüsten freiwillig nicht nachgeben zu wollen - wer hätte das gedacht!
"Es wird keinen Zweifel daran geben, daß die SPD durch ihren Parteitag in München... sich nicht selbst aus der Stellung einer Regierungspartei herausbefördern wird. Sie wird dem Bundeskanzler die Unterstützung geben, die er braucht, wenn er sie braucht, für inhaltliche Straffung (?) und - wenn es sein muß - auch für Personelle Auffrischung." (Brandt)
Man beachte die Aussagekraft dieser bedeutungsschweren Sätze! Hier geht es nicht einmal mehr um Taktik. Hier wird als Programm des Parteitags offen die Taktik des Machterhalts proklamiert. Hier verspricht ein Politiker der interessierten Öffentlichkeit, sein Parteileben nur nach dem Kriterium zu beurteilen und zu gestalten, unter dem es bislang schon öffentlich kommentiert worden ist. Unabhängig von einer bestimmten politischen Zielsetzung, mit dem einzigen Ziel, an der Macht zu bleiben, dafür Entschlossenheit und Einigkeit hinter dem Führer zu zeigen; oder eben - sofern man Opposition ist - diese der SPD abzusprechen; so begegnen sich Anwälte der Politik. Als Freidemokrat gehört es sich natürlich, der SPD das schlechte Bild der Regierung in die Schuhe zu schieben, während diese hinwiederum ankündigt, nicht länger der "Packesel der Koalition" sein zu wollen...
Die zweite Lektion über die Dernokratie liegt im Charakter der politischen Willensbildung. Da werden die von der Herrschaft Betroffenen dafür interessiert, lieber die eine oder die andere Partei an der Regierung zu sehen. Nicht weil sie sich davon mehr versprechen sollten, sondern mit dem Kriterium, das im Parteienstreit vorausgesetzt wird: Wer schafft es am besten, seine Partei als die am straffsten organisierte Basis für die Führung darzustellen; wer ist darin am erfolgreichsten, diesen Eindruck zu erwecken. Keine Spur mehr auch nur des Scheins der Einflußnahme der Parteibasis auf die Politik. Was der Bürger braucht, ist "Klarheit" - eine Leitlinie, die dem Eintritt in jede der drei Parteien kaum etwas entgegensetzt. Wie beruhigend, wenn man von Willy Brandt im "Spiegel" erfährt, wo es in der SPD langgehen soll:
"Wir müssen eine größere Anstrengung machen, der Öffentlichkeit, den Wählern zu sagen, wo es langgehen soll."
Das hat der liebe Bürger davon!
III. Lektion. Vom Interesse der Parteiideologie
Wo bleibt die sozialreformerische, entspannunngsliebende Programmatik der SPD, das christlich-konservative Grundschema der CDU/CSU, der Liberalismus mittendrin? Alle Parteien bemühen mit den selbst erfundenen "schweren Zeiten" den Beweis, daß eine Menge an vermeintlichen "Leistungen" an die Bürger nicht mehr möglich sei - sie appellieren an die opferbereite Solidargemeinschaft "aller" und entdecken eine Möglichkeit nach der anderen, die Leistungen der Leute zu steigern, ihre Arnnut zu vergrößern und die kassierten Gelder einer besseren Verwendung zuzuführen. Alle Parteien stehen entschieden zur NATO und zu den USA mit ihren Befehlen und bewerkstelligen die beschlossene Aufrüstung gegen den Hauptfeind im Osten. Alle Parteien halten den leicht durchschaubaren Schein aufrecht, es ginge neben der notwendigen Rüstung zum Zwecke der Abschreckung der Sowjetunion und der Sicherung des Friedens auch noch um Abrüstung - natürlich nur, wenn die Russen ihre Waffen verschrotten. Es ist nicht einmal ein Geheimnis mehr, daß die Parteien keine Alternative anbieten wollen. Doch welche Rolle spielt der ideologische Überbau, das weltanschauliche Image, das den Parteien anhaften soll? Vielleicht hilft da eine Analyse des Parteivorsitzenden der SPD weiter:
"Ich würde eine wirklich schwere Belastung unserer Parteidemokratie darin sehen, wenn der Koalitonskompromiß an die Stelle der Überzeugung träte...
Rein politisch-arithmetisch hat die FDP eine Alternative, die die SPD nicht hat. Das ist wahr. Auf der andcren Seite: Alle Tiere sind gleich, einige sind gleicher als andere, alle Parteien sind gleich, einige sind noch ein bißchen größer als andere. Die, die nicht so groß sind wie andere, müssen sich auch immer fragen, was haben sie noch hinter sich, wenn sie was tun?
Außerdem ist es so, daß man ernsthait der Partei der deutschen Sozialdemokraten nicht drohen kann."
Ach so, es war nur eine Drohung an die FDP, sie könnte noch kleiner werden, und die Sache mit der Überzeugung war ungefähr so gemeint. Wehner oder Brandt - wie man will - sei Dank hat auch der Kanzler Parteispezifisches zu Papier gebracht. Abgesehen davon, daß nach Schmidt das sozialdemokratische Godesberg 1982 "Eine Wende zum Realismus und eine Erneuerung der Solidarität" heißt, also Geschlossenheit der Partei und Kompromißbereitschaft mit dem leider in der Regierung nicht zu übergehenden Koalitionspartner, hat der Kanzler auch noch an alte sozialdemokratische Grundwerte gedacht und ihre Beschmutzung den Konservativen in die Schuhe geschoben.
"Die Sozialdemokratie hat die aus objektiven Schwierigkeiten und konservativer Propaganda herrührende Indoktrination zu Lasten der Interessen der Arbeitnehmer und der Reform der Gesellschaft vermutlich unterschätzt und nicht genügend dagegengehalten, als eine konservative Grundstimmung erzeugt worden ist. Wenn die Partei langfristig erfolgreich sein will, dann muß versucht werden, diesen Trend umzukehren." (Zwischenbilanz)
Was man mit der Sozialdemokratie verbindet - sie hätte es mit der Arbeitnehmerschaft, mit dem Sozialen, den Reformen -, das ist längst zu einer Position geworden, bei der man sich nichts Reales, nicht einmal mehr Ideelles vorstellen darf, zu einer Position, die sich auf: Nicht CDU/CSU, nicht FDP! zusammenkürzt, und dementsprechend für die Bleibe an der Macht eingesetzt wird.
Man will der konservativen Propaganda Paroli bieten, weil Wähler abwandern. Womit? Etwa mit dem Versprechen, das Arbeitslosengeld zu erhöhen, die Steuern der Lohnabhängigen drastisch zu kürzen und die Aufrüstung zugunsten von zivilen Leistungen zu reformieren? Etwa mit dem Willen, den Russen entgegenzukommen und ein wenig auf Distanz zu gehen zu den Amerikanern, damit das Rüsten gebremst werde? Die SPD wetteifert mit der Union um den besten Nationalismus und die beste Freundschaft mit den USA (nur glaubt man ihr das manchmal nicht, weil Eppler, Lafontaine und andere Jusos die Macht der SPD ein wenig anders sichern wollen). Die SPD auferlegt den Bürgern ein Sparprogramm nach dem anderen. So will sie sich als Partei der Arbeitnehnner aufspielen:
"Für die Sozialdemokraten wird es eine politische Existenzfrage, daß das Prinzip 'Gerechtigkeit' in der Regierungspolitik genügend großgeschrieben bleibt.... Aber das Hineinschneiden Punkt für Punkt und das Rangehen an solche Dinge wie die Forderung, die Arbeiter wieder schlechter zu stellen als (!) die Angestellten - das geht nicht mehr mit der SPD." (Brandt)
An gerechten Opfern geht alles, es wird ja praktiziert. Nur soll es nicht so aussehen, als habe sich die SPD das "gemeinsame" Programm - von der FDP "diktieren" lassen. Auch daß die Union die beste deutsch-amerikanische Freundschaft gepachtet haben will, soll anders werden. Dem Vorwurf der Opposition, in Sachen Verteidigung Laschheit zu zeigen, wird schon begegnet, nicht nur mit einem Bundeswehr-Forum der SPD. Die Parteien wetteifern munter um die Erfüllung der höchsten Ziele der Nation: Bündnistreue und Aufrüstung. Die FPD, ja die FDP hat eh kein Problem, ihre liberale Position glaubwürdig zuhalten - sie bleibt in der Mitte und orientiert sich für die Wende an der Partei, mit der sie dann weiterregieren kann. So achtet sie auf die Gefahr, die in der 5%-Klausel liegt.
Lektion Nr. 3 des Parteienstreits um die Macht rückt endgültig den parteipolitischen Idealismus und Wertequark zurecht. Weltanschauungen, bestimmter Parteiideologien bedient man sich unter dem einzigen Gesichtspunkt des Erfolgs im Streit mit dem Gegner, unter zynischer Berücksichtigung von Parteimitgliedern und Wählerschaft. Dabei mag die eine Partei schlechter aussehen als die andere, weil die Ideologie von sozialer Reform und Entspannung heute offensichtlich den allgemein akzeptierten und offiziell verkündeten politischen Notwendigkeiten widerspricht. Wenn die SPD als Reformpartei verspricht, den "Kern" ihrer Sozialpolitik "retten" zu wollen, als Entspannungspartei an deren "Geist" festhalten zu wollen, so kontert die CDU mit dem Trumpf, sie habe mit ihrer Kritik immer schon recht gehabt und die Regierungspartei liefere jetzt mit ihrem Abrücken von "Reform- und Entspannungsillusionen" selbst den Beweis ihrer "Unzuverlässigkeit". Der Bürger hat damit so viel zu tun, als er nicht einmal unbedingt glauben muß, daß es in den Parteien um ideale Ziele geht. Wenn die SPD auf ihrem Parteitag 100 Vorsitzende von Betriebsräten und Personalräten einlädt, reicht das doch, um "sozialdemokratisches Profil zu zeigen". Die Diskussion der CDU mit Jugend genügte doch auch für die Demonstration ihrer Aufgeschlossenheit für die weniger - alte Generation. Im übrigen sind sich alle Parteien einig, daß ein Besuch in den USA und die Demonstration eines guten Verhältnisses zur Bundeswehr immer noch die beste Wahlwerbung sind.
IV. Lektion: Von der Souveränität der Demokratie über das Volk
Der Wähler - schließlich bezieht sich die Methode des Parteienstreits um die Macht irgendwo ganz zuletzt auf den, da er den Erfolg oder Mißerfolg noch demokratisch bestätigen soll - darf nicht nur nach dem Kriterium seiner tatsächlichen oder potentiellen Regierungsmannschaft für oder gegen den Wechsel sein, er wird auch noch als Zahl der Kreuze, die er zu bringen hat, be- und abgehandelt: als Spezies von links über Mitte bis rechts, als kreuzchenmalender Rentner, Arbeitsloser, Jungwähler, weiblich... So ist er als dieser freie Wille, der für die alten oder neuen Köpfe an der Regierung sein Votum abgeben darf, ohne auch nur im geringsten an sich selbst denken zu niüssen, an seinen Nutzen er darf zwischen Figuren unterscheiden, die ihm alle versprechen, die Politik in schweren Zeiten am ordentlichsten zu führen - noch einmal Mittel der kämpfenden Parteien um die Macht im Staate. Er muß sich von Helmut Schmidt vorbuchstabieren lassen und soll das einleuchtend finden: SPD = linke Mitte!
"Politik für Arbeitnehmer wird dann wieder möglich," (Orientierungsrahmen '95?) "wenn es uns gelingt, die politischen Koordinaten der Wählerschaft wieder zurechtzurücken, zur linken Mitte hin zurück. Mit anderen Worten: Wähler der Mitte an uns binden, statt sie nach rechts abdriften zu lassen."
Von Eppler und Gleichgesinnten muß der liebe Wähler der linken Mitte sich sagen lassen, daß seine rechte Mitte nur Erfolg hat, wenn das alternative, grüne linke Spektrum auch gehalten werden kann oder wieder zurückkehrt in eine Partei, die mehr Aussicht auf Regierung bietet. Alles in allem heißt die Botschaft intern und an den intellektuellen arbeitslosen Rentner am Rande des Ruhrgebietes - diesmal wieder aus dem Munde des Kanzlers:
"Wenn wir an dem politischen Ziel festhalten wollen, dieses Land und seine Gesellschaft zu gestalten (!), dann brauchen wir ein positives Bündnis von großer Spannweite."
Potentielle FDP-Wähler sollen wissen, daß nicht eine der beiden großen Parteien zu wählen wahren freien Liberalismus bedeutet; sie dürfen sich obendrein die Willkür leisten, links oder rechts zu wählen, je nach dem Realismus, den Genscher gerade anvisiert. Union-Wähler und solche, die aus irgendeinem saudummen Grund in Niedersachsen zu Hause geblieben sind, können stolz darauf sein, einen Trend in die Welt gesetzt zu haben, für die CDU, gegen die SPD. Ob sie es wollen oder nicht, ob sie vielleicht ganz andere Gründe hatten, so oder so anzukreuzen, die Deutung des Trends zur Union und des Niedergangs der SPD müssen sie sich schon gefallen lassen. Genugtuung bleibt auf jeden Fall für jeden Wähler. Wer zum Trend gehören will, kann sich einbilden, auf der Höhe der Zeit zu sein. Wer immer noch SPD gewählt hat, macht halt nicht jede neue Tour mit und steht zu seinem Standpunkt. FDP-Wähler sind sowieso ausgemachte Füchse, die nicht mit der Masse laufen. Grüne haben erst recht ihre eigene Philosophie und wählen ihren angeblich unbürokratischen Mist auch noch. Idiotisch ist jeder dieser Standaunkte.
Denn die 4. und letzte Lektion, die von Politikern, die nichts im Sinn haben, als das Regieren zu sichern, verabreicht wird, bildet den Höhepunkt demokratischer Souveränität über das geliebte Volk: Zur Kenntnis nehmen, daß in Bonn um den Machtwechsel gestritten wird. Diese ureigene Angelegenheit der Politiker sich zu Herzen nehmen nach dem Kriterium derer, die sie verzapfen, Wählen und das Wahlergebnis schon wieder als Instrument der Parteien behandelt wissen diesen demokratischen Untertanen wollen und brauchen die Konkurrenten um die Staatsführung. Der ist so der nützliche Idiot derer, die gerade seine nächsten "Einbußen" planen.
"Wir vertrauen auf das Urteil der Wähler in Hamburg, Hessen und Bayern." (Kohl)
Der taugt als armseliger Schiedsrichter ohne Pfeife für die Absegnung des Erfolgs im Streit der Parteien darüber, wer für die eindeutigen Perspektiven der 80er Jahre die besten Führerqualitäten vorzuweisen hat. Das ist die Freiheit an der Demokratie. Genau das hat der Bürger davon!
P.S.
Ob die "Troika" der SPD überaltet, z.T. vertrottelt oder nicht mehr ganz beisammen ist; ob Helmut Schmidt oder Antje Huber sich ungeschickt verhalten hat oder die Männergesellschaft im Bundeshaus ihren Rücktritt verursachte; ob die Meldung stimmt: "Die Opposition möchte es wohl, aber kann es nicht" (Zeit); ob Neuwahlen vielleicht doch besser wären trotz "Fahnenflucht" vor dem Wählerauftrag; wessen Handlungsspielraum immer enger wird und ob das Partciensystem eine grün-strukturelle Veränderung erfährt, ob Verheugen oder Geißler eine eigenständigere Position gegenüber ihren Parteivorsitzenden einnehmen als Glotz und Stoiber zusammnen; ob die SPD zu einer 30%o-Partei wird, während sich die CDU/CSU bei 49,5% einpendelt - diese und ähnliche Problenne in der besten Demolkratie, die die BRD je hatte, zu erörtern, möchten wir denen überlassen, die davon etwas haben.