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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1982 erschienen.

Künstler zu Polen
STARREN, STAMMELN, STARKE TÖNE

"Während im äußeren Völkerleben eine Epoche des zivilisatorischen Rückschlages, der Vertragsunwürdigkeit, Gesetzlosigkeit und des Dahinfallens von Treue und Glauben angebrochen zu sein scheint, ist der Geist in ein moralisches Zeitalter eingetreten, will sagen: in ein Zeitalter der Vereinfachung und der hochmutlosen Unterscheidung von Gut und Böse. Das ist seine Art, sich zu rebarbarisieren und zu verjüngen... Wir wagen es wieder, Worte wie Freiheit, Wahrheit und Recht in den Mund zu nehmen; ein Übermaß von Niedertracht hat uns der skeptischen Schüchternheit davor entwöhnt." (Thomas Mann, Kultur und Politik, 1939)

"Polen" ist das Stichwort des Literaten 82 und verwandter Geister: Nicht daß er zu sagen wüßte, was dort eine Regierung mit ihrem Volk anstellt, wenn sie es gewaltsam zu einer Arbeit treibt, von deren Produkten es nichts hat außer der Gewißheit, daß sie für wichtigere staatliche Aufgaben da sind. Nein, denn sonst verfaßte er nicht eine Protestresolution nach der anderen im Namen einer Freiheit, für die sich im übrigen kein Pole etwas kaufen kann, sondern bekäme erst einmal einen Schreck vor seiner eigenen Herrschaft, die in puncto Arbeitszwang der "polnischen Wirtschaft" noch einiges vormacht, und entdeckte dann vielleicht, daß der freie Gebrauch eines "kreditabhängigen" Polen durch die Bundesrepublik der Grund für dessen wirtschaftliche Misere ist. "Polen" steht den Herren vom PEN-Club für ihr barbarisches Weltbild von guter Freiheit und böser Unfreiheit, ganz so wie die staatliche Propaganda (West) es seit Adenauer sagt: freier Westen und freier Geist im Schulterschluß gegen den Osten. Da mögen die deutschen Professoren (wie ihre englischen, französischen etc. Kollegen) nicht abseits stehen. Wissenschaftliche Schulen, Fachbereiche, ganze Universitäten sind von Abscheu ergriffen und beschwören den guten Geist "partnerschaftlicher" Agitation gegen den Kommunismus: Die "polnische Sache" ist "unsere", so wie die deutsche Politik inzwischen tief nach Polen hineinregiert. Hier sind Staatsbürger par excellence am Werk, die sich das weltweite Gewissen ihrer imperialistischen Herrschaft machen und damit nach außen für deren ideologische Begleitmusik, nach innen für sauberes deutsches Denken sorgen. Dabei sind ihnen passende Sprüche wie: "Nun, Volk, steh' auf, und Sturm, brich' los!" durchaus ungeläufig. Sie sind im Unterschied zu solch offenkundiger Kriegstreiberei noch stolz darauf, in eigenständiger Verantwortung einem "Frieden in Freiheit" zu dienen, bei dem ihr ganz persönliches Wort gegen den Osten sichere Gewähr dafür ist, daß die deutsche Regierung ihre ostpolitische Offensive mit völliger Freiheit in Frieden mit ihrer Bevölkerung machen kann. Wie anders als mit demokratischer Kriegshetze ließe sich erklären, daß ein Heinrich Böll die Öffentlichkeit anhält, ihre angebliche "Zurückhaltung" in Sachen "Freiheit und Würde des Menschen" in Polen aufzugeben und auf "Einmischung" zu machen:

"Wir scheuen uns nicht, Einmischung zu praktizieren und um Einmischung zu bitten."

Eine Regierung, die wie die deutsche dies längst in Polen praktiziert, muß sich ihrerseits zwar nicht erst öffentlich bitten lassen, sondern kann "klug" auf ihre verantwortungsvolle Politik verweisen, allerdings ist ihr ein solcher Freibrief gerade recht, denn sie kann nun mit dem kriegsbereiten "Vertrauen der Öffentlichkeit" Politik machen und diesen Konsens mit ihren erwartungsvollen Bürgern gleich noch dem Gegner im Osten hinreiben, der es seinerseits nicht verstehe, "den legitimen Ansprüchen des Volkes entgegenzukommen" (EG-Erklärung zu Polen). Feine Ansprüche der Bevölkerung sind das, für die der deutsche Staat sich seine freien Geister in der Öffentlichkeit bemühen läßt! Doch wozu hat er schon all diese kaum zu unterscheidenden Knittergesichter seiner Böll, Grass, Biermann usw. mit ihrem uniformen Hundeblick, wenn nicht zur Mobilisierung staatsergebener Gesinnungslosigkeit. "Polen" macht heute betroffen, so wie es gestern "Afghanistan" war und morgen irgendein anderes Land sein kann, das der Westen den Russen streitig macht und wofür er die Sympathie seiner kosmopolitischen Bürger in Anspruch nimmt. Und die - nicht faul - teilen prompt mit,

"die Linke habe den Emigrantenprozeß nicht verstanden, habe den Archipel GULag nicht zur Kenntnis genommen, sondern sich in intellektuelle Turnübungen geflüchtet".

Diese hört wie üblich die Signale und ruft von sich aus

"alle Demokraten, vor allem aber die deutsche Linke zum Protest auf gegen das polnische Militärregime!... Jetzt hilft kein diplomatisches Taktieren mehr... Die bisher weithin geübte Zurückhaltung gegenüber der polnischen Militärdiktatur ist durch nichts mehr zu rechtfertigen... Reichen die historischen Erfahrungen in Berlin 1953, Budapest 1956 und Prag 1968 nicht aus? Demokratische Sozialisten und Gewerkschafter dürfen nicht schweigen, wenn irgendwo in der Welt die Freiheit mit Füßen getreten wird - und gerade dann nicht, wenn dies im Namen des Sozialismus geschieht, dessen Ansehen damit geschändet wird", (Fetscher, Flechtheim, Grebing, Vilmar u.a.)

Die geistige Linie ist also klar: Antikommunismus. Doch welch beschwerlicher Weg, "im Namen des Sozialismus" die Freiheit gut zu finden! Aber Wendungen müssen im Dienst der deutschen Sache nun mal sein, was selbst des Sozialismus unverdächtige Literaten wie Grass und Böll umständlich vorexerziert haben. Standen sie nicht vor 2 Jahren erst "zur Verteidigung der Republik" auf ihren Bücherbarrikaden und mandelten sich gegen die "Reaktion" für ihre moralische Integrität auf, die sie in Deutschland für unverzichtbar hielten. Heute dagegen sind sie zwar noch immer verzichtbar, doch das hindert sie nicht mehr, sich mit typisch literarischem Getue der geistigen Aufrüstung des freien Deutschlands anzudienen.

Herr Grass kommt ja aus Danzig und wird wohl wissen, was er meint, wenn er unlängst als seine besondere Qualifikation für verantwortliches Staatsbürgerbewußtsein hervorhob, Schriftsteller hätten die Fähigkeit, längere Zeit "in Abgründe zu blicken". Der Dichter will uns vermutlich damit sagen, daß "Betroffenheit" eine Tugend ist, die von intensivem Starren kommt und hierzulande noch zu wenig verbreitet ist. Auch so kann man zur Avantgarde zeitgenössischer Denker vorstoßen - nur denken darf man sich nichts! Die Propagierung des von der Welt "betroffenen" Denkens ist nämlich das Bekenntnis zur Methode des Irrationalismus, von nichts etwas wissen zu wollen außer von der Gewißheit, daß man die Realität, die die Politik setzt, nur ohnmächtig als Wahnsinn registrieren kann - was moralische Parteinahme nicht nur nicht ausschließt, sondern geradezu herausfordert. Von unseren Literaten wird das - siehe "Polen" - so mustergültig vorgeführt, daß sie heute mehr denn je als vernünftig, da realistisch gelten, wohingegen der Irrationalismus erst bei solchen Exotica wie der öden Sterndeuterei der Elisabeth Teissier beginnen soll.

Unterdessen trägt er sich allseits geachtet in den öffentlichen Auftritten des Herrn Böll vor, der stammelnd gesteht,

"seit dem 13. Dezember sei er einer partiellen Lähmung erlegen, habe es ihm die Sprache verschlagen! ... Ihm fehlten die Worte, aber er weiß, was er sagen will. Empörung über die Machtergreifung der Militärs in Warschau - natürlich, aber mehr als das. Betroffenheit - auch das genüge nicht, Trauer auch, Wut auch. Entsetzen sei das beste Wort, denn was in Polen geschehe, die Verletzung der Menschenrechte, das sei schlimmer als anderswo, weil unvorhergesehener. Was in Polen geschieht, ist entsetzlich."

Da hat Heinrich Böll also wie der "Abgründe" ausspähende Günter Grass am Ende doch noch das erlösende Wort parat, auf das alle, die er für sein Gestammel eigens zur Pressekonferenz gebeten hatte, so sehnlich gewartet hatten - aber welche Botschaft! "Polen" hätte beinahe einen Dichter zum Schweigen gebracht! Schade wäre es um den rheinischen Schmierenkomödianten ja nicht gewesen, aber ein herber Verlust für Deutschland, das eine so demonstrierte Betroffenheit seines Nobelpreisträgers im öffentlichen Interesse nicht missen möchte: Wenn schon dem Sprachgewaltigen die Worte fehlen - entsetzlich, wie das polnische Leid auf "uns" gekommen ist! Also protestieren "wir" gegen die Sprachlosigkeit, die so warmherzig vorgeführt wird, obwohl sie angeblich aus der Kälte kommt. Ganz ohne solche methodischen Verrenkungen und darum mit noch breiterer öffentlicher Wirkung fand der immer schon streitbare Kommunistenhasser Wolf Biermann zu starken Tönen. Leider hatte er sich zur Zeit der polnischen Ereignisse nach Frankreich abgesetzt, so daß ihm in der Pariser Oper zwar Frau Mitterrand und Ministerpräsident Mauroy Beifall spenden konnten, nicht jedoch das von, dem ostblockerfahrenen Vaganten etwas undankbar behandelte, da an und für sich dankbare deutsche Publikum. Schade, denn jetzt wäre die goldene Schallplatte dringewesen. So bleibt es leider bei der forcierten Poesie des Barden, die die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" verdienstvollerweise - wenn auch ohne Schneewalzermelodie - letzte Woche abdruckte:

"13. Dezember

Es war der Schnee, der Schnee, der Schnee

In dieser Nacht fiel Schnee, General

daß einer den anderen töte

Im Neuschnee blüht das Blut so schön

in seiner lebendigen Röte

Wir hättens wissen müssen

In dieser Nacht fiel Schnee, General

Jaruzelski, mit all deiner List

Jetzt schreit der Schnee die Wahrheit aus

daß du ja der Bluthund bist

Sechs Tage Arbeit

Sechs Tage Streik

Sechs Tage Krieg der Klassen

Am siebten Tage

Ruht Gott sich aus

Jetzt kommt die dunkle Schweigezeit

Und kommt das kalte Hassen

Jetzt kommt zum Hunger

Hilflose Wut

Schuld war

der Schnee, nein

Schuld war

die Nacht, nein

Schuld war das schuldlose Blut

Und Gott schlief tief in' Sonntag rein

In dieser Nacht fiel Schnee, General

die Reißzähne starren im Rachen

Du machst für die Russen die Drecksarbeit

und du mußt den Bluthund machen."

Beachtlich immerhin, wie der etwas dunkle Sinn der meisten Zeilen vom Autor in lebhaften Kontrast gesetzt wird zu der aussagekräftigen hellen Röte des Blutes, das zweifellos für "uns" vergossen ward - vielleicht sogar zur Vergebung "unserer" Sünden, doch mit Kanzler Schmidts Hilfe können "wir" es ja nur besser machen.