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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1982 erschienen.

Systematik

Ideologisches
GEWALTAPOSTEL

Die gemütlichen Zeiten kapitalistischer Ideologie sind vorbei. Zeiten, wo ein Adam Smith irdischen Ökonomiesubjekten noch wohlwollend empfahl, nur fest die Sau herauszulassen, würden sie sich doch damit nur noch sicherer im unzerreißbaren Netz der wirtschaftlichen Harmonie und des Wachstums verheddern:

"Jeder einzelne bemüht sich darum, sein Kapital" (Adam meint damit Kapital, Boden und Arbeit) "so einzusetzen, daß es den größten Ertrag erbringt. Im allgemeinen wird er weder bestrebt sein, das öffentliche Wohl zu fördern, noch wird er wissen, inwieweit er es fördert. Er interessiert sich nur für seine eigene Sicherheit und seinen eigenen Gewinn. Und gerade dabei wird er von einer unsichtbaren Hand geleitet, ein Ziel zu fördern, das er von sich aus nicht anstrebt. Indem er seine eigenen Interessea verfolgt, fördert er das Wohl der Gesellschaft häufig wirksamer, als wenn er es direkt beabsichtigt hätte." (Der Reichtum der Nationen, 1776)

Wenn heutzutage die Wirtschaftskommentare ihrem Publikum gegenüber - dessen Einverständnis gewiß, da ja zu den gebildeten Schichten zählend - didaktisch eine drohende Haltung einnehmen, um sie in ihre Elitefunktion einzuweisen, und bis zum Gottserbrechen immer nur den einen Spruch widerkäuen, 'GEMEINNUTZ GEHT VOR EIGENNUTZ', dann handelt es sich dennoch nicht um eine Vergewaltigung Smithschen Gedankengutes. Smiths apologetische Verschönerung des bei ihm zweifellos unterstellten Gegensatzes von eigenem Interesse und "Wohl der Gesellschaft" - wobei Smith über die Rückwirkung eines durchgesetzten "Wohls der Gesellschaft" auf das individuelle Interesse sich nicht weiter ausläßt, immerhin aber schon den (ungewußten) Dienst des einzelnen am Gemeinsamen als bestimmendes Moment angibt - halten Ideologen heutzutage für einigermaßen überflüssig:

"Selbst Verfechter der These, daß man schließlich nicht allein für die Arbeit lebt, müssen sich fragen, wohin so elne Entwicklung führt, sofern sie anhält und sich noch verstärkt. Da wir auf dieser Erde nichts geschenkt bekommen, könnte das, was heute materielle Selbstverständlichkeit ist, morgen schon Mangelware werden. Wenn sich immer mehr Leute, welche die Worte Leistung, Wachstum, Sozialprodukt allenfalls abfällig in den Mund nehmen, alimentieren lassen und sich auf andere verlassen, wenn die Zahl der Aktiven (und schließlich eines Tages Unwilligwerdenden) dahinschmilzt, so kann das nicht gutgehen. Dann würde es wirklich stimmen, daß die Marktwirtschaft von Zeit zu Zeit eine Krise braucht, um die Kräfte zu revitalisieren. Aber das wäre dann nicht sozusagen systemimmanent, sondern aus menschlicher Unzulänglichkeit geboren." (Franz Thoma, Süddeutsche Zeitung, Hervorhebungen im Original)

Die unverhüllte Drohung heißt: Das "System" wird es euch geben. Aber warum? Weil ihr faule Saftsäcke seid. Also ist es gar nicht das "System", das euch eins reinwürgt, sondern ihr selbst mit eurer "menschlichen Unzulänglichkeit".

Umgekehrt: Wenn ihr euch große Mühe gebt, dem "System" gerecht zu werden, dann wird es sich überlegen, ob es seine gegenwärtige "Krise" als Strafe gemeint hat oder nicht. Es hat schon die Vorkriegswirtschaft gebraucht, um dieses "Die Wirtschaft ist alles, du bist nichts" dermaßen offen auf den Tisch zu bringen:

"Die viel entscheidendere Frage ist nämlich, ob der Bürger, namentlich der Heranwachsende, mit den ökonomischen Zielsetzungen des Wachstums überhaupt noch übereinstimmt. (ebd., Hervorhebungen wieder im Original)

...und ihre Vorbilder

Die wahre Gemeinde solcher Angriffe auf "menschliche Unzulänglichkeit" liegt freilich in dem, wie die Macher der "Krise" entweder gar nicht auftauchen oder gar als an ihr Versagende vorgestellt werden:

"Jene Vernunft und jener Leistungswille, von denen der Kanzler gesprochen hat, können erst ihre Kraft entfalten, wenn die Politiker von den Bürgern fordern, was die Krise verlangt. In Schönwetter-Zeiten, bei stetig prosperierender Wirtschaft, ist es ein Leichtes, Bürger für eine freie Ordnung zu begeistern. Nun sind die mageren Jahre an der Reihe. Das ist aber die Zeit, in der Freiheit sich bewähren muß. Das heißt aus der Wohlfahrtsgesellschaft muß die Opfer-Gesellschaft werden. Politiker aber müssen die schweren, gefährlichen Wege weisen. Jene vom Kanzler zu Recht beschworene 'mitmenschliche Gesellschaft der Solidarität' ist nicht nur ein Werk von Übereinstimmung unter Bürgern; sie ist zuerst das Werk der Führungskraft von Politikern in allen Parteien." (Frankfurter AIIgemeine Zeitung)

Nochmal langsam und von hinten. Solidarität tut not, wenn Opfer anstehen. Diese Solidarität ist keine Frage der Übereinstimmung, sondern des Zwangs, den Politiker unbeschadet allen demokratischen Klimbims (nämlich "in allen Parteien") auszuüben haben. Diesen Zwang richtig ausgeübt, triumphiert die Freiheit. Dann nämlich kann sich der Bürger nicht mehr nur von Schönwetter-Zeiten einlullen lassen und auf diese billige Art und Weise zu einer guten Meinung über seine Gesellschaft kommen - dann kann er erst richtig diese "Kraft entfalten", die Kraft zum Aushalten nämlich.

Zwar sind wir jetzt schon ein Stückchen näher an den Subjekten der "Krise" dran, denn immerhin tauchen die Politiker als zwangsmäßige Durchsetzer auf, aber immer noch sind sie erstens nur ausführende Organe eines übergeordneten Mechanismus und zweitens auch nur perspektivisch, zur Zeit also noch nicht. Was den gekonnten Schluß aufdrängt, daß die "Krise" in dem Moment schon bewältigt wäre, wenn die Politiker sie erst einmal richtig durchsetzen würden. Was Wunder, daß

"sich die wissenschaftlichen und politischen Autoritäten außerstande sehen, eine sofortige Verbesserung der Arbeitsmarktlage in den Monaten nach den Lohnabschlüssen" (die Bourgeoisie ist sich da bombensicher, daß sie ein Rekordtief erreichen werden) "versprechen zu können. Grund: Die Ausgangslage der Wirtschaft ist so verfahren, daß selbst nach der notwendigen Verteilungskorrektur zugunsten der Unternehmen die Arbeitslosenzahlen vorerst weiter steigen werden." (Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft)

Nochmal langsam und von hinten. Die "wissenschaftlichen und politischen Autoritäten" haben nicht den geringsten Zweifel, daß die Arbeitslosenzahlen weiter steigen werden. Sie wissen weiterhin genau, daß die Klassen bei uns nicht nur existieren, sondern daß das Wohl der einen Klasse entschieden gefördert werden muß, ohne daß dabei der anderen irgendein Versprechen gemacht werden kann. Ihre politische und wissenschaftliche Autorität soll also dafür dienen, den Unternehmern höhere Gewinne zu verschaffen, wobei noch mehr Arbeitslose anfallen werden. Na klar, da sehen sie sich außerstande, eine sofortige Verbesserung der Arbeitsmarktlage versprechen zu können.

Ganz indirekt kommt aber auch ein Zipfelchen Wahrheit vor, wenn nämlich selbst das uralte Dogma von den Gewinnen die Arbeitsplätze schaffen, nicht mehr gelten soll "Grund: Die Ausgangslage der Wirtschaft ist so verfahren". Das ist zwar Quatsch, aber der ideologische Übergang, der "die Wirtschaft" nicht einmal mehr vom Kapital heilen lassen will, macht deutlich, daß hier von Burschen die Rede ist, denen es nicht mehr ums simple Geschäftemachen geht.

Diesen Übergang zu machen, ist für so einen Ideologie-Fatzke keine schwierige Sache: Er muß ja nur seinen alltäglichen Tintenrausch über die das "Wohl der Gesellschaft" befördernde Zerstörung der Arbeitskraft in den Fabriken in die etwas größere Dimension der Zerstörung menschlichen Lebens für das "Wohl der Freiheit" übertragen. Ob sich dabei allerdings auf Dauer das Postulat, dies müsse auch dem Gewinn zugutekommen, aufrecht erhalten läßt, darf bezweifelt werden. Für dieses Postulat ist keine Konstruktion zu brutal:

"Im 19., auch noch im 20. Jahrhundert hat man diese strukturelle Arbeitslosigkeit als Folge einer Übervölkerung durch Auswanderung und Kriege 'gelöst', um es einmal drastisch, aber blasphemisch auszudrücken. Der Massenwohlstand, der nach 1945 einsetzte, war eine Folge von 20 Millionen Toten, von Zerstörungen apokalyptischen Ausmaßes und von einer gleichzeitig einsetzenden Innovation nie erlebten Umfangs. Man denke nur an die Kunststoffe, die Unterhaltungselektronik Fernsehen -, die Motorisierung, den Einsatz von Maschinen in den Fabriken und Haushalten." (Ernst Berens in der Süddeutschen Zeitung)

Die "blasphemische" Aussage hat sich da schon bis zu der "Einsicht" vorgearbeitet, daß für den Gewinn das Gewinnemachen zeitweilig ausgesetzt werden muß - damit er dann um so schöner blühe. Da ist es nicht verwunderlich, daß der Faschismus immer unverhüllter als großartiger Versuch zur Weckung der "gemeinnützigen" Volkskräfte mit der Absicht eines gigantischen nationalen Aufschwungs anerkannt wird. Bis auf den kleinen Unterschied, daß Adolf dem Gewinn eine staatsdienende Funktion zugewiesen hat, stimmt's ja auch. Solange dieser kleine Unterschied noch besteht, gilt auch noch die verdammende Kritik, daß der Nationalsozialismus alles gut gemeint, dann aber verpatzt habe:

"Arbeitslosigkeit muß nicht sein, sie ist in der Wohlstandspesellschaft hausgemacht. Sie könnte wenigstens auf ein erträgliches Maß zurückgeführt werden, wenn wieder das alte, von den Nazis so mißbrauchte Wort Geltung erlangt, daß Gemeinnutz vor Eigennutz gehen muß." (ebd.)

Trotzdem, in einem hat Adolf auf jeden Fall recht:

"Immer vermögen die materiellen Interessen der Menschen so lange am besten zu gedeihen, als sie im Schatten heldischer Tugenden bleiben; sowie sie aber in den ersten Kreis des Daseins zu treten versuchen, zerstören sie sich die Voraussetzung zum eigenen Bestand." (Adolf Hitler, Mein Kampf)