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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1982 erschienen.

Systematik

Polen-Hilfe
DIE FREIHEIT PÄCKCHENWEISE

Was hat das kleine Polenmädchen wohl in seinem Care-Paket? Eine unbeantwortbare Frage?

Keineswegs, denn auf die paar Gramm mehr oder weniger Margarine, Spekulatius, Mettwurst oder sonstiges Zeug kommt es in dem Fall eh nicht an. Obwohl materielle Hilfe gerade für die Polen so segensreich sein soll, hat nämlich der Westen unter lebhafter Beteiligung unserer Regierung, Parteien, Gewerkschaften, Kirche, Presse, etc. befunden, daß die offizielle Polenhilfe eingestellt gehört. Man will nicht, wie es der Internationale Gewerkschaftsbund ausgedrückt hat,

"daß sich die Militärregierung als Helfer in der polnischen Versorgungskrise darstellen kann".

Vielmehr muß die Notlage der Polen andauern, weil das ihrer Regierung, die sie nicht versorgen kann, ganz unhumanitär signalisiert, daß sie den westlichen Ländern politisches Wohlverhalten schuldet.

Damit läßt sich der polnischen Bevölkerung zugleich die "Freude schenken" (Kardinal Ratzinger), daß "wir" von ihrer Herrschaft nichts halten. Das macht nicht satt, aber gibt der Unzufriedenheit der Polen die alles entscheidende Richtung auf Dankbarkeit fürs "Verständnis", das "unser" System für sie hat. Auf solche ideelle Hilfe kommt's an, weshalb es den ehrenwerten Helfern im Prinzip egal ist, ob überhaupt noch Pakete nach drüben gehen:

"Kommt es jetzt nicht auf 'Resolutionen und Deklarationen' an, sondern bloß auf 'konkrete Hilfe'? Gibt es wirklich nicht Fälle, in denen richtig gesagte Worte entscheidend sind und der Mangel an solchen Worten eine politische und moralische Todsünde bedeutet:" (FAZ, 30.12.81)

Da tun es allemal schlecht verpackte Protestbriefe von Hochschulvorständen, Schriftstellern und sonstigen öffentlichen Personen, "kommunistische Unterdrückung" für "die ungerechte Behandlung des polnischen Volkes" (5 prominente französisches Oppositionelle) verantwortlich zu machen. So billig will man es sich in der Bundesrepublik allerdings nicht mehr machen: Früher hatten - sogar portofrei - auch nur Gedenkkerzen für die "Brüder und Schwestern im anderen Teil Deutschlands "hinter den "Eisernen Vorhang" gestrahlt; jetzt dürfen's schon viele, viele Päckchen sein, die den guten antikommunistischen Willen der Deutschen beweisen,

"soweit über humanitäre Hilfe der einzelnen hinaus Ablehnung der Diktatur in Polen in die politischen Urteile einfließt". (FAZ, 29.12.81)

Bei soviel an die Polen adressierter Freiheit können ein paar miteingepackte Kekse nicht nur nicht schaden, im Gegenteil - mit jedem einzelnen knabbert das Polenkind den echten Wert der garantiert sowjetfeindlichen Position des Westens in sich hinein. Entsprechend

"zurückzuweisen sind Belehrungen, wenn sie von der einen Seite kommen, die sich bislang nicht gerade durch Gradlinigkeit ausgezeichnet hat. Der Krieg in Afghanistan hat z.B. Frankreich nicht veranlaßt, den Moskauer Spielen fern zu bleiben. Seit in Paris die Sozialisten regieren, scheint man die Nation wiederzuentdecken... Der Hilfe aus der Bundesrepublik für Polen steht wenig Vergleichbares gegenüber." (ibid.)

In diesem Sinne ist der deutsche Paketdienst selbstverständlich weit mehr als geschnürte Kartons an demokratischem Westgebäck, Marzipan-Genschern und Berliner Luft zu fassen vermögen: Es ist keine Summe freiheitlicher Einzelgaben, sondern verläßlich politisch organisiert von Spendern, die als größte Wohltat ihren Adressaten die Gewißheit bescheren, daß das Ideal (West) die "Ablehnung der Diktatur in Polen" "von der Bonner Politik kundgetan und in Handlung umgesetzt wird" (ibid.).

Wie beruhigend ist doch da die Bekundung "unseres" obersten Polenhelfers, die sofortige Aufhebung des Kriegsrechts in Polen mit der zarten Verlockung zu "erbitten", hinterher gebe es Wirtschaftshilfe - als ob die nicht längst den polnischen Staat zu einem willfährigen Schuldner degradiert hätte, der seine Proleten zum Erwirtschaften der fälligen Zinsen abgestellt hat, weil er ohne die westliche Erpressung nicht existieren kann und will.

Wo jedes Polenpaket den Segen deutscher Politik demonstriert, bleibt als einziges Problem übrig, ob nicht andere Sendungen, die nach Polen unterwegs sind und nicht "unserem" Zweck genügen, mit den "unsrigen" zu verwechseln sind. Leider schickte die DDR nämlich mal eben "Fleisch für 300 Millionen Mark" (Süddeutsche Zeitung, 21.12.81). Ist das nun als unfreies Geschenk kenntlich oder nicht? Gottlob ja!

"Denn allmählich wurde es den DDR-Bürgern peinlich, daß aus der Bundesrepublik, aus den Niederlanden und anderen westeuropäischen Staaten seit Wochen Hilfspakete nach Polen unterwegs sind, aber nicht aus ihrem Land. So ist überall zwischen Elbe und Oder eine Art Nachholbedarf entstanden, die die Bereitschaft zu Spenden und Freude am Schenken geweckt und belebt hat." (ibid.)

Entsprechend gewollt sieht das aus beim Packen:

"Die kleine Kerstin aus Ostberlin trennt sich von ihrer Lieblingspuppe. 'Es ist ja bald Weihnachten, da wollen wir den Kindern in Polen doch helfen', begründet sie ihren Entschluß vor Mikrophon und Kamera des Fernsehens der DDR und verschenkte die Puppe an ein unbekanntes Mädchen... Die Päckchen-Kampagne lief wie am Schnürchen ab, ... Was wie ein spontaner Entschluß klingen sollte, war generalstabsmäßig vorbereitet." (ibid.)

Und das wird man doch einem Päckchen noch ansehen können, ob es "spontan " oder "generalstabsmäßig" verschickt worden ist. Oder? Zur Verdeutlichung nur ein Photo:

(Abb. siehe GIF-Datei in diesem Brett. Anm. MG_ARCHIV)

Deutschland (West) oder - (Ost)? Das ist entscheidend, wegen der Unfreiheit, die sonst unerkannt ein- und von der 14jährigen Posener Schülerin Antonia ausgepackt wird. Andererseits macht der ostzonale Schinken aus Sachsen relativ wenig, weil er seine kommunistische Herkunft nicht schmecken läßt und insofern ideologisch problemlos konsumiert werden kann. Gleichwohl sollte unbedingt kontrolliert werden, ob nicht irgendwa die Aufschrift "Pozdrowienicaz Berlina, stolica NRD" zu entdecken ist, weil das dem Geschenk der Freiheit abträglich wäre.