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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1982 erschienen.

Systematik

Fortschritte in der Ausländerpolitik
DEMOKRATISCHE SÄUBERUNG VON NUTZLOSEN AUSLÄNDERN

"Ein Wort möchte ich auch an unsere ausländischen Mitbürger hier bei uns im Lande richten.

Wir danken ihnen für das, was sie leisten. Wir bitten sie aber (!) auch um Verständnis dafür, daß wir unsere Grenzen nicht unbeschränkt (!) für weiteren Zuzug öffnen können. Unsere deutschen Mitbürger bitte ich, den bei uns lebenden Ausländern gegenüber aufgeschlossen und hilfsbereit zu begegnen." (Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten 1981)

Als der Russe Sacharow, wohnhaft in Gorki, jüngst nicht mehr essen mochte, um die demokratische Weltöffentlichkeit gegen das Schicksal seiner Adoptivtochter zu mobilisieren, die nicht nur in Rußland leben mußte, sondern dazu auch noch ohne Ehemann, der in den USA lebt - da hungerte die freie Presse im Geiste mit. Und groß war die Freude vom Rhein bis zu den Niagarafällen als Lisa Alexejewa ihren Mann dann auf amerikanischem Boden doch noch in die Arme schließen durfte. Das unmenschliche Moskauer Regime hatte dem Menschen Sacharow und der Menschlichkeit schlechthin nachgeben müssen. Das Ideal der Familie, das bei Christenmenschen höchstes Ansehen genießt und Gottes Gebot "Seid fruchtbar und mehret Euch" waren stärker als jede gottlose kommunistische Teufelei.

Handelte es sich um den Türken Mehmed Ali Ülücü, wohnhaft in Berlin (West), Bezirk Kreuzberg, und hätte er sich geweigert, seinen Schafskäse zu essen, um die Einreise seines Schwiegersohnes in die BRD zu erzwingen, hätte er sich des "Mißbrauchs bei der Familienzusammenführung" schuldig gemacht. Und überhaupt gar eine Tochter zu adoptieren, wäre schon glatter "Schmuh" gewesen. Kurzum, der Türke Ü. wäre samt Tochter zum Schwiegersohn in die Türkei abgeschoben worden, wo die Familie dann vereint weitergehungert hätte. Das ist Freiheit, die sich ein freies Land bei der Familienzusammenführung herausnimmt, und auf die demokratische Politiker stolz sind.

Ausländer = Nicht-Deutscher

Anerkannt zu sein, hat ja demokratische Freiheit für Ausländer noch nie geheißen. Das zeigt schon die rechtliche Normierung ihres Status unter starker Betonung ihrer Vorsilbe: Die Menschen würde zu achten, heißt für unseren lieben Staat nämlich erst einmal zu unterscheiden, ob man sein Untertan ist oder nicht. Wenn nicht, kommt es sehr darauf an, ob man sich überhaupt in der BRD aufhalten darf, geschweige denn irgendetwas weiteres. Dessen hat man sich nämlich würdig zu erweisen. Daß Ausländer 'Scheiß-Ausländer' sind, ist also ein Volksurteil, dem die staatliche Praxis nur insofern nach- bzw. vorsteht, als sie die Rechtskriterien festlegt, handhabt und genau überprüft, die ihnen hierzulande eine Existenz als Bürger zweiter Klasse gestatten, in denen damit zugleich aber auch ihr prinzipielles Mißtrauen gegen Ausländer geltend gemacht ist.

Der Maßstab für diese Festlegung ist freilich nur scheinbar identisch mit dem des Volksurteils über die "Volksfremden". Gilt es letzterem als auch durch die dem einzelnen bekannten individuellen Gegenbeispiele schlechthin nicht widerlegbare Selbstverständlichkeit, daß Ausländer sich schon allein, weil sie eben Ausländer sind, niemals in gleicher Weise für das nationale Ganze nützlich machen wie der fleißig arbeitende Deutsche, so gestattet sich unser Staat sehr wohl ein differenziertes Urteil darüber, wann er Ausländer als Arbeitskräfte zu schätzen beliebt, und wann er sie als "Scheinasylanten" und sonstige "Schmarotzer" in der sozialen Hängematte betrachten bzw. in ihrem Nachholen der Familienangehörigen aus dem Heimatland ein Unterlaufen seiner arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen sehen möchte.

Und dieses Urteil hat seine solide Fundierung in der jeweils aktuellen Beurteilung des Arbeitsmarktes überhaupt und der kostspieligen "sozialen Leistungen" zur Sicherung eines zweckentsprechenden Angebots auf demselben. Zur Zeit gilt hier die Erkenntnis, daß das gegenwärtige Überangebot von 1,7 Mio. Arbeitslosen eine untragbare Belastung darstellt, der durch Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge, durch Einschränkung der "Leistungsansprüche", durch Verschärfung der Zumutbarkeitsrichtlinien bei der Stellenvermittlung etc. - entgegengewirkt werden muß. Und auch in den übrigen Abteilungen des "sozialen Netzes" führten die veränderten Prioritäten des Staatshaushalts bekanntlich zu ganz neuen Einsichten über die Entbehrlichkeit bzw. überzogenheit von diversen bisherigen Errungenschaften des Sozialstaats wie Kindergeld, Ausbildungsförderung, sowie allerlei Steuer-"vergünstigungen" bei der Lohnsteuer.

Vom Glück, deutscher und Pech, ausländischer Arbeiter zu sein

Für diejenigen Angehörigen der Arbeiterklasse, die als Ausländer von vornherein einen zweitrangigen Rechtsstatus erhalten haben, mit dem sich der Staat immer schon eine ganze Palette von Handlungsfreiheiten gesichert hat, die er sich so gegenüber den eigenen Staatsbürgern nicht einräumt, fallen die Konsequenzen des neuen arbeitsmarktund sozialpolitischen Kurses freilich noch um einiges härter aus. Ventilieren Politik und Öffentlichkeit die für die deutsche Bevölkerung aus der staatlichen Sanierungspolitik erwachsenen Folgen als "Probleme der Jugendlichen, der kinderreichen Familien, der Arbeitslosen" etc. als Wohnungsnot Drogenproblematik, Kriminalität, so kürzt sich das alles, soweit Ausländer die Betroffenen sind, auf die "Ausländerproblematik", auf eine Sammlung von Belegen für die "gescheiterte Integrationspolitik" zusammen. War nach Verhängung des Anwerbestops für Gastarbeiter 1973 das den bereits im Lande Befindlichen unter allerlei Auflagen und Einschränkungen gewährte Recht, ihre Familie nachkommen zu lassen, als Beitrag zur "Integration" derer verkündet worden, die länger hiertleiben wollten, so ist jetzt, da der Arbeitsmarkt die Familienangehörigen nicht mehr recht integrieren will, ihr Familiensinn angesichts ihrer damit offenkundigen "mangelnden Integrationswilligkeit" ein zu unterbindender Mißbrauch dieses Rechts.

Im flexiblen Rahmen des deutschen Föderalismus ist da inzwischen von Hamburg und Westberlin bis Bayern einiges geschehen: Herabsetzung des Alters, ab dem Kinder ausländischer Arbeiter nicht mehr aus dem Ausland nachkommen dürfen, von 18 auf 16 Jahre, Maßnahmen gegen "Scheinehen" von Ausländern (und welche neue Ehe eines Gastarbeiters ist unter den heutigen Verhältnissen nicht eine Scheinehe!): Der Ehepartner darf erst frühestens ein Jahr nach Eheschließung nachkommen und auch nur bei mindestens achtjährigem Aufenthalt des Antragstellers in der BRD. In Berlin wartet der Vorschlag von Senator Lummer derweil auf seine Inkraftsetzung, ausländische Jugendliche, die mit 18 keinen Arbeits- oder Ausbildungsplatz vorweisen können, ohne viel Federlesens bzw. familiäre Rücksichtnahme in die "Heimat" abzuschieben. In Bayern gewinnt angesichts des Nicht-Vorhandenseins von für Arbeiter überhaupt bezahlbaren Wohnungen die bereits seit einigen Jahren geltende Bedingung, daß für die Genehmigung des Familiennachzugs zu nächst "das Vorhandensein ausreichenden und ordnungsgemäßen Wohnraums" nachzuweisen ist, ganz neue Durchschlagskraft. Auch so läßt sich das Recht auf angemessene Wohnverhältnisse für Familien durchsetzen, das ansonsten im sozialen Wohnungsbau für die deutschen Proleten durch Anhebung der Mieten und Rückkehr zum Billigstandard der goldenen Nachkriegsjahre verwirklicht wird.

Daß sich im übrigen auch der "Mißbrauch des Asylrechts" durch Leute aufhören muß, die einfach nur aus unerträglichen Lebensbedingungen in die erträglicheren der BRD flüchten, statt wenigstens aus der Unterdrückung durch den Hauptfeind, den "unmenschlichen Weltkommunismus" in die Freiheit des Westens entkommen zu sein, versteht sich inzwischen von selbst und bereitet keiner Behörde, keinem Gericht mehr juristische Kopfschmerzen. Wie überhaupt das deutsche Asyl- und Ausländerrecht, bekanntlich "eines der liberalsten der Welt", derzeit praktisch jeden Spielraum gewährt, das sozial- und wirtschaftspolitisch Nötige durchzusetzen, ohne daß irgendeine Gesetzesänderung erforderlich gewesen wäre.

Der ausländische Arbeiter und seine deutsche Gewerkschaft

Daß es sich dabei eben nur um eine Sonderabteilung der derzeit gegen die Arbeiter laufenden wirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen handelt, diese Tatsache kratzt dank der Ausländerfeindlichkeit des deutschen Arbeiters, mit der der Staat zur Abwechslung einmal ganz unbefangen positiv kalkuliert, derzeit niemanden, am wenigsten die Organisationen der deutschen und ausländischen Arbeiter, die Gewerkschaften.

Für den DGB ist sowieso alles akzeptiert, was der Staat augenblicklich zur "Entspannung der Lage am Arbeitsmarkt" veranstaltet, soweit man dazu konsultiert wurde. Und die "Ausländerproblematik" wurde von ihm schon seit langem vorrangig unter dem Aspekt der "sozialen Zeitbombe" gesehen, zu deren Entschärfung man u.a. seine Delegationen in die Herkunftsländer der Gastarbeiter schickte, mit dem guten Rat, doch mal die eigene Wirtschaft auf Trab zu bringen statt seine Arbeiter zu exportieren. (Durch welche segensreichen Wirtschaftsbeziehungen die Ökonomie dieser Länder so ruiniert wurde, daß die eigene Bevölkerung daheim kein Auskommen mehr hat, interessiert diesen Gewerkschaftsflügel des BRD-Imperialismus nun wirklich nicht.)

Die IG Metall, als diejenige Einzelgewerkschaft, in der die Mehrzahl der gewerkschaftlich organisierten ausländischen Arbeiter Mitglied ist, mit nicht unbeträchtlichem Anteil an ihrer Gesamtmitgliedschaft (ca. 15%), ist diesen Mitgliedern natürlich etwas schuldig, weicht dabei aber auch kein Jota vom nationalen Gewerkschaftsstandpunkt ab.

Wo dieser in der ziemlich bedingungslosen Unterstützung der staatlichen Krisenbewältigung und ihrer Konsequenzen für deutsche wie ausländische Arbeiter besteht, entdeckt die IG Metall, soweit sie sich öffentlich über die verschärfte Ausländerdiskriminierung empört, darin nicht die durch zweckmäßige Anwendung des Ausländerrechts ausgetragene besondere Konsequenz der nationalen Wirtschaftspolitik für die ausländischen Arbeiter. Sondern sie wittert hier eine undemokratische (weil nur von Behörden - in Anwendung des demokratischen Rechts - vollzogene) Entwicklung, die sie entrüstet als Absage an die bisherige Integrationspolitik denunziert - was sie in der Tat natürlich auch ist.

So folgenlos diese Empörung bleibt, können sich die ausländischen Arbeiter, wenn sie wollen, wenigstens in ihrer Gewerkschaft repräsentiert fühlen als der Instanz, die - zumindest ihnen gegenüber - als einzige noch die Ideale der bundesdeutschen Ausländerpolitik hochhält; auch wenn das für sie allenfalls eine schöne Erinnerung als Rückkehrer an die "starke deutsche Gewerkschaft" wert ist.