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Volksrepublik China
CHINESISCHE DIPLOMATIE DER 80ER JAHRE: HAUPTTENDENZ OPPORTUNISMUS
Vorbei sind die herrlichen Zeiten, als von China aus die Welt so aussah: "Der US-Imperialismus hat seine Hände zu weit ausgestreckt. Wo immer er eine Aggression begeht, legt er sich eine weitere Schlinge um den Hals. Er ist bereits durch die Völker der Welt mehrfach eingekreist." Vorbei ist es mit den blumigen Prognosen über den Zusammenbruch des Imperialismus, "räuberischer Bluthund" und "Papiertiger" in einem, mit der klaren Analyse der Weltlage, die lautete: "Der Ostwind ist stärker als der Westwind" - und die berückende Diagnose des Lagers, dem sich führende Chinesen einmal zurechneten - "Die sozialistische Sowjetunion kennt keine Krisen, sie ist im Aufstieg begriffen, ihr gilt die Liebe der breiten Volksmassen in der ganzen Welt" -, hat längst ganz anderen Tönen Platz gemacht. Nicht einmal die zwischenzeitliche Kursbestimmung, nach der die Völker der Welt einerseits mit zwei Hauptfeinden zu rechnen hatten - der US-Imperialismus steckte mit dem Sozialimperialismus der Sowjetunion unter einer Decke -, andererseits an der "Rivalität um Einflußsphären" immer klarer erkannten, wohin die Reise geht, gilt heute für die chinesische Außenpolitik noch.
Die VR China hat viel dazugelernt in Sachen weltpolitischer Sortierung von Freund und Feind, und das nicht nur in bezug auf die diplomatischen "Spielregeln", sondern auch im Hinblick auf den zweckmäßigsten Weg, sich als Nation in einer gar nicht freundlich gesonnenen Staatenwelt zu behaupten.
Heutzutage fällt chinesischen Politikern bei jeder Gelegenheit ein Lob für die Anstrengungen der US-Regierung ein, "sich dem sowjetischen Expansionismus mit einer Verbesserung des militärischen Potentials entgegenzustellen"; und der Vorwurf gegen die Weltmacht Nr. 1, der einst mit Raubtiermetaphern die ökonomische und politische Benützung der "Dritten Welt" durch die USA geiffelte, lautet ganz zivil, die USA "würden die Länder der Dritten Welt nicht als gleichberechtigte Partner behandeln" und "sich oft zu Lasten ihrer eigenen strategischen langfristigen Interessen in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einmischen."
Nationalistische Korrekturen
In allen Wenden und "Kapriolen" chinesischer Außenpolitik, so spektakulär sie für die Weltpolitik vollzogen und von ihr als "neue Linie" zur Kenntnis genommen wurden, ist freilich die Kontinuität der Berechnung nicht zu übersehen. Das Interesse, die einmal eroberte Souveränität dafür zu nutzen, aus China - "dem unbeschriebenen Blatt" - eine reiche und mächtige Nation zu machen, hat sich über drei Jahrzehnte hinweg in den politischen Idealen der Partei formuliert; und die Hindernisse, die der Verwirklichung dieser Ideale im Weg standen, waren für die führer immer wieder Anlaß, ihr Programm zu korrigieren. Was bei diesen "Berichtigungen" herauskam, ist bekannt - die westlichen Staatenlenker und ihre Komnmentatoren kamen in den Genuß, einen wachsenden "Realismus" zu verzeichnen und die Widersprüche zwischen "Ideologie und Pragmatismus" - häufig auf verschiedene Figuren in Peking verteilt - auskalkulieren zu dürfen; und die westeuropäische Linke wurde mit dem Standpunkt der chinesischen Regierung in Form von Theorien der Weltlage vertraut gemacht, in der Gut und Böse aus chinesischer Sicht zu Haupt- und Nebenfeinden sowie -tendenzen aufgeblasen wurden.
Begonnen hat das alles mit dem Glauben an den Sieg des Sozialismus an der Seite der Sowjetunion. Unter ihrer Anleitung und Hilfe erschien der KP Chinas die Verwandlung ihrer armen, aber getreuen Massenbasis in ein - Reichtum schaffendes, von jeglicher Not freies Volk nur eine Frage der Zeit:
"Wie können 600 Millionen Arme aus eigener Kraft - ein reiches und starkes sozialistisches Land schaffen? Der Reichtum der Gesellschaft wird von den Arbeitern, Bauern und den werktätigen Intellektuellen geschaffen. Wenn sie ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen, einer marxistisch-leninistischen Linie folgen und alle Probleme beherzt angehen, statt ihnen auszuweichen, dann gibt es keine Schwierigkeit in der Welt, die sie nicht bewältigen können."
Die Abwicklung der Enttäuschung darüber, daß die gewährten wie vorenthaltenen Dienste der Russen am Aufbau eines starken China nicht die erwartete Wirkung taten, zeugte dann schon recht deutlich davon, daß auch in China zwischen dem Fortschritt der Nation und dem Wohlstand der Massen unterschieden wird. Die Phase der kundigen Ausnutzung des Vertrauens, das die KP und allen voran der gute Mao im Volk hatten, setzte ein; die Innenpolitik bestand in der Mobilisierung der Dankbarkeit fürs Überleben, das die Revolution dem Volk gesichert hatte, und in der Feier der "Schöpferkraft der Massen", die sich nun unbehelligt von wissenschaftlichen Umwegen und Hilfsmitteln (die das imperialistische wie revisionistische Ausland längst einsetzte) betätigen durfte. Das Volk wurde Tag und Nacht mit dem Kompliment beglückt, die Produktivkraft zu sein - und zwar nicht nur von Landwirtschaft und Industrie, sondern gleich auch noch der Geschichte sowie des Untergangs, den es dem Imperialismus wie dem Sozialimperialismus zu bereiten galt. Die Doktrin in Sachen Weltlage lautete alsbald, daß China im Sozialimperialismus der SU ein zweiter, wenn nicht gar der nunmehr erste Hauptfeind erwachsen sei; die positive Perspektive hieß nun: China ganz aus eigener Kraft und gegen den kapitalistischen Weg aufbauen, die Widersprüche der Supermächte ausnützen und sich überall durch ideellen Zuspruch, als leuchtendes Vorbild und durch materielle Zuwendungen Freunde verschaffen, wo nicht schon ein Hauptfeind politische Bande geknüpft hatte. In der Werbung um Befreiungsbewegungen und die aus ihnen entstehenden "unabhängigen Völker" gewöhnlich mit der UdSSR als Konkurrenten konfrontiert, hat die VR China ihre westlichen Verehrer seitdem häufig mit Parteinahmen der sonderbarsten Art überrascht. Nachdem sie den Verfall des Sozialismus in Moskau auf Chruscev datiert hatten, sind die chinesischen Kommunisten zu dem einfachen Brauch übergegangen, jede antisowjetische Regung und Regierung in der Welt prinzipiell zu schätzen, und in der diplomatischen Hofierung manchen Diktators und Fürsten ist es ihnen gelungen, nicht wenige M-L-er im Westen von dem Glauben abzubringen, in China hätte der Kommunismus seine sichere Bastion.
Für andere, nämlich für die Verantwortlichen des freien Westens, ist die Volksrepublik jedoch durch diesen "Realismus" zu einem interessanten Faktor in der großen Politik geworden. Die Spaltung des Ostblocks wurde mit Genugtuung zur Kenntnis genommen und in der UNO etc. schrittweise daraufhin überprüft, was sie als Mittel für diplomatische Manöver taugt. So hat die Erfahrung bereits Mao und nicht erst seine Nachfolger gelehrt, wie sein volkreicher Staat weltpolitisches Gewicht erlangt. Während die "großen Sprünge" der kulturrevolutionären Moral und auch die der anschließend dekretierten Ordnung aus China keinen ökonomischen Riesen gemacht haben, der sich als Geschäftspartner empfehlen könnte; während sein Reichtum, mit dem sich der chinesische Staat auch die militärischen Mittel einer zu beachtenden Souveränität hätte zulegen können, partout nicht zustandekam - im Gegenteil: die "Fehlschläge" wurden offiziell eingestanden -, wirkte der Kurswechsel, die Feindschaft gegenüber Moskau, Wunder!
Damit war der Weg für einen Realismus neuen Typs eröffnet. Das Ideal vom großen China, das man zuvor als Staat mit einem zahlreichen und seiner Regierung wohlgesonnenen Volk in die Tat umzusetzen gedachte, war plötzlich auf ganz andere Weise greifbar nahe gerückt: Die Preisgabe der negativen Haltung zu den Händeln der weltpolitischein Subjekte, das Bemühen; auf den Ausgang sämtlicher Konflikte positiv Einfluß zu nehmen und sich als Partei mit Wort und Tat an ihnen zu beteiligen - dieses Rezept erwies sich als angemessen, China die Rolle in der Weltpolitik zu verschaffen, die es anstrebte. Die Eintrittskarte in den Kreis der Staaten, die bei allem und jedem als Faktor in Betracht gezogen werden, mit dem zu rechnen ist, war erworben. Nicht dadurch, daß die Souveränität des chinesischen Volkes von seinen Führern dazu verwendet worden ist, ihm die Mittel gesicherter Unabhängigkeit und allgemeiner Wohlfahrt zu sichern; umgekehrt, durch den Beschluß, Land und Leute als bedeutsame Manövriermasse der Weltpolitik ins Spiel zu bringen. Mit dem Besuch des Ehepaares Nixon, der flugs als einer des amerikanischen Volkes betrachtet wurde, war für die KP Chinas ihre Rolle im Ost-West-Gegensatz festgeschrieben. Solche Anerkennung konnte doch nur einem Land und Volk zuteil werden, das Bedeutung hat!
So blieb nur noch ein kleiner Haken am neuesten Realismus des nun nach westlicher Auffassung "pragmatisch" regierten China auszumerzen. Um die Gunst der frisch erworbenen Sonderrolle, der Aufmerksamkeit des "imperialistischen Bluthunds" von einst wirklich zu nutzen, bedurfte es mehr als einer neuen "Imperialismustheorie", die per Peking-Rundschau und UNO-Auftritt der Welt und ihren Völkern offeriert wurde. Denn die Bereitschaft, im "Kampf gegen den Hegemonismus der Supermächte" zunächst einmal den der Sowjetunion aufs Korn zu nehmen, stieß zwar in den USA und bei den Besuchern aus West-Europa auf Wohlwollen; der Nachweis der Eignung für die friedenspolitische Offensive war jedoch noch zu liefern. Um in den Kreis der Staaten aufgenommen zu werden, denen aufgrund ihrer Brauchbarkeit auch die Bewältigung ihrer Probleme zugestanden und praktische Zusammenarbeit zuteil wird, bemüht sich die VR China, sich selbst als Partner herzurichten. Und das ist mit dem einen oder anderen Pärchen Bärchen, jenem exquisiten diplomatischen Gastgeschenk und Symbol der Völkerfreundschaft, nicht getan.
Angebot und Nachfrage
Die eingangs erwähnte Kombination von Lob und Tadel für den Kurs der US-Regierung - Offensive gegen die SU in Ordnung, Behandlung der Entwicklungsländer unfair und unklug - kennzeichnet die lichten Höhen, die der "Realismus" der KP Chinas inzwischen erklommen hat. Der Traum von der "dritten Macht" ist ausgeträumt und einer neuen Sicht der Dinge gewichen: Präsident Reagan ist in seinem konsequenten Vorgehen gegen die Russen besser als seine Vorgänger, und er scheint ein Interesse daran zu haben, die Aufrüstung der USA überall, wo es geht, zu forcieren - "also" bietet sich China als Verbündeter an. Den Beweis, wie ernst es den Führern in Peking mit ihrer Gegnerschaft gegen die "neuen Zaren" inzwischen ist, haben sie mit einer "Strafaktion" gegen Vietnam angetreten; die Lücke, die der Umsturz im Iran in das amerikanische Verteidigungssystem gerissen hat, die Besetzung Afghanistans durch die SU haben die chinesische Sorge um die "Einkreisung" (der im übrigen auch Europa ium Opfer fällt!) verstärkt und die freundschaftlichen Beziehungen zu Zia ul-Haq vertieft. Klar, daß die Volksrepublik ihre Diplomatie auf die antisowjetische Einheit der Mittelstaaten Asiens ausrichtet und darauf drängt, von den USA bewaffnet zu werden: Der Partner USA kann sich bedienen und die VR China in seine Strategie einbeziehen - so das Angebot, das die Weltmacht Nr. 1 wahrnimmt, aber selektiv. "Horchposten" waren schnell installiert, China wurde aus der Liste der Länder gestrichen, die keine Waffenlieferungen erhalten. Andererseits behält man sich in Washington die Ausstattung der VR mit den von ihr im Namen eines "strategischen Imperativs" erwünschten Offensiv-Waffen von Fall zu Fall vor. So gerne man es im Pentagon sieht, daß China seine Souveränität parteilich und durch freien Beschluß in den Dienst des Ost-West-Gegensatzes stellt, so umsichtig kalkuliert man die Mittel, die diesem Souverän zur Verfügung gestellt werden.
So sehen sich die Mitglieder des Politbüros auch in der Erwartung enttäuscht, aus den USA Unterstützung in, ihren Wiedervereinigungsbestrebungen mit Taiwan zu bekommen. Für die USA ist nämlich die Brauchbarkeit der VR, "russische Kräfte zu binden", nicht auch schon ein Grund, die erprobte Zuverlässigkeit der antikommunistischen Bastion Taiwan für überflüssig zu halten. Das wissen die Erben von Tschiang-kai-shek auf der Insel auch, so daß sie die theatralischen Aufrufe zur nationalen Einheit, die jüngst aus Anlaß des Todes von Sun-yat-sens Witwe an sie ergangen sind, mit der alten Absage beschieden: keine Verhandlungen mit den "kommunistischen Banditen"! Gegen die Waffenlieferungen an Taipeh dürfen die Rotchinesen dann protestieren...
Gegenüber einer Weltmacht Nr. 1, der man aus Anlaß der wunderschönen Gelegenheit einer konsequent veranstalteten "Verschärfung der Weltlage" die Partnerschaft der eigenen Nation anträgt, sind selbstverständlich häßliche Töne in Sachen Ausbeutung und Knechtung "der Völker" nicht angebracht. Der Anwalt der weltweiten Erhebung gegen den US-Imperialismus und seine Lakaien tritt zwar noch als Fürsprecher der Armen auf, zu denen er sich höchstoffiziell selber rechnet - statt einer Perspektive der "Dritten Macht" verfolgt China jetzt die eines zu entwickelnden Entwicklungslandes -, behandelt aber auch auf diesem Feld die USA nicht mehr umstandslos als Feind, sondern als Adressat und Partner. In Cancun durfte ein Chinese die USA zum Kampf gegen den Sozialimperialismus beglückwünschen, da dieser die Unabhängigkeit der Völker vereitelt - und der faktischen Abhängigkeit der "Dritten Welt" von den USA Rechnung tragen, indem er besagten Kampf ohne die amerikanische Flurbereinigung in den "Dörfern" beantragte. Auch in dieser Angelegenheit kamen Angebot und Nachfrage nicht zur Deckung. Die Berücksichtigung der Bedürfnisse, die von den Staatsmännern der "Entwicklungsländer" angemeldet werden, erscheint den Politikern aus Washington nämlich nicht geboten; als Mittel für die Behauptung des Westens gegenüber der SU schon gar nicht. Genau das aber wollte die neue "Führungsmacht der Dritten Welt" plausibel machen, wofür ihr die Aufklärung zuteil wurde, wie wichtig den USA samt der von ihr beherrschten Weltwirtschaft in gewissen Dingen das Sparen ist. (Vgl. MSZ Nr. 5/1981)
Der Eifer der Volksrepublik China in Sachen "Öffnung" gegenüber dem Westen hat also zwar "konkrete Teilerfolge" erbracht, bleibt aber gefordert. Ein Souverän, der mit seiner Unabhängigkeit seinen eigenen Maßstäben zufolge immer zu kurz kommt; dem die Mittel seines Staates im Innern wie nach außen zu knapp geraten; der deswegen im Konflikt der Weltmächte die Chance erblickt, sich seiner Schwächen zu entledigen - ein solcher Souverän hat auch nur eines z u bieten: die Benutzung seiner Unabhängigkeit. Den Widerspruch, daß diese darüber verloren geht, scheint die VR China ihrem Volk nicht nur auf militärischem Gebiet zumuten zu wollen, wo der Einbau des Landes in die westliche Aufrüstung ganz sicher das von Mao einmal erspekulierte Ergebnis eines Atomkriegs - Chinesen bleiben genug übrig! - vereitelt. Auch auf dem Felde der friedlichen, weil wirtschaftlichen Zusammenarbeit ist die KP Chinas bereit, einzusteigen.