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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1982 erschienen.

Konjunkturtheorie
DER BIORHYTHMUS DES KAPITALS

Als sie anfing, bemühte sich die ökonomische Wissenschaft um die Erfindung von Argumenten, die schon die bloße Möglichkeit von Krisen für die kapitalistische Produktionsweise ausschließen sollten. Heutzutage verwenden Ökonomen viel Schweiß darauf, ganz im Gegenteil Modelle für den Konjunkturzyklus auszudenken. Der aufmerksame Leser wird bemerken, daß in dieser 'Geschichte der Volkswirtschaftslehre in zwei Sätzen' eine Lücke klafft, die durch Karl Marx auszufüllen wäre. Was der mit seinen Vorgängern zu tun hat, kann man bei ihm nachlesen. Wieso seine Nachfolger ihm alles verdanken, obwohl er ihnen bekanntlich nichts gegeben hat, steht in der demnächst erscheinenden Broschüre: Marxistische Gruppe, Kritik der Mikroökonomie.

Um ein Bekenntnis zu den wie auch immer häßlichen Tönen über das Kapital, die die alten Krisenwiderleger vermeiden wollten, handelt es sich bei diesem Wandel der Beweisabsicht selbstverständlich nicht. Und ein Fortschritt in Sachen Realismus resp. wertneutraler Betrachtungsweise hat erst recht nicht stattgefunden. Die moderne Frage, wie man sich das Auf und Ab unserer Wirtschaft denn nun auch noch wissenschaftlich vorstellen könne, basiert auf dem ideologischen Kunstgriff, in der Krise nicht mehr wie die alten Propagandisten des Kapitals eitel Ruin und Untergang zu sehen, sondern nur den Tiefpunkt in einer wellenförmigen Höherentwicklung der Wirtschaft: Die Krise gehört anerkannt, weil sie als solches Durchgangsstadium auch ihren Wert für das Funktionieren der Gesamtbewegung hat.

Sinuskurven...

Als ihre Geburtsstunde feiert die Konjunkturtheorie nämlich die 1862 nicht zufällig von einem "Amateurökonomen" gemachte Entdeckung, daß sich die Krisen wiederholen, was in den Augen aller folgenden Profiökonomen nicht eine ziemlich triviale und historisch keineswegs originelle Wahrnehmung des Vorkommens der kapitalistischen Krise bedeutet, sondern die glorreiche Begründung eines wissenschaftlichen Problems und verdienstvolle Stiftung eines ganzen Forschungszweiges:

"Seit Juglars Beobachtung, daß diese Krisen periodisch wiederzukehren pflegen, wird die Krise meist nur noch als Wendepunkt oder als Mittelabschnitt eines mehr oder weniger regelmäßig ablaufenden Zyklus zwischen dem Aufschwung und der Depression angesehen." (Schmölders, 8)

Logisch, ist dieser Fortschritt der Betrachtungsweise nicht - als ob z.B. das Gänseblümchen eine neue Spezies bildete, sobald es eine ganze Wiese bevölkert, oder als ob der medizinische Sieg über die Karies näherrückte, wenn man sie nur endlich als dasjenige ansähe, was jeder Dritte im Mund hat. Um so logischer aber. deshalb, daß der Entschluß, sich nicht mit der thematisierten Sache selbst zu befassen, sondern ihre Wiederholung zum Argument zu machen, absonderliche Erklärungen zum Ergebnis hat. Ähnlich der beliebten geistreichen Manier, irgendwo eine "Duplizität der Ereignisse" und damit ein geheimnisvolles "Weltgesetz" am Werk zu sehen, wird hier die Krise, das Subjekt der "erstaunlichen" Repetition, zum bloßen Moment eines tieferen Zusammenhangs namens Konjunkturzyklus umdefiniert. Um was es sich bei diesem neu gewonnenen Gegenstand seinerseits handelt, ist mit seiner methodischen Einführung und nur durch diese festgelegt. Wenn der Zyklus im Zusammenhang der Krisen besteht und deren Eigenart umgekehrt darin liegt, Durchgangspunkt im Zyklus zu sein, dann ist der ganze Gedanke die jeden ökonomischen Inhalts bare Abstraktion der periodischen Bewegung und damit eine falsche Bestimmung der Krise, sie mag wiederkehren so oft und so regelmäßig wie sie will: Wie bei der '"Duplizität der Ereignisse" hat das so gewonnene neue Gesetz einfach den absurden Inhalt, daß eine Regelmäßigkeit vorliegt.

"Der Konjunkturzyklus der klassischen Lehrbuchliteratur" (der Autor ist zu seinem Leidwesen noch kein Klassiker) "ist eine sehr regelmäßige, symmetrische Schwingung, mit wachsender, zunächst sich beschleunigender, dann verlangsamender Aktivität im Aufschwung und schrumpfender im Abschwung. Er wird gerne durch Sinusschwingungen um einen leicht steigenden Trend angenähert." (Tichy, 7)

Daß ein ökonomisches Phänomen, was auch immer es ist, ebensowenig eine Sinuskurve tatsächlich sein kann wie beispielsweise der Staat ein schiefwinkliges Dreieck, dürfte eigentlich das blödeste Auge schlagen. Bloß hat sich der Ökonom mit seinem Konjunkturzyklus ein Gedankending vom Kaliber der Abstraktionen der Mathematik zurechtgelegt - vom Wachsen und Schrumpfen eines gänzlich formellen Subjekts wie "die Aktivität" zu reden, ist erstmal nur terminologisch davon verschieden, sich das Vermehren und Vermindern überhaupt vorzuknöpfen. Und deshalb macht er seine Idee von der Periodizität in der Wirtschaft nur zu "gerne" mit einem Gleichnis aus der Wissenschaft der reinen Quantität vorstellig und verlegt allen weiteren Erkenntnisfortschritt in die Ausgestaltung des mathematischen Bilds. Nicht nur Schwingung soll es sein, sondern erst schneller, dann langsamer hinauf und hinunter, also exactement Sinusschwingung - hier wird vielleicht Bescheid gewußt!

Barometer...

Andererseits ist solche Spekulation am mathematischen Bild ernsthaft als Erklärung der Wirtschaft gemeint. Die Konjunkturtheorie bringt deshalb ökonomisches Material als Richtschnur und Kriterium ihrer Kurvendiskussionen ein und sucht sich also Daten zum Beleg und Mittel der weiteren schöpferischen Ausgestaltung verfügbar zu machen.

"Konjunkturschwankungen sind zeitliche Änderungen der wirtschaftlichen Aktivität. ... Die Aktivität kann an verschiedenen Größen gemessen werden, wie Volkseinkommen, Beschäftigung, Produktion und Preisniveau." (Woll, 400)

Der scheinbare Vorteil und Bonitätsbeweis, gleich mehrere Eisen im Feuer zu haben, ist hier allerdings ein glattes Eigentor. Daß die Aktivität durch höchst disparate Größen gemessen werden kann, heißt leider, daß sie selber überhaupt nicht gemessen werden kann: Die Konjunkturschwingung ist das mathematische Bild der Zusammenhangsidee und damit das völlige Gegenteil von einem Gesetz der quantitativen Veränderung einer bestimmten Sache, wie es sich etwa in den Naturwissenschaften findet. So daß der Ökonom seinen Satz über die Meßbarkeit der Konjunktur schleunigst dahingehend umkehrt, daß man zur getreuen Erfassung dieser Gesamtbewegung gar nicht genug verschiedene Meßgrößen berücksichtigen kann. Die wirtschaftliche Aktivität ist eben mit keinem wirtschaftlichen Faktum identisch und gebietet, sie alle im Zusammenhang zu sehen, denn jede für sich allein lieferte ja nur ein höchst unzusammenhängendes und daher falsches Bild dessen, was gemeint ist:

"In der Bundesrepublik werden gut ein Dutzend verschiedener Indikatoren ständig zu dem Zweck beobachtet, Aufschlüsse über den Konjunkturverlauf zu gewinnen." (Woll, 401)

Zu ihrem Idealismus bekennt sich die Konjunkturtheorie mit dem Schluß, daß die Realität der Wirtschaft nur Indikatoren für das enthalte, was sich eigentlich in ihr abspiele. Der Ökonomie erwächst so die Aufgabe der Prognose. Mit diesem Titel meint sie konsequenterweise nicht, auch wenn sie das gerne so mißverstehen läßt, das durchaus rationelle und nützliche Geschäft, auf ein zukünftiges und noch nicht verwirklichtes Ereignis zu schließen. Vielmehr ist die Prognose hier das prinzipielle Verhältnis des Forschers zum Gegenstand Konjunktur, die in keinem wirtschaftlichen Phänomen objektiv sein, aber dahinterstehen soll wie der Heilige Geist hinterm alten Joseph, wenn er seiner Maria das berühmte Kind macht. So läßt man sich ganz ohne Ironie einen "Spätindikator" namens Preis einfallen, der sich von der Absurdität einer Wettervorhersage für die vergangene Woche dadurch positiv unterscheide, daß der Indikator überhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen gestatte, ob neulich mal wieder ein Boom war. Und für derlei Suchaktionen nach Spuren, Botschaften und anderen Manifestationen des ungreifbaren Wesens entwickelt der Ökonom einen ganzen Kanon absonderlicher Riten und Prozeduren:

"Es handelt sich dabei um den 'unsicntbaren' Zyklus, der sich aus dem Zusammenspiel der Auf- und Abschwünge der Einzelreihen konstruieren läßt... Vorläufige reference-cycle Wendepunkte werden auf Grund der Häufung der Wendepunkte in den saisonbereinigten Reihen festgelegt... Als zweiter Schritt wird jede Einzelreihe dadurch standardisiert, daß sie in reference-cycle Abschnitte zerlegt und jede Beobachtung als Prozentsatz des reference-cycle Durchschnitts ausgedrückt wird... In diesen Reihen werden dann wieder Wendepunkte festgelegt..., die dann... zur endgültigen Festlegung der reference-cycle Wendepunkte verwendet werden. Selbstverständlich ist dieses Verfahren arbiträr... Daher wurden in letzter Zeit Versuche unternommen, das ganze Verfahren samt den Entscheidungen zu computerisieren." (Tichy, 39)

Wie dieser Bericht von der Läuterung armer Wendepunkte in mindestens vier Fegefeuern zu einem idealen Bild der Konjunktur illustriert, entstehen "Konjunkturbarometer" durch die Auswahl und Bewertung dessen, was man als "Signal" der Wirtschaft gelten lassen will, und alle Anstrengungen des beteiligten Forscherteams, die Daten unter sich einen "Konsensus" ausmachen zu lassen, weil die Wahrheit in der Mitte liegt, oder die Willkür vorab in eine Rechenmaschine einzubauen, haben nur ein getreues Dokument des Ringens um Objektivität zum Ergebnis, nicht aber diese selbst. So daß bei allem medizinmännischen Auftrumpfen der 5 Weisen und ihrer Alternativkollegen die innerwissenschaftliche Devise Dauerskepsis heißt:

"Heute hängt die Frage, ob es Konjunkturschwankungen überhaup noch gibt, bzw. ob die jeweilige Konjunktursituation eine Flaute, eine Rezession oder ähnliches ist, weitgehend vom verwendeten Maßstab ab." (Tichy, 11)

Daß man sich in einer Flaute befindet, muß mit Fug und Recht bezweifelt werden, aber eine Konjunktursituation liegt ganz bestimmt vor, daher auf zu neuen Barometern!

...und Schaukelstühle

Das zum empirischen Aufweis der Konjunkturschwankung komplementäre selbstgeschaffene Problem des Ökonomen heißt Konjunkturerklärung. Für das dem eigenen Geist entsprungene Unding einer Sinuskurve mit Realitätsanspruch möchte man auch mit einer Entstehungsgeschichte aufwarten können und praktiziert deshalb das in der modeinen Wissenschaft nicht unübliche Paradoxon, daß das Erklären ein besonderer Zweig der Theorie sei:

"Als konjunkturtheoretisch entscheidend ist stets die Frage betrachtet worden, worauf Konjunkturschwankungen zurückgehen." (Woll, 405)

Der Ökonom begibt sich hier in die Rolle des Krimilesers, der sich mit Theorien darüber vergnügt, wie wohl die Leiche in den Keller gekommen ist. Die Abstraktion "s schwankt" erlaubt zwar rationellerweise keinen Schluß auf ihre Ursache, denn wo von jedem bestimmten ökonomischen Inhalt abgesehen wird, lassen sich schwerlich Bestimmungsgründe finden. Aber eben deshalb blüht hier jenes Surrogat einer wissenschaftlichen Zielsetzung, durch Herumsuchen im Rest der Welt ein Histörchen zutage zu fördern, das zum Gedanken von Wellen der Konjunktur irgendwie analogiehaft paßt und aus diesem schönen Nicht-Grund als die Erklärung ihrer Existenz genommen werden kann.

Die theoretische Betrachtung der schönen Schwingungen ist daher ihrem Inhalt nach die reine Willkür - was kann nicht alles Sinuskurven erzeugen? - und ihrer Form nach mechanistisch. An welcher letzteren Bestimmung es nichts ändert, wenn gängige Klassifizierungen der "mehr als 200 Ursachenhypothesen" z.B. die Triebfeder "Optimismus" nicht zur Mechanik rechnen wollen oder ein gewisser Skutsky eine Maschine Zufallszahlen erzeugen läßt und, wie beabsichtigt, "eine verblüffende Ähnlichkeit dieser Reihe mit der Konjunkturentwicklung Englands zwischen 1955 und 1877" (Tichy, 24) feststellt.

Die gegenwärtig "vorherrschenden Ansichten" belieben, die Konjunktur nicht mehr auf die berüchtigten Sonnenflecken, das Wetter oder den leidigen Geldmangel "zurückgehen" zu lassen, sondern an die Stelle solch "monokausaler" und "bloß verbaler" Theorien die "immanente Schwingungsneigung einer Volkswirtschaft " (Münnich, 172) zu setzen. Ein Gewinn an Einsicht ist mit diesem Fortschritt zur "Schwingungsneigung" offenbar nicht verbunden - mit dem Lob der "Riesenwaschkraft von Omo" werden schließlich auch keine Produktionsgeheimnisse verraten. Vielmehr wird die eigene pseudomathematische Betrachtungsweise der Volkswirtschaft zu einer Eigenschaft der Ökonomie erklärt. Die Ursachenforschung gewinnt auf diese Weise jenseits aller in der Wirtschaft oder sonstwo womöglich auffindbaren Zusammenhänge einen neuen Gegenstand und damit das Äußerste an Freiheit, die Erforschung jener mysteriösen Sinuskurven rein von den konstruktiven Bedürfnissen ihrer eigenen mechanistischen Beweisabsicht leiten zu lassen. Der ganze Inhalt der Konjunkturtheorie wird so eine physikalische Bilderwelt, und Fortschritte der Disziplin geschehen durch die Erfindung neuer Zusatzgeräte zum "schwingenden System":

"So vergleicht Samuelson den Zyklus mit dem Bewegungsablauf eines Schaukelpferdes..."

"Im Hicks Modell stößt der kumulative Prozeß oben an den Vollbeschäftigungsplafond und unten an die Desinvestitionsgrenze..."

"Einige Schwächen kann Smithies ausräumen, der die Nichtlinearitäten in Form von Sperrklinken einbaut..."

Das wahrhaft Kreative dieses Modelldenkens ist es, die aus der Analogie geschöpften Einfälle auch noch als ökonomische Gegenstände zu behaupten nach dem Schema: Wenn ich als Wirtschaftswissenschaftler schon Gummibälle gegen die Zimmerdecke werfe, dann kann es sich bei letzterer doch nur um den Vollbeschäftigungsplafond handeln...

Das Niveau der "exakten" Wissenschaft fingiert die Ökonomie dadurch, daß sie mit solchen handfesten Denkanstößen aus dem Physikbuch auch noch deren wissenschaftliche Form zu übernehmen trachtet, also auf einen entsprechenden Schatz von mathematischen Formeln der Wirtschaft sinnt:

"YM(t) = A+b*YM(t-1)3v(YM(t-1)-YM(t-2))" (Münnich, 165)

Diese Gleichung, die das Volkseinkommen YM zur Zeit t zu berechnen gestatten resp. sein Gesetz sein soll, erfordert einen Kommentar. 1. Sinnigerweise wird der Unbrauchbarkeit der Formel gleich zu Anfang in ihr selbst ein Denkmal gesetzt. Das große A - "sämtliche anderen Bestandteile der gesamtwirtschaftlichen Ausgaben" etc.pp. (Münnich, 165) steht für alles, wovon der Ökonom abstrahieren will, was er aber gleichwohl angeführt haben möchte. Ungefähr so, wie die schlauen Athener auch noch einen Altar für die unbekannte Gottheit bauten, was bekanntlich dann der Apostel Paulus bei der Einführung seines noch schlaueren Modells der Welt zu nutzen verstand. Klar, daß bei geeigneter Wahl von A schlechterdings jede Funktion YM (t) die Gleichung löst, so daß die Erforschung der "dynamischen Eigenschaften dieses Modells" (Münnich, 166) gar nicht folgerichtig damit beginnt, für jenes A genannte unidentifizierbare makroökonomische Objekt (UMO im Unterschied zu UFO) anzunehmen, daß es wenigstens nicht seinerseits mit der Zeit variiere.

2. Unter dieser Voraussetzung repräsentieren die beiden übrigen Summanden die Konjunkturideee in ihrer ganzen begriffslosen Doofheit, nämlich mit der Behauptung, daß sich eine Zeitperiode aus der anderen ergibt und damit der gegenwärtige Stand der Dinge aus dem früheren Stand der Dinge und der damaligen Veränderung. Für den Beweis, daß Wirtschaft = Sinuskurve, faßt man hier also als erstes den Gedanken von einem abstrakten dynamischen Gesetz der Wirtschaft, d.h. man nimmt ganz inhaltslos ein "Daß" der Abhängigkeit von der Zeit an, und überlegt sich als nächstes weitere Annahmen über das "Wie" der Abhängigkeit, also lineare Gleichung etc.pp. Die armselige Tautologie von der "Schwingungsneigung" zeitigt so eine nicht minder leere, aber zu einer wahren Sintflut anschwellende Bewegung des Gedankens. Ihre Lächerlichkeit wird zwar allenthalben auch noch aufs Expliziteste ausgeplaudert - die abgeschwollene Version von Münnich, S. 172 lautet: "...wurde gezeigt, daß das Volkseinkommmen. abhängig ist, wenn... beschrieben werden kann." gleichwohl gilt sie aber als aus lauter wissenschaftlichen Siegen und nobelpreiswürdigen Großtaten zusammengesetzt, einfach deshalb, weil man sich bei jeder Hypothese ja auch zu einer anderen Hypothese hätte entschließen können - die aurs Normalmaß zurückgeschwollene Version von Münnich lautet z.B. S. 165 so:

"Wir verwenden hierzu eine einfache Konsumfunktion mit Einperiodenlag sowie einen starren Akzelerator..."

3. Daß nun die mathematische Behandlung der Gleichung just in dem Fall v = 1 für YM(t) eine anerkennenswerte Schwingung ergibt, veranlaßt einen Ökonomen zu zweierlei: Einerseits macht er Vollzugsmeldung an sich selbst und beglückwünscht sich, eine Gleichung konstruiert haben zu können, die Schwingungen "produziert":

"Die Analyse dieses Kapitels hat bestimmte Annahmen... aufgezeigt, die... prinzipiell zur Erklärung des Koniunkturzyklus geeignet wären." (Wiederum abgemagert aus Münnich, 168).

Andererseits entdeckt so ein Wissenschaftler an seiner möglichen Erklärung die Möglichkeit zu neuen Taten. Er befindet sein Ergebnis mit v=1 für "unwahrscheinlich" (Münnich, 168), was angesichts des wissenschaftlichen Werdegangs dieses Resultats ungefähr so rationell ist, wie dem lieben Gott ausgerechnet seinen Bart nicht glauben zu wollen. Dann läßt er sich, keineswegs anstelle der bisherigen Erklärung - denn jeder Fund der Forschung ist von unschätzbarem Wert -, sondern zu ihrer Ergänzung, neue Annahmen einfallen. Der geneigte Leser soll also dafürhalten, daß die Wirtschaft nach obigem Formelkonstrukt sich bewegt, und daß gleichzeitig ihre Bewegung doch einer anderen Formel folgen möchte: Wenn die Einkommenskurve wegen eines falschen v beispielsweise "gedämpft" darniederliegen müßte, postuliert man eben - wer hätte solche neuerliche Selbstbefruchtung des Gedankens geahnt - "regelmäßige Anstöße" usw. usf. Man muß ja fast den Verdacht kriegen, dieser Münnich hätte in der Ostzone Dialektik studiert...

Die Wirtschaft unser Schicksal

Ausgerechnet am Konjunkturzyklus, wo schlagend zur Anschauung kommt, daß sich hier Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Ökonomie durchsetzen, versucht sich die bürgerliche Wissenschaft an dem Nachweis, daß das "Auf und Ab der Wirtschaft" lauter geheimnisvollen Faktoren geschuldet sein soll und die ganze Veranstaltung der Konstruktion diverser Kurven und Modelle dient allein der Botschaft, daß die Ökonomie letztlich ein schicksalhaftes Verhängis ist, dessen Pseudoerklärung gerade seine Unausweichlichkeit illustrieren soll.

Solches Expertentum "im Prinzip" setzt die gar nicht wissenschaftliche Volksvorstellung, daß ein jeder nun mal von der Wirtschaft abhänge und ihrer Entwicklung unterworfen sei wie dem Wetter, mit der Prahlerei fort, die geheimen Mechanismen der Ökonomie zu kennen und geradezu ingenieursmäßig beherrschen zu können. Weil aber die eine Sorte Wirtschaftssubjekte für ihren Profit produziert, nach diesem Maßstab das Produzieren schon mal bleiben läßt und das wieder als neue Chance zu nutzen versteht, und weil die andere Sorte Wirtschaftssubjekte eben deshalb abwechselnd nur mehr oder weniger Gelegenheit findet, mit Arbeit für jenen Profit ihren Lebensunterhalt zu fristen, weil also die einen die Krise machen und die anderen betroffen sind, kann keiner von beiden mit den Pseudogesetzen der Wirtschaftslage etwas anfangen. Die Konjunkturtheorie ist eine Interpretation der Wechselfälle des Lebens, und was sie vor Biorhythmen, astrologischen Kalendern und allen anderen eingekleideten Sinuskurven des bürgerlichen Denkens auszeichnet, ist allein ihre besondere Nützlichkeit für das demokratisch politische Getriebe. Mit der Vorstellung guter und schlechter Zeiten der gesamtwirtschaftlichen Aktivität macht sich die Wissenschaft den praktischen Gesichtspunkt des Staates zu eigen, der selber nicht die Geschäfte betreibt, aber von allen abkassiert, und liefert die gelehrten Argumente zu der Ideologie, die Politiker würden sich immerzu an den Sachzwängen und für die Zwecke der Wirtschaft abarbeiten. Und an den ganzen Dummheiten der konjunkturtheoretischen Beweihräucherung staatlicher Maßnahmen fällt niemandem noch nicht einmal der kleine Widerspruch auf, daß der Staat der arme Betroffene und zugleich der glorreiche Lenker der Wirtschaftsentwicklung sein soll.

Nachweis der Zitate:

Münnich, Makroökonomik

Schmölders, Konjunkturen und Krisen

Tichy Konjunkturschwankungen

Woll, Allgemeine Volkswirtschaftslehre