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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1982 erschienen.

Armut in der BRD
ARBEITSLOSIGKEIT UND BESCHÄFTIGUNG

Was ein Arbeitsloser ist, wird erst recht in solchen Zeiten nicht zum Inhalt eines rationellen Urteils, in denen die Zahl der Betroffenen sich hierzulande dem Rekord von 2 Millionen nähert. Um diese mißliche Tatsache als nationales und Menschheits-Problem zu diskutieren und sich über das "knappe Gut Arbeit" sowie den "neuen Klassengegensatz von Arbeitslosen und Arbeitsbesitzern" auszuspinnen, ist die falsche Kennzeichnung dieser Spezies Mensch durch einen Mangel an Beschäftigung genau richtig. Und das einzige theoretische Verdienst in diesem Zusammenhang kommt der hochoffiziell und damit praktisch gewordenen Unverschämtheit zu, den Betroffenen ein Kalkül des Mißbrauchs des sozialen Netzes zu unterstellen, der im Interesse der Staatsfinanzen endlich unterbunden gehört: als Punkt, auf den es ankommt, ist auf diese Weise das Geld wenigstens einmal benannt.

Einen Zweck namens Beschäftigung, idiotisch wie er an und für sich wäre, hat niemand. Lohnarbeit ist ein gesellschaftliches Verhältnis, in dem zwei gegensätzliche Interessen im Austausch von Geld und Arbeit übereinkommen. Die Arbeiter veräußern ihre Tätigkeit, um mit dem Lohn ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, der also auch durch die Höhe dieses Entgelts beschränkt ist. Die Geldbesitzer wollen durch die Anwendung fremder Arbeit ihr Eigentum vermehren und rechnen deshalb den Preis der Arbeit unter die Kosten, deren Höhe ihrem Gewinn entgegensteht. Und diesem im Lohn offenbaren Interessengegensatz der beiden "aufeinander angewiesenen Sozialpartner" läßt sich auch entnehmen, daß und warum es zu ihrem gedeihlichen Zusammenwirken öfter mal nicht kommt.

Weil ein Kapitalist Geld hat, muß er sich um Mittel seiner Existenz natürlich nicht erst bemühen. Die von der angebotsorientierten Ökonomie derzeit dem Staat so liebevoll an die Wand gemalte Gefahr, daß die Reichen ihren Reichtum nur noch verjubeln, trifft allerdings allein den traurigen Sonderfall derjenigen Kapitalisten, die Pleite machen. Für ihre erfolgreicheren Klassenbrüder bedeutet dieselbe Wahrheit, daß die Anwendung von Arbeit rein und ohne störende Bedenklichkeiten dem Kriterium des lohnenden Geschäfts folgt. Lohnen muß es sich aber durchaus - und tut es in der gegenwärtigen "Stockungsphase" im besonderen Maße -, die hochwissenschaftliche "Unternehmungsfunktion der Bereitstellung von Arbeitsplätzen" dadurch wahrzunehmen, daß Leute auf die Straße gesetzt werden, um mit rationalisierter Produktion die Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen und dafür den Rest der Belegschaft oder ganz neu eingestellte Arbeiter umso besser zu nutzen. Die Problematisierer der "Unterbeschäftigung", die die Arbeitslosen von 1981 mit der wissenschaftlich "timelag" genannten Tautologie erklären, daß die 1980 versäumte "Anpassung nach unten" endlich nachgeholt würde, stellen es dann konsequent als wirtschaftsgeschichtliches Mirakel hin, wenn angesichts der 2 Millionen Stellungssuchenden die Überstundenleistung zunimmt oder die Kurzarbeit relativ niedrig ist.

Der "Sinn" eines ökonomischen "Schicksals"

Einen Arbeitslosen umgekehrt kennzeichnet, allen Bemühungen der Volkswirtschaftslehre zum Trotz, über immer neue "Unmöglichkeiten der Begriffseingrenzung" endlich zur "Legaldefinition des Anspruchsberechtigten von Paragr. 100 AFG" vorzustoßen, ganz einfach das Pech, daß er Lohnarbeiter ist und zugleich überflussig. Seine Armut und nicht seine Neigungen und Fähigkeiten prädestinieren ihn zum Bestandteil des Arbeitsangebotes, und ebendiese Armut weist ihn als einen aus "der schon immer dazugehört hat - auch ein Schulabgänger macht sich nur deshalb auf die Stellungssuche, weil die Geldverdienerei seiner alten Herrschaften für das Lebensnotwendige bestimmt war und deshalb grad mal ihn selbst, aber keinen eigenen Reichtum hervorgebiacht hat. Ist so ein Mensch aber überzählig, so fehlt ihm mit der Arbeit zwar sein Lohn, aber keineswegs eine verantwortungsvolle Aufgabe für das Wirtschaftsleben: denn er steht als disponibles Mittel - Zumutbarkeit und Mobilität heißen die Stichworte beim Arbeitsamt - für die wechselnden Bedürfnisse des Geschäfts bereit, das vielleicht mit jener Sorte neuer Mitarbeiter an dieser anderen Maschine oder einem anderen Standort momentan am günstigsten ist oder wegen einer prachtvollen Gewinnsituation auch ganz schnell mal wieder erweitert gehört. Die durch Rationalisierung oder Pleite ihres Lebensunterhalts verlustig gegangenen Proleten sind ein hervorragendes Material für eben diese profitliche Veränderung der Produktion, die sie freigesetzt hat, wobei sie sich eine Begutachtung ihrer Tauglichkeit sowie eine Reduzierung ihrer eignen Ansprüche an das Verhältnis von Lohn und Arbeit natürlich schon gefallen lassen müssen. So bezeichnet die 2-Millionen-Zahl ganz im Sinne obiger Legaldefinition eben nur, an wieviele Proleten etwas von den schönen Sozialversicherungsbeiträgen zur Auszahlung kommt, und ist in ihrer Höhe allenfalls ein Hinweis und nicht das Maß für den Umfang der Bewegungen auf dem Arbeitsmarkt, die das Kapital derzeit veranstaltet.

In den Zahlen, die da in langsamer Kosmetikarbeit beständig nach oben revidiert werden von einem sorgendurchfurchten dicken Stingl, werden schließlich nicht fortwährend dieselben Arbeiterindividuen zusammengezählt da die kapitalistische Anwendung der Arbeit in den Fabriken äußerst harmonisch einhergeht mit der laufenden Überflüssigmachung von "Arbeitsbesitzern". Die grenzenlose Disponibilität dieser merkwürdigen Form von Eigentum erweist sich am Ende des bundesdeutschen "Wirtschaftswunders" darin, wie heute Akkumulation statt mit immer neuen Arbeitskräften (deren Reservoir mangels BRD-Masse mit ausländischen "Gästen" aufgefüllt werden mußte) mit einer anderen Benützung dieses Materials einhergeht: Im Betrieb entdeckt das Kapital, angespornt durch die neuen politischen Zweckmäßigkeitsüberlegungen hinsichtlich einer starken nationalen Wirtschaft, die für außenpolitische Zielsetzungen gut gerüstet zu sein hat, Mittel und Wege, sich von Arbeitskräften zu entledigen, um sie entweder in anderen Abteilungen, in denen sich die Anschaffung der neuesten Technologie noch nicht lohnt, unterzubringen, sie also seinern Bedürfnis gemäß hin- und herzuschieben (wofür die Arbeiter aus lauter Dankbarkeit vor so viel Großzügigkeit auf einen Teil ihres früheren Lohns verzichten), oder sie eben laufend auf die Straße zu setzen... Dort erweisen sich die Arbeitslosen als mindestens genauso nützlich, wenn sie für eventuelle Betriebserweiterungen in beliebig großer Zahl (und natürlich zu gesunkenen Preisen: was man sich zu welchem Lohn "zumuten" lassen muß, wird vom Arbeitsamt bestimmt) zur Verfügung stehen oder auch ganz einfach die Restbestände der früheren Stammbelegschaften zu noch mehr Arbeitsleistung und noch größerer Genügsamkeit in puncto Entlohnung anhalten...

Bei ihren 1001 erfundenen Wirkungsketten und Kreisläufen hat die Volkswirtschaftslehre immer den einen wirklich vorhandenen Mechanismus zu vermeiden gewußt, daß die Lohnarbeit sich selbst verewigt, indem sie die Akkumulation des Kapitals produziert. Umgekehrt, gerade weil es dem Kapital, das selber die Bedingungen der Arbeit bestimmt und nach seinem Geschäftsinteresse Leute ausstellt und wieder an sich bindet, nie an ausbeutbarer Bevölkerung fehlen kann, hat die Wissenschaft immer die Muße gefunden, dem auf den Verkauf von Arbeit angewiesenen Teil der Menschheit seine unverschämte Vermehrung vorzuwerfen. War der selige Malthus bei diesem Geschäft wenigstens noch soweit bei Trost, eine fiktive Bevölkerungsexplosion mit einem fiktiven Mangel an Lebensmitteln zu konfrontieren, so befindet heute nicht nur der Sachverständigenrat, daß sich die den Deutschen nötige Zahl von Arbeitsplätzen sobald nicht mehr werde finanzieren lassen. Wo das Kapital auf die Mitarbeit lieber Mitarbeiter verzichtet, weil die Anschaffung neuer Maschinen billiger kommt als die Zahlung des früher eingesetzten Personals und wo für solche profitablen Rationalisierungen auch jede Menge Kredit gefunden werden kann, da will so ein Ökonom entdecken, daß die neuen Gerätschaften vorerst leider zu teuer sind, um, wie eigentlich beabsichtigt, gleich jeden Kollegen damit auszustatten. "Eine ungemein pfiffige Prozedur dies" (Karl Marx): Erst teilt man das vorhandene Kapital durch die Zahl der von ihm angewendeten Arbeiter, um das Ergebnis die Kosten eines Arbeitsplatzes zu nennen, und dann teilt man umgekehrt das Kapital durch diese Kosten, um als Zahl der überhaupt möglichen Arbeitsplätze wunderbarerweise gerade die herauszukriegen, die es gibt. Selbst wenn man sich vorstellen würde, daß zu dem vorhandenen Haufen Produktionsmittel technologisch ein bestimmtes Quantum Arbeit gehörte, um ihn in Bewegung zu setzen, folgt daraus offenbar überhaupt nichts über die Anzahl der benötigten Arbeiter: So ein Ergebnis folgt aber sehr wohl, wenn man unter einem Arbeitsplatz den Inbegriff der Gelegenheit versteht, aus dem "ihn ausfüllenden" Individuum das Maximum an Leistung herauszuholen. In den Verdacht, kommunistische Verelendungstheorie zu treiben, können solche absolut hoffnungslosen Prognosen "struktureller" Arbeitslosigkeit deshalb auch nie kommen geht es doch nie um die Ausbeutung des Arbeitsviehs und seine dazu relative, d.h. daran gemessene und davon produzierte Überflüssigkeit, sondern um hochverantwortliche Interpretationen der "schweren Zeiten", unter denen wir alle leiden.

Wer wertlos ist...

Daß der Arbeitsmarkt Schwierigkeiten macht, ist nur ein anderes Wort dafür, daß er für seinen Zweck prächtig funktioniert, weshalb die Verwalter des zu diesem Funktionieren gehörenden Elends immer schon ganz selbstverständlich Vollbeschäftigung als einen gewissen Prozentsatz Arbeitslose definieren und als Folge saisonaler, sektoraler etcpp. Einflüsse (daß im Winter das Volk weniger zu beißen hat, gibt es außer im Kapitalismus eigentlich nur bei Rothirschen, Karnickeln und ähnlichen Wirtschaftssystemen) für die natürlichste Sache von der Welt erklären. Die Behandlung der für das Geschäft Bestimmten und Überflüssigen als Problem, das diskutiert wird, weil es nicht gelöst werden soll, ist so alt wie die BRD. Neu dagegen ist es, wenn jetzt die geheuchelte Anteilnahme explizit mit der Eröffnung fortgesetzt wird, daß den Betroffenen "mittelfristig" nun mal nicht zu helfen sei. Denn in der gegenwärtigen schlechten Zeit sei dem Staat seine Fähigkeit abhanden gekommen, die Konjunktur zu lenken, und überhaupt ginge es nicht einfach mehr um diese:

"Die Welt vermag sich nur langsam aus ihrer wirtschaftlichen Lähmung zu befreien, die zu einem bedrohlichen Anschwellen der Arbeitslosigkeit geführt hat. In allen Ländern versucht die Wirtschaftspolitik, wieder handlungsfähig zu werden." (Sachverständigenrat)

Früher wurden auswärtige Krisen, Inflationen und Ölpreise als Entschuldigung der heimischen Misere hergenommen und daraus gefolgert, daß der eigene Staat ausgleichend eingreifen und überhaupt die rettende Instanz sein müsse. Und in der Sicherheit, daß der nächste Aufschwung des Kapitals schon durchgesetzt werden würde, hat man sich kokette Fragen des Genres "Ist der Kapitalismus noch zu retten?" erlaubt. Heute heißt die entsprechende Ideologie, daß man fest an das Kapital glauben müsse und sich von dessen selber am härtesten getroffenen Staat nichts versprechen dürfe. In der Tat: die Staaten haben nämlich schon gehandelt, bevor so ein Ökonomengremium gedacht hat, und zwar haben die Politiker begonnen, die Wirtschaft für ihre Kriegsvorbereitungen in die Pflicht zu nehmen, haben enorme Rüstungshaushalte beschlossen und die Zinsen zur Stützung ihres Nationalkredits erhöht. So daß ihre ganze Handlungsunfähigkeit einfach darin besteht, nicht etwas anderes zu wollen, als sie eben tun. Und an die einstmals gepriesenen wirtschaftspolitischen Instumente erinnert man jetzt nur noch deshalb, um sie als wirkungslos zu verwerfen: Ein Konjunkturprogramm könnte "nur ein Strohfeuer" entfachen - als ob man früher hundertjährige Booms gezündet hätte.

Um ein Beschäftigungsprogramm ist es bei jener Wirtschaftsförderung vergangener Tage natürlich auch nie gegangen; der Lehrsatz jedoch, daß Arbeitslosigkeit "hohe volkswirtschaftliche Kosten" verursacht, bekommt jetzt eine neue Auslegung. Das Ärgernis, daß Arbeitslose ihre Sozialversicherung in Anspruch nehmen und keine Steuern zahlen können, also dem Staat etwas kosten, insofern sie ihm nichts bringen, bleibt natürlich bestehen und ist der Kern der ganzen Aufregung. Aber daß die Arbeitslosen Ausdruck des Tiefstands der Wirtschaft seien, gilt heute nur noch in der Abteilung "Begründung der Arbeitslosigkeit" und erfährt keine praktische Würdigung mehr in dem Sinne, daß man ihnen höchstpersönlich Profitförderungsmaßnahmen widmet. Die Arbeitslosigkeit signalisiert diesmal eben, daß die Wirtschaft die vom Staat gesetzten neuen Bedingungen verkraftet, die Umstellungen der Produktion vornimmt, die angesichts hoher Zinsen für das Bestehen in der Konkurrenz nötig sind, und damit auch international schon wieder die schönsten Erfolge erringt (vgl. MSZ 6/81 über diese sog. Stockungsphase),

...darf auch nichts kosten

Wenn also klassische Konjunkturprogramme nicht gemacht werden sollen, so heißt das natürlich nicht, daß der Staat rein gar nichts für seine Arbeitslosen täte. Was die Ideologie angeht, wird einfach jede irgendwie ökonomisch relevante Maßnahme, die der Staat aus anderen Gründen in die Wege leitet, umdefiniert als Beitrag zum Beschäftigungsproblem. Also wenn er z.B. dafür sorgt daß seine Industrie mit billiger und krisensicherer Energie beliefert wird, die privaten Stromabnehmer neue Atomkraftwerke zahlen läßt, oder als Hans Matthöfer die nächste Steuererhöhung mit ihrem garantierten Beschäftigungseffekt begründet - immer lassen sich so alle politischen Entscheidungen bestens legitimieren. Ein Höhepunkt dieser Interpretationskunststückchen wird dabei jedesmal dann erreicht, wenn die neue Maßnahme tatsächlich die Arbeitslosen betrifft, aber keineswegs zu ihrem Vorteil:

Daß die Bundesanstalt für Arbeit die von ihr zu zahlenden Rentenversicherungsbeiträge ab jetzt am Arbeitslosengeld statt am weit höheren ehemaligen Verdienst des Arbeitslosen bemißt, erfährt z.B. die Interpretation:

"Damit soll auch ein Anreiz geschaffen werden, eine niedriger entlohnte Tätigkeit anzunehmen, weil dies dann nicht mehr mit Nachteilen beim Rentenanspruch verbunden sei." (Sachverständigenrat)

Die beste Hilfe für Arbeitslose ist es nämlich, ihnen praktisch jeden Zweifel daran zu nehmen, daß sie disponible Reservearmee des Kapitals sind. Nicht daß die Proleten tatsächlich lieber stempeln gingen als arbeiten; dafür haben die einschlägigen Regelungen schon immer gesorgt. Aber wo der Staat zugunsten der eigenen Finanzen beschließt, das Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben bei der Arbeitslosenversicherung günstiger zu gestalten, überdenkt er gerne in Form einer Novellierung des trefflich so genannten Arbeitsförderungsgesetzes, an welchen Arbeitslosen unter welchen Umständen denn überhaupt Interesse besteht. "Problemgruppen" dürfen sich darauf einstellen, daß sich die Arbeitsämter mit ihnen künftig keine Probleme mehr machen, und der für noch brauchbar erachtete Rest muß natürlich nicht durch kostspielige Umschulungsprogramme auf ungehörige Anspruchsgedanken gebracht, sondern umgekehrt durch Zumutbarkeitsurteile daran erinnert werden, worin seine Brauchbarkeit besteht. Im Zuge des Normalisierungsprozesses kapitalistischen Wirtschaftens in der BRD, der hierzulande ideologisch als Ausdruck krisenhafter "struktureller Veränderungen" bewältigt wird, werden so ganz beiläufig frühere "Sozialleistungen" erledigt: Wer es schließlich bis zur Arbeitslosigkeit gebracht hat, hat damit bewiesen, daß er zu nichts berechtigt ist.

Wo das Beschäftigungsprogramm so aussieht, daß die anderen arbeitslos sind, weil das Kapital nach seinen Zwecken mit dem Arbeitsangebot schalten und walten kann, stellt sich auch die Gewerkschaft nicht quer. Sie sieht die Sache politisch, d.h. als eine Aufgabe, die mit ihren Tarifverhandlungen und überhaupt ihrem bilateralen Verkehr mit dem Kapital nichts zu tun hat, sondern in Bonn gelöst werden muß, emanzipiert sich also in ihrem Bereden der "Arbeitslosenproblematik" von allen Problemen, die die betroffenen Arbeiter damit haben. Gelangt man erst einmal zu der Einstellung, daß das Problem darin besteht, daß die Arbeitslosen keine Arbeit haben, ist es nur konsequent, das Kapital zu hofieren und wirtschaftsfördernde Beschäftigungsmaßnahmen zu fordern. Deshalb weist die Gewerkschaft darauf hin, schon 1977 ein 50-Milliarden-Beschäftigungsprogramm - "die Kosten dieses Programms sind wesentlich geringer als die Kosten der Arbeitslosigkeit", für wen eigentlich - vergeblich vorgeschlagen zu haben, und steht zu diesem ihrem Einfall, indem sie dasselbe gleich nochmal anders probiert:

"Vetter hatte eine Zinssenkung durch die Bundesbank, eine verbindliche Preisdisziplin der Unternehmer und die Einstellung von 1 Million Arbeitslosen unter anderem durch eine Verkürzung der Arbeitszeit gefordert. Als nicht näher bezeichnete Gegenleistung hatte Vetter angedeutet, dann könnten die Gewerkschaften auch zu Dingen bereit sein, die ihnen weh täten." (Süddeutsche Zeitung, 6.11.81)

Um mit der Gegenleistung anzufangen: Entweder handelt es sich darum, auch noch die letzten matten Unmutsäußerungen zu den Sparbeschlüssen der Regierung fallen zu lassen, oder die eh. schon sichere Reallohnsenkung der nächsten Tarifrunde ist gemeint. Was die Forderungen angeht: Bei der Arbeitszeitverkürzung hat die Gewerkschaft sich schon mit sich selbst geeinigt, daß dergleichen erstens nicht machbar ist und zweitens unwirksam wäre, und Zinssenkung und Preisdisziplin will sowieso jeder. Bloß meint die Regierung gute Gründe zu haben, hohe Zinsen zu beschließen, und die Unternehmer machen, weil das Geschäft läuft, nicht nur die Zinsen zu guten Gründen für die Preise. Was diese Preisdisziplin überhaupt mit den Arbeitslosen zu tun haben soll, läßt sich nur ahnen: einerseits und de facto natürlich rein gar nichts; andererseits und in einem Gewerkschafterhirn aber genau dies, daß unternehmerische Preisdisziplin ein Synonym für Lohnverzicht ist und ergo unter diesem Etikett die Offerte gewerkschaftlicher Zurückhaltung gleichzeitig als gewerkschaftliche Forderung auftreten kann. In der Form eines gänzlich fiktiven Tauschgeschäfts meldet die Gewerkschaft also ihren Anspruch an, in das sozialpolitische "Verantwortungstableau" aufgenommen zu werden, und dies ist ihr mit ihrem "aufrüttelnden Signal" (Brandt) auch gelungen: Die Gewerkschaft findet auch, daß die Arbeitslosen für den Staat eine schwere Kostenbelastung sind; sie meint auch, daß wenn schon, dann nur "Sonderopfer" und "Ergänzungsabgabe" der stolzen Arbeitsplatzbesitzer in Frage kommen; die beschäftigungspolitischen Wünsche beim Staat durchzusetzen, hat man ein nicht vor. Ihr Heinz Oskar darf gemeinsam mit den "anderen gesellschaftlichen Kräften" unseren Kanzler besuchen und sich mit ihm zusammen Sorgen machen, was eben heißt, daß der sich keine Sorgen machen muß.

Der soziale Friede ist also nicht gefährdet und kann von einem Lambsdorff weiterhin als letzter Konkurrenzvorteil der Bundesrepublik gelobt werden. Das Kapital befindet praktisch, wie es die Leute für sein Gedeihen in Anspruch nehmen will. Der Staat ist Realist genug, die wachsende Arbeitslosigkeit, für die er mit seiner Wirtschaftspolitik sorgt, nicht mit einer ökonomischen Krise zu verwechseln, und findet vielmehr Anlaß für den Beschluß, daß ihm die überzähligen Proleten möglichst wenig auf der Tasche liegen sollen. Und wenn so unter Beteiligung aller der letzte Schein vergeht, daß die freie Marktwirtschaft den Zweck habe, die Menschheit in Brot zu setzen, dann betrachtet die Intelligenz die Wirtschaftspolitik und die Maßnahmen des Staates als Aufschwung des Neoliberalismus, der von den USA ausgehend alle frühere Bewunderung für staatliche Meisterschaft im Umgang mit Keynes'schen Steuerungsinstrumenten hat fahren lassen. Es hebt nicht etwa eine kritische Debatte an, in der dem Staat z.B. "Übereifer" oder "Vergehen gegen das eigene Ethos" beim Loserknüpfen des sozialen Netzes angekreidet würde - umgekehrt: Es gehört heute zum guten Ton, zu beweisen, daß man das frühere Gerede vom "sozialen Klimbim" eh nicht ernst gemeint hatte...