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SCALA MOBILE
"...um ein System der 'scala mobile' für die Entschädigung der Lebensnotwendigkeiten einzurichten..., um, im Verhältnis zur Steigerung der Lebenshaltungskosten, automatische Entsprechungen bei der Entlohnung zu erhalten, die sich als notwendig herausstellen."
Daß der Lohn der italienischen Arbeiter an der Inflation Schaden nehmen würde und daß die Scala mobile eine notwendige Einrichtung zur Kompensation dieses Schadens sei, gehört heute in den Bereich der Legendenbildung um die Einführung der Scala.
Ausgangspunkt im Berechnungsmodus der Scala sind die Ausgaben einer "Repräsentativfamilie", wobei das, was diese ominöse Familie braucht, sich von vomherein danach bestimmt, was ein durchschnittlich armer Italiener sich leisten können darf: In den nationalen Tarifverträgen wird ein Warenkorb ausgehandelt, der bestimmt, was ein Arbeiter mit seiner Familie überhaupt zum Leben braucht, Lebensmittel, Kleidung, Miete und andere "notwendige Dinge von der Zahnbürste bis zur Lampe". Innerhalb dieses Warenkorbs nun werden wiederum die bestimmten Güter sehr säuberlich unterschieden nach dem Kriterium: viel gekaufte Waren wie Brot, Nudeln etc. sind die wirklich notwendigen, weniger gekaufte wie Schinken zum Beispiel spielen keine große Rolle. Entsprechend werden die Preissteigerungen der Waren im Korb für die Berechnung des Inflationsausgleichs gewichtet, die Brotpreiserhöhung z.B. wird mit 10 multipliziert, die Schinkenpreiserhöhung geht einfach in die Berechnung ein.
Zum einen ist also, was ein Prolet zum Leben braucht, schlicht durch. das festgelegt, was er sich bisher mit seinem Lohn leisten konnte - die Repräsentativfamilie repräsentiert nichts anderes als das Niveau bestehender Armut -, zum anderen ist durch die unterschiedliche Gewichtung klargestellt, daß alle, außer den zur bloßen Existenz notwendigen Waren für mehr oder weniger Luxus erklärt werden, den man sich auch weiterhin nicht zu leisten hat. Da ferner die Preise der hauptgewichtigen Waren im Warenkorb staatlich administriert sind und langsamer steigen als die sonstigen Warenpreise (was sich jetzt - mit allmählicher Abschaffung der Scala - ändert), wird der Berechnungsindex zusätzlich gedrückt und damit der Maßstab der Armut beständig herabgesetzt. Im günstigsten Fall wird heutzutage 70% der Inflation von der Scala mobile gedeckt (Statistisches Landesamt) - vor der Besteuerung durch den Staat. Kommt ein Arbeiter wegen der Scala in eine höheie Steuerprogression, kassiert seine Lohnerhöhung fast vollständig der Staat.
Im übrigen funktioniert der "Ausgleich" so, daß die bereits gelaufenen Preissteigerungen immer erst frühestens nach einem Vierteljahr zu Bruttolohnerhöhungen führen, die gegenwärtige Inflation also weiterhin voll durchschlägt.
In den 68er Kämpfen verhandelten die Gewerkschaften mit den Unternehmem über die Abschaffung der Beziehung der Scala auf Lohnzonen, Leistungsgruppe, Alter und Geschlecht zugunsten des "punto unico", der 1977 schließlich eingeführt wurde. Der Fortschritt besteht darin, daß jeder italienische Arbeiter den gleichen Betrag als Inflationsausgleich erhält, alle Proleten gleichermaßen demselben Maßstab der Armut unterworfen sind.
Ansonsten ist mit der Scala für die Gewerkschaft der Lohn und das über-die-Runden-Kommen der Proleten mit ihm prinzipiell abgeschlossen. Eine großartige Errungenschaft war die Scala mobile noch nie und von Staats wegen auch nicht als soziale Großtat eingeführt worden. Nicht nur legt sie den Standard der Armut fest, sondern schafft damit auch gleich eine einschränkende Basis für Lohnverhandlungen: Diese explizite Anleihe bei der faschistischen Wirtschaftsordnung hatte in den Augen eines ihrer Mitbegründer eine sozialfriedliche Aufgabe, die er schon in den ersten Nachkriegsjahren so formulierte:
"Die Aktivitäten der Gewerkschaft sind, quasi immer bis zum halben Aufruhr, vollkommen von Forderungen nach Lohnerhöhungen absorbiert. Das einzige Mittel, um diesen Weg zur Erhöhung zu bremsen, ist die Scala mobile... Die Gewerkschaft kann nicht immer weitermachen mit den Forderungen nach Lohnerhöhungen bis zur Unglaublichkeit." (Lizzardi, CGIL)
Unternehmer- und Staatsseite, nicht faul, verwiesen natürlich bei jeder Lohnverhandlung darauf, daß ja doch schon'"einiges" vorab erledigt, also Mäßigung angebracht sei. Diese Aufforderung fand bei den Gewerkschaften durchaus Gehör, was man daran sieht, daß die Scala über viele Jahre hinweg ein völlig unbestrittener Mechanismus war -
"Solange die Preise nicht allzu schnell davonliefen, war die Indexbindung der Löhne ein nützliches Instrument." (Spiegel) -,
und erst in den 68er Kämpfen Gegenstand heftigerer Auseinandersetzungen anläßlich der Einführung des punto unico. Die Unternehmer liefen Sturm gegen die von ihnen behauptete "Nivellierung der Leistungsunterschiede" und damit des Leistungswillens - eine Behauptung, die sie gerade heute mit Begeisterung dramatisieren.
Jetzt geht es ja nicht mehr darum, aus dieser nützlichen Einrichtung möglichst viel Gewinn zu schlagen, jetzt steht fest, daß ihr Nutzen auch ohne sie selbst gewährleistet ist. Somit wird sie in der öffentlichen Propaganda nur noch als untragbares Hindernis behandelt. Die Gewerkschaften ziehen daraus den falschen Schluß, den Inflationsausgleich im Nachhinein zu verklären und zu einem Prinzip hochzustilisieren. Wie es solche Prinzipien nun mal an sich haben, wird um ihretwillen gern über den materiellen Kern hinweggesehen: Damit der Staat die Scala nicht gänzlich abschaffe, sind die Gewerkschaften zu allerhand Zugeständnissen nicht nur hinsichtlich der Modifikation dieses Gesetzes bereit - wenn nur grundsätzlich anerkannt bleibt, daß ein solcher Ausgleich der Arbeiterklasse zusteht, ließe sich doch über die anderen Bestandteile ihres Lebensunterhaltes gleich ganz anderes verhandeln!