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Korrespondenz
Lieber Rudolf Augstein,
die Publizität, die Dir in Deinen späten Journalistentagen zuwächst, tut zwar gut, aber sonderlich leidenschaftlich kommt uns Dein Aufbruch in den zweiten Frühling an der Seite der frisch-fromm-fröhlich-freien Schar der Friedensbewegten nicht gerade vor. Das ist doch nicht mehr die gute, alte Republik, in der Du Dich 30 Jahre lang als Durchblicker in Sachen Politik institutionalisiert hattest. Ja, da war noch was los in Deiner Zeitung: Aus der letzten Nische der Macht hat Dein "Spiegel" Intimes berichtet und den Politikern beim Regieren mit aufgemachten Problemchen ins Handwerk gepfuscht - mal der ignoranten CDU, die zu Adenauer- und Erhard-Zeiten Deutschland einfach nicht auf den langen Marsch der Unterwanderung des Ostens bringen wollte, mal der zögerlichen Reformpartei SPD, der das "Wagnis" Demokratie samt ihren aufgeklärten Staatsbürgern mit der Wahl Brandts und Schmidts auch schon bemeistert war. Während also die Politik nach innen und außen für gewisse Erfolge deutschen Wiederaufbaus sorgte, kümmertest Du Dich darum, daß dieses angeblich öde Geschäft (oft mit dem "Bohren dicker Bretter" verglichen), das sich handfest seine Betroffenen schuf, vom Reiz des Politisierens ein wenig belebt wurde. Sogar in den Bundestag hat Dich dieses demokratische Verdienst getragen ( was ja nach Deinem tete-a-tete mit der Staatsmacht an reichlich unpassender Stelle in U-Haft - "Affaire" hieß das damals ganz richtig - irgendwie das Angebrachte war). Dort war dann freilich bald Schluß, weil Dir Deine angestammte Position als intellektueller Libero im verwirrenden Kombinationsspiel der Politik wichtiger war als diese selbst. Aber gewurmt hat es Dich sicher, daß Du als Eingeweihter in die Kunst der Politik in deren "Niederungen" nicht zum Zuge kamst. Nur - so gut hättest Du sie doch nun schon kennen sollen, daß es in ihr auf klugscheißerische Enthüllungen herzlich wenig ankommt.
Jedenfalls waren für einen so gebildeten Parteigänger "der" Politik dabei wenig mehr als neue Anregungen zu alten Problemen "des Regierens" zu holen.
Solche "Perspektiven" und "Legitimationen" interessieren zwar dort durchaus, auch über die "Komplexität von Entscheidungssituationen wird gern gehandelt, um derentwillen mit "Positionen" unablässig "laviert" werden muß, was manchen "den Kopf kostet" und einen anderen entsprechend "stark" dastehen läßt, aber bei dieser methodischen Seite großer Politik, die Du immer so beschaulich besprochen hast, als hätten ihre "notwendigen Grausamkeiten" z.B. nicht einen Inhalt und einen staatlichen Zweck, sondern seien besonders erlesene menschliche Ausdrucksformen, zählt Deine mehr oder minder verständnisvolle Anteilnahme ausschließlich als willkommener Indikator für die Glaubwürdigkeit der Politik.
Eine undankbare Rolle - aber Politiker haben mit ihren lockeren methodischen Sprüchen nun eben einmal etwas anderes als Du drauf: Wenn sie von "unseren Interessen" und dem "Vorrang des Gemeinwohls", von "ernsten Konflikten" und "notwendigen Kompromissen" reden, setzen sie ziemlich stur durch, daß Politik gemacht wird - und was für eine dazu!
Die geht gegen die Russen, die das "Gleichgewicht" stören, und sonstige lästige Konkurrenz, gegen die Arbeiter und den Rest, der sonst so existiert und auch einen Teil zum Gelingen dieses nationalen Gemeinschaftswerks beizutragen hat.
Lustigerweise hast Du ja in Deiner Hochachtung vor "der" Politik, wie sie sich tagtäglich geltend macht, nicht im Weg stehen wollen, hast Urlaub genommen, Dein Pfeifchen gekifft und von ferne ab und an zu bedenken gegeben, ob's für die Nation politisch so gut steht wie für Dich - wobei es geblieben wäre, wenn die Politik nicht dieses friedliche Einvernehmen gestört hätte. Ohne Rücksicht auf Deine Vorstellungswelt geht sie einfach ihren Gang. Daß sie in Deine Idylle einbrach, Dich mit ein paar Gramm Hasch erwischte und Dich kurzerhand einsperrte, war ja noch nicht so schlimm, obwohl ein bißchen peinlich, warst Du doch mal ein richtiger "Abgrund an Landesverrat".
Aber daß die "Weltlage" neuerdings für "gespannt" erklärt worden ist, der nächste Krieg auf der Tagesordnung steht und es die Amis sind, die auf die Tube drücken, das hat Dich ganz schön alt aussehen lassen. Da heißt es nämlich umdenken! Nicht daß Du einfach etwas gegen solche Politik hättest aber daß sie Dich zwingt, Dein geistiges Verhältnis zur Macht zu überprüfen! Andererseits weißt Du, daß Du Dir das schuldig bist, und machst Dich kopfschüttelnd über soviel Ungereimtheiten, die da plötzlich in die Welt gesetzt worden sind, an die Arbeit.
In zahnlosen Leitartikeln kaust Du die unglaublich "schwierige Weltlage" durch, die so "störanfällig" ist, daß die Politiker im Umgang mit diesem erfundenen sensiblen Subjekt der Weltgeschichte an der ungeheuren Verantwortung, die sie tragen müssen, geradezu scheitern. Ja, bringen die denn nicht gerade zur Anschauung, was es mit ihrer ganzen Verantworterei auf sich hat? Sie sind doch die Störenfriede - und jetzt noch mehr Verantwortung! Du siehst das durch Deine rosarote, da politische Brille allerdings etwas differenzierter, wenngleich außerordentlich skeptisch gegenüber den Verantwortlichen:
"Aus Drohungen entstehen aber Kriege, die keiner will, und oft sind die Drohungen undurchdacht... Und so muß der friedlichste, der ungefährdetste Platz, unser Mitteleuropa, als äußerst bedrohter Kriegsschauplatz aufgeputzt werden, damit man an den anderen Konfrontationsstellen drohen kann."
So irre hinterhältig stellt sich Klein-Erna allerhöchstens ihren Spielkameraden, sicher aber nie wie Du die Weltpolitik vor: Man (?) zwickt und zwackt sich, wo's nur geht, ganz unernst natürlich, ist aber dabei so unverantwortlich, so zu tun, als ob das bös gemeint sei. Da muß ja aus Spaß blutiger Ernst werden:
"Zwar stimmt es, beide Supermächte unter sich wissen, daß keine einen atomaren Krieg gewinnen kann. Aber sie reden (!) nicht so, und ärger als die Russen reden die Amerikaner. So zu tun, als könne man doch, und die entsprechenden Systeme zu installieren, ist heutzutage über jedes Maß gefährlich, kein Vergleich mehr zu 1914." (als der Waffennarr Wilhelm II. reichlich unbedacht ein paar Millionrn Sportsfreunde über die geschliffene Klinge springen ließ)
Schon schlimm, wie sie Dir die überlegene Ruhe Deines intellektuellen Altenteils zerreden, wo Du doch mit der "Abschreckung seit Erfindung der Wasserstoffbombe" und der Tatsache, daß die "Sowjets... eingekreist sind", ganz gut hättest weiterleben können. Das treibt jemanden wie Dich, der als Hofberichterstatter der Innenwelt der Macht jahrelang fürs Zerreden zuständig war, natürlich auf die Barrikaden öffentlichen Zweifels am Sinn amerikanischer "Rüstungsphilosophie". Sogar Namen nennst Du: "Reagan, Weinberger, Haig" (alle Achtung!), sprichst von deren "King-Kong-Gehabe", vom mangelnden Fachwissen der Verantwortlichen - wohl im Gegensatz zu Dir - und zwar rundum. Alles schwächliche Versager, die die "komplexe Lage" auf dem sinkenden Schiff nicht mehr im Griff haben:
"Ein rätselhaftes Virus grassiert in Bonn. Es hat linke Sozialdemokraten genauso infiziert wie Franz-Josef Strauß... Alle... denken nur noch ans eigene Überleben... Auch die Oppositionellen schauen nicht mehr durch."
"Düster resümierten Anfang der Woche FDP-Generalsekretär Günther Verheugen: ,Die Züge rasen aufeinander zu.'" (Kann man machen nix!)
So sollte also in Bonn keine Politik gemacht werden? Das glaubst Du doch selber nicht! Schau Dir doch nur unseren prächtigen Doppelbeschlußkanzler an, wie der den Reagan noch anspornt, die Russen auf Null zu bringen. Deine Unzufriedenheit mit der Bonner Politik hat offenbar eine andere Ursache als die deutsche Aufrüstung, deren Macher Du andichtest, er müsse
"vor allem auf internationalem Gebiet... wohl am meisten das Gefühl haben, daß seine Bemühungen vergeblich (!) waren."
Du diagnostizierst flott den Untergang des Abendlandes, wo dies den der Russen plant, Du aber das Gefühl nicht los bekommst, Deine bescheidenen Denkmuster seien nicht mehr sonderlich aktuell: "Abschreckung" mittels "massiver Vergeltung" - das war doch ein Wort! Und nun: "gewinnbarer, überlebbarer Krieg" - das soll wohl keines sein?
Mit Deinem prophetischen Gestus, Politik, die das zum Thema macht, sei der Berechnung aller Welt inklusive ihrer Politiker entglitten, hast Du Dich zwar einerseits selbst vom hohen Podest Deiner arroganten Spiegel-Besserwisser-Masche in den nahegelegenen Sumpf irrationaler Seichbeutelei gestoßen, andererseits bist Du auf diese Tour dem Zeitgeist, mit dem gegenwärtig zu Füßen der Politiker jede Opposition aufgekündigt und die friedliche Einvernahme dieser armen, da selber friedenssehnsüchtigen Kreaturen betrieben wird, doch so nah, daß ein Horst-Eberhardt Richter sicher gern im "Spiegel" sein "Geplantes Inferno, über die Ursachen des 3. Weltkriegs" hat ausbrechen lassen, bei dem er
"davon ausgeht, daß wir inmitten eines Verfolgungswahnes leben... Wir können insgesamt nur überleben, wenn dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit und des Aufeinander-Angewiesenseins zu einer prägenden politischen Kraft wird. Schließlich ist die christliche Lehre von der Nächstenliebe, von der Feindesliebe sogar, eine der geistigen Wurzeln unserer Zivilisation."
Also: Liebe Deinen jeweiligen Helmut! Vorbildlich, was Du Dir dazu hast einfallen lassen. Teile ihm mit, was auch ihn bewegen muß:
"Saurer Regen über Deutschland,... Spiegel-Leser kennen die Symptome : Im Schwarzwald verdorren Tannen..., in Bayern siechen Kiefern dahin... Die Titelgeschichte: 'Da liegt was in der Luft'... ist Auftakt einer dreiteiligen Spiegel-Untersuchung."
Einfach süß, was Du da durch Deinen Chefredakteur Erich Böhme heranwehen läßt:
"Was sollen die Polizeisoldaten des Holger Börner denken, wenn man sie in die hessischen Wälder abkommandiert, damit sie Platz räumen für das Riesenspielzeug (?) ihres Landesherrn... Unruhe wird dann zur Bürgerpflicht."
Nur zu - Du bist ja auch schon ganz unruhig, der Menschheit, die Dich für teures Geld liest, mitzuteilen, daß "wir" bei alledem nichts Arges im Sinn haben und
"lieber ein Protektorat der US-Amerikaner als der Russen sind und bleiben."
Fürchtest Du, unter russischer Besatzung keine Papierration zugewiesen zu kriegen, um je nach Lust und Laune einmal Friedrich den Großen, dann Clausewitz oder wie neulich Nietzsche für das deutsche Geistesleben ehrenzuretten?
Die "Spiegel-Leser" in der MSZ-Redaktion