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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1981 erschienen.

Systematik

CDU-Parteitag
KOHL, DER BESTE ERHARD SEIT KIESINGER

Zündende Angriffe gegen die Regierung, Reden über "Grundsatzfragen der Politik", Debatten über die Parteistrategie oder ein neues Programm, nichts von alledem, womit gewöhnlich eine Oppositionspartei sich dem Wählervolk als bessere Regierungsalternative vorführt, bewegte in Hamburg auf dem CDU-Parteitag Delegierte wie journalistische Beobachter. Gleichwohl soll er der "bedeutendste seit mindestens 15 Jahren" (Echternach) gewesen sein. Man deutete die

"Zeichen der Stunde: die Koalitionsmisere wie die Umfrageergebnisse, den Erdrutsch bei den niedersächsischen Kommunalwahlen..." und gab sich gelassen staatsmännisch als "Regierung von morgen":

"Jetzt werden wir Maß nehmen für die letzte Etappe auf unserem Weg in die Regierungsverantwortung." (Kohl)

Nicht, daß man auf den bewährten Vorwurf an die Regierung, sie ruiniere Staat und Nation, verzichtet hätte, um so die eigenen Qualitäten in überzeugender Weise darzutun; allerdings wurden "Staatsbankrott" und "Moskaufraktion der SPD" gleichsam pflichtgemäß absolviert und dabei vor allem aufgezeigt, worin heutigentags parteipolitische Alternativen bestehen.

1. In der Außenpolitik

"Eine breite Übereinstimmung gibt es zwischen Regierung und Opposition zunächst einmal in der Zielvorgabe, Friedenssicherung, Abrüstung und Beseitigung der Spannungen. ... (Die Schwäche der bisherigen Politik liegt) in der Vernachlässigung des globalen wie regionalen militärischen Gleichgewichts und der Verteidigung durch den Westen." (Manfred Wörner)

Man will also die von Schmidt im NATO-Bündnis so vielversprechend in die Wege geleitete Politik fortsetzen - allerdings mit einem offensiveren Bekenntnis zur Aufrüstung als Friedenssicherung (dasselbe kann man natürlich auch noch zündender formulieren: "Frieden ist nicht der oberste Wert." Schließlich steht schon in der Bibel, "Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen auf Erden, sondern das Schwert!" /Thesen von Pater Basilius Streithofen zum Parteitag) und mit Betonung auf Bündnis statt Eigeninteresse im Bündnis, mit Sonderinteressen nur mehr in Anführungszeichen:

"Es ist ein gefährliches Unding, die Bündnisinteressen oder die Interessen der USA und die deutschen 'Sonderinteressen' gegeneinander auszuspielen." (Wörner)

2. In der Innenpolitik

Notwendig ist "die Wiedergesundung unserer Wirtschaft und die Wiederherstellung der verlorenen Handlungsfähigkeit des Staates" durch "sozial vertretbare Verminderungen der Leistungen, Kürzungen, Änderungen der Bemessungsgrundlagen etc.".

Von der Berufung auf irgendwelche Interessen des Wählervolkes hat sich die Selbstdarstellung der politischen Figuren hierzulande schon seit geraumer Zeit emanzipiert. Die Subsumtion der "Kunst der Staatsführung" unter den einen Gesichtspunkt, wer am besten imstande sei, den Frieden zu sichern, hatte der letzte Wahlkampf geleistet. Mittlerweile spielt sich die Parteienkonkurrenz über das Sparprogramm ab, die als Haushaltsproblem aufgemachte "Sanierung" der Innenpolitik für die beschlossene Aufrüstung. "Wer macht die radikalsten Sparvorschläge?", um diese Frage drehte sich das beliebte "Sommertheater", bei dem munter damit für sich geworben wurde, wer dem Bürger am besten und gerechtesten die fälligen Opfer abverlangt. Während die SPD sich vorbehält, bei jedem ihrer Eingriffe in "Leistungsgesetze" das "soziale Netz" selbst für "tabu" zu erklären, zeichnet die C-Gruppe sich vorzüglich durch die ganz auf Trendwende eingestellte Sprachregelung aus, angesichts dieser "harten Zeiten" dürfe auch das "soziale Netz" eben kein "Tabu" sein.

Geschlossenheit in Offenheit

Weil aber jeder darüber spekuliert (und damit dazu beiträgt), daß ein Machtwechsel ansteht und die CDU erst recht, können selbst die Scheinalternativen der Innen- und Außenpolitik zurücktreten hinter der Demonstration: Bald sind wir dran. Das hat auch seine demokratische Richtigkeit, darf doch ein Wählervolk, demokratisch reif und emanzipiert vom Beharren auf eigenen Interessen, sich nicht um die Folgen der Politik für sich kümmern - das wäre ja undemokratisches "Anspruchsdenken" -, sondern hat sich nach den Erfolgskriterien, den Methoden der Herrschaftsausübung zu richten: also auf genau die Argumente zu hören, wie sie von der meinungsbildenden Öffentlichkeit und ihrer Unterabteilung CDU vorgebracht werden. Unter dem Gesichtspunkt des "anstehenden Machtwechsels" bekommen die öffentlichkeitsüblichen Kriterien der "Lebendigkeit des Parteilebens" oder, politologisch ausgedrückt, der "innerparteilichen Demokratie", "Offenheit bzw. Zerrissenheit" versus "Geschlossenheit bzw. Langeweile" bei der CDU/CSU ihre aktuelle Bedeutung.

Als geglückte Form der Selbstdarstellung war zu werten, daß im Vorfeld des Hamburger Parteitags eine erfrischende interne Meinungsverschiedenheit über die optimale Form der Selbstdarstellung aufkam. Generalsekretär Heiner Geißler, der seit den letzten Wahlen zwecks "Gewinnung liberaler Wechselwähler" als probates Mittel der Machtübernahme empfiehlt, die CDU mehr als "offenes Forum" zu präsentieren, in dem "kontroverse Diskussionen um Zukunftsthemen" ausgetragen werden, schlug zur "Vorbereitung auf die Regierung" einen "Parteitag des Gesprächs und der Toleranz" vor:

"Hamburg wird jede Verdächtigung widerlegen, die CDU sei eine Zipfelmützenpartei."

Daraufhin wurde ihm mehr oder weniger ("Sie sind in höchstem Maße illoyal"!) solidarisch von seinen Parteifreunden bedeutet, schon die öffentliche Verkündigung des an sich ehrenwerten Anliegens bringe bloß die Partei in Veruf:

"Du tust immer so, als ob die Partei nicht dialogfähig sei. Das ist Unfug. ... Am Ende glauben die Leute, wir sind wirklich nicht geistig offen." (Kohl in der Fraktionssitzung, in der über Geißlers Vorschläge "zu Gericht gesessen wurde".)

Es wurde ihm gar vorgehalten, er predige unnötigen Opportunismus -

"Wer meint, wir müßten uns anpassen, um am Rande unseres Wählerspektrum noch Stimmen zu erhalten, der geht einen verhängnisvollen Weg..." (Stoiber) "Der (Geißler) hätte gern, daß die CDU so wäre wie die SPD - aber nur ein bißchen..." (CSU-Abgeordneter) -,

wo doch das "Bild der Geschlossenheit" in Absetzung vom Koalitionszwist (= "Handlungsunfähigkeit") das überzeugendste Sachargument für die"Führungskraft der Union" vorstellt!

"Wir sind die einzigen, die zugleich geschlossen handeln und offen diskutieren können." (Albrecht)

Jugend zu Besuch bei der CDU!

Nach nicht nur eigener Einschätzung stellte die Opposition ihre "Dialogfähigkeit" glänzend unter Beweis, indem sie das "große Experiment" wagte und "die Jugend" in 500 wohlausgesuchten Exemplaren zum "Dialog" zu sich lud. Das Eigenlob vom eingegangenen "Risiko" hob auf das allgemeine öffentliche Urteil ab, mit der Jugend sei "das Gespräch" besonders schwierig und die CDU/CSU könne es mit der kritischen Jugend schon gar nicht. Dabei handelt es sich zweifelsohne um ein von der Konkurrenz ausgestreutes übles Gerücht; denn wer kein Problem hat, mit der Jugend wirklich ins Gespräch zu kommen, ist die CDU. Die wirkliche, ganz und gar nicht "staatsverdrossene" Jugend trifft man nämlich nicht auf Universitätshearings, bei denen man sich als Politiker auch noch Farbbeutel auf dem Anzug einhandelt, sondern - auf dem CDU-Parteitag, wo die kurzweilige Übung 'Bürger fragen, verantwortliche Politiker antworten' auf den werbewirksamen Begriff gebracht wurde. Schon das hoffnungsfrohe Motto "Mit der Jugend - Unser Land braucht einen neuen Anfang" kündete vom durch und durch positiven Verhältnis beider Seiten und tatsächlich:

"Das Management brachte zweierlei fertig: feindselige Chaoten wurden aussortiert, ebenso Liebediener und Lesetreter" (Süddeutsche Zeitung), woraufhin sich prompt "unverkrampfte Munterkeit, begleitet von allgemeinem frohen Stimmengesumm" einstellte. Die Gäste "sprengten bei aller Ungeniertheit durchaus nicht sämtliche Bande frommer Scheu" und verhalfen so den Politikern zu der erstaunlichen Erkenntnis, daß die "jungen Leute doch recht manierlich aussahen und sich oft ebenso präzise wie sensibel auszudrücken wußten." (Zeit)

Kamen zwischendurch doch einmal kritische Töne auf - so ganz ohne wäre die "offene Debatte" ja auch nicht so recht offen gewesen -, wurde "mit allem Verständnis" für den jugendlichen Übermut "mit dem Verstand des Erfahrenen" (Kohl) die Sache erläutert und richtig gestellt. Ermutigt von Vorstößen des CDU-Jugendhäuptlings Wissmann ("Der Volksfrontvorwurf gegen die Bonner Demonstration muß vom Tisch."), traute sich einer ganz schön weit vor:

"Ich frage Sie, Herr Kohl, was tun Sie, um den Vorwurf der Volksfront gegen die Friedensbewegung zurückzunehmen?"

Das durfte man aber nicht fragen (in unmanierlichen "Latzhosen" schon gar nicht!), weil doch die Friedensbewegung von der "SED bezahlt" wird. Kohl:

"Ich denke nicht daran, irgendein Wort zurückzunehmen. Es gibt Dinge, da muß man einfach dazu stehen."

Als ob es ihm auch noch leid täte, die Auskunft erteilen zu "müssen", auf die geforderte "differenzierte Beurteilung" der Friedenswegung zu pfeifen! Da war es auch schon egal, ob das als "gelungenes Experiment" entlarvt oder als "Scheindialog" gelobt wurde. Die exemplarische Mäkelei eines Geladenen

"Man hat wohl bewußt alle draußen gelassen, mit denen die Veranstaltung 'unkalkulierbar' geworden wäre. Das Gespräch war danach: sittsam und gepflegt." (der unkalkulierbare Ulrich Schröder)

wäre ja nie zustande gekommen, wenn er nicht dabei gewesen wäre.

FAZIT: "Keine Experimente!"