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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1981 erschienen.

Systematik

Breschnew in Bonn
DER HAUPTFEIND ALS STAATSGAST

Der "erste Besuch Breschnews im Westen nach Afghanistan" bekam mit diesem inzwischen bekannten Ländernamen sogleich seine besondere Note zugeteilt. Nicht vergleichbar mit der letzten Visite des Generalsekretärs in der Bundeshauptstadt (höchstens, was seine Gesundheit anbetrifft); nicht um "konkrete Verhandlungen" ging es diesmal, sondern um "Gespräche zum besseren gegenseitigen Verständnis", um "Meinungsaustausch". Gerade darin ein "Arbeitsbesuch", wie es hieß. Gewerkelt wurde am Ost-West-Gegensatz unter dem ideologischen Oberbegriff Frieden. Die beiden Staatsmänner machten sich gegenseitig das diplomatische Kompliment, "Partner für den Frieden" zu sein, und sagten sich dann die Meinung. Denn

"Helmut Schmidt und Leonid Iljitsch Breschnew... sind der Meinung, daß ein solcher Dialog der allen Staaten gestellten Aufgabe, die drängenden Probleme der Gegenwart zu bewältigen, gerecht werden muß. Sie erachten es für wichtig, daß beide Staaten entsprechend ihrer Verantwortung zu einer positiven und stabilen Entwicklung der internationalen Lage und zur Sicherung eines dauerhaften Friedens ihren Beitrag leisten." (Abschluß-Communique)

Dem wurde man entsprechend der jeweils definierten Verantwortung gerecht.

Das Kräfteverhältnis,

das dabei zum Ausdruck kam, war unterschiedlich und dazu angetan, westdeutsche politische Gemüter zufriedenzustellen. Der Gastgeber hatte gut vorbereitet. Er konnte sich auf das bahnbrechende "Friedensangebot" Reagans stellen, das der deutsche Bundeskanzler sich so sehnlichst erwünscht hatte. Er konnte mit der Sicherheit auftreten, daß mit dem Null-Angebot die Formel für die festeste Einheit im NATO-Bündnis seit je gefunden war. Er konnte also sogar den alten Schein der Vermittlung zwischen den Großmächten sein lassen und als "Sprecher des Bündnisses" auftreten, nachdem er sich kurz zuvor noch telefonisch mit Reagan abgesprochen hat, wie man die Russen am besten auf Null runterverhandelt.

Der Gast dagegen, was brachte der mit? Den guten Willen, sehr viel dafür zu tun, daß die Verhandlungen in Genf zustandekommen; den Wunsch nach "annehmbaren Abmachungen" für Frieden und Sicherheit; die Sicherheit, auch über ein ansehnliches Waffenarsenal zu verfügen, auf das er ein paarmal hinwies, weil dies der einzige Grund ist, daß er im Westen Besuche machen und verhandeln darf. Obendrein kam er mit der sicheren Gewißheit, daß die NATO und ihr westdeutscher Fürsprecher keinen Schritt von ihrem gerade in die Welt gesetzten Null-Dogma abweichen würden, aber offenbar doch mit der reichlich vagen Hoffnung, daß es auf jeden Fall gut sei, mit dem Kanzler der Alliierten zu reden, egal welcher Inhalt.

Wann hat es das schon einmal gegeben? Der Führer der großen Sowjetunion (samt Satelliten), desgrößen russischen Volkes, besucht (nicht ein Großdeutschland sondern) die an Land und Leuten vergleichsweise mickrige BRD und läßt sich von Westdeutschland vorhalten er sei wohl - nicht recht in der Lage, das militärische Gleich- bzw. Ungleichgewicht "richtig einzuschätzen". - Zu fragen, ob bei dem Besuch das deutsche Interesse (von wegen der Deutschrussen, die immer noch nicht leicht heim ins Reich dürfen) nicht ein wenig zu kurz gekommen sei, ist da geradezu dumm. Die NATO, das gemeinsame Interesse ihrer Glieder, ihre klare Linie gegen den ärgerlichen Ostblock, ihre grandiose Null-Option - alles das ist das deutsche Interesse, das deshalb so unverschämt souverän, "unverändert und fest" gegen den "Partner" aus Moskau antrat.

Der Meinungsaustausch

zwischen den Staatsmännern unterschiedlicher Systeme war denn auch eigenartiger diplomatischer Natur. Für irgendwelche Durchbrüche gab es von vornherein keine Hoffnung - eben keine konkreten Verhandlungen! Neue Erkenntnisse über die grundsätzlichen Ziele und Absichten des gegnerischen Freundes wurden auch nicht gemacht. Schmidt blieb entschieden hart in dem Verlangen, die Sowjetunion solle sich gefälligst freiwillig entwaffnen. Leonid wandte dagegen ein, daß er das unmöglich machen könne, aber ansonsten viel dafür tun würde, diesen fruchtbaren Dialog fortzuführen. Wollte Breschnew wirklich erkunden, "ob die amerikanische Politik mehr auf Kontinuität oder auf Änderung abziele"? Wohl kaum! Wollte Helmut Schmidt prüfen, wie die Null-Option auf den Kreml-Chef wirkt? Schon eher! Man schaue sich genau an, wie der Kanzler des "politischen Zwergs" BRD mit Leonid seine Meinung ausgetauscht hat. Ein "bewußt persönliches Wort" wollte Schmidt an Breschnew gerichtet haben. Das lautete so:

"Herr Generalsekretär, ich habe nie gedacht, daß Sie jemals einmal auf den Drückknopf drücken würden. Aber die Existenz dieser Raketen (SS 20, 5, 4) ist ein Pressionsmittel, das schlimme Folgen haben kann. Deshalb bin ich für die Null-Lösung."

Auf diese persönliche und diplomatische Frechheit folgte die nächste, nachdem Breschnew nachgefragt hatte, was eigentlich überflüssig war:

"Wenn Sie wünschen, daß es keine amerikanische Stationierung von Mittelstreckenraketen in Westeuropa gibt, dann müssen Sie ihre Mittelstreckenraketen wegnehmen."

So sieht heutzutage die gegenseitige diplomatische Anerkennung aus. Die anschließende Bemerkung des Kanzlers setzte all seinen vorherigen Frechheiten noch die Krone auf, weil sie bewies, daß die Diplomatie zwischen West und Ost total erhaben über solche Begriffe wie Wahrheit und Lüge ist, sie also je nachdem anwendet. Diesmal bestand die Unverfrorenheit des Kanzlers darin, zu betonen, daß seine unverhohlenen Erpressungsangebote nicht gelogen sind:

"Wir kennen uns gut, und ich habe Ihnen noch nie die Unwahrheit gesagt."

Soweit die gutwillige und freundschaftliche Ansprache des Friedenskanzlers aus der NATO an seinen Gast, dem er noch das unzweideutige Kompliment machte, er "spüre den Willen des sowjetischen Parteichefs zum Frieden". Und dieses Postulieren des Friedens aus westlicher Sicht "nach Afghanistan" muß der Generalsekretär richtig verstanden haben, nämlich so, daß er neben seinen Angriffen auf die militärischen Überlegenheitsansprüche der USA (wenn man in der BRD zu Besuch ist, werden Angriffe in der Regel an Dritte gerichtet) als Friedensmacht Sowjetunion unbedingt eine handfeste Geste der Dialogbereitschaft machen wollte, um gegenüber dem harten Druck des NATO-Kanxlers auch ein Angebot zu haben:

"Als Geste des guten Willens könnten wir einen gewissen Teil unserer nuklearen Waffen mittlerer Reichweite im europäischen Teil der UdSSR einseitig reduzieren lassen. Wir könnten reduzieren sozusagen auf Vorschuß, im Begriff,uns auf ein niedrigeres Niveau hinzubewegen, über welches sich die UdSSR und die USA im Ergebnis der Verhandlungen verständigen können. Dies ist ein neues, ein wesentliches Element in unserer Position." (Leonid Breschnew)

Helmut Schmidt lehnte den modifizierten Moratoriums-Vorschlag Breschnews ab!

Es ging also schon um Konkretes. Gehandelt wurde mit der Gewalt der Waffen. Der Meinungsaustausch ging über westliche Drohung und diee Reaktion der SU darauf. Überraschungen oder Neuigkeiten waren auf diesem Felde der Scheindiplomatie nicht vorgesehen. Doch für die eindeutige Kundgabe des westlichen Willens und für die demonstrative Vorführung sowjetischer Halsstarrigkeit oder Willfährigkeit (bei eindeutiger Klärung der Schuldfrage im Vorhinein) hat sich der Besuch zumindest für den Westen gelohnt. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Seiten ist auch bei noch so gemeinsamen Erklärungen nicht zu übersehen. Wer hat denn Frieden und Gleichgewicht erst noch herzustellen? "Beide Seiten sind der Auffassung, daß die Herrstellung des Gleichgewichts im Bereich der Waffen, welche Gegenstand der Verhandlungen sein werden, auf möglichst niedrigem Niveau für die Festigung der Stabilität und der internationalen Sicherheit von großer Bedeutung ist und daß alle Anstrengungen unternommen werden müssen, eine entsprechende Vereinbarung zu schließen." (Abschluß-Communique)

Der Erfolg

des Besuches und wem er gebührt, ist deshalb keine Frage. Während noch der Chef der Sowjetunion sich im Flugzeug bemüßigt fühlte, dem Kanzler telegrafisch für den "freundlichen Empfang und den offenen und nützlichen Meinungsaustausch" zu danken, wurde hier schon Bilanz gezogen. Politiker Bonner Parteien und ihre linien treuen Arschkriecher in Presse, Funk und Fernsehen ließen die "Hoffnung" durchblicken, daß die "westdeutsche Entschiedenheit im Standpunkt Eindruck auf Leonid Breschnew gemacht" habe. Das Weiße Haus in Washington übersetzte die hiesigen Meldungen - "trotz freundschaftlicher Atmosphäre blieben die Gegensätze bestehen" gleich amerikanisch direkt: "Ein taktischer Sieg über den Kreml!" Damit wurde die Parole der Demonstration der MARXISTISCHEN GRUPPE bestätigt, die da hieß: "Leonid,was willst Du hier, der Westen plant den Krieg mit Dir!"

Der Besuch des Generalsekräters der Sowjetmacht findet seine Fortsetzung in Genf. Der Inhalt ist der gleiche. Nur soll sich niemand wundern, wenn die dort stattfindenden Gespräche nicht mit gegenseitigem Winke, Winke aufhören. Aus Amerika ist zu hören, daß man neben der Forderung der Null-Lösung das "gleichzeitige Einfrieren des Niveaus der Kurzstreckenwaffen vorschlagen" will. Dadurch soll verhindert werden, "daß die Sowjetunion die abzuschaffenden Mittelstreckenraketen einfach durch neue Kurzstreckensysteme ersetzt". So geht das, Schlag auf Schlag. Sicher ist, daß die militärische Erpressung des Westens nur so lange Gesprächsthema ist, wie sich der Osten erpressen läßt. Sonst...!