Info

Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1981 erschienen.

Systematik

Die Grünen 'begrüßen' den Staatsgast:
GEGEN BRESCHNEW - ABER IMMER!

Die Teilnehmer gleich zweier Demonstrationen wußten am 22. November, was sich gehört, wenn der oberste Repräsentant der Sowjetunion zum Staatsbesuch nach Bonn kommt: eine gehörige Russenschelte. Zwar waren die beiden einschlägigen Kundgebungen der Christenmenschen auf dem Bonner Marktplatz und der Grünen auf dem Münsterplatz räumlich voneinander getrennt. Aber der Träger eines Spruchbandes mit der Aufschrift "Russen raus aus Afghanistan!" oder "Hände weg von Polen!" hätte ohne weiteres seinen Standort wechseln können, ohne Aufsehen zu erregen.

Die ideologische Trennungslinie zwischen Markt und Münster war dünn; vielleicht war der einzige Unterschied nur der, daß sich der Antikommunismus der einen Abteilung geradlinig, der andere etwas gewunden vortrug. Soviel stimmt jedenfalls am Presseurteil über die grüne Anti-Breschnew-Demo:

"Eines konnte man den Teilnehmern dieser Demonstration wirklich nicht vorwerfen: Einäugigkeit." (Frankfurter Rundschau)

Ein Märchen lassen wir uns nach dem 22.11. von Grünen und Konsorten nicht erzählen: Daß es ihrer Gegnerschaft zur NATO-Kriegsvorbereitung entspringt und diesem Protest nützt, wenn sie jedem Einwand gegen die Cruise Missiles und die Pershings den Fingerzeig auf die SS 20 hinterherschicken, wenn sie kein Wort gegen die amerikanischen Schlächtereien in Mittelamerika über die Lippen bringen, ohne im selben Atemzug den russischen Aggressor in Afghanistan und Polen anzuprangern; wenn sie kein häßliches Wort über Reagan und Haig, Schmidt und Genscher verlauten lassen wollen, ohne zugleich das Sündenregister des Leonid Breschnew aufzuschlagen.

Weder der Kanzler noch sonst irgendwer hat den Grünen einen Brief des Inhalts geschrieben "Wer Pershing sagt, muß auch SS 20 sagen". Ganz ohne Druck von außen haben die Grünen anläßlich des Breschnew-Besuchs proklamiert und demonstriert, was Ausgewogenheit des Protestes heißt, ganz als hätten sie in dieser Hinsicht eine Scharte des 10. Oktober auszuwetzen. Die matte Dialektik des "auch" (im Osten...) löste sich spätestens am 22.11. recht einfach und eindeutig auf. Kommt Breschnew zu Besuch nach Bonn, drücken die Grünen nebst Anhang verstohlen das Auge gen Westen zu - und richten das andere umso aufmerksamer gen Osten. Sofern die Einwände gegen Reagan und Schmidt überbaupt noch auftauchen, taugen sie nur als Plattform dazu, umso heftiger gegen Breschnew iu Feld zu ziehen. Schöne Ausgewogenheit.

- Soll es vielleicht ein Protest gegen den NATO-Doppelbeschluß gewesen sein, als am 22.11. auf der Diskussionsveranstaltung der Grünen der ehemalige tschechoslowakische ZK-Sekretär Zdenek Mlynar dafür Beifall gezollt bekam, daß er in seinen Erinnerungen kramte und dabei - wie zufällig - die Verbrecherkarriere des Leonid Breschnew zutage förderte?

"In gutem Deutsch erinnerte er die Zuhörer, daß 'wir schon viele schöne Reden von Breschnew gehört haben', nur sei der Mann unglaubwürdig, 'weil wir zuviele Gewalttaten von diesem Herrn gesehen haben', und er gab Erinnerungen an seine persönlichen und schmerzlichen Erfahrungen bei Verhandlungen mit Breschnew im Verlauf des Prager Frühlings zum besten." (Frankfurter Rundschau)

Von wegen Ausgewogenheit: Zu mehr sind ja wohl die Memoiren dieses kalten Kriegers nicht tauglich als für den Nachweis, daß man den Russen nicht über den Weg trauen kann. Die Geschichte vom Wolf im Schafspelz konnte man übrigens auch auf dem Marktplatz zu hören bekommen.

Von wegen Ausgewogenbeit: welcher grüne Demonstrant hat denn den Hetzern von der KPD-ML ihren, in bester "Stürmer"-Manier verfaßten, Breschnew-Steckbrief ("W'orsicht, dieser Mlann ist mit SS-20-Raketen bewaffnet") um die Ohren gehauen, mit dem sie für die grüne Demo mobilisiert haben? Hätte diese Mischpoke statt ihres Offenen Briefes an Breschnew nicht besser einen vertraulichen an Generalbundesanwalt Rebmann geschickt mit der Aufforderung, den Staatsfeind gleich am Flughafen zu verhaften?

- Soll es vielleicht der Verhinderung der Stationierung neuer NATO-Raketen in Europa dienen, wenn der neue Stern am westdeutschen Dissidentenhimmel, der Russe Mlichael Voslensky, in seiner "heftig beklatschten Rede" (Frankfurter Rundschau) Sprüche etwa des folgenden Kalibers loswurde?

"Die wichtigste Aufgabe der Friedensbewegung besteht deshalb darin, Breschnew jede Hotfnung auf psychologisch-politischen Gewinn zu nehmen" (Vollzugsmeldung der BILD-Zeitung: "Schmidt steht wie 'ne Eins"), "ihm klarzumachen, daß sie für den Frieden, weder eine antiamerikanische, noch gar eine prosowjetische Bewegung ist. (...) Eine Massenbewegung braucht klare, für jeden verständliche Losungen." (Die kann sie haben...) "Sie sollte nicht nur vom Westen" (schön gesagt!), "sondern genauso von der Sowjetunion fordern: Verhandlungen um eine (!) Nullösung! Verschrottung aller SS 20 vor den Augen einer internationalen Kommission!" (In die dann, um der Ausgewogenheit willen, mindestens drei Grüne reinmüssen).

Jetzt soll bloß keiner nach dem 10.10. und dem 22.11. daherkommen und beteuern, es sei alles ganz anderes gemeint gewesen, in Wirklichkeit sei die grüne Fraktion der Friedensbewegung ganz anders... Sie wird schon wissen, warum sie auf der Frequenz von Radio Free Europe funkt!

- Denn was ist der Auftritt des grünen Betriebsrats Willi Hass aus Stuttgart anders, der die Russen wegen der Verletzung der schwedischen Hoheitsgewässer anprangert? Diese Lesart hat er ja auch bloß unserer freien Presse entnommen; Umweltverschmutzung hat es in den schwedischen Schären nachweislich nicht durch das U 122 gegeben, und sein Motorboot auf dem Neckar ist wegen der Russen noch nie gekentert.

Seine Bürgerpflicht kennt ein Grüner sehr genau. Rudolf Bahro, wer sonst, hat die grüne Ausgewogenheit auf den Punkt gebracht:

"Wir denken an unser Land, an Europa, an den Frieden der Welt."

Genau in dieser Reihenfolge und entsprechend mit eindeutigen Resultaten. Kein Vorschlag war auf der grünen Demo und der anschließenden Diskussionsveranstaltung populärer als der, die SS 20 zu verschrotten. Als ob man das nicht am Buß- und Bettag von einem Mann gehört hätte, der der ökologischen Bewegung todsicher nicht nahesteht!

Wir lassen uns unser Feindbild nicht nehmen

"Im Bemühen um eine 'Realistische Konzeption hin zum Frieden' müsse man nämlich - so Hasenclever - die Bevölkerung da 'abholen', wo sie steht, also mit ihrer Russenangst und der 'instinktiven Auflehnung' gegen den Gedanken einer 'Kapitulation'." (zit. nach "Arbeiterkampf", Nr. 209)

Genau das haben die Grünen getan: In ihrem Friedensmanifest vom September, im Aufruf zur Anti-Breschnew-Demo und schließlich am 22.11. in Bonn. Und sie taten es gründlich, so gründlich, daß sie ihrerseits ein Feindbild ausgemalt haben, das sich gewaschen hat:

"Wir glauben nicht an die NATO-Lüge, nach der eine sowjetische 'Vorrüstung' durch eine amerikanische 'Nachrüstung' zu korrigieren wäre. Unabhängig (!) davon aber stellen wir fest, daß sowjetische Mittelstreckenraketen heute auch die westeuropäischen Länder bedrohen, in denen bisher keine Atom-Raketen stationiert sind, die die UdSSR erreichen. Dadurch wird es der NATO erleichtert, die Psychologie des Wettrüstens in der Bevölkerung aufrechtzuerhalten." (Demo-Aufruf nach "Frankfurter Rundschau").

Wir glauben unsererseits nicht, daß dieser Aufruf von dem Willen getragen ist, Wahrheit und Ideologie des Doppelbeschlusses - offenzulegen. Denn ganz "unabhängig" von den ideologischen Manövern der NATO leistet sich die grüne Abteilung der Friedensbewegung die Feststellung, daß an dem, was eine "Lüge" sein soll, etwas dran ist: Sprich, daß die Russen daran schuld sind, daß der Westen eine einzige Hetze gegen sie unternimmt. Ein etwas verschlungener Pfad des Antikommunismus. Die NATO von unten, als die sich die Grünen verstehen, ist ausgerechnet auf die Russen sauer, weil diese die NATO von oben darin bestärkt, ihr Rüstungsprogramm nebst der ideologischen Aufrüstung im Innern durchzuziehen. Dies führt, im Namen eines ganz autonomen Feindbildes, das die Grünen in Sachen Sowjetunion aufmachen, zu Forderungen, die denen der offiziellen Politik zum Verwechseln ähnlich sind. Die Regierungsposition, eindeutig dem sowjetischen Parteichef zur Kenntnis gebracht: Wenn ihr eure SS 20 verschrottet, dann gibt es vielleicht eine 'Nullösung'. Die Friedensbewegung: Wenn die SU ihre SS 20 verschrottet, dann können wir endlich überzeugend gegen die 'Nachrüstung' protestieren. So ist die Sowjetunion nicht nur der universale Störenfried des Westlichen Bündnisses, sondern zu allem Überfluß auch noch ein Störfaktor der hiesigen Friedensbewegung.

Prompt schreibt der Vorstand der Grünen folgendes an Breschnew:

"Die in der Bevölkerung geschürte Angst vor den sowjetischen Raketen erschwert unser Bemühen, die weitere Aufrüstung in Mitteleuropa zu verhindern." (wohlgemerkt, an Leonid adressiert)

Eine perfide Logik: Würde die SU freiwillig den Zustand herstellen, den die NATO ihr mit allen Mitteln ökonomischer, politischer und militärischer Erpressung aufzwingen will, dann wäre die Friedensbewegung in der BRD glaubwürdiger, dann ließe sich die 'Nachrüstung' vielleicht verhindern, weil sie nicht mehr mit der Lüge von der sowjetischen Bedrohung begründet werden könnte. Alles weitere dazu bei Voslensky.