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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1981 erschienen.

Systematik


DER SMIC UND SEIN SYMBOLWERT

Die Erhöhung des Mindestlohns (SMIC) war der wohlberechnete Wahlschlager, mit dem Mitterrand und Co. den französischen Proleten bedeuteten, wen sie massenhaft ins Parlament zu wählen hatten. Dem arbeiterfreundlichen "Symbolwert" dieser Erhöhung tat es verständlicherweise keinen Abbruch, daß sie mit 10% erheblich unter den vor der Präsidentenwahl versprochenen 30% blieb und die ohnehin fällige automatische SMIC-Erhöhung nur um 2 bis 3 Prozentpunkte übertraf.

Der SMIC erhöht sich nämlich laut Gesetz mit jeder Steigerung des offiziellen Lebenshaltungsindex über 2% hinaus sowie mit der Erhöhung der Durchschnittslöhne und hat es dadurch inzwischen zu der Armutshöhe von ca. 1.110.- DM gebracht. Es ist dabei erstens selbstverständlich, daß die Berechnung des Arbeiterhaushaltsbudgets alles als unnötigen Luxus ausschließt, was sich ein Arbeiter nicht leisten kann = darf, und daß demnach für einen SMIC-Empfänger die Preise nur dann steigen, wenn die als dem Arbeitergeldbeutel adäquat festgelegten Mengen an baguettes und vin ordinaire teurer werden.

Zweitens funktioniert der "Inflationsausgleich" so, daß stets schon gelaufene Preissteigerungen nachträglich kompensiert werden und die gegenwärtigen Preissteigerungen den Proletenwarenkorb noch kleiner machen. Drittens schlägt der französische Staat so seine "Schlacht gegen die Ungleichheit", daß die obligatorische jährliche Erhöhung der Kaufkraft des SMIC nicht niedriger als die Hälfte der Erhöhung der Kaufkraft der Durchschnittslöhne ausfallen darf. Im Klartext: Die Durchschnittslöhne haben nur dann einen Einfluß auf den SMIC, wenn sie schneller als die Inflationsrate steigen was in Frankreich ungefähr so ungewöhnlich ist wie hierzulande! - und für diesen Fall trifft der Staat die gesetzliche Vorsorge, daß das vorprogrammierte Zurückbleiben des SMIC sich in Grenzen hält. Umgekehrt dürfen die Löhne der versehiedenen Berufskategorien nicht nach dem SMIC indexiert werden. Mit diesen zwei Bestimmungen macht der Staat klar, daß seine großartige "Beteiligung der Benachteiligten an der wirtschaftlichen Entwicklung" darin besteht, nicht nur den Abstand, zwischen Smicards und übrigem Proletariat, also die Lohnhierarchie festzuschreiben, sondern vor allem diese Lohnhierarchie insgesamt schön niedrig zu halten, indem eine Erhöhung des Niedrigstlohns ja kein Anlaß für eine allgemeine Lohnerhöhung sein darf.

Mit dem SMIC setzt der französische Staat also ein Niedrigstniveau für die Löhne. Er hält die unterste Lohnklasse aus den Tarifauseinandersetzungen heraus und erspart den Proleten, den Kapitalisten und sich selbst damit permanente Arbeitskämpfe. Daß er sich so als Sozialstaat für die unterste Mannschaft zuständig erklärt, schließt umgekehrt keineswegs aus, daß "mehr als vier Millionen Menschen mit Einkünften auskommen müssen, die noch weit unter diesem amtlichen Existenzminimum liegen" (Süddeutsche Zeitung): Man muß nur Lehrling, concierge, Hausangestellter oder in einem Betrieb mit weniger als zehn Arbeitem beschäftigt sein, um von vorneherein nicht unter die SMIC-Regelung zu fallen, und im übrigen kann das Einklagen des Mindestlohns beim Unternehmer Anlaß zum Rausschmiß sein, wohingegen die Strafe für die Entlohnung eines Arbeiters unter dem SMIC-Satz ganze 600-1000F beträgt. Auf der anderen Seite ist der SMIC die lohndrückende Leitlinie, an der sich alle Proleten abzuarbeiten haben. Ein Mindestlohn unterstellt nämlich eine beträchtliche Konkurrenz darum, ihn gerade nicht zu kriegen, und alles, was über ihn hinausgeht, ist an zusätzliche Erpressungen seitens der Kapitalisten gebunden und muß vom Arbeiter mit vermehrter Leistung bezahlt werden.

Die Erhöhung des SMIC war also alles andere als ein Geschenk und von Mitterrand anläßlich der Parlamentswahl als unverschämter Sozialpakt berechnet. Wo jeder arbeitende und wählende Franzose wußte, daß die Regierung die Benzin-, Tabak-, Alkohol- und Autosteuern, die Sozialmieten, Strom und Gas und die öffentlichen Verkehrsmitteltarife erhöhen, war die SMIC-Erhöhung von vornherein als Demonstration der Regierung zu verstehen, daß sie es prinzipiell, unabhängig von der Wirkung ihrer Maßnahmen mit den Arbeitem gut meine. Die Demonstration des guten Willens, diese vorgezogene Anweisung auf zukünftige verstärkte Inflation und Preissteigenngen, war auf die Verpflichtung der Arbeiter auf das sozialistische Regierungsprogramm berechnet, für dessen Gelingen man auf Lohnerhöhungen zu vernichten bereit sein muß. Der "Symbolwert" der unverschämten Maßnahme zeigte sich postwendend in der Reaktion der Gewerkschaften, die als nunmehr Berater in Sachen Sozialstaat ihre anerkannte alte 30%-Forderung konstruktiv zurückstellten.