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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1981 erschienen.

Systematik

BRD und "Dritte Welt"
DIE SICHERUNG DES WELTFRIEDENS VON NORD GEGEN SÜD

"Wir sind in der Tat nicht interessiert, Gaben für Länder auszuschütten, die uns feindselig gegenüberstehen. Das entspricht ja wohl auch dem gesunden Menschenverstand..." (Allen)

Klare Worte vom Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten - und in Bonn haben sich die für solche Mitteilungen sensiblen Politprofis auch längst darauf eingestellt, daß die Amis mit deutscher Hilfe den Russen überall auf dem Globus ihr Existenzrecht streitig zu machen gedenken. Nur: So direkt will sich kein Genscher zu solcher imperialistiichen Aufgabenteilung bekennen. Er beschwört lieber vor der UNO in New York, daß

"die Menschheit als Ganzes vor großen, globalen Herausforderungen (steht)" (Rede vom 23.9.81),

um die BRD vor den Staaten der "3.Welt" als selbstlosen Förderer des "Weltfriedens" ins Spiel zu bringen.

Als sei die "Weltlage" ein überirdisches Subjekt, das "unseren Beitrag" unumgänglich mache, und nicht von Staaten angezettelt, die unter Führung der USA ihre imperialistischen Ziele durchsetzen! Abgesehen von dieser Lüge kündigt der Vizekanzler mit seiner methodisch aufgemachten Sorge um die "Aufrechterhaltung der Lebensbedingungen auf unserem Planeten" unmißverständlich an, daß sein Land ganz besonders berufen ist, am erfolgreichen Gelingen einer Politik, die sich für alle von ihr selbst dazu erklärten "Probleme" dieser Welt zuständig weiß, mitzuwirken.

Frieden auf Erden

Deutschland steht zu seiner weltpolitischen Verantwortung, so heißt das im feinen diplomatischen Stil durchaus präzis: Schließlich sind "wir" weltweit engagiert, weshalb ja auch ein schweinchenschlauer Politiker wie Genscher über die Zwecke solch imperialistischer Politik gar nicht erst groß zu reden, geschweige denn Bescheid zu wissen braucht. Eines ist nämlich sogar diesem Dicken unter die Haut gegangen: Die Welt steht bis auf gewisse russische Enklaven zur deutschen Disposition. Das ist 1. gut, aber nicht einmal ein Wort des Dankes wert; denn es ist 2. nicht gut genug und daher Grund, den versammelten Staaten "Willen zu globaler Solidarität" nahezulegen.

Auf die sächselnd hingeschleimten Ermunterungen des deutschen Außenministers hin sollen sie sich bei sich zu Hause gefälligst um eine

"stabile wirtschaftliche und soziale Entwicklung in der 3. Welt"

kümmern, weil die

"unentbehrllch (ist) für einen dauerhaften internationalen Frieden".

Man könnte zwar denken, daß den da unten niemand braucht, weil der dortige Frieden samt seinen dazugehörigen gelegentlichen Metzeleien bislang ja vollkommen ausgereicht hat, den natürlichen Reichtum für den Westen verfügbar zu halten; und dafür war doch die jeweilige lokale Herrschaft bis dato "stabil" genug, bzw. auf dem Weg in die "Entwicklung" dorthin. Mit einem Mal jedoch legt sich der Genscher für uns Deutsche vor der UNO in Falten und spricht:

"Mit Besorgnis sehen wir diese Krise der Entwicklung."

Nicht, daß er darum den Staaten der "3. Welt" gleich die ganze von Deutschland her finanzierte "Entwicklung" streichen möchte - sie dürfen schon Entwicklungsländer bleiben, nur bekommen sie neuerdings auch noch offiziell mitgeteilt, daß der Zweck ihrer Entwicklung - für den deutschen Geldgeber entsprechender Hilfe im weitesten Sinne benutzbar zu sein - eben nicht mit dem Interesse ihrer Herrschaft zusammenfällt und ihr Dienst nun über die bisherigen Verpflichtungen hinaus im fleißigen Befördern des imperialistischen Weltfriedens zu bestehen hat:

Bezogen auf dieses hohe Ziel ist die bisherige Entwicklung der Länder der "3. Welt" Herrn Genscher natürlich eine Überprüfung wert. So manches, was bislang im einseitigen "Dialog" des Nordens denen im Süden als ihr Problem mit einer "ungerechten Weltwirtschaftsordnung" zugestanden wurde, erklärt die nicht besonders nordische Figur des deutschen Imperialismus im Licht der neuen imperialistischen Aufgabenstellung für reichlich blaß. In solch aufgemachter "Krise der Entwicklung" kann es nicht ausbleiben, daß der große deutsche Bruder hilfreich seine Hand ausstreckt und den unsicheren Kantonisten aus dem Süden den rechten Weg in eine stabile, da von "uns" gemachte Weltpolitik weist:

"Die Nord-Süd-Frage ist nicht nur die weltweite soziale Frage, sie ist eine Weltfriedensaufgabe".

Auch eine schöne diplomatische Abgrenzung von den Amis und dem von ihnen forcierten "Ost-West-Konflikt", den "wir" nach Auskunft des deutschen Weltreisenden in Sachen Frieden "nicht auf die 3.Welt übertragen (dürfen)"! Haben "wir" das denn nötig, wo "wir" doch im Rahmen dieser militanten pax americana den eigenständigen Part der Auspinselung der Friedensseite in den moderaten Tönen großer politischer Besorgnis übernommen haben und damit die "3.Welt" auf den deutschen Vordermann des amerikanischen Hintermannes bringen.

Humane Wertschöpfung auf dem Vormarsch

Deutsche Außenpolitik hat sich mit dieser neu eröffneten Dimension unter den holden Sachzwang gesetzt, einigen erlesenen südlichen Vorposten des Friedens und der Freiheit, die "wir" meinen, verstärkte Hilfe zukommen lassen zu müssen: etwa für die desolaten Ägypter, die jüngst um einen Präsidenten armer gemacht wurden und die lieben Saudis, die doch "unser Öl" so gern gegen die Russen mitverteidigen möchten. Das nennt sich dann "Umdenken", und so einiges an Entwicklungshilfe wird in der Tat umgepolt. Für so manchen Kredit wird dies Kürzung und für das eine oder andere bislang gehätschelte Entwicklungsprojekt auch das Aus bedeuten:

"Wir müssen wegkommen von den überanspruchsvollen Projekten." (Hamm-Brücher)

Andererseits heißt das nicht, daß dem deutschen Kapital, dem Musterplantagen in der Wüste eh schon immer ziemlich gleichgültig waren, Länder unzugänglich gemacht würden, in denen es sich profitlich anlegen kann. Vielmehr läßt sich dank der weltfriedensmäßigen Besinnung der BRD die Vergabe politischer Kredite in die "3. Welt" zu Bedingungen neu ordnen, die diesen Ländern erschwert auferlegt werden. An Ökonomisierung des finanziellen Aufwands ist da einiges drin, was den Adressaten auch prompt als verschärftes Herannehmen mitgeteilt wird:

"Entwicklungshilfe wirkt nur dort nachhaltig, wo sie die eigenen Anstrengungen verstärkt... Das setzt eine entsprechende Politik des Entwicklungslandes voraus." (Offergeld vor der UNO-Entwicklungshilfekonferenz in Paris, 4.9.81)

Andererseits wird darüber diskutiert, wie man garantieren kann, daß von den "finanziellen Geschenken" an diese Länder noch mehr als 70% in die Hände deutschen Kapitals zurückfließen. Auf dieser gesunden Grundlage steht endlich ein Ausbau des weltweiten Engagements Deutschlands an, was zeigt, daß "wirtschaftliche Schwierigkeiten" und "Sparzwang" als wohlfeile ökonomische Legitimation deutscher Politik nicht den Grund darstellen, die Beziehungen zur 3. Welt" neu zu regeln - die läßt man sich nämlich wie die Rüstung einiges kosten, um als imperialistische Großmacht vorn dran zu bleiben:

"Im nächsten Jahr wird der Gesamthaushalt nur noch geringfügig steigen. Trotz dieser Schwierigkeiten wird das Entwicklungsbudget der Bundesrepublik stärker als der Gesamthaushalt wachsen... Unsere Leistungen... werden aber nicht mehr so rasch steigen können wie in den vergangenen Jahren." -

Das wird sich aber wohl noch verschmerzen lassen, wo doch deutsches Kapital in der Zwischenzeit an Ort und Stelle seine - wie es so schön heißt - "private Entwicklungshilfe" entfalten und als segensreiches Werk vorantreiben kann:

"Die deutsche Wirtschaft hat weltweit mehr zu bieten als gute Produkte, pünktliche Lieferung, perfekten Service, kurz gesagt, als Effizienz. Von ihr werden Partnerschaft mit dem Gastland und seinen Arbeitnehmern, faire Wettbewerbsgesinnung und soziale Konflikte zwischen arm und reich, zwischen Volksgruppen und Rassen gemildert werden können, wo Diskriminierung entgegengetreten wird, wo einheimische Arbeitnehmer in allen Bereichen und auf allen Ebenen tätig werden können, wird der Beitrag deutscher Investitionen weit über den wirtschaftlichen Gewinn hinausgehen. Neben die ökonomische Wertschöpfung tritt dann eine soziale und humane 'Wertschöpfung'. Viele Länder brauchen diese genauso dringend wie Kapital und Technologie. Die deutsche Wirtschaft kann diese Aufgabe wie kaum eine andere leisten."

Resultat erfolgreicher "humaner Wertschöpfung" ist es dann wohl auch, daß in der "3. Welt" "scharfe soziale Konflikte zwischen arm und reich" nicht existieren, da die Völker es im gemeinsamen Hunger gar nicht erst zu solch gesellschaftlichen Errungenschaften wie einem "sozialen Konflikt" haben bringen können, in dem immer jemand "diskriminiert" wird. Nur gut auch, daß die "einheimischen Arbeitnehmer in allen Bereichen und auf allen Ebenen" damit befaßt sind, Eßbares aus Urwald und Feld zu organisieren, sofern sie nicht bevorzugen, sich von den üppig wuchernden Müllhalden ihrer Slums zu bedienen.

Hunger muß sein!

Außerdem unterstützen "wir" diese appetitliche Folge "ökonomischer Wertschöpfung" in der "3. Welt" ja auch noch aus dem Topf der sattsam bekannten "Hungerhilfe", mit der man aber auch nicht prassen soll und die deshalb

"vor allem dorthin zu lenken (ist), wo sie die Eigenanstrengung zugunsten der Menschen in absoluter Armuf unterstützt und ergänzt."

Wo von Entwicklungshilfe des Imperialismus die Benutzung bzw. Nichtbenutzung eines Landes der "3. Welt" (was für die Massen auf den selben Hunger hinausläuft) durchgezogen wird, sind "Eigenanstrengungen" der Menschen in absluter Armut" eigentlich von vorneherein ein Unding und alle Hungerhilfen deplaziert. Doch reduzieren BRD-Politiker mit ihrem zynischen Hinweis auf die Hungerleider nicht nur alle Entwicklungsländer auf den Status von Almosenempfängern, die sich das Geld, das "wir" für sie geben, erst einmal verdienen sollen, weil sie es im Grunde nicht wert sind; sondern sie eröffnen mit der Zahlung aus besagtem Topf auch gleich eine Extra-Abteilung von Ländern (LLDC, die 31 "Ärmsten der Armen"), in denen als zur Zeit weitgehend uninteressanten Territorien die faux frais des Imperialismus geradezu auf Null gebracht werden können. Präsident Carstens hat dies in der ihm eigenen drögen Plattheit unmißverständlich dargetan, indem er seinen Deutschen anläßlich der jüngsten "Woche der Welthungerhilfe" riet, mit 10 DM könnten sie dabei sein, einem Bimbo eine Hacke zu stiften. Nur zu, wo doch ein Wüstenklo unverschämte 40 DM kostet und der Staat nichts beisteuert!

Weniger knauserig ist er ja gottlob bei den etwas teureren Waffen, die er als integralen Bestandteil der Entwicklungshilfe in den Nahen Osten liefert. Neue Definitionen dessen, was jetzt als einfaches und was als zu stabilisierendes "Spannungsgebiet" zu gelten habe, sind in dem Zusammenhang natürlich äußerst gefragt. Die Bündnisinteressen sind dabei erfreulicherweise auch zu berücksichtigen. Jedenfalls tun eigens auf die Analyse dieses Resultats angesetzte Kommissionen der Regierungsparteien kund, daß sich NATO-Interessen keineswegs, wie der Name fälschlicherweise nahelegen könnte, auf den Nordatlantik beschränken, sondern ziemlich weltweit artikulieren. Die Lieferung von allerlei Kriegsmaterial in die Nah-Ost-Region wird sich die BRD zur Propagierung ihrer und damit auch gleich der weltweiten Friedensinteressen also wohl kaum nehmen lassen.

Diplomatische Extratouren

So etwas liegt im einvernehmlichen Dissens mit den Amis, die ja ihrerseits auf deutsches Front-Bewußtsein durchaus rechnen, möge es sich nun mehr friedensmäßig wie bei der gegenwärtigen Regierung oder mehr antikommunistisch gerieren, wie es die Opposition verspricht.

Beim Krieg der Republik Südafrika gegen Angola z.B. ist von westlicher oder gar bundesdeutscher Unterstützung zur politischen und militärischen Stärkung dieses imperialistischen Bollwerks in Deutschland nicht nur keine Rede, sondern es wird sogar einiges an Verurteilung aufgefahren:

"Restkolonialismus und Rassismus im Südlichen Afrika müssen überwunden werden. Wir verurteilen die Intervention Südafrikas gegen Angola, die Republik Südafrika hat damit eine schwere Verantwortung auf sich geladen." (Genscher)

Nach dieser "Verurteilung" des südafrikanischen Einmarsches kann sich die BRD dem amerikanischen "Argument" nicht verschließen, daß die südafrikanische Aktion im "Zusammenhang" mit kommunistischer Präsenz in Angola gesehen werden müsse und ein Tadel des Weltsicherheitsrats nur rein theoretischer Natur sein kann. Darüber hinaus erregt die BRD Aufsehen dadurch, daß hintereinander der angolanische Regierungschef und der Führer der SWAPO in Bonn empfangen werden - wobei die reine Tatsache des Empfangs auch schon die ganze Sensation ist. Von Genscher erfahren die beiden Herren nämlich ungefähr dasselbe, was ihnen von den USA ganz undiplomatisch bedeutet wird: Die Anwesenheit von Militär- und Zivilpersonen aus Kuba, der SU und der DDR ist untragbar, unter diesen Umständen ist die Souveränität Angolas ziemlich gefährdet, und die Chancen zur Realisierung der UNO-Resolution zur Unabhängigkeit Namibias stehen schlechter denn je zuvor. Hier wird eben mitgeteilt, daß die durch Südafrika geschaffenen Fakten künftig die Geschäftsgrundlage des Imperialismus in dieser Weltgegend und Ausgangspunkt für zukünftige "Entwicklungen" sind - vorgetragen durch die BRD als "mäßigender" Kraft, die selbstverständlich weiterhin um Unabhängigkeit Namibias und Ausgleich bemüht sein wird.

In der Sache voll auf amerikanischer Linie und um deren Durchsetzung bemüht; macht die BRD noch diplomatische Extratouren, um mit ihrem Image als Streiter für Freiheit und Unabhängigkeit der "3. Welt" Reputation zu gewinnen.

Im Falle von El Salvador verfährt sie ähnlich, wobei naturgemäß die Möglichkeiten bundesdeutscher Diplomatie hier von vornherein stark eingeschränkt sind. Das amerikanische Engagement geht hier so weit, daß man grundsätzlich alles selbst in die Hand nimmt, von der aktiven Sterbehilfe für oppositionelle und störende Salvadorianer bis zur Festlegung, welche Figuren dort zukünftig die Macht ausüben werden. Bonner Diplomatie ist hier zur Durchsetzung der USA nicht nur reichlich überflüssig, sondern auch unerwünscht, weil seitens der USA- in El Salvador keine Opposition vorgesehen ist, mit der es irgend etwas "auszugleichen" gäbe. In der BRD sind deshalb auch alle Friedenspläne für El Salvador und Verhandlungsvorschläge an die kämpfenden Parteien aufgegeben worden. Statt dessen erkennt man an, daß im "Vorgarten der USA" auch nur diese zuständig sind, und macht noch ein paar Pluspunkte für den Ruf der BRD als Friedensvermittler, indem offiziell kommentierend auf moderate Stimmen in den USA hingewiesen wird, die selbst einem "Ausgleich" in Mittelamerika das Wort reden. Bonn, so wird hier bedeutet, sähe es gerne, wenn die USA zu einer "für alle Seiten einvernehmlichen Lösung" tendierten, wofür man Anzeichen in der amerikanischen Administration entdeckt haben will - was in bezug auf die USA noch hoffen läßt und in jedem Falle der Lauterkeit der BRD ein gutes Zeugnis ausstellt.

Für den Nord-Süd-Gipfel im mexikanischen Cancun Ende des Monats eröffnet sich damit folgende Perspektive: Der Initiator Willy fühlt sich politisch hier nicht berufen, Kanzler und Vizekanzler sind weltpolitisch unabkömmlich. Aber nachdem die Amerikaner schon im Vorfeld der Konferenz den Part übernommen haben, alle überzogenen Erwartungen auf Null zurückzuschrauben, hat Deutschland die Formel "Kooperation statt Konfrontation" mit einer "3. Welt" gepachtet, die wenig Sorgen hat, wenn sie trachtet, mit solcher Phrase ins Gespräch zu kommen.