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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1981 erschienen.
KOMMT DER KANZLER NOCH AN?
Lieber Helmut!
Mann, bist Du arm dran! Da übernimmst Du eine schwere Verantwortung nach der anderen, reibst Dich auf für die Nation. Und wie wird es Dir gedankt? Ständig hackt man auf Dir herum und prognostiziert allenthalben Deinen baldigen Abtritt. Und obwohl Du mit Deinem Hernschrittmacher doch gerade in die Gesellschaft von so bewährten Machern wie Leonid Breschnew und Alexander Haig gelangt bist, stellen die Geier um Dich herum, kaum daß Deine Operation bekannt wurde, Deine "Belastbarkeit" in Deinem "mörderischen Amt" infrage. Ist der Kanzler am Ende, fragen sie alle, und selbst die "Bildzeitung", die in Dir den einzigen Sozialdemokraten liebt; berichtet von Deinem "letzten großen Kampf". Alle haben sie ihren Dolchstoß für Dich bereit, die Zeitungen, das Femsehen, die Opposition, die FDP, ja die eigenen Parteigenossen. Und wenn Du einmal müde wirkst, weil Du vor lauter Sorge um das Wohlergehen und die Sicherheit der deutsche Männer und Frauen nicht hast schlafen können, legt man Dir das doch glatt als "Amtsmüdigkeit" aus. Oder wenn offenbar wird, daß auch ein eiserner Kanzler ein zutiefst sensibler Mensch ist, Du darunter leidest, Deine Entscheidungen einsam und ohne Unterstützung treffen zu müssen, deshalb starr zur Decke blickst oder in einer schweren Stunde sogar Deinen Chauffeur fragst, ob er mit nach Hamburg gehe, wenn Du Dich ins Privatleben zurückziehst - dann rufen alle "Resignation": Der Kanzler glaubt selbst nicht mehr daran, daß er es noch lange macht. Womit hast Du das eigentlich verdient? Hast Du nicht Deinen Schwur: "meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden..." voll und ganz eingehalten und erst in letzter Zeit fast übererfüllt? Hast Du dabei nicht Deine von Dir selbst einmal angeführten Qualitäten, Realist und Schauspieler zugleich zu sein, ungeschmälert bewiesen?
Wie verantwortungsvoll hast Du doch allein in diesem Jahr das Wohl und den Nutzen des deutschen Volkes gemehrt! Erst hast Du messerscharf herausanalysiert, daß das deutsche Volk verwöhnt ist (mit dessen 'Wohlstand' im "Modell Deutschland" hattest Du früher immer angegeben, aber das war ja früher, nicht wahr?), und dann hast Du die Leute mit ihren Opfern vor Überwohlstand, der bekanntlich zu Sittenverfall führt, bewahrt. Gekonnt, wie Du steigende Arbeitslosigkeit, höhere Steuern, Streichungen der staatlichen Leistungen und was Du sonst dem lieben Volk noch alles aufgeherrscht hast, mit der allgemeinen krisenhaften Entwicklung begründest - wofür Du natürlich nichts kannst - und Dich dann unter die Reihen der Opfer mischt: Wir alle müssen Opfer bringen. Aber obwohl jedem klar ist, wer seinen Lebensstandard herunterzusetzen hat, hat Dir diese kleine politische Lüge nicht geschadet, ebensowenig wie die Sache mit den Opfern der Leute. Eher schon der Streit darum in Deiner Koalition. Wenn Dein Sozius Genscher von vomherein klarstellt, man müsse unbedingt ans Soziale Netz ran, Du es aber zum Tabu der SPD erklärst und dann doch die Streichungen wie vorgesehen beschließt, muß ja der Genscher besser aussehen. Daß die FDP mit einem Wechsel gespielt hat, ist natürlich gemein von ihr, wo eh feststand, was man gemeinsam machen wollte. Du hättest halt ähnlich Hartes entgegensetzen müssen, das wäre der richtige politische Opportunismus gewesen. Überhaupt ein wenig defensiv, so zu tun, als halte man unbedingt an der idealen Erfindung des Sozialen Netzes fest, wenn man es gerade entknüpft. Da muß man doch offensiv werden und sagen, daß Du und die SPD dafür sorgen, daß die Leute sich heute nichts und morgen noch weniger zu erwarten haben, und darf nicht mit der Arbeitnehmerschaft daherkommen, die Dir und Deiner Partei doch genauso wurscht ist wie der CDU/CSU - so lange die Wählerstimmen stimmen. So aber fängst Du Dir von der Opposition nur den Vorwurf der Halbherzigkeit ein, obwohl Du so einer gar nicht bist.
Viel Schaden auch hast Du von den Deutschen abgewendet. Man denke nur, was geschehen wäre, wenn Du nicht rechtzeitig die russischen SS 20 entdeckt hättest und nicht mit Deiner maßgeblichen Mitwirkung die NATO-Nachrüstung in Gang gekommen wäre - vielleicht wären sonst die SS 20 schon über die Zonengrenze gewuchert, obne daß Deine Freibeit, Gleichgewichtiges dagegenzusetzen bestanden hätte. Man male sich nur aus, wenn Du diese Nachrüstung nicht um Verhandlungen verdoppelt hättest, was dann geschehen wäre. Du könntest nicht immer die schöne Lüge loswerden, daß beide Seiten gleich wichtig sind. Dir wäre es nicht so leicht, von der Fortsetzung Deiner Friedens- und Entspannungspolitik zu reden, die ja nun wirklich nicht mehr aktuell ist. Und Du könntest Dich nicht brüsten, selbst entscheidend dazu beigetragen zu haben, daß sich die Amis mit den Russen treffen. Das alles hast Du gut hingekriegt, die amerikanische Eskalation ihrer Konfrontation mit den Russen, also die Kriegsvorbereitung, an der Du mit Deiner BRD voll beteiligt bist, als die beste, sicherste und realistischste Friedenspolitik hinzustellen, wobei Du schwer darauf achtest, daß die Großmächte weiter miteinander reden, und ansonsten Dein Mitmachen auf die Konfrontation der Großmächte schiebst. Den Vorwurf des Zynismus, einfach so Dein Volk in den nächsten Krieg zu führen, wollen wir Dir nicht machen - dazu kennen wir die Gepflogenheiten demokratischer Politik, bundesrepublikanischer zumal, und auch Dich zu gut.
An Dir hat es bestimmt nicht gelegen, daß Du mit Deiner realistischen Friedenspolitik zum Schutz der Leute, die dann dafür verheizt werden, nicht an Anseben gewonnen, sondern an Glanz verloren hast. Aber wundern darfst Du Dich desbalb auch nicht, daß man die Wende von Deiner und Willys Friedens- und Entspannungspolitik zu einer Friedenspolitik der Aufrüstung für das Ende des Friedens nicht so bruchlos als ihre Fortsetzung mit einem NATO-Doppelbeschluß verkaufen kann. Damit mußt Du schon rechnen als der Mann, der bisher mit seinem Erfolg seiner Partei zum Erfolg verholfen hat, daß nun Genossen Deiner Partei mit einer Aufrüstungs-SPD Bedenken bekommen und Zweifel anmelden, ob die Amis wirklich verhandeln wollen. Wo es auf Deinen Erfolg nun mal so wenig ankommt, wie bei der derzeitigen Linie unseres Freiheits-Bündnisses, liegt für manchen SPD-Genossen halt die Sorge nahe, mit dieser Wende könne die SPD nicht nur ihre Kontinuität, sondern auch ihren Erfolg verlieren.
Klar, als Satellitenkanzler, von dem die USA einiges verlangen, kann man nicht mehr den großen Mann spielen. Wenn dann noch in Deiner Partei antiamerikanische Töne laut werden, die Du niedermachst, ja dann siehst Du doch wie ein "Kanzler der Alliierten" aus. Ein blöder Vorwurf zwar, denn alle bundesrepublikanischen Kanzler waren Kanzler der Alliierten, aber was er innenpolitisch bedeutet, wirst Du nicht vergessen haben. Das hat doch sozialdemokratische Tradition!
Du hast ja auch beizeiten darauf Rücksicht genommen, daß in Vorkriegszeiten ganz selbstverständlich der Wunsch nach Frieden zunimmt, indem Du Dich selbst als den einzigen wirklichen Garanten des Friedens hast wiederwählen lassen. Da mußt Du Dich nun auch nicht wundern, daß dieser Wunsch sich zunehmend äußert und Parteimitglieder mit der Friedensbewegung ein Problem bekommen, weil sie meinen, die SPD selbst müsse da am Ball sein, damit zumindest eine Menge glauben, sie sei so ähnlich für den Frieden. Ohne die SPD kannst Du nicht Kanzler bleiben. Meinst Du wirklich, die Tour zöge heute noch, Leute wie Eppler und so als sozialdemokratische Spinner abzutun? Jetzt nach der großen Friedensdemo wirst Du Dir doch wohl einen anderen Trick einfallen lassen, schließlich machen die's Dir wirklich nicht schwer. Dein erster Ansatz vom Krankenbett aus - mit 'NATO die größte Friedensbewegung' und so - war allerdings noch nicht das Gelbe vom Ei.
Sicher hast Du nicht schlechter regiert, letztes Jahr. Wie gut, das merkt noch der letzte Bürger, wenn er zur Kenntnis nimmt, wie erfolgreich Du ihm zum Sparen für die Verteidigung seines lieben Vaterlandes verhilfst. Aber mit Dir und Deiner SPD stimmt trotzdem einiges nicht. Sicher, Du hast für die SPD alle Wahlen gewonnen, seit Du Kanzler bist. Sicher, mit der Reformpartei unter Willy als Kanzler ist es schon lange vorbei - Du warst eben der Kanzler, mit dessen Glanz die SPD ihre Wähler auf sich zog. Aber was ist, wenn man von der SPD sagt, sie sei uneinig, zerstritten, und sie das von sich selbst sagt; wenn man von Dir sagt, Du seiest auch nicht mehr der, der DU mal warst? Niedersachsensyndrom?
Wir geben ja zu, daß Du Dir eigentlich nichts vorzuwerfen hast. Du kannst den Leuten wirklich eine Menge reinmurksen, was Du ja auch getan hast. Das ist es nicht. Aber wenn Du wissen solltest, daß die Leute durch Deine und der anderen Parteien praktizierte demokratische Politik so emanzipiert sind, daß sie ihr Interesse nie und nimmer in Rechnung stellen, wenn sie wählen gehen, also ihre Zustimmung zum Staat nicht nach dem Erfolg der Politik für sie (da sähet Ihr alle sehr schlecht aus) bemessen, sondern nach dem Erfolg der Parteien oder des Kanzlers in der politischen Arena, dann muß Du schon einsehen, daß Du nicht ohne Gefährdung Deines Jobs einfach so weitermachen kannst wie bisher, im Vertrauen auf die Durchschlagskraft Deine politischen Arroganz. Schauspielerei ist eine gute politische Qualität, wie man an Dir so gut sieht. Aber was ist, wenn sie niemand mehr für gelungen erachtet, also keiner mehr denkt, wie souverän Du doch mit der Welt, den Parteien und allem umspringst?
Dein entscheidender Fehler scheint uns deshalb zu sein, daß Du die Wende Deiner Friedens- und Entspannungspolitik zur Politik der Vorkriegszeit, daß Du den Übergang vom Glanz der deutschen Großmacht in der Welt (das hat Dir doch gefallen, nicht wahr?) zum Bündnispartner, der seine Pflichten zu erfüllen hat und dabei kaum großdeutsche Töne spucken kann, daß Du das als Kanzler durchsetzen mußt und willst. Die Opposition hat es da wirklich leicht. Obwohl sie nichts anderes will als Du, besser weil sie nichts anderes will als Du, braucht sie nur immer wieder zu bemerken, daß Du und Deine Partei es nicht mehr bringen. Verrückterweise brauchen das die Wähler nur mitzubekommen - und wählen dementsprechend. Daß Du das für äußerst ungerecht hältst, können wir verstehen. Grund zum Mitleid mit Dir besteht jedoch keiner: Schlimmstenfalls wirst Du halt demnächst anfangen, Bücher zu schreiben über Deine Politik der Arroganz und über die Schauspielkunst der Macht (das soll eine Kunst sein?). Erheblich schlechter dran ist da schon Dein Volk. Denn ob ein Helmut als Kanzler oder bald schon oberster Kriegsherr die Ideologien und Realitäten der Macht mit immer denselben rhetorischen Maschen (unter geschicktem Einsatz von laut - leise oder monoton lispelnd) vorschreibt, ob er Kohl oder Schmidt heißt, wie Du, das macht nun einmal für den Regierten keinen Unterschied. Du brauchst Dich deshalb auch nicht zu grämen, wenn es vielleicht nur 8 Jahre waren. Dein Werk wird auf jeden Fall fortgesetzt.
Wir schließen deshalb auch mit keiner Hoffnung, sondern mit einer Mahnung. Denk ja nicht, Du könntest Dich aus der Verantwortung stehlen, bevor es losgeht, und dann nachher sagen, Du wärst es nicht gewesen. Wenn ein anderer beschließt, die Deutschen fürs Vaterland zu verheizen, dann hast Du dieselbe Sache gehörig angeheizt. Deshalb
Mach's besser nicht gut!