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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1981 erschienen.

George Gilder, "Reichtum und Armut"
DAS HOHE LIED VOM KAPITAL

"Die Vulgärökonomie tut in der Tot nichts, als die Vorstellungen der in den bürgerlichen Produktionsverhältnissen befangenen agentea dieser Produktion iu verdolmetschen, zu systematisieren und zu apologetisieeren..." (Marx, MEW 25, S. 825)

Wer sich immer schon fragte, woher denn dieser abgehalfterte Cowboy Reagan das Zeug zum Wirtschaftspolitiker habe; wer nach der "Gedankenwelt", den "theoretischen Konzepten" und den "Hintergründen" dieser Maßnahmen suchte, also meint, Wirtschaftspolitik müsse doch prinzipiell etwas mit Vernunft und Wissenschaft zu tun haben; wer sich also - anstatt auch nur ein einziges wahres Urteil über die tatsächlichen Zwecke der inzwischen reichlich vorhandenen Werke dieses Mannes fällen zu wollen, - lieber um "Verständnis für diese Politik" bemüht, - der hat inzwischen vom Buchhandel erhalten, was er verdient: George Gilders "Reichtum und Armut", laut "Zeit" "die Wirtschaftsfibel", die Reagan unter dem Bett liegen hat und der er seine "rechten Rezepte" entnimmt, wenn er mal nicht weiterweiß; in einem Wort: das Beste, was die heutige Nationalökonomie in Sachen Rechtfertigung der Herrschaft an anerkannten Dummheiten zu bieten hat.

Einerseits liegt Gilder ganz auf der Linie der Säuberungsaktionen im nationalökonomischen Lager: Daß der Staat die an ihn gezahlten Beiträge der Sozialversicherungen nicht einfach einbehält, sondern Teile davon wieder hergibt, die politische Sorge also, ein beachtlicher Teil des Volkes dürfe durch frühzeitiges Verrecken doch nicht jeder weiteren Ausnützung entzogen werden, halten Ökonomen für die Verwirklichung ihrer Fiktion einer "Nachfragesteuerung", d.h. für eine aus "wirtschaftlichen Sachzwängen" heraus "begründete" und darin höchst vernünftige Maßnahme. Von eben diesem Standpunkt einer an die Macht gelangten Vernunft entdeckt die Ökonomenzunft in dem staatlichen Beschluß, sich wegen der Aufrüstung so manche soziale Kosten zu ersparen, einen tieferen Grund: Dies müsse so sein, weil - genau besehen - die alte Fiktion einer "Nachfragesteuerung" heute nicht mehr funktioniere:

"Ursache und Wirkung wurden mit der Behauptung die Nachfrage ertzeuge sich selbst das Angebot, einfach vertauscht." Denn: "Das Angebot erzeugt die Nachfrage."

Dabei empfindet Gilder derartige Selbstauskünfte in Sachen ökonomischer Theoriebildung (hier kann man alles umdrehen!) noch nicht einmal als Selbstironie (schließlich soll der Streit darüber, was die Henne und was, das Ei sei, gar nicht als Debatte über ökonomische Gegenstände, etwa kapitalistische Produktion und zahlungsfähiges Bedürfnis verstanden werden.) Ob nun das Angebot die Nachfrage bewirken soll oder eben umgekehrt, in beiden Fällen ergibt sich die Frage, was denn zu wirken beginne, nur dann, wenn alle ökonomischen Gegenstände mit ihrer Wirkung auf andere ineinsgesetzt werden (Schnaps ist, daß er besoffen macht). Die damit zum Wesen dieser Ökonomie erklärte, abslolut inhaltsleere Vorstellung eines "allseitigen Wirkungszusammenhanges" eröffnet diesen Flachköpfen tatsächlich die Freiheit, alles mit allem in Verbindung zu sehen, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, warum was wie wirkt. Andererseits beinhaltet jene Vorstellung einen Dogmatismus, der sich gewaschen hat: Das Angebot schafft sich seine eigene Nachfrage oder eben andersrum; auf jeden Fall will der Kapitalismus als Veranstaltung betrachtet sein, die immer wieder harmonisch aufgeht, denn schließlich, eins wirkt das andere... Klarzustellen, daß moderne Ökonomie also Metaphysik ist, weil ökonomisches Handeln angeblich eine Glaubensfrage ist, bildet Gilders Verdienst:

"Das Angebot erzeugt die Nachfrage: 'Gib und man wird dir geben.' Der Glaube, daß das Glück der anderen am Ende auch einem selbst nützt, findet nur schwer den Weg zum menschlichen Herzen. Jedoch ist dies die Goldene Regel der Wirtschaft..."

...schon seit Urbeginn:

"Der Kapitalismus begann historisch gesehen mit dem Geben. Die ersten Kapitalisten waren demnach Stammeshäuptlinge, die einander im Veranstalten großer Festlichkeiten zu übertreffen suchten... natürlich in der Hoffnung auf ein späteres Gegengeschenk. Der Wert dieses Geschenks war nicht festgelegt, doch wurde doch wohl auch eine Art Zinsen erwartet, denn der Beschenkte versuchte stets, den Wert der entgangenen Geschenke durch seine Gegengabe zu überbieten."

Der Kapitalist schenkt dem Arbeiter Arbeitsplätze und erhält dafür ein "Gegengeschenk" einen "überraschenden Gewinn": Man sieht selbst dort, wo sie offensiv zu spinnen beginnt, trampelt jede Nationalökonomie auf dem Klassengegensatz herum!

Ganz im Gestus des Gläubigen, der im versuchten Beweis seines Gottes den Unglaube wittert und bekämpft, ergreift Gilder im Namen des philosophischen Kerns seiner Disziplin Partei gegen alle Kollegen, die diesem den Schein der ökonomischen Sachlichkeit zu verleihen suchen. Er produziert sich als Wissenschaftsfeind:

"Schließlich entzieht sich der materielle Fortschritt jeder wirtschaftstheoretischen Festlegung."

"Die leistungsfähige kapitalistische Gesellschaft lebt nicht von selbsttätigen Mechanismen, sondern von der Leistungsfähigkeit, der Schöpferkraft und dem Führungswillen der Kapitalisten."

"Sie verwandeln fruchtloses Anlagekagital und vorerst nicht benötigte Sgargelder in Fabriken und Bürohäuser... Sie verwandeln Gold in Güter..."

Einerseits ist jeder Ökonom zu derartig blöden Seichbeuteleien (was macht er denn, der Führungswille, ohne Geld!?) in der Lage; nur gelten diese apologetischen Sprüche normalerweise - und gar nicht zu Unrecht! - als die innerste Weisheit der ganzen aufgespreizten Modellbastelei und keineswegs als ihr Gegensatz. Sykophanten von Staat und Kapital sind sie alle. Gerade deswegen aber entdeckt Gilder in den "Mechanismen" der Ökonomen, die die Herrschaft des Kapitals "begründen", indem sie es zu einem (Gilder würde sagen: bloßen) "Faktor" auf den es unter anderem ankommt, verfabeln, eine Desavouierung des gemeinsamen Standpunkts. 'Das geht doch nicht von selbst' - mit dieser blödsinnigsten Kritik, die es an den makroökonomischen Mechanismen überhaupt nur geben kann, wendet sich Gilder von der Unverfrorenheit, überhaupt nach "Begründungen" fürs Kapital suchen zu wollen ab und der Feier der Kapitalisten zu:

"Die Waffen in diesem Kampf um materiellen Fortschritt sind nicht Geld und Maschinen... sondern Einfallsreichtum und Zuversicht. Und über allem steht der Glaube an die Kraft der freien Wirtschaft..."

Weil Gilder gar nicht über die Kapitalisten, d.h. die ökonömischen Mittel, die sie zu diesen machen, spricht, sondern sie mit den Eigenschaften seines Lobs versieht, sie zu Trägern eines Prinzips erklärt, entdeckt er in dieser Sippschaft auch Leute, die diesem nicht entsprechen:

"Abstiegsmentalität in der Oberschicht... Sprößlinge, die die Internatsausbildung abbrachen un sich als Künstler und Handwerker durchschlugen" und "die Armen über Aufstiegsmöglichkeiten beraten."

- was ja wohl das Allerletzte ist. Weil ihm jede Mark, die den Reichen abgeknöpft wird, jede Arbeitslosenunterstützung als "Vergeudung", als "Tod der Gesellschaft" gilt, erfindet sich Gilder einen "Krieg gegen die Reichen" und bläst zum moralischen Gegenangriff:

"Die Leute auf den unteren Stufen der Vermögensleiter sollten ihr Auge ruhig einmal vom Konsumspektakel abwenden und die Dramen an der Wirtschaftsfront abwenden und die Dramen der Wirtschaftsfront über ihnen beobachten. Diese Dramen enbbehren nicht der Tragik. ..."

Die ganze Apologetik, die dieser Kerl noch für nötig befindet, besteht in einer unwillig angehängten Floskel -

"Der materielle Fortschritt ist elitär - er macht die Reichen noch reicher... Er hebt die wenigen außergewöhnlichen Menschen, die fähig sind, Wohlstand zu schaffen, über die Volksmenge hinaus, die" (jetzt kommt's) "ihn verbraucht."

- und unumwundenem Zynismus:

"Der Krieg gegen die Reichen geht weiter, seine Opfer sind - auch wenn sie sich an der Hexenjagd beteiligen - wie immer die Armen. Gerade sie haben eine mobile Gesellschaft dringend nötig. (Wohl zum Hinunterfallen!)" Rezepte oder gar theoretische (und seien es auch nur falsche) Grundlagen für wirtschaftspolitische Entscheidungen entnimmt Reagan dieser Bettlektüre sicher nicht; wohl aber das Vergnügen, das er nach getaner Präsidentenarbeit noch verlangen kann: daß Ökonomen ihm im Glauben an Amerika und seine Wirtschafts- und Politikergrößen recht geben. Ein solcher Glaube versetzt schließlich Berge, wenn er sich auf die entsprechende Macht stützen kann.

Die bundesdeutsche Intelligenz pflegt deshalb eine höchst differenzierte Stellung zu Gilder: Einig im Anliegen ("Gilders zum Teil bemerkenswerte Thesen"), wirft sie ihm besserwisserisch vor, er habe das vulgärökonomische "Verdolmetschen" und "Systematisieren" ausgelassen ("Binsenweisheit", "naiv"). In einem Satz:

"Das ist ohne Zweifel originell. Aber es gibt bessere Argumente zur Verteidigung der freien Wirtschaft."

Das glaubt Ihr ja wohl selber nicht!