Info

Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1981 erschienen.


EDITORIAL

Seit geraumer Zeit wird öffentlich kein Zweifel daran gelassen, daß auch in der "Entwicklungspolitik" eine "Wende" eingetreten ist - nicht nur von amerikanischer Seite. Die ganzen jahrelang gepflegten Ideale von "Hilfe zur Selbsthilfe", "Unterstützung bei ihrer eigenständigen Entwicklung", Stärkung auf "ihrem Weg zu mehr Demokratie", "partnerschaftlichem Nord-Süd-Dialog" über eine "gerechtere Weltordnung" werden mit einer (solchen) scheinbar selbstverständlichen Radikalität ad acta gelegt, (daß sich unsere bisherige Kritik des imperialistischen Interesses, das sich in diesen ehemals gültigen Sprachregelungen vortrug, in das sie sich also auflösen lassen, dagegen nachgerade antiquiert ausnimmt.) Nach den Worten der UNO-Botschafterin Kirkpatrick haben die USA sich von der "ziemlich ausgedehnten Periode der Selbstzweifel" erholt und "wünschen sich in Südamerika, Afrika und Asien eine Gemeinschaft starker, stabiler und unabhängiger Staaten"; die gestiegene Militärhilfe an die nichtkommunistischen Staaten in Südostasien wird damit begründet, alle sollten "wissen, daß das 'Vietnam-Syndrom' überwunden ist, Washington sich nicht mehr die alten Wunden leckt und wieder bereit ist, Freunden in Not beizustehen"; man wolle erreichen, "daß die Vietnamesen oder andere zweimal nachdenken, ehe sie eine Attacke starten"; Präsident Reagan fordert die "Dritte Welt" auf, sich an Amerika ein Beispiel zu nehmen, das sich auch - und zwar aus eigener Kraft und nur durch sie - vom Kolonialland zu den USA hochgearbeitet hat. Alle aber empfehlen sie der "Dritten Welt" mehr "Markt" statt "Hilfe". Die BRD stößt einen halben Ton tiefer ins selbe Horn. Mit dem so modisch gewordenen Pseudorealismus des Juniorpartners wird ausgiebig die neue "amerikanische Interessens-Politik" ausgebreitet und sachverständig kommentiert: "Die sonst meist maßlosen Entwicklungsländer... ohne allzu scharfen Biß"; "Man will - vernünftigerweise - die Liste der hilfsbedürftigen Länder durchforsten..."; "Auch die Industriestaaten müssen sparen" usw. Die eigene Absage wird als überzeugender Beweis ins Feld geführt, daß es nicht anders geht: "Die Forderung... wurde mit Recht niedergebügelt, denn selbst die gutmütige Bundesrepublik vermag zur Stunde nicht sehen, daß der für eine weitere Ausschüttung des Füllhorns nötige 'globale Bedarf an Liquidität' vorhanden ist." Man ist sich also plötzlich allseits einig, "daß die Entwicklungsländer die Hauptverantwortung tragen - sowohl für ihre Entwicklung als auch für deren Finanzierung", von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" unübertrefflich auf die neue Souveränitätsdefinition für die "Dritte Welt" gebracht: "Selbst ist das Entwicklungsland". So wird die Heuchelei von einer Unterstützung, die "letztlich auch uns selbst zugutekommt" ersetzt durch die umstandslose Kundgabe, daß gilt und gerechtfertigt ist, was "unser Interesse" ist. Die diversen moralischen Begründungen einer weltweiten westlichen und insbesondere urfriedlichen deutschen Zuständigkeit, das ganze Gerede vom Bemühen um den Fortschritt des größeren "zurückgebliebenen" Teils der "Menschheit",

an das sich so manche linke Hoffnung geknüpft hat und das so manchem wohlgesinnten demokratischen Gewissen Raum für die Entdeckung aller möglichen Widersprüche zwischen Ideal und Wirklichkeit und für so manchen kritischen Appell an "die Verantwortlichkeit von uns allen" gegeben hat, treten mit einem Schlage hinter den eigenen neuen moralischen Maßstab zurück, der die wahren Absichten nicht mehr verschönt, sondern zu dem Argument macht: "unser Interesse". Und das scheint für Bürger, die es sich abgewöhnt haben, gegenüber der eigenen Regierung das Wort "Interesse" auch nur in den Mund zu nehmen, etwas so Selbstverständliches, daß sie sich gleich gar nicht mehr die Frage stellen, worin das denn nun eigentlich besteht und wie es sich in und mit der "Dritten Welt" betätigt. Statt dessen sehen sie es überall "bedroht", durch den "überzogenen Kurs der USA", die Ansprüche der Entwicklungsländer, die "Krise der Entwicklungshilfe" - und natürlich die "Aggression der SU". Weil die Präsenz bundesrepublikanischer Politik und die ihrer Verbündeten in jedem Winkel, der nicht der Ostblock ist und darüber hinaus), zu einem gewöhnlichen Faktum und damit unveräußerlichem Recht geworden ist, nimmt man sich allenthalben die neue Freiheit, über den überwiegenden Teil des Globus nur noch als einem lästigen und immer nicht so recht zufriedenstellenden Mittel der imperialistischen Durchsetzung auf der Welt zu verhandeln.

Wofür und wie er Mittel ist und wie er sich dabei bewährt und zu bewähren hat - wie also Geschäft und Gewalt auch für diese Regionen die politischen Himmelsrichtungen bestimmen, dem sind in dieser Nummer der MSZ eine Reihe von Artikeln gewidmet.