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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1981 erschienen.

Systematik

Die Show im Fernsehen
TRUPPENBETREUUNG IN FRIEDENSZEITEN

Der Begriff des Entertainments, die moderne Show wurde von den für die Moral der Truppe zuständigen Stellen der Alliierten des 2. Weltkriegs entwickelt: Der Politisierung des Volkes entsprechend hat sich die damalige Mischung aus Glenn Miller und Go-go-girls, Marilyn Monroe und Bob Hope (im Korea- und Vietnamkrieg ) auch in der BRD zur Freizeitgestaltung des ganzen Volkes fortentwickelt.

Truppenbetreuung - das ist der Dank, den das Vaterland denen abstattet, die sich für alles hergeben. Zum Landser, der nicht einmal Lohn, sondern Sold und bisweilen eine Kugel empfängt, steigen die Großen der (leichten) Muse herab und sorgen für Ablenkung. Der rein negative Sinn dieses Vergnügens - "einmal an etwas anderes denken" - realisiert sich darin, daß es schon gleichgültig ist, was geboten wird; Genuß zieht der Soldat daraus, daß es ihm, dem Schützen Arsch höchstpersönlich geboten wird. Anerkennung ist denn auch der Inhalt solcher Veranstaltungen, bei denen das Kanonenfutter gleich zu Tausenden die ganz persönliche Würdigung einer Marilyn Monroe entgegennimmt, die ihrerseits mit nichts anderem beschäftigt ist als der Inszenierung der zugleich von allen durchschauten Illusion, sie habe mit den Boys etwas gemein: Mit Stahlhelm auf dem Kopf und einer Uniformbluse der jeweiligen Waffengattung wird sie zum Maskottchen des Bataillons und sagt den Boys, wie wichtig der Job sei, den sie gerade auch für Marilyn tun. Da Anerkennung das Vergnügen selber ist, läßt sich der Soldat in den paar Stunden, die ihn für das ausgefallene Leben entschädigen sollen, all das rein vorführen, was er entbehrt - und zwar gänzlich ohne das Versprechen, er solle die Gegenstände seiner Sehnsucht je anders denn als Objekte der Anschauung genießen: Reichtum wird da zum Glamour und der Sex braucht ein Symbol - ein anständiges zumal, welches einerseits die matten Freuden der erreichbaren Huren idealisiert und dabei zugleich von der Braut daheim zu träumen erlaubt.

Das deutsche Fernsehen, die Truppenbetreuung an den Friedensfronten, gibt sich alle Mühe, auch heute noch von dem amerikanischen Vorsprung im Show-Geschäft zu profitieren!

Unterhaltung - Was will das Volk?

"Erstaunlich, mit welcher Perfektion Alleskönner Rosenthal sein Metier beherrscht." Walburga Böhme als Hör-Zu Leser-Kritikerin über Dalli-Dalli.

Das erste Menschenrecht auf Unterhaltung, auf das ein braver Arbeitsmann Anspruch erheben kann, scheint dies zu sein, daß man ihm bei seiner abendlichen Unterhaltung keine Überraschungen mehr zumutet. Wenn es Sendungen auf eine zehn- und zwanzigjährige Tradition bringen, 175 mal und öfter gesendet werden, dann kann der Zuschauer nur mehr die Garantie genießen, daß auch ganz sicher nichts Neues mehr passiert. Die Sendung bietet dem Unterhaltungsbedürfnis der angeblich so genußsüchtigen Menschheit nichts als eine Heimat - wie in der eigenen Familie kennt man alle Akteure, alle Sprüche, die sie so drauf haben, weiß genau die Stelle, wo der Idiot des großen Preises, Walter Sparbier, seinen Postillion-Spruch sagen darf usw. Genossen wird die Bemühung um die Unterhaltung des Bürgers, der diese Anstrengung denn auch methodisch würdigt: Mit Perfektion ist die Sendung über die Zeit gebracht worden. Als Frank Elstner beim Wetten ein Sacco durchschwitzte, daß es unsereinem schlecht werden konnte, da wurde das durchaus positiv als ein Bemühen ums Gelingen einer "unbeschwerten Unterhaltungssendung" gewürdigt:

"Den ungeheuren Streß einer solchen Mammut-Sendung merkte man diesmal dem souveränen, aber nervösen Frank Elstner an..." -

Kritik, die Suche nach dem Schuldigen oder wenigstens eine fachkundige Beurteilung verlangen Pannen:

"Eine Live-Sendung bietet Überraschungen. Auch steht und fällt eine solche Show mit dem Conferencier. Fuchsberger behielt die Nerven und rettete die Sendung." (Leserbrief)

Die Zuschauer urteilen also fachkundig, methodisch, sie stellen sich von vornherein auf den Standpunkt der Sendung und bewerten ihr Gelingen. Was sie unterhält, kommt in ihren Urteilen gar nicht vor, stattdessen, daß oder ob die beabsichtigte Unterhaltung gelungen ist.

Quiz als Unterhaltung

Diese methodische Stellung zu einer Vergnügung, die Beurteilung dessen, was man sieht oder tut, danach, ob und wie sehr es geeignet ist, einen "abzulenken" und "auf andere Gedanken zu bringen", diese Rücknahme des Interesses an jeder Beschäftigung für sich, ist auch der Standpunkt, der die Modernisierung aller Unterabteilungen des Show-Wesens praktisch bestimmt.

Beim Quiz tut es die begrenzte, aber harmlose Freude am "Stadt, Land, Fluß", wie sie - noch in Heinz Mägerleins "Hätten Sie's gewußt?" Prinzip war, nicht mehr. Da ist die alte Kreuzworträtselmanier des Abfragens von Allgemeinwissen, über das der normale Mensch in gewissen Grenzen verfügt, abgelöst worden durch das Spezialisten-Quiz. Mitdenken ist von vornherein ausgeschlossen, wenn der Mensch nicht einmal den Namen des Fachgebietes kennt, aus dem die Fragen genommen sind. Der Zuschauer kann nur noch seinen Ausschluß vom Wissen der Gesellschaft am Wissenschatz der Kandidaten bewundern - und sich dieses matte Vergnügen nur durch die hohen Geldbeträge würzen lassen, von denen dem Spieler entweder "alles oder nichts" bleibt. Hier wird rein, d.h. ohne störende Aufmerksamkeit auf die Fragen (die der Zuschauer sowieso nicht versteht), das Formelle der Konkurrenz, neben und nach der wirklichen, als das Vergnügen des Menschen betrieben: Packt er's oder packt er's nicht?, darf der TV-Kunde mit seinem aus dem Angebot frei gewählten Favoriten mitfiebern. Wird hier schon der Übergang zur Begutachtung der Konkurrenztugenden der Kandidaten gemacht, so um so mehr beim "Großen Preis", der auf die Einrichtung von Sonderkonkurrenzen bei seinem Wohltätigkeitsquiz nicht verzichten mag. Wer "Risiko" zieht, muß richtig riskieren, um Wim Toelkes und des Publikums Gunst nicht zu verlieren: Wer schon viel hat und wenig riskiert, ist ein feiger Knauser, umgekehrt ein Hasardeur.

"Ein bißchen Seelenstriptease; aber alles nur ein Spiel." (Horst Buchholz, Astro-Show)

Quiz-Sendungen obiger Art bieten dem Vergleichen in Sachen moralischer Qualitäten, der freizeitlichen Selbstrechtfertigung bundesdeutscher Arschlöcher nur formelles Material: Da ist ein Kandidat kein guter Verlierer, und ein anderer kann nicht mit Geld umgehen; umgekehrt finden so manche die Sympathie des Publikums, in denen die guten Menschen, die sich alle die Tugenden des guten Verlierers und trotzdem-Gewinners zugelegt haben, sich wiedererkennen mögen.

Der Bereich der Spiele im Fernsehen eröffnet nun aber die ganze Breite des moralischen Charakters:

Auch hier hat der Schmierseifenhumor des "Spiel ohne Grenzen" abgedankt - und mit ihm die wenigstens noch ehrliche Schadenfreude über einen, der ausrutscht und ins Bassin plumpst. Bei Rosenthal müssen sich erwachsene Menschen zwar auch noch zu vollkommenen Idioten machen, das Publikum freut sich darüber aber nicht mehr hämisch. Im Gegenteil - gerade darin beliebt man sich selber und seine Lebensauffassung wiederzuentdecken: Wenn Roberto Blanco in einem Laufrad, wie man es aus dem Goldhamsterkäfig kennt, um die Wette läuft (der Neger des deutschen Fernsehens - ein Spaß hart am Tiergarten!), Fuchsberger um die Wette Kerzen mit einer Handpresse bedruckt und andere möglichst viele Ballons gleichzeitig in die Luft halten, dann soll man sich wohl denken, diese Leute verstünden einen Spaß, könnten auch mal lustig sein und seien sich - obwohl Prominente - dazu nicht zu schade.

Während Dalli-Dalli das Bekenntnis zur idiotischen Kinderei als harmlose Volkseinheit und positive Einstellung aller Einschalter organisiert, werden die Personality-Shows heikel. Rosenthal ist eine einzige Peinlichkeit - und eben deshalb allen Menschen wohlgetan -, die Spiele aber, in denen die Erfolgstugenden des bürgerlichen Charakters abgetestet werden, müssen zwangsläufig peinlich werden: Wenn Rudi Carell seinen Kandidaten Gelegenheit gibt, sich als schlagfertig zu inszenieren, dann stellt er sie vor knifflige Situationen, die sie meistern müssen - "Sie liegen mit einer fremden Frau im Bett, die eigene platzt herein; erklären Sie ihr die Situation." Und hier kann, ja soll sich mancher Kandidat blamieren.

Schlagfertigkeit ist die Ideologie der Eigenschaft, die hier bewiesen werden soll - das "Aus-sich-heraus-gehen", das "Den-Erfolg-wollen" und "Geradewegs-angehen", das Schwindeln können etc. ... Dies alles sind nichts als zum Charakter verfestigte Tugenden des Erfolgs in einer Welt, in der ihn der normale Mensch nicht hat (und die ihn haben, brauchen dergleichen alberne Tugenden nicht!). Der Zuschauer darf und soll sich als Durchblicker betätigen, wenn die Kandidaten, die schon vorweg nach dem Prinzip ausgesucht wurden, sich produzieren. Da quatscht dann einer doch nicht pausenlos genug, um die Konkurrenz um Schlagfertigkeit zu bestehen, beim anderen ist es Masche - und derjenige, dem diese Selbstdarstellung als erfolgreicher Charakter am besten gelingt, zieht den Neid der Zuschauer auf sich, welcher am ehesten durch einen Tiefschlag des Allerschlagfertigsten, des holländischen Rudi Befriedigung findet. Solche Konkurrenzen liefern dann das Material für die positivste und echteste nationale Volksdiskussion: Was gehört sich im Fernsehen? Was darf ein Showmaster noch, und wo fängt die Geschmacklosigkeit an?

An keiner nationalen Angelegenheit ist das Volk so als Volk beteiligt, kein politischer Streit findet das Volk so entschieden auf dem Standpunkt der Moral und so fern von dem des Interesses, wie die Leserbriefschlachten in den Fernsehzeitschriften. Haben alle anderen nationalen Vorhaben den Ruch des Politischen und damit des Gegensatzes der Interessen, so ist dieser ideelle Streit frei davon und deshalb offen für grenzenloses Engagement: Daß Rudi Carell tatsächlich einmal einer Maus den Schwanz eingeklemmt und ein andermal einen schwachen Witz auf unsere schwangere deutsche Königin Silvia gemacht hat, brachte ihm schlechte Noten; als Fuchsberger ("Auf los geht's los") einen Tausender dafür bot, daß sich einer im Saal das Haupt rasieren lassen würde, fand man das geschlossen "geschmacklos" bis "ekelhaft", - und dem Frank Elstner kreidet man die Blödigkeit seiner Wettsendung (Je ausgefallener, desto wett - und dann jedesmal das Gleiche!!) nicht an, wohl aber, daß er Wetten vorbereitet hatte. Ja anschauen tut sich ein Deutscher alles, aber bescheißen läßt sich das Publikum nicht!

Wie die Show von seiten der Veranstalter eine einzige Berufung auf das und Bestätigung des gesunden Volksempfindens ist, so sind umgekehrt die Akteure der Show für den Zuschauer nicht einfach Idioten, die sich aufführen, sondern Repräsentanten ihres eigenen moralischen Charakters. So wird gerade in der Freizeit und als Vergnügen ein ziemlich ernstes Verhältnis aufgemacht - freilich ohne für einen anderen Zweck als den der puren Unterhaltung mißbraucht zu werden. Den Beweis, daß man so ein gelungener Charakter ist, wie man halt ist, läßt sich das Volk durchaus als Vergnügen bieten (anderes als den Beweis, daß sie richtig liegen, würden Leute, die sich den Tag lang alles gefallen lassen und dies doch als Betätigung ihres eigenen Interesses auffassen wollen, gar nicht genießen können!); und eben deswegen fühlt es sich beleidigt, wenn sich ein Fernsehfritze daneben benimmt.

Die Lieblinge des Publikums

Als Repräsentanten des Volksempfindens, als die sie sich immer wieder beweisen müssen (zur Not mit der Untadeligkeit ihres Privatlebens, siehe Lou van Burg!), können Quizmaster aber auch Autorität beanspruchen. Und so sind sie selber immerzu die Mischung aus Schulmeisterei und Anbiederung ans Publikum: Sie selber müssen ihre Identität mit dem Anstand des Volkes beweisen, dann dürfen und müssen sie gegen Jugendliche und andere Gottlose als Respektspersonei) auftreten:

An Hans Rosenthal wird genossen, daß er gerade so blöd ist wie sein Publikum - das Volk liebt es sowieso nicht, daß seine Showmaster gescheiter sind als es selbst. Als solcher darf er dann aber auch von Miesepetern verlangen, daß sie sein: "Das ist Spitze" und den dazugehörigen Luftsprung für echte menschliche Reife achten; zumal er solche Reaktion ja nur auf vielfachen Wunsch aus dem Publikum zeigt.

Wim Toelke wird als Master mit Schwächen resgektiert: Witze dürfen bei ihm gequält und seine Gespräche mit Wum und Wendelin auf Hilfschulniveau sein. Er schulmeistert nur, weil er die Fragen halt nicht anders stellen kann - und wenn das alles trostlos ist, so funktioniert seine Sendung mit den 15 Überwachungsinstanzen doch prima. Bei ihm wird niemand fertiggemacht, und wenn doch, dann nicht aus Übermut, sondern nur, weil Wim seine Show gegen den Verdacht, sie klappe nicht, verteidigen will ( "Aber Frau..., wir haben das Knopfdrücken doch vorher geübt!"). Wim verdient Respekt als Mensch und sonst gar nichts - und das paßt zum guten Zweck der Sendung auch nicht schlecht.

Kuli dagegen darf arrogant sein: Er tut dem Publikum die Ehre an, es sei auch weltläufig und verstehe intellektuelle Touren - solange er nicht zu weit geht. Dann allerdings muß er sich in der nächsten Sendung entschuldigen.

Volkstümlich muß ein Showmaster auf jeden Fall sein, aber zugleich vornehm: Ohne Anzug und Binder geht die Feierabendgestaltung kaum ab - schließlich will äußerlich der Repräsentant des Volksgeschmacks von Volk und Alltag auch abgehoben sein. Ist ein Volkstümler zu bieder und kumpelhaft wie Otto Höpfner ("Der blaue Bock"), dann wird er von einem Heinz Schenk abgelöst, der das Äppelwoi-Saufen auf das Niveau eines "Landhotels" hebt. Selbst die unmittelbar proletarischen Vergnügen (Fußball) dürfen nicht als Sensationen präsentiert werden, sondern als Probleme (Menschenhandel in der Bundesliga?; die "Problematik der Fernsehurteile" usw.), denen sich die moderne Menschheit, in der es ja keine Proleten mehr gibt, stellen muß.

Die kleinen Leute und die großen

Wenn sich die Deutschen auch im TV als ein einig Volk von moralisch Gebildeten spiegeln, welche jenseits der Interessen alle Untertaneneigenschaften als Anstand schätzen, der die Leute aller Klassen miteinander verbindet, so heißt das nicht, daß das Fernsehen kein Bewußtsein von den Klassen pflegte - nur was für eines!

Alle Quiz- und Spiel-Sendungen haben die hohe Unterhaltungswirkung davon entdeckt, daß man Normalos gegen Prominente antreten läßt. Wie bei jeder anderen Fernsehmasche gibt es auch hier eine Sendung, die sich diesem Prinzip pur widmet: Gottschalks Tele-Spiele bieten als Spiele nicht mehr als jeder Flipper-Salon, so daß man sich voll auf die Konkurrenz des kleinen Niemand mit dem Erfolgreichen konzentrieren muß: Da kann man sich dann beweisen lassen: 1. daß der Unterschied in der Stellung kein Hindernis dafür ist, daß man sich als Mensch auf ein Spielchen einläßt; daß 2. der wirtschaftliche Erfolg gegenüber dem spielenden Menschen ein Zufall ist - man hat ihn eben oder man hat ihn nicht, der Erfolg sagt nichts über den Spieler aus. Verliert er, dann wird das faschistische Gleichwertigkeitsbewußtsein bestätigt, gewinnt der Prominente, dann geht der Beweis in die umgekehrte Richtung: sein Erfolg ist offenbar verdient. So wird der Klassenunterschied im TV vorgeführt und als selbstverständliche Voraussetzung der jenseits davon angesiedelten Gemeinsamkeit der Rätsel- oder Spielfreunde dem kalkulierenden Individuum entzogen: Erfolg wird nicht als etwas zu Erreichendes präsentiert, die Konkurrenz nicht als Mittel der Bürger, sondern gleich ihr Resultat als fait accompli: Der Vergleich mit der eigenen Erfolglosigkeit wäre in den Telespielen ebenso fehl am Platze wie Neid.

In der gesonderten Repräsentation von arm und reich pflegt das Fernsehen ein sehr affirmatives Bewußtsein von der Klassengesellschaft: Wie in allen Bereichen wird hier die Kritik der Studentenbewegung an den Idealen der Konkurrenz aufgegriffen - und ohne ihren kritischen Stachel zum Volksgut: Schluß ist mit den Tellerwäscher-Geschichten.

Musik als show

Die Desillusionierung ist auch das Prinzip der neueren Schlagerproduktion. Das Besingen der Sehnsucht nach Glück, Ausdruck des schäbigen Rests von Anspruchsdenken in der bürgerlichen Seele, ist passe - im Kampf gegen die Schnulze wurde die größere Breite der besungenen Themen und das Problemlied durchgesetzt.

Hatte Elvis Presley noch die Erwartungen an Liebe und Leben, die jeder hatte, zum Ausgangspunkt und in schmachtende Töne gesetzt, so ist heute methodisch der Wille zum Schlager der Anfang, dem sich beliebige Themen anmessen lassen, um die es dann nie geht: Da besingt Boney M. der Reihe nach die Chicagoer Unterwelt (Ma Baker), einen Bürgerkrieg (Belfast), Weihnachten sowie alttestamentarische Begebenheiten (By the rivers of Babylon), ohne daß die Zuhörer auch nur einem der Texte eine Message entnehmen würden.

Der methodische Standpunkt der Unterhaltung hat einen Gegensatz aufgemacht: Was da besungen wird, hat nichts und soll nichts damit zu tun haben, was die Leute so bewegt. Das pure Interesse, unterhalten zu werden, hat ein Interesse an der besungenen Sache überflüssig werden lassen.

Nebenher gibt es einen Oldie-Boom wie nie zuvor. Es ist nicht mehr so, daß jede Generation ihre Schlager pflegt, heute sammeln 16-jährige Elvis und Beatles-Platten. Thomas Gottschalk ist der Repräsentant dieser Nostalgie: Er schwärmt von damals - "als man sich die Texte noch merkte" - und rückt die Begeisterung fürs gestern zugleich zeitgemäß zurecht: Ja damals hatte unsere Generation noch ein Lebensgefühl; das waren vielleicht schöne Ideale. Das Anspruchsdenken der bürgerlichen Subjektivität (I can't get no satisfaction) führt man sich heute als Lüge von der schönen, aber leider veralteten eigenen Vergangenheit vor! Die Träume der Nachkriegsgeneration führt sich die Vorkriegsgeneration selbstbewußt als Träume vor: Desillusionierung, ohne kritisch u werden, kann kaum weiter gehen. Das ruinierte Privatleben gibt sich realistisch und leistet sich Illusionen nur noch zum Spaß!

Wer so weit ist, kann auch direkt positiv werden und sich von Udo Jürgens und Peter Alexander jede Minute des proletarischen Alltags faschistisch idealisieren lassen: Vom Aufstehen (Am schönsten ist es doch im Bett), über das Verlassen der Familie (Und manchmal weinst du...) bis zum bescheidenen Feierabend (Kleine Kneipe) und den Bergmannstod (Schwarzes Gold) ist für alles gesorgt.

Das wieder ist manchem Zeitgenossen zu positiv. Für ihn hat die Schlagerindustrie das Problemlied geschaffen; den Schlager mit Anspruch und Sängerinnen wie Gitte (neu), Katja Ebstein, Milva u.a. In dieser Sparte ist wieder die Psychologie des bürgerlichen Subjekts Thema, aber nicht mehr als Fordernde, sondem als selbstkritische: Da muß man einiges mit sich anstellen, damit Ehe, Treue, Liebe usw. klappen; oder man muß sich diese Ziele einfach abschminken, damit sonst irgendwas klappt. Das sind dann keine Schnulzen. Ebensowenig wie die Werke, in denen Liedermacher gleich ihre "Schwierigkeiten" beim Liedermachen und Akklamiertwerden durchs Publikum zum Thema küren: Die Problematik, daß nur ein Liedchen geträllert wird, verfängt da genauso wie die umgekehrte, daß Tiefgang und Botschaften, größeren Gewichts nicht beabsichtigt seien ("Wer hat mein Lied so zerstört" oder "Ich und meine mißverstandene Guitarre!").

Glamour

Vor zehn Jahren hat man eine Band auf eine Bühne gestellt und ihr Spiel abgefilmt. Heute geht das nicht mehr ab ohne höchst phantasievolle Kostüme, ein besonders einstudiertes Gehopse, Lightshow und einen künstlichen Qualm, in dem die Interpreten bis zum Bauch eingehüllt sind. Das Prinzip, ohne bestimmte inhaltliche Absicht die Aufmerksamkeit aller Sinne erregen zu wollen, baut ein Lied zum totalen Geflimmer aus. Der Zuschauer darf sich raussuchen, was er genießen will, und bekommt jedenfalls eine voll ausgebaute Scheinwelt vorgestellt, die er als Scheinwelt schätzen soll. Die schöne Ironie, daß durch die Vollendung des Standpunkts von Orginalität und Sensation in der Unterhaltung nicht nur die Texte der Schlager gleichgültig, die Melodien eintönig, das Drum-herum immer ähnlicher wird, sondern auch die Sänger vollkommen austauschbar, ist längst praktisch durchgesetzt, ohne daß das jemand merkwürdig fände: Retortengruppen führen die Hitlisten an! Um zu wissen, was man daran hat, muß man sich einmal von Dschingis-Khan Kostüme, Lichtspiel und Tanz wegdenken: übrigbleibt eine Musik und ein paar Sänger, gegen die noch jede Pfadfindergruppe mit "Wir lieben die Stürme..." alle Ehre einlegt.

Sag'mir, worüber du lachen kannst - und ich sage dir, wieweit sie es mit dir schon gebracht haben!

Volksunterhaltung hat also durchaus etwas mit dem zu tun, was ein Staat mit seinem Volk vorhat und wozu es sich von diesem benutzen läßt: Ohne Volksidiotie geht kein Krieg. Wer sich samstagabends eine Scheinwelt vorsetzen läßt und sie als solche genießt; wer seinen Grips darauf verwendet, sich die Maßstäbe anzueignen, die in dieser Scheinwelt für Anstand und Erfolg gelten; wer sich schließlich noch die Geistesfreiheit nimmt, sich in den Streit um die Befolgung dieser Maßstäbe per Leserbrief einzuschalten und sich bei Verletzung ausgerechnet hier ehrlich zu empören - der hat eben nicht mehr alle Tassen im Schrank.

Wer es spannend findet, ob das ORF-Team in Wien einen Hund von der Rasse des Hundes von Karlheinz Böhms Tochter auftreiben wird, der ist nicht nur kindisch, er ist um ein Vielfaches kindischer als Kinder - er ist es eben auf Kommando! Sein Entschluß zum Vergnügen ist der freie Verzicht auf alle Maßstäbe des Geistes, über die Kinder noch nicht verfügen. In einem Volk, das sich vom Staat hernehmen läßt, werden nicht erst die Alten kindisch, sondern schon die Erwachsenen.

Das Recht auf Unterhaltung, das ihnen die Sendeanstalten der Republik eröffnen und das sich jedermann durch seine Arbeit auch verdient haben will, wird wie jedes Verdienst als bitteremste Pflicht wahrgenommen. Beim Spaß ist man sehr kleinlich. Das Gebot der Unterhaltung, der Welt lauter fröhliche Seiten abzugewinnen, die sie gar nicht aufweist, läßt den Verstand nur noch als Mittel einer zielstrebigen Borniertheit gelten, die dann "Phantasie", "Spontaneität" und "Kreativität" heißt. Die "Massen" geben sich also alle Mühe, dem Ideal naserümpfender Kulturkritiker, mit der Unterhaltung ernst zu machen und in ihr eine pflichtbewußte Pflege der freien Individualität abzuwickeln, gerecht zu werden. Die Geistes-Freiheit ist bei ihnen mindestens genauso lebendig wie bei Joseph Beuys.