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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1981 erschienen.

Die Linke und die nationale Frage, Dokumente zur deutschen Einheit seit 1945, Hrsg. von Peter Brandt und Herbert Ammon, Reinbek 1981
KURATORIUM "UNTEILBARES DEUTSCHLAND" - ALTERNATIVE ABTEILUNG

"Daß bei den Linken die nationale Frage in Mode kommt, war spätestens zu bemerken, als im Februar 1978 über zweitausend meist linke Zuhörer im 'Audimax' der West-Berliner TU das umstrittene Manifest des 'Bundes Demokratischer Kommunisten in der DDR' diskutierten, wo es lapidar hieß: 'Keine pseudotheoretischen Haarspaltereien um die Nation schaffen das praktisch ungelöste nationale Problem aus der Welt.'"

So beginnt die FAZ ihre Rezension (19.5.81) des Buches von Brandt und Ammon. Die milde Verwunderung des Kolumnisten darüber, deutschnationale Töne aus einer Ecke zu vernehmen, aus der man sie bislang nicht gewohnt war, wird übertroffen von der abgeklärten Sicherheit dessen, der sich mit dem Zug der Zeit und daher auch des Zeitgeistes völlig einig weiß: an der Nation kommt auf die Dauer keiner vorbei, und der Nationalismus als erfolgreiche Ideologie mußte ja geradezu auch die Linken veranlassen, sich hier anzuhängen, womit über ihre Erfolgsaussichten auch bei diesem Thema bereits alles klar ist.

Was seine Auffassung über das derzeit eingerissene Verhältnis der intellektuellen Linken zum bundesdeutschen Nationalismus betrifft, liegt der FAZ-Schreiber gar nicht so schief. Wenn die Herausgeber betonen: "Wir verstehen diese Dokumentation als Gedächtnishilfe für diejenigen, die beharrlich behaupten, die nationale Frage sei - zumal in Deutschland - ein rechtes Thema" (13), dann geben sie ja noch zu erkennen, daß es nicht gerade eine Selbstverständlichkeit ist, Staatsgegnerschaft primär als alternative Sorge um die Nation zu betreiben; umgekehrt stützen sich die Autoren offenbar auf eine wachsende Hoffnung linker Leute, der anderen Seite des politischen Spektrums dadurch endlich Konkurrenz machen zu können, daß man deren Domäne, den Nationalismus, als ureigenstes Anliegen der Linken behauptet, welches bei ihr seine wahre Heimat habe. Daß dies nicht ohne eine handfeste Uminterpretation bisheriger linker Positionen abgeht, belegen Brandt/Ammon mit ihrer lustigen Behauptung, die Aussage des Kommunistischen Manifests "Die Arbeiter haben kein Vaterland" sei eine "ironische Formulierung", und Marx und Engels seien (wie aus ihren Briefen hervorgehe) "auch gefühlsmäßig engagierte deutsche Patrioten" (13 f.) gewesen. Die Beweisabsicht ihrer Dokumentation verdankt sich dem jetzt modernen Standpunkt, die "nationale Frage" sei schon immer der eigentliche Beweggrund linker Politik gewesen und "die Linke" von jeher der eigentliche Sachwalter des nationalen Interesses.

"Nationale Identität" - ein erstrebenswertes Ziel?

Damit wird nichts Geringeres behauptet, als daß es - zumal für Linke - die größte Selbstverständlichkeit sei (der man endlich wieder Geltung verschaffen müsse), (sich) als Deutscher zu fühlen. Kein Hurra-Patriotismus, natürlich; aber als "nationale Identität" ist das patriotische Wir-Gefühl unter kritischen Menschen hoffähig geworden. Nur, wo soll da eigentlich der Unterschied sein? Im nationalen "Wir" betrachtet sich jeder einzelne als Mitglied einer Gemeinschaft, der alle angehören, die derselben Staatsgewalt unterworfen sind. Der einzige Unterschied, der hier gilt, ist derjenige der Nationalität; der gilt dafür um so ausschließlicher, wenn es um die "nationale Frage": "deutsch oder nicht-deutsch" geht. Ignoriert werden die Unterschiede, die die Gemeinschaftsglieder als Privatleute, also als das, was sie sind, zueinander haben; ignoriert wird ebenso der Unterschied von Untergebenen der Staatsgewalt und ihren Ausübern, deren Entschlüsse dem "Willen der Nation" schließlich erst seine Gestalt geben. Es ist also in jedem Falle übel, wenn Individuen glauben, sie seien "bloß" individuell und bedürften zu ihrer Vervollständigung ausgerechnet einer "nationalen Identität", die über ihr individuelles Dasein gebietet auch und gerade wenn sich der Wunsch nach dem staatlichen Kollektiv vorträgt als Sehnsucht nach einem gar nicht existierenden Staatsgebilde wie im Falle der "gespaltenen" deutschen Nation.

Ein Streit um das nationale Erbe

Brandt und Ammon wissen sehr wohl, daß das Verlangen nach staatlicher Einheit aller Deutschen seit jeher zum Arsenal der politischen Gewalthaber von Adenauer bis Helmut Schmidt gehört. Aber dies stört sie nur insofern, als den Linken im Lande bei "Wiedervereinigung" etc. für ihren Geschmack noch viel zu häufig politische Vorwürfe wie "Revanchismus" einfallen. Sie beklagen sich darüber, beim Stichwort "deutsche Spaltung" oder - was dasselbe besagt - "deutsche Frage" reagiere die "politisch engagierte Linke" so, daß sie "schon die Frage als störend empfindet. Sie bewegt nicht mehr ihre politische Phantasie." (17) Also strengen sie ihre, ganze politische Phantasie an, um der "rechten Sichtweise" die "deutsche Frage" streitig zu machen. Die politischen Phantastereien, die sie dabei erzeugen, können sich sehen lassen.

Zuerst gehört die nationale Zielsetzung von jedweder Anrüchigkeit befreit. Dies geschieht dadurch, daß sie als gewichtiger Bestandteil linker Ideale behauptet wird: "Das Prinzip 'links' ist durch den Anspruch definiert, Politik mit emanzipatorischer Zielsetzung zu betreiben", und dieses "Prinzip 'links'" beinhaltet seit zweihundert Jahren "die Verbindung von Demokratie und Nation, von nationaler und sozialer Frage." (11) Daß einstmals gegen "feudale klerikale und staatsabsolutistische Zwänge" und "junkerlich-bourgeoise Klassenbündnisse" (ibid) gekämpft wurde, diese negativen Vergleichspole stehen dafür ein, daß in einer demokratischen Nation Herrschaft gar kein Gewaltverhältnis mehr sei und soziale Gegensätze gegenstandslos geworden sein sollen, wenn nur die gemeinsame und freiwillige Zustimmung zur Staatsmacht vorliegt.

Gestützt auf den gängigen Idealismus, Volks-Herrschaft sei keine Herrschaft, geht die nächste Etappe auf dem Weg zum linken Einverständnis mit der Nation dazu über, den politischen Gegner zu bezichtigen, er habe sich das Amt eines Sachwalters des nationalen Interesses angemaßt und es mißbraucht:

"Der Verdacht nationaler Unzuverlässigkeit gegenüber den Linken gehört seit jeher zur Liturgie konservativer bzw. reaktionärer Selbstdarstellung... Die innenpolitische Funkt¡on derartiger Kraftakte ist offenkundig, ebenso ihre verheerenden Folgen für das Schicksal der deutschen Nation im 20. Jahrhundert. Gleichwohl hat sich die deutsche Rechte bis heute geweigert, die historische Bilanz aufzumachen und einzugestehen, daß ihre nationalen Phrasen zweimal imperialist¡sche Expansionskriege vorbereitet und begleitet haben, die das deutsche Volk in die Katastrophe geführt haben." (9)

Die Dummheit dieses Gedankens - wie soll es denn eigentlich zugehen, daß das angeblich so gute Ideal nationaler "Zuverlässigkeit" immer von den Bösen erfolgreich als Waffe gegen die Guten eingesetzt werden kann, und das, obwohl als Folge davon das Volk gleich zweimal "Katastrophen" erleben mußte! - wird bei weitem in den Schatten gestellt von der Botschaft, die er ausspricht: Die Linke, wie sie Brandt und Ammon vorschwebt, soll mit Reaktionären um die Führerschaft der Nation rivalisieren; - und die Autoren versaumen es nicht, in dem, was sie den Reaktionären zum Vorwurf machen, die Ungeheuerlichkeit auszusprechen, um welches Ziel diese Konkurrenz ausgetragen wird:

"So unterliegt es keinem Zweifel, daß die bürgerliche Rechte schon immer die nationalen Interessen mit den eigenen Besitz- und Machtinteressen identifizierte und die letzteren im Zweifelsfall voranstellte... Nach dem Zweiten Weltkrieg galt das primäre Interesse der bürgerlichen Rechten wiederum der Erhaltung und Konsolidierung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Folgerichtig (!) hat sie das selbstgesteckte Ziel - den oft genug beschworenen Verfassungsauftrag, die deutsche Einheit wiederherzustellen - hintangestellt." (9 f)

Einen anderen Vorwurf gegen Kapitalisten und bürgerliche Politiker hatte auch Adolf Hitler nicht parat: Wer eigene Interessen angesichts der Staatsmacht nicht vergibt, der begeht Verrat an der Nation! In der Verurteilung des partikularen Interesses gegenüber dem "Gemeinwohl" äußert sich eine Parteinahme fürs "nationale Interesse", die sich über jedes Individuum hinwegsetzt und dessen Opferbereitschaft für den Staat verlangt - dies der Preis für "die deutsche Einheit", also der Inhalt auch des alternativen Nationalismus!

Eingebildete Vorläufer

Ihrem linken Idealismus wollen Brandt/Ammon freilich auch eine Tradition des Realismus, d.h. seiner Teilhabe an der Staatsmacht verschaffen, um ihn als erfolgversprechende Perspektive dastehen zu lassen. Um

"zu zeigen, wie sehr die deutsche Spaltung - also die Lebensfrage der Nation in der Nachkriegszeit - das Denken und die politische Praxis der deutschen Linken in Ost und West bis heute beherrscht hat," (10)

bestücken sie den Hauptteil ihrer Dokumentation mit programmatischen Aussagen von Politikern der SPD, der SED und der Gewerkschaften, also mit wirklichen Machern der bundesdeutschen und der DDR-Politik zwischen 1945 und 1980. Nun besteht ihr Unterschied zu besagten Politikern beileibe nicht in puncto Nationalismus - das immerfort wiederholte Bekenntnis zu Einheit und Größe Deutschlands ist in der Tat der gemeinsame Nenner von Brandt/Ammon und ihren professionellen Gewährsleuten. Bei letzteren freilich ist der Nationalismus und sein kalkulierter politischer Einsatz der selbstverständliche praktische Ausgangspunkt ihres Geschäfts, des Umgangs mit der Gewalt - was wäre wohl anders zu erwarten von Sozialdemokraten wie Kurt Schumacher, Willy Brandt und Helmut Schmidt oder auch (spätestens seit Dimitroff) von an die Macht gelangten Revisionisten wie Otto Grotewohl, Walter Ulbricht und Erich Honecker. Erstaunlich ist vielmehr, daß Leute wie Brandt und Ammon, die sich im Waschzettel als Aktivisten der Studentenbewegung vorstellen lassen, heutzutage drei Generationen sozialdemokratischer Politiker als ihresgleichen vereinnahmen, die, zumindest der Absicht nach, als ehrenwerte deutsche Linke und Kronzeugen des eigenen Anliegens gehandelt werden. So weit geht eben der Opportunismus dieser modernen "undogmatischen Linken", daß sie sich in der Tradition einer erfolgreichen Macht sonnen, auch wenn deren praktische Zwecke mit ihrem akademischen Kommentatorentum zu den Weltläuften nichts zu tun haben.

Ihre Afterstellung zur praktizierten Machtausübung deutscher Arbeiter- und Volksparteien unterstreichen gerade die Stellen, an denen sie diese Machtausübung kritisch beurteilen. Ungeachtet dessen, daß sie für alle Politiker, einschließlich Adenauer, bisweilen ein geradezu kollegiales Verständnis bezüglich von deren angeblichen "Zwangs-" und "politischen Interessenlagen" empfinden, haben sie vollständig verpaßt, daß unter den Gegebenheiten der Nachkriegszeit - die Amis wollten die Westzonen zum Bollwerk gegen die Sowjetunion aufbauen, worauf diese mit der Ostzone analog verfuhr - ein deutscher Politiker nur dann dem Interesse seiner Teilnation und seiner eigenen Karriere nachkam, wenn er die Wünsche der Besatzungsmacht vollzog - auf diese Tour erhielt schließlich die BRD zusammen mit einer neuen Wehrmacht die staatliche Souveränität zurück.

Stattdessen pflegen Brandt/Ammon einen Idealismus der deutschen Einheit und Souveränität, der nachgerade peinlich weltfremd anmutet. Z.B. kolportieren sie den mittlerweile linkes Gemeingut gewordenen tautologischen Kalauer, daß am Sieg des Faschismus 1933 "entscheidend" das Fehlen eines Gegners, nämlich einer vereinigten Linken, beteiligt gewesen sei, und fahren gleich nach demselben Muster fort:

"Ähnlich evident scheint uns, daß die Spaltung Deutschlands nach 1945 maßgeblich aus der Unversöhnlichheit der beiden großen Arbeiterparteien resultiert." (16)

Nach derselben eintönigen Masche begutachten sie jeden Schritt der "großen Arbeiterparteien" hüben und drüben seit 1945 und kommen immer zu dem Resultat, daß trotz bester Absichten der Politiker wegen der mangelnden "Einheit der Arbeiterparteien" die "Einheit der Nation" nicht zustandekommen konnte, worin sie die hauptsächliche Daseinsberechtigung für eine Arbeiterkoalition erblicken.

Die intellektuelle Nachhut

Da Gesamtdeutschland wegen der von den Politikern nur mangelhaft erfüllten "historischen Mission" bis heute lediglich als Ziel patriotischer Sehnsüchte existiert, ist es auch nicht verwunderlich, daß die beiden Westberliner Akademiker ihre Dokumentensammlung garnieren mit allerhand Dichtern, Künstlern und "eigenwilligen Denkern", denen sie ein besonderes "konstruktiv-patriotisches Element" entnehmen:

"Sie alle standen für einen eigenen Weg Deutschlands jenseits der Blöcke." (11) (Aus jüngster Zeit haben Brandt/Ammon übrigens als "eigenwilligen Denker" gar den Edelfaschisten Henning Eichberg aufgenommen, dessen Diktum "Die Identitätsfrage führt notwendig zur nationalen Identität, zur nationalen Frage. Gerade darum ist sie revolutionär." (zit. 351) die erschreckende Affinität von "alternativem" und faschistischem Gedankengut zur Anschauung bringt.)

In diesem Zusammenhang leuchtet es ein, daß vom undogmatisch-nationalen Standpunkt aus eine Umwertung der Studentenbewegung ansteht. Ist diese üblicherweise unter jungen Intellektuellen Objekt nostalgischer Verklärung, so nimmt sie sich unter deutschtümelndem Gesichtspunkt eher aus als Unterbrechung der Kontinuität linksintellektueller Vaterlandsverehrung. Zwar war auch sie im Kern gut (ihr Antiimperialismus und Internationalismus trug selbstredend "unverkennbare Züge eines Ersatznationalismus"), dennoch ist sie wegen ihrer "Position der nationalen Enthaltsamkeit" (54) sehr zu tadeln.

Auf ihrer Suche nach Anhaltspunkten für eine Verbesserung dieser Lage sind Brandt/Ammon im revisionistischen und im spontaneistischen Lager der linken Szene in der BRD durchaus fündig geworden. Verbunden mit einer Anwendung des psychologischen Kalauers, wonach hinter jeder bewußten Tat exakt ihr unbewußtes Gegenteil stecken muß, ergibt sich folgender Hoffnungsstrahl:

"Daß es sich bei der Mißachtung der nationalen Frage um die Verdrängung des alten Traums speziell der deutschen Linken handelt, beginnt einigen Vertretern der neuen Linken auf dem Umweg über die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt und die regionalistischen Bewegungen In den 'inneren Kolonien' gegen die europäischen Herrschaftszentren bewußt zu werden." (18)

Ähnliches gilt für die Grünen. Auch sie haben sich bereits in Richtung "nationaler Identität" ein Stück vorgearbeitet, z.B. durch

"ihre Nähe zur - häufig allzu pauschal verketzerten - deutschen Romantik, wenn sie deren Liedtraditionen unter den Trümmern, die der Faschismus hinterlassen hat, hervorholen." (19)

Schon ganz gut auch, daß sie "auf der Suche nach intakten Gefühlswelten den Begriff 'Heimat' wiederentdeckt" (ibid) haben; andererseits läßt das Motiv, so einem "Grundbedürfnis nach emotionaler Sicherheit" zu entsprechen, vom Standpunkt der Nation aus sehr zu wünschen übrig: Deutschland als erstes Grundbedürfnis will da erst noch durchgesetzt sein:

"...so verweist die Frage nach Identität uns Deutsche über folkloristische Selbstdarstellungen (in Bayern so populär wie in Sachsen) hinaus auf die Frage nach der Nation, nach der nationalen Identität." (19)

Eine Politisierung des ausbaufähigen "Heimatbegriffs" der Grünen in Richtung ihrer Teilhabe an einem gesamtdeutschen Block steht also an - wenn sie den "Willen zur Nation" einmal zum Inhalt ihres Willens gemacht haben, dann haben sie auch keinen Grund mehr, wie bisher "vielfach resignativ, defensiv, zuweilen verbittert" (ibid) daherzukommen; ein echter junger Deutscher strotzt vor Kraft und Selbstvertrauen...

Deutschnationales Europa-Gewissen

Und Brandt/Ammon strotzen geradezu vor Gewißheit, als deutsche Patrioten gute Menschen zu sein, an deren Beispiel die ganze Welt genesen könnte.

Zunächst teilen sie auf ihre Weise alle die elitären vorgeblichen "Probleme staatsbürgerlicher Bildung" der offiziellen BRD-Politik, was eine lustige Seite an sich hat:

"So besteht kein Grund zur Belustigung über die bei Bundesbürgern anzutreffende Verwechslung von 'Deutschland' mit der Bundesrepublik, über das gedankenlose Synonym 'deutsch' für westdeutsch oder über das unsanfte Erwachen des Bild-Lesers, dem Sparwassers Tor 1972 zu Bewußtsein brachte, daß 'Deutschland' gegen die DDR soeben verloren hatte." (23)

Des weiteren statten sie ihren Deutschnationalismus mit dem idealistischen Mäntelchen der "Kulturnation" aus, dem typischen Nationalismus zweiter Wahl, der in der Staatenkonkurrenz momentan nicht so ganz erfolgreichen Nationen so gut zu Gesicht steht, und empfehlen, man solle

"sich auf deutscher Seite der eigenen kulturellen Identität versichern. Hierzu gehört aber ein Wissen um die wertvollen wie die erschreckenden Geschichtstraditionen ebenso wie die daraus resultierende Anerkennung der Legitimität der eigenen nationalpolitischen Aspirationen." (24)

Infolgedessen erteilen sie Helmut Schmidt den Rat, daß der "Hinweis auf das Fortbestehen der deutschen Kulturnation" nie und nimmer "deutschlandpolitische Zurückhaltung" (21) rechtfertige.

Auch bei Brandt/Ammon spielt der Hinweis auf die "wertvollen wie die erschreckenden Geschichtstraditionen" die Rolle, mit dem lächerlichen Bekenntnis zur "Verantwortung" (nicht Kollektivschuld!) "des ganzen deutschen Volkes für seine nicht bewältigte Vergangenheit" (25) den gegenwärtigen Staat reinzuwaschen. Sie verwenden dabei den blöden Trick, aus "Verantwortung des ganzen Volkes", also hüben wie drüben, für die Vergangenheit sogar die "Frage nach der Nation" der Zukunft, also die Wiedervereinigung, abzuleiten, und belegen damit, daß sie - analog zur offiziellen Holocaust-Debatte - aus dem nationalen Schuldbekenntnis nationale Ansprüche zu folgern verstehen.

Und schließlich darf bei diesen Alternativ-Patrioten natürlich der Hinweis auf die Lauterkeit und die idealen Motive des eigenen deutschen Anliegens nicht fehlen: die Bedeutung Deutschlands für den Weltfrieden. Bündig zusammengefaßt:

"Es leuchtet nicht ein, die Aufgabe der deutschen Teilstaaten darin zu sehen, die Schlagkraft der Supermächte zu erhöhen - mit der Aussicht, im Konfliktfall als atomares Schlachtfeld zu dienen." (55)

Für fremde Staaten vernichten und vernichtet werden - nein danke, heißt hier die Parole, die zugleich auf die erreichte Stärke der "deutschen Teilstaaten" anspielt. Daß als Vehikel und Überbau deutscher Einheit und Größe natürlich Europa ins Feld geführt wird, verwundert nicht mehr, eher schon die Dreistigkeit, mit der linke Idealisten die Funktionalität der Europa-Idee für Deutschland aussprechen:

"Wir lehnen es ab, das Bild einer europäischen Friedensordnung zu akzeptieren, in dem die deutsche Teilung gleichsam als Dachträger des west-östlichen Gleichgewichts fungiert." (56)

Im Interesse einer wirklichen "europäischen Friedensordnung" muß man dem deutschen Herzstück Europas schon zubilligen, daß den "fortdauernden Leiden unseres Volkes im Zustand der Spaltung" (27) ein Ende gemacht wird.

Damit man deutscherseits sich nicht gezwungen sieht, das Gleichgewicht zusammenbrechen zu lassen, schlagen Brandt/Ammon einen deutsch-deutschen "Staatenbund" als Vorstufe zur "Neuvereinigung Deutschlands" vor und geben in einer Spitzenleistung der Koinzidenz von gutem Friedensgewissen und Drohung an den Feind im Osten bekannt, daß, ginge es nach ihnen,

"die militärische Neutralität ganz Deutschlands der Sowjetunion als der für unser Volk relevantesten Großmacht neben unbestreitbaren Risiken auch erhebliche Vorteile böte." (57)

Dies also die linke Antwort auf die "nationale Frage": Ein wiedervereinigtes Deutschland als Welt- Friedens- Macht, das, zuständig für alle Welt, derselben dadurch Frieden bringt, daß es fähig ist, sie unter Druck zu setzen! Ein passendes Fazit dieses widerwärtigen Dokuments des deudeutschen linken Nationalismus.