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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1981 erschienen.

Systematik

Italien
DER "GESTEUERTE SKANDAL"

Der Ministerpräsident veröffentlicht - nachdem er alle Beteiligten über sein Vorhaben informiert hat, so daß der "große Gschaftlhuber" Gelli in aller Ruhe nach Argentinien verduften kann - die Mitgliederliste der Freimaurerloge, P 2. Jedermann hat es nun schwarz auf weiß: In Italien gibt es tatsächlich eine Organisation, die neben den demokratischen Institutionen des Parlaments, Militärs, Geheimdienstes, Bankwesens etc. existiert, und n der 962 Mitglieder eben jener erzdemokratischen Institutionen versammelt sind. Bis auf die Angehörigen der kommunistischen und radikalen Partei traf sich hier alles, was Rang und Namen hat: Faschisten, Sozialisten sowie Mitglieder aller anderen Parteien des Regierungsbündnisses nebst Generälen und den Chefs der Geheimdienste und schließlich und endlich Geschäftsleute, Bankiers und ihre staatliche Kontrollinstanz, der Chef der Finanzpolizei.

Formen demokratischer Herrschaft in Italien...

Angesichts dieser überzeugenden Tatsachenlage sind dabei die paar nicht allzu schwer zu ermittelnden Wahrheiten über die italienische Politik

kein Skandal.

Offensichtlich wird in Italien so Politik gemacht, daß sich die herrschenden Kreise nicht auf ihre parlamentarischen Zusammenkünfte verlassen, damit die Politik dort in ihrem Sinne läuft. Warum sonst wohl sollen sie in "Geheimorganisationen" wie der P 2 ihre Beziehungen pflegen? Damit garantieren sie sich, daß unabhängig vom demokratischen Procedere, unabhängig von irgendwelchen mißliebigen Wahlausgängen beispielsweise, die Politik gemäß ihren Interessen gemacht wird. Dabei sind sie in der Definition ihrer Interessen nicht so kleinlich, wie ihre Kritiker sich die vorzustellen belieben: Absahnen und nochmal absahnen! Schließlich sind sie Repräsentanten des öffentlichen Lebens, und die kennen nun mal auch in Italien nichts Schöneres, als weiterhin repräsentieren, d.h. bestimmen zu dürfen, was sie unter dem Allgemeinwohl verstehen - daß damit für das Wohl der herrschenden Klasse aufs trefflichste gesorgt ist, versteht sich dann wohl von selbst. Darin können wir keinen gravierenden Unterschied zu hiesigen Verhältnissen erblicken. Für die Regierten kommt es schließlich aufs selbe raus, ob sie ein Sparprogramm von einer bundesrepublikanischen Regierung verpaßt bekommen, die zu ihrem weisen Entschluß gelangt, nachdem sie sich in aller Öffentlichkeit mit den Spitzen von Wirtschaft und Gewerkschaft ins Benehmen gesetzt hat und letztere innerhalb, der politischen Parteien ausgiebig die Gelegenheit nutzten, ihre Interessen über ihre Vertreter zur Geltung zu bringen und aufeinander abzustimmen, so daß dann hinterher die Regierung ganz korrekte Ausschreibungen ansetzt, an denen sich immer die eine Seite bereichert. Oder ob von einer italienischen Regierung derselbe Beschluß so geregelt wird, daß alle, die was zu vermelden haben, ihre Ansprüche nicht so sehr in, sondern vor allem außerhalb des Parlaments ausmauscheln, so daß sie sich die Ausschreibungen auch mal schenken, weil sie schon vorher geklärt haben, wer den Auftrag kriegt. Daß diese Form der Herrschaft keinen anderen Inhalt hätte, als dauernd das Geld für die Bonzen einzutreiben:

"Nur für die italienischen Normalverbraucher blieb leider nichts übrig." (= vom Schmiergeldstrom!) "Sie müssen den Lebenswandel ihrer Führer mit den höchsten Spritpreisen in Europa bezahlen 1,85 Mark für den Liter Super. Irgendwer muß das ja alles bezahlen.",

halten wir allerdings für ein Gerücht. Erstens können es die Repräsentanten deutscher Wertarbeit in Sachen Luxus lässig mit den Spaghettis aufnehmen. Deshalb besteht zweitens der Unterschied auch nicht in der Wirkung auf die Beherrschten, sondern ist einer in der Organisationsform der Herrschaftsausübung. Wenn die italienische herrschende Klasse sich neben den demokratischen Institutionen eine Extra-Abteilung Politik einrichtet, dann wird dort einerseits nichts anderes verhandelt als bei uns n den Parteien (welches Mittel auch einem italienischen Politiker nach wie vor unbenommen bleibt) - schließlich verständigen sich ja dort alle Interesenten darüber, welche Politik man mit und in den demokratischen Institutionen verfolgt: Angefangen bei der Terrorbekämpfung über das Verhältnis zu den Faschisten bis hin zur Kreditvergabe und anderen Modalitäten des Geschäfts einigt man sich hier auf einen gemeinsamen Kurs. Andererseits ist mit der Existenz solcher Clubs wie der P 2, in der die Regienngspolitiker mit Militärs, Geheimdienstlern und Geschäftsleuten über "das Schicksal Italiens" verhandeln, von seiten der italienischen Machthaber ein klares Machtwort gesprochen. Und zwar nicht auf die lächerliche Tour, daß da ein "kleiner, dicklicher, unscheinbarer" Herr, dessen Namen vorher niemand kannte, die ganze italienische Regierungscrew sich hörig gemacht hätte, sondern ganz lapidar so, daß die Inhaber der Macht diese für sich reklamieren, weil sie sie innehaben. Schließlich ist es kein Geheimnis, daß in Italien seit Kriegsende, d.h. seit 36 Jahren die gleichen - sofern sie nicht gestorben sind - Typen darüber befinden, was zu Italiens Bestem sei; daß also seit jeher der Beschluß der DC lautet, daß Demokratie herrscht, wenn sie am Ruder ist. Angesichts eines nicht unbeträchtlichen, sich von Kommunisten repräsentieren lassen wollenden Teils des Volkswillens verdeutlichen die Machthaber ihren Vorbehalt gegen dieses Mißverständnis von Demokratie, indem sie sich vom parlamentarischen Hickhack unabhängige Gremien schufen, mit denen sie für den Fortbestand der Demokratie sorgten. Daß sie dabei erfolgreich waren, kann wohl keiner bezweifeln. Wie soll auch die Demokratie vor die Hunde gehen, wenn Vertreter aller um die Herrschaft besorgten Parteien sich außerhalb des Parlaments auf den Volkswillen und somit darauf einigen, welche Strategie sie in der Volksvertretung verfolgen? Und warum sollte man andererseits ausgerechaet den italienischen Demokraten den Vorwurf machen, sie hätten nicht die Demokratie, sondern nur die Aufrechterhaltung ihrer Macht im Sinn? Als ob das ein Gegensatz wäre: Schließlich sind Demokraten überall auf die Macht erpicht, dem Volk einen einheitlichen Willen zu verpassen.

...und ihre Erklärung durch die Freunde der italienischen Demokratie

Angesichts der offiziellen Aufdeckung des Tatbestands einer anerkannten außerparlamentarischen Nebenregierung hat sich weder hierzulande noch in Italien jemand darüber aufgeregt, was die beschlossen hat. Auch hat sich keiner beschwert, daß dieses neben dem Parlament existierende Gremium den Vorbehalt aller demokratischen Parteien gegen das demokratische Procedere verkörpert: Die Wahrheit über die Demokratie, daß die Entscheidung des "obersten Souveräns" nur dann Gültigkeit besitzt, wenn er sich im Sinne der von dem Vollstrecker seines Willens beschlossenen Notwendigkeiten entscheidet, hat kaum einen empört. Was die hiesige Öffentlichkeit angeht - und intelligentere Argumente sind auch in der italienischen nicht laut geworden -, so hat sie ihr Einverständnis mit den italienischen Verhältnissen bekräftigt, indem sie sich über diese Praktiken der herrschenden Klasse, von den Konsequenzen fürs Volk ganz zu schweigen, nicht verwunderte.

Selbstverständlich und normal schienen ihr diese Schweinereien; schließlich ist Italien ja nicht Deutschland, sondern das Land, wo auch die Erde dauernd bebt:

"Skandale in Italien sind Naturereignisse, die so unvermeidlich niedergehen wie Regenschauer über, Hamburg."

Deshalb galt auch ihre ganze Anteilnahme nicht den Italienern - die sind die Skandale ja mittlerweile so gewohnt, daß sie bei ihrem unvermeidlichen Niedergang auch ohne Regenschirm auskommen. Arnaldo hingegen, der gebeutelte Forlani, durfte nur 128 Tage regieren! Womit nur hatte er es verdient, daß Katastrophen ihm nach der Macht trachteten?

"Seine Regierungsperiode war von unverschuldeten Skandalen und Katastrophen begleitet."

Erst das Erdbeben - und nun dies!

"Warum eine Regierungskrise, wenn Ministerpräsident Forlani an der ganzen Krise offenkundig keine Schuld trifft?"

Daß der Gerechte viel leiden muß; Forlani also zurücktreten mußte, obwohl weder er noch sein Privatsekretär Mitglieder bei der Freimaurerloge waren, der nur drei seiner Minister nebst 959 Personen des öffentlichen Lebens angehörten, deren Namen er allenfalls vom Hörensagen kannte, ist

ein Skandal,

der einem als "Auslandskorrespondenten" nahegeht. Der "sauren Pflicht", "das der Welt zu erklären", kommt die Skandalnudel Carlos Widmann regelmäßig für die "Süddeutsche Zeitung" nach, indem er die Schlechtigkeit der Welt, deren Lohn Undank ist, bejammert und beklagt. Warum nur, warum "mußte die Regierung Forlani zuiücktreten?" Dieses ebenso schreckliche wie "mysteriöse" Rätsel ist keineswegs mit der schlichten Antwort geklärt, daß der Sozialist Craxi den P 2-Skandal dazu zu benutzen versucht, seine Position innerhalb des Regierungsbündnisses zu stärken, indem er Forlani die Unterstützung entzog. Nein, der arme Arnaldo ist Opfer des "größenwahnsinnigen" Gelli geworden, in dessen Fängen er regieren mußte, so daß er mit seinem ebenso verzweifelten wie edelmütigen Befreiungsversuch aus den Klauen des "Erpressers" auch seine Macht verlor.

Kaum ist also auf dem Tisch, wie die Demokratie in Italien funktioniert, machen interessierte Beobachter ein Riesenrätsel daraus, wie das wohl funktioniert haben mag, dessen Name nie und nimmer Demokratie gewesen sein kann. Denn ist es nicht

ein Skandal,

wenn nicht die gewählten Volksvertreter, sondern Drahtzieher aus dem Hintergrund die Geschicke des Landes lenken:

"Seit Jahrzehnten existiert in Italien das Wort sottogoverno zur Bezeichnung einer von fast allen Staatsbürgern vermuteten 'Regierung unterhalb der Regierung', eines fließenden und ungreifbaren Gebildes, in welchem die Repräsentanten der 'realen Macht' (Politiker, Militärs, Geheimdienstler, Wirtschaftsführer und auch die Mafia) zusammenwirken, um das Schicksal Italiens über die Köpfe der 'Scheinmächte' hinweg - die Parteien, das Parlament, die Justiz, die Regierung - zu lenken."

Volkes Mund tut Wahrheit kund, v.a. wenn er Unsinn redet: Da haben ein und dieselben Politiker nichts Besseres zu tun, als sich in real- und scheinmächtige zu verdoppeln, um sich mittels ersterer Eigenschaft zur Bedeutungslosigkeit in zweiterer zu degradieren und so in völliger Pflichtvergessenheit nicht das Volk, sondern vornehmlich sich selbst über ihre eigenen Köpfe hinweg zu regieren! Volk, Staatsbürger, das es nun auch mal in Italien ist, führt sich mit der "Vermutung" eines sottogoverno die Lüge seiner Repräsentanten zu Gemüte, das Land läge schwer darnieder, sei ewig und drei Tage in der Krise etc. pp., und denkt sich deshalb - da auch ihm anständig regiert zu werden über alles geht - als Grund für die angebliche Misere des Landes die mangelnde demokratische Entscheidungs- und Handlungsfreiheit seiner gewählten Volksvertreter. Mit der im sottogoverno postulierten Erfindung einer Herrschaft, die sich nicht dem Wohlergehen Italiens verpflichtet weiß, sind die regierenden Politiker aus dem Schneider: In ihnen belächelt man abgeklärt, unfähige Hampelmänner ominöser Hintermänner. Deren finstere Absichten sind nunmehr eigentlich

ein Skandal,

Getrieben von eigennützigen Interessen, purer Machtgier und schäbiger Bereicherungssucht, ruinieren sie den Staat. Keine Ideale sind ihnen heilig, was sie verbindet ist allein "die gemeinsame Liebe zu Macht und Geld". So wird die tausendköpfige Bande zu Schmarotzern verharmlost, die mit dem Staat nichts als die Befriedigung ihrer angeberischen Gelüste am Hut haben - als ob sich ein ganzes Volk krumm legen müßte, bloß damit die paar Typen auf ihren Luxusjachten in der Sonne rumlungern können. Mit der moralischen Empörung über die skandalöse "Lasterhaftigkeit" solcher Gesellen schnappt man nach der sauberen Luft der Demokratie, die es in Italien angeblich nicht gibt.

Doch das Rätsel, warum Italien keine anständige Demokratie hat, ist mit der Bekanntgabe der 1000 Bösewichte alles andere als gelüftet. Das waren einfach u viele! Wenn praktisch alle italienischen Politiker am sottogoverno beteiligt waren, dann hat ja jeder jeden in der Mache gehabt, so daß man schön langsam den Glauben an das Gute im Menschen verliert:

"Nur leider: Es sind einfach zu viele Leute, die im Mitgliederverzeichnis des sinistren Verschwörerclubs auftauchen, und alle Parteien (außer der kommunistischen) sind darin vertreten; wahrscheinlich hat der 'Großmeister' Licio Gelli Hunderte von harmlosen Figuren in seine Kartei aufgenommen, um im Falle einer Entdeckung die Untersucher zu verwirren."

Ein raffinierter Hund, dieser "Großmeister" der "Hochstapler"! Aber Carlos Widmann ist auch nicht auf den Kopf gefallen: Gerade die Bekanntgabe des der Loge angehörenden Personenkreises beweist die Unfaßbarkeit eines solch "fließenden und ungreifbaren Gebildes" wie des sottogoverno, das sich damit zwar nicht ganz in Luft auflöst, aber doch mehr oder weniger darauf zusammenkürzt, daß Gelli

den Skandal

verkörpert. Wer kein Gespür für Verschwörungen hat, der muß sich eben von Widmann und seinen Schnüffelgefährten was vorwittern lassen, damit die "Affäre um die Loge P 2" endgültig so "mysteriös" ist, wie die darin - sie wissen auch nicht wie und weshalb - "Verwickelten" sie haben möchten.

Nacktfotos vom Papst - wenn das kein "Herrschaftswissen" war, mit dem sich der sportliche Pole dazu erpressen ließ, seinen Verein auf Gelli-Kurs zu bringen! Mit den anderen hat er es genauso gemacht: Wo die Masche mit der Erpressung nicht lief, hat er sie bestochen - mit Schmiergeldern. So sind ihm alle in ihrer Einfalt - wann begegnet man schon mal so einem ausgekochten Verschwörer! - auf den Leim gegangen, ohne daß ein Opfer das andere kannte, so daß auch niemand die Möglichkeit gewerkschaftlicher Organisation gegen diesen übermächtigen Feind besaß. Denn das war sein Trick:

"Daß sich alle der 962 Mitglieder und Kandidaten" (darunter ganze 961 harlose Figuren!) "untereinander kannten, darf als unwahrscheinlich gelten. Was hätten Faschisten - die einstigen Verfolger der Freimaurerei -" (= die letzigen Verfolgten des Logenregimes!) "sonst in einer Loge zu suchen gehabt, die auch prominente Sozialisten zu ihren Mitgliedern zählte? Der einzige, der den Überblick hatte, war wohl Gelli selbst...; ein Dossier-Virtuose, dessen Macht sich darauf gründete, daß er über jeden etwas wußte..."

Und wenn sich auch nicht mehr mit letzter Klarheit die Frage beantworten läßt, wie es die Generäle in die Loge verschlagen hat, in der schon Faschisten und Sozialisten eigentlich nichts zu suchen hatten, "hereingefallen" sind auch sie - so daß sich inmer unabweislicher der Verdacht aufdrängt, daß dieser Gelli schrecklich viel gewußt haben muß. Vom Dossier-Virtuosen zum östlichen Geheimagenten ist es daher nicht mehr allzuweit: dies die mittlerweile offiziellerseits kolportierte Lösung des Rätsels:

"Die Staatsanwaltschaft untersuchte am Sonntag in Florenz den Inhalt von zwei Koffern, die das mutmaßliche 'Geheimarchiv' des nach Südamerika geflüchteten 'Großmeisters' der Loge, Licio Gelli, bargen. Daraus geht nach unbestätigten Inforationen" (wenig zuvorkommend, diese unkooperativen Russen!) "des italienischen Rundfunks hervor, daß Gelli im Dienst eines östlichen Geheimdienstes stand."

So ergibt sich das lustige Resultat, daß ein Gremium wie die P 2 - das allen an der Macht partizipierenden Fraktionen 1. dazu diente, sich mit ihren Beziehungen gegen die Wechselfälle der Demokratie zu wappnen und sich so an der Macht zu halten und 2. dafür da war, ihre Interessen und ver schiedenen Vorstellungen bezüglich der staatlichen Notwendigkeiten aufeinander abzustimmen, damit die Politik im Parlament so lief, wie sie sollte -, daß also eine so staatserhaltende Instanz wie die P 2 den Staat ins Wanken bringt:

"P 2 bedroht Staatsgefüge."

Und das bloß, weil ein Herr namens Gelli zu viel wußte! Als ob es nicht schon vorgekommen wäre, mißliebige Mitwisser zu m Schweigen zu bringen - der Journalist, der zuviel über die P 2 und ihre nichtakademischen Mitglieder wußte, mußte immerhin dran glauben. Daß nun die gesamte Staatsgewalt Opfer dieses Unholds ist, liegt nicht zuletzt an der weisen Voraussicht ihrer in der P 2 versammelten Mitglieder. Allzuviel Schläue gebört wirklich nicht dazu, einem unbekannten Typen wie Gelli den Logenvorsitz zu lassen, damit bei einem eventuellen Bekanntwerden des Geheimbundes der verantwortliche Drahtzieher und der Rest als Gezogene feststeht.

Egal, mit welch abenteuerlichen Konstruktionen die P 2 um ihren Zweck - und schließlich selbst um die Existenz - gebracht wird: Alle "Erklärungen", die entweder die Regierungspropaganda oder die den Italienern liebgewordenen (und auch durch irgendwelche Formen der Öffentlichkeit unter sie gebrachten) Vorurteile bezüglich der Beschaffenheit ihrer Staatsform für bare Münze nehmen; entschuldigen und verharmlosen die ersprießliche Zusammenarbeit von Regierung und ihrem "Sub"system.

Mit dem Skandal eine Offensive der italienischen Demokraten

Kein Wunder daher, daß dieser "Superskandal" für die zu dessen Verdunkelung berufenen Voyeure über die jetzige italienische Politik nichts anderes zum Vorschein bringt, als daß all den Vorurteilen über sie endlich die Würde der Realität zuerkannt wurde, die ein journalistischer Saubermann noch an jedem Skandal ein ums andere Mal triumphierend oder spekulierend 'enthüllt':

"Die Existenz eines sottogoverno, einer 'Regierung unterhalb der Regierung', die mehr Einfluß ausübt als diese, wird im Volk als Tatsache vorausgesetzt. Und das Erstaunlichste ist, daß die instinktiven Ahnungen der Bevölkerung immer wieder von der Wirklichkeit bestätigt werden - wenn ein Skandal aufblitzt und der Widerschein für Sekundenbruchteile einige Hintergründe aus dem Schatten hervor treten läßt... Die Aufdeckung des Geheimbundes 'II' ist nun freillch für das an Skandal gewohnte Land ein Ereignis besonderer Art. Zum erstenmal werden längst vermutete Zusammenhänge zwischen Politik und Verbrechen konkret erkennbar, Ein Netz hintergründiger Beziehungen kommt ans Licht, das sottogoverno hat auf einmal einen Namen."

Mag ja immerhin sein, daß manch Italiener sich angesichts des Skandals bestätigt, wie recht er schon immer mit seiner Vermutung des sottogoverno hatte, weil er jetzt weiß, wie die Schlimmen heißen - bloß sind dadurch noch lange nicht die instinktiven Ahnungen der Bevölkerung Wirklichkeit geworden. Das Besondere dieses Skandals liegt daher auch weder an der Konkretheit der Namen - das haben Skandale nun mal so an sich, daß da welche bekanntgegeben werden - noch am die gewohnte Anzahl überschreitenden Ausmaß ihrer Nennung.

Wenn Journalisten hierzulande voller Verwunderung feststellen, daß Erdbeben und Freimaurerlogen ganz Italien zu erschüttern vermögen, so wollen sie stets den Zusammenhang aufblitzen lassen, daß der Staat arm dran sei, weil er von solchen Sächelchen an den Rand der Krise gedrängt werde. Damit geben sie getreulich die anläßlich solcher Ereignisse propagierte offizielle Regierungsmeinung wieder, von der noch jedes Erdbeben je katastrophaler desto mehr dafür ausgeschlachtet wird, dem Volk eine Vorstellung zu vermitteln von der Krisengeschütteltheit des Staates und damit von der Notwendigkeit, dem Staat in nationaler Solidarität beizustehen.

Wenn da wer von jemandem erschüttert wird, so jedenfalls nicht der Staat von einem freimaurerischen Großmeister und Mutter Natur. Vielmehr setzen die Repräsentanten des Volkswillens die Hebel der öffentlichen Meinung in Bewegung, um letzteren in ihrem Sinne zu bewegen.

Klar, daß Forlani die Regierungskrise mit der Veröffentlichung der Namensliste nicht inszeniert hat, m sich den Italienern als der sauberste aller Saubermänner zu präsentieren. Der Grund für die Bekanntgabe war wie bei allen anderen Skandalen schlicht der negative, der Konkurrenz zuvorzukommen; die absehbar im Falle der weiteren Verheimlichung der seit nun mehr als einem Jahr als Gerücht grassierenden und einer immer größer werdenden Zahl von Eingeweihten bekannten Fakten für sich Kapital daraus geschlagen hätte. Sich so ins Unvermeidliche schickend, hatte dieser Skandal aber von vornherein eine ganz andere Qualität als alle bisherigen: Während früher einzelne correnti der DC ihr Wissen über die Schiebereien eines anderen corrente publik machten, um diesen in politischen Mißkredit zu bringen und so die Führungsmannschaften abzulösen, ging Forlani mit dem P 2 - oder auch sog. "gesteuerten" - Skandal gegen alle mögliche Diskreditierung dergestalt in die Offensive, daß er mit der Aufdeckung des gesamten "Sumpfs" seine Integrität und Uneigennützigkeit unter Beweis stellte, woran sich alle ebenso in den Skandal "verstrickten", aber um den Trumpf der Enthüllung gebrachten Parteien abzuarbeiten hatten. Was mittlerweile in Italien zur Normalität gehört, sieht man am schönsten an der Reaktion auf die Publizierung dieses Knüllers: Kein Gedanke an den Rücktritt des unschuldigen Entlarvers, der schließlich nichts dafür kann, wenn sich (nur) drei seiner Minister - ein Wunder bei der allgemeinen Verworfenheit, daß nicht das ganze Kabinett in die Fänge der Loge geraten war! - in ihrer Freizeit in sinistren Logen rumtreiben. Schließlich dauerte es noch eine Weile, bis sich der Sozialdemokrat Craxi zu der Einsicht durchrang, daß dieser "Jahrhundertskandal" keine ungünstige Gelegenheit für die Verbreiterung der sozialistischen Machtbasis war, wenn es ihm gelang, die Regierungsneubildung bis nach den Regionalwahlen am 21. Juni hinauszuzögern.

Die Unverfrorenheit, mit der sich Forlani hinstellte und mit der Bestätigung der Existenz des allgemeinen Volksvorurteils der Herrschaft des sottogoverno sich fürderhin die Kritik an sich mit letzterem verbat, weil schließlich die Aufdeckung dieses Übels die Handlungsfreiheit der Regierung zur Genüge beweist, brauchte nicht lange nach ihresgleichen zu suchen. Auch der sozialdemokratische Generalsekretär Longo, selbst mit Mitgliedsnummer 0926 im P 2-Verzeichnis aufgeführt, war unvernüglich mit dem Argument bei der Hand, daß die Staatsanwälte,

"die das Verzeichnis zur Veröffentlichung freigaben... insgeheim im Dienst der Kemmunisten stünden.":

"'Ein Komplett nach dem Muster McCarthys, des Stalinismus und des Faschismus, um die Spitzcn des Staates durch Rufmord zu massakrieren und Italien ins Chaes zu stürzen.'"

Indem sie mit der offiziellen Bekanntgabe des längst von den Instinkten des Volkes erahnten Zustandes allseitiger Verfilztheit den Vermutungen dergestalt ihren Respekt gezollt hatten, daß sie das werte Volk mit allerlei Eselsbrücken dazu anhielten, darin nicht länger einen Beweis der Unfähigkeit der Regierung zu erblicken, führte die gesammelte Regierungsmannschaft an den eindringlich vorstellig gemachten wahren Repräsentanten des sottogoverno, den Zersetzern und Zerstörern hehrster Absichten der Regierung, dem Volk vor, was sich gehört und was nicht:

"Man sollte den Ehrenwerten mehr Kredit geben und nicht immer von den Unehrenhaften meinen, daß sie im Besitz der Wahrheit seien."

Im Klartext: Spricht es nicht für unsere Ehrenwertheit, daß wir die Peinlichkeit einer staatlichen Schande zugeben? Spricht nicht andererseits die Unehrenhaftigkeit für sich, die aus dem - uns als Italienern nun mal anhangenden - Mißgeschick politisches Kapital dergestalt schlagen wollen, daß sie nicht nur weiter in ihm rumstochern, sondern sogar noch weitergehende Konsequenzen verlangen?

"Im Lande entfesselt man eine Art Pogrom... Man darf den absurden Massenreinigungen keine Lebenschance geben." (PS-Parteiblatt 'Avanti')

Denken also darf man schon noch, daß das sottogoverno überall seine Finger drin hat aber nur so, daß dabei gleichzeitig überall die Regierung ihren Daumen drauf hat: Die personifizierte Verkörperung desselben namens Gelli weilt nämlich derzeit weit weg im befreundeten Argentinien. Fordern also darf man von der Regierung in Sachen Sumpfbekämpfung nicht mehr, als sie selber leisten zu können verspricht: Weshalb sollte auch die Regierung eine Kampagne gegen sich selbst anzetteln, die allein deshalb dem Ruch der Unehrenhaftigkeit dadurch entzogen ist, daß sie ihre Verfilztheit mit hintergründigen Elementen ganz offiziell zu Protokoll gegeben hat.

Wenngleich mit der Bekanntgabe von immerhin 1000 dem sottogoverno zuzurechnenden Namen die Bedingungen fürs Gemauschel insofern modifiziert sind, als ihre Tätigkeit nun nicht mehr vertuscht ist und man nicht mehr wie bisher mit der Vertuschung als sicherer Geschäftsgrundlage rechnen kann, so wird sich doch eines in Italien todsicher nicht ändern: Die Modalitäten der Herrschaft laufen nach wie vor unter den oben abgehandelten Kriterien ab. Wofür hat man schließlich all die schönen Beziehungen, wenn nicht, um sie zu nutzen?