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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1981 erschienen.


EDITORIAL

Ob die NATO Krieg will oder nicht, darf wohl kaum als eine vernünftige Frage gelten. Fest steht, daß sie einen Waffengang mit dem Hauptfeind vorbereitet. Denn soviel weiß man in westlichen Regierungskreisen ganz ohne das Studium von Ökonomie und Politik des Ostens: die friedliche Kapitulation, "der Friede" also, den Ronald Reagan und Helmut Schmidt tatsächlich im tiefsten Herzen anstreben, findet nicht statt.

Also steht ein Mann der Friedenspolitik wie unser Kanzler vor dem Problem, gemäß demokratischer Sitte seinem Volk die Notwendigkeit deutscher Kriegsvorbereitung schonend beizubringen. Denn der amerikanische Weg, unter vorhersehbarem Jubel der Nation zu bemerken, Frieden sei der Güter höchstes nicht, weil zuerst Amerika komme und dann erst einmal lange gar nichts, steht einem führenden deutschen Politiker nicht zu und schon gar nicht gut zu Gesicht; schließlich hat der Kanzler wie sein Vize, wie seine Partei und auch wie seine antifaschistischen Vorgänger der CDU-Ära - die Tatsache, daß sein BRD-Imperialismus einer der 2. Garnitur ist, immerzu als Beweis für dessen Mildtätigkeit und Friedensliebe ins Feld geführt. So etwas schadet schon dem Ansehen einer Regierungsmannschaft, wenn sie einfach so herausplatzt mit der Mitteilung: "Also Leute, die Aufrüstung ist eine wichtige Sache, weil ich in voller Übereinstimmung mit unseren atlantischen Freunden die Zeit für gekommen halte, die Russen kleinzumachen; daß sie freiwillig Position um Position räumen, diesen Traum von Frieden können wir uns nur leisten, wenn wir auch für den Fall, daß er nicht in Erfüllung geht, alles unternehmen. Nach allem, was man von den Bolschewisten so kennt, geben die nur so lange nach, wie sie sich was davon versprechen. Deshalb Raketen, Tornados und Sparprogramm, es gibt viel zu tun, packen wir's an!"

Andererseits kann ein deutscher Kanzler auch nicht nichts sagen von seinem Vorhaben. Irgendwie braucht er jetzt schon und im "Ernstfall" sowieso sein Volk für sein Friedensprogramm, das den Krieg als "ultima ratio" vorsieht. Doch, wie bei allen schwierigen Problemen, denen sich die Menschheit gegenübersieht, ist mit ihrer richtigen Stellung auch schon die Lösung in Sicht. Der Kanzler und seine großen und kleinen Mitherrscher sagen einfach, die Kriegsvorbereitung sei eben Friedenspolitik, darüber hinaus auch noch unumgänglich. Die in die Politik und ihre methodischen Sorgen verliebte Journalistenszene versorgt mit dieser Weisheit ihre Klientel, erfindet jenseits der Sache einen ganzen Sack von Dilemmen und Ärgernissen, in denen sich die Politik, die Wirtschaft und der Haushalt befinden - und was sonst noch an Glaubwürdigkeit hergestellt werden muß, läßt sie durch die Profis des nationalen Geisteslebens besorgen.

"Keine Basis ohne Überbau" - hat MARX einmal treffend bemerkt, und irgendwie muß er damals schon geahnt haben, daß sich noch für die brutalsten Geschäfte irgendwelche Ideen finden lassen, die diese in einem ganz anderen Licht erstrahlen lassen als dem der Wahrheit. Wir haben uns die These von MARX für diese Nummer als Leitfaden zu Herzen genommen und einmal einen Blick auf den Zustand des Geistes riskiert, der es als freier besonders schwer hat, seiner historisch-materialistischen Rolle als Überbau, der auf die Basis auch paßt, gerecht zu werden. Denn sich nichts um das zu kümmern, was tatsächlich in der Welt von Staat und Kapital passiert, und dennoch nichts weiter als das falsche Bewußtsein für diese Realität abzuliefern, ist keine leichte Aufgabe für die Dichter und Denker der Nation.