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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1981 erschienen.
WOZU SICH INTELLEKTUELLE VOM ÖLPREIS INSPIRIEREN LASSEN
Der Nahe Osten - eine islamische Revolution, ein Gaddafi, der sich in französische Einflußsphären in Afrika einmischt, ein Kartell von Ölscheichs, das europäische Zahlungsbilanzen ruiniert - eine solche Region ist für den zuständigen Auslandskorrespondenten eine einzige Herausforderung zu zeigen, daß mehr in ihm steckt, als die Statements, die er normalerweise vor Ort von sich gibt.
Gerhard Konzelmann, Die islamische Herausforderung
Nicht, daß sich nicht mittlerweile herumgesprochen hätte, daß nicht die Scheichs, sondern die 7 Schwestern die Hauptverdiener im Ölgeschäft sind, daß auch Gaddafi die Regeln dieses Geschäfts respektiert und auch in seinen außenpolitischen Extratouren gewisse Grenzen einhält, daß schließlich die iranische Revolution die USA keineswegs in die Knie gezwungen hat, sondern der Religionsstaat dem Staatsbankrott entgegengeht - hinter den Umtrieben dieser Ölstaaten, über die mit ihrem Namen schon alles gesagt ist, dahinter muß Höheres und Tieferes walten. Unter einer epochalen Gefahr, unter eben einer "islamischen Herausforderung", ist es da nicht getan:
"Die USA und die westliche Zivilisation sehen sich von den islamischen Ländern herausgefordert. Khomeini droht mit dem 'Heiligen Krieg'. Welche Kräfte werden hier freigesetzt? Warum steht der Westen dem Geschehen so hilflos gegenüber?" (Antwort, bitte eine Antwort!) "Konzelmann liefert den Schlüssel zum Verständnis eines Dramas, das für das Abendland einen Wendepunkt seiner Geschichte bedeuten kann." (Klappentext)
So hätte das niemand gesehen: Hinter den politischen Ärgernissen im Nahen Osten lauert der mögliche Untergang des Abendlandes. Wer aus politischen Turbulenzen in irgendeiner Weltgegend ein Rätsel machen will, um dann die ungeheure Last von dessen Aufschlüsselung auf sich zu nehmen, muß schon einiges an Gefahr für "uns" zusammenkonstruieren, um seiner Leistung das gehörige Gewicht zu verleihen, bevor er mit einer erzbürgerlichen Mystifikation als "Schlüssel" herausrückt:
"Für den Moslem bilden Religion und Politik eine feste Einheit",
und davor soll man sich fürchten, wozu man sich nur 300 Jahre zurückerinnern muß:
"Angst zu haben vor dem 'Heiligen Krieg' der Moslems, das haben die Menschen der christlichen Länder verlernt. Daß die Kriegsdrohung ernst gemeint sein könnte, daran glauben sie nicht. Vergessen sind die Erfahrungen, die, unsere Vorfahren gemacht haben. In den drei Jahrhunderten, die seit dem letzten gewaltigen Ansturm des Islam vergangen sind, verblaßte die Erinnerung an die Kämpfer des Islam, die Wien und Zentraleuropa bedroht hatten, die überlegen genug waren, vom kaiserlichen Haus Habsburg Tribut fordern zu können."
Also die Einheit von Religion und Politik soll es bringen: Das bürgerliche Ideal eines ganz festen Zusammenschlusses der Massen mit ihrem Staat, so enorm fest, weil ganz tief, nämlich im Glauben verankert, eine solche gläubige bruchlose Identität mit dem zuständigen Gewaltapparat soll diesen stark und schlagkräftig machen. Gemessen an diesem Kriterium findet ein freiheitlicher Journalist auch finsteren Fanatismus ganz schön beeindruckend. Ein solchermaßen den islamischen Staaten angedichteter gemeinschaftsbildender Idealismus in der Nachfolge des Propheten läßt sich auch durch Fakten nicht beirren. So werfen sich zwar die von Konzelmann angeführten 300 Mitglieder der Islamischen Konferenz einträchtig nieder zum Gebet gen Mekka, was sie aber keinesfalls daran hindert, im Namen Allahs und ihrer nationalen Interessen bis zum offenen Krieg gegeneinander zu konkurrieren. Die ägyptische Israelpolitik und der Krieg zwischen Iran und dem Irak zeugen nicht gerade von einer Stärke durch Einheit des Islam. Konzelmann gefällt jedoch sein Schlüssel viel zu gut, um deswegen davon abzulassen, seine Platitüde bürgerlicher Ideologie auszuwalzen und ordentlich vorzuführen.
Methode Nr. 1
Zur Bebilderung des dummen Gedankens, der die Ideologie der islamischen Staaten für deren Realität nehmen will, muß die gesamte Geschichte herhalten.
"Verfolgt man die Geschichte..., so fallen Parallelen auf..."
- Schon immer!
Was ist der Ölpreis anderes als eine Neuauflage des "Tributs, den einst das Haus Habsburg den Kalifen zahlen mußte", und der Staatsbesuch Gaddafis auf Malta anderes als die Wiederholung des Angriffs von Sultan Soliman auf die Festung der Malteserritter 1565? Zwar belegen die ebenso historischen Niederlagen der Sultane und der Niedergang ihrer Reiche nicht gerade Konzelmanns Schlüssel, die für den Islam typisch sein sollende Einheit von Religion, Staat und dessen Erfolg. Aber das Problem erledigt Konzelmann mit der einfachen Geschichtsweisheit, daß auf jede Blüte ein Verfall folgt, auf jedes Auf ein Ab und aus jedem Niedergang Stärke erwächst...
Methode Nr. 2
"Als breiter Gürtel umspannen die islamischen Staaten den Weltball... Der Islam rückt in Afrika von Norden nach Süden vor... die Neger der USA auf dem Weg zum Islam... Moslems in Europa, in der Bundesrepublik Deutschland..."
- Überall lauert der Islam. In Weltsphären, in denen er doch wahrhaftig nichts zu suchen hätte, im Machtbereich des Westens selbst gärt die islamische Herausforderung. Und wenn auch das amerikanische Lumpenproletariat, andalusische Separatisten und türkische Gastarbeiter nicht gerade die überzeugendsten Argumente für eine islamische Gefahr darstellen, der wahrhaft erschlagende Sachverhalt, daß sich allerorten Anhänger dieser Religion finden lassen, spricht doch für sich selbst.
Methode Nr. 3
Angefangen von der Katalognummer M 1456. 64 - 640. 157 B.u., die das umstrittene Testament des Barnabas in der österreichischen Nationalbibliothek besitzt, über Prinz Eugens päpstlichen Siegerhut - "mit Hermelin gefüttert und einer weißen Taube, den heiligen Geist darstellend", wohingegen "Kemal Atatürk einen Panamahut trug" - bis zum Messingteller im Büro der "Andalusischen Partei", der von Gaddafi stammt = kennt der Mann sich aus! Und hat sogar eine ganz eigene Schreibweise für Gaddafi!
Wenn auch die Subsumtion der Weltgeschichte unter Konzelmanns Universalschlüssel, die Deuterei darauf, wo alles Moslems sich herumtreiben, und schließlich die Ausstaffierung dieses Durchgangs durch Raum und Zeit mit tausenderlei Anekdötchen und Details nichts an Erklärung für das aufgetischte Rätsel der "islamischen Herausforderung" leistet, für eines sind diese Veranstaltungen schon gut: Die "islamische Herausforderung" ist äußerst groß und Konzelmann ist ihr Prophet. Schließlich bringt er auf den 383 Seiten - und das ist nur das letzte seiner 8 Bücher, mit denen er jetzt schon seit 6 Jahren diese Marktlücke besetzt hält - auch nichts anderes zu Papier als viel Tiefblick, viel Gelehrsamkeit usw., kurz die auslandskorrespondentenmäßige Eitelkeit, auch über Hintergrund zu verfügen. Und angesichts der großen Gefahr, die er entdeckt hat, gerät der gute Konzelmann so sehr in Fahrt, daß er sich zuguterletzt selbst noch großen Gefahren aussetzt:
"Wer die Herausforderung im Zentrum lokalisiert, läuft Gefahr, als Unruhestifter zwischen Gastarbeitergemeiiiden und den Bewohnern des Gastlandes verkannt, zu werden..."
Aber die Verantwortung, die ein Warner vor eigens erfundenen Gefahren trägt, die will er auch noch ganz allein tragen!
Konzelmanns Stories leisten also nicht mehr als die Bestätigung der allgemeinen Ansicht, daß da unten nicht immer alles nach "unserer" Zufriedenheit geht. Eine solche Betrachtungsweise, die schon im Versuch der Völker anderer Weltgegenden, ein Wörtchen auf dem Globus mitreden zu dürfen, eine Anmaßung sieht, die zu tiefschürfenden Rätseleien Anlaß gibt, paart sich bestens mit der praktischen Politik der westlichen Staaten in Nahost. Sie vollzieht damit nämlich auf ihre Weise das imperialistische Urteil, daß diese Kameltreiber eigentlich nichts zu melden haben und allein zu unserer Disposition zu stehen hätten. Und obschon diese Disposition zur Zeit gerade "Verteidigung der lebenswichtigen Interessen des Westens in der Golf-Region" heißt, von "islamischer Herausforderung" also wohl kaum die Rede sein kann, wenn die Region Zug um Zug der westlichen strategischen Planung einverleibt wird - die kulturimperialistische Besprechung, die die Bedeutsamkeit dieser Staatenwelt für "uns" als einzigen Maßstab kennt und sich demgemäß mit hochgestapeltem intellektuellem Blödsinn wichtig macht, bildet die passende Begleitmusik zur praktischen Subsumtion der Ölstaaten unter die vom Westen beschlossenen Maßstäbe.