Info
UNBEACHTETER COLLEGE-DROP-OUT SCHIESST AUF BERÜHMTEN SCHAUSPIELER
"Wie kann nur jemand einen so netten Menschen erschießen wollen?" (George Bush)
25 Jahre lang kümmert sich die Welt genausowenig um John W. Hinckley jr. wie um -zig Millionen andere Amis. Hätte Hinckley seine Schwester umgebracht, wäre an ihm auch kein übermäßiges Interesse entstanden; kaum hat er aber auf Ronald Reagan geschossen, beschäftigt sich alle Welt mit seiner Biographie auf der Suche nach einem passenden Motiv.
Reagan, kaum daß er seinen Mund wieder aufmachen konnte, fragte erstaunt: "Hat irgendjemand eine Ahnung, worüber der Junge sich eigentlich aufgeregt hat?" Es herrscht gelungene Einmütigkeit unter internationalen wie nationalen Meinungsmachern: Der Typ hatte kein Motiv, konnte auch keines haben; er hat auf den Präsidenten geschossen, weil das Präsidenten in Amerika nun mal widerfährt - zumal wenn sie in den "bösen 20" gewählt worden sind.
Hinckley dient so der Journaille als die Inkarnation
"des Gespenstes, das Amerika seit dem Mord an Lincoln über die Jahrzehnte hinweg immer wieder heimsucht, die jähe, unkontrollierbare Gewalt." (FAZ, 1.4.),
womit sich gleich zwei Lügen an den Mann bringen lassen.
Lüge Nr. 1:
Gewalt ist etwas Gespenstisches, Unerklärliches, das irgendwie von Zeit zu Zeit über die harmonischen USA hereinbricht, und das Attentat ist sein Auftritt 1981. Ausgerechnet in Hinckley mit seiner Mini-Pistole aus dem Pfandhaus will die internationale Presse die Gewalt in der Nr. 1 der Welt entdecken und weiß sich darin einig mit all denjenigen, die auf dem Globus Staatsgewalt verkörpern. Der aus aller Welt telegrafierte "Abscheu vor einer solchen Tat" gilt dem Attentat auf das Individuum Reagan, weil er der Präsident ist.
"Wieder muß ein Volk die traumatischen Augenblicke durchleben, daß der frei gewählte Führer eines freien Volkes von den Kugeln eines Attentäters getroffen wird." (Weserkurier vom 1.4.)
Wenn man auch durchaus verstehen kann, daß sich einer zum Tyrannenmord aufschwingt - das haben schließlich auch Schiller, Shakespeare und andere Geistesgrößen gut geheißen -, der amerikanische Präsident aber ist "frei gewählt". Also kann es nur einen Grund geben, den so verkörperten Volkswillen zu verletzen:
Lüge Nr. 2:
Das Attentat ist die Tat eines perversen Individuums, das sogar so pervers ist, daß es keiner merkt.
"Der Typ des Attentäters ist täuschend ruhig, sogar passiv. Er ist das Muster eines schüchternen, sich anständig benehmenden, oft langweitigen Einzelgängers, dessen Anstrengungen zur Selbstkontrolle so lange Erfolg haben, bis die Spannungen in einem Attentatsversuch explodieren." (Time vom 15.4.)
Die internationalen Hofberichterstatter machen sich über den Charakter Hinckleys her, um darin, die so kunstvoll verborgene Perversität auszumachen. Sofort erkennen sie, warum diese Täuschung so gut gelungen ist: Jeder Mensch hat eben seinen Gewalthaushalt, der erst einmal gemanaged werden will, und das gelingt manchen nicht so gut wie anderen.
"Einleuchtend scheint da, daß in diesen Verhältnissen einsame, isolierte Drifter ständig versucht sind, auf Prominente oder gar den prominentesten Mann der Nation anzulegen, weil es keinen schnelleren Weg zur Unsterblichkeit gibt. " (Spiegel vom 6.4.)
Das kann man im Prinzip auch vermittels Dauerkopfstand im Central Park versuchen, aber der Journaille fällt noch stets zuerst das Präsidentenamt ein, an dem sie den Erfolg dieser angestrengten Individuen mißt.
"Vielleicht kann nicht jeder kleine Junge heranwachsen, um Präsident zu sein, aber er kann, für den Preis einer Pistole, heranwachsen, um Präsidentenattentäter zu sein." (Time vom 15.4.),
und das ist doch immerhin auch etwas!
Der Gegensatz zwischen dem, der die Gewalt ausübt, und dem ihr Unterworfenen ist so in einen verwandelt zwischen Reagan als einem, der Erfolg hatte und deshalb Präsident wurde, und dem armen Würstchen Hinckley, der es zu nichts gebracht hat, weil er die Verkörperung einer psychischen Fehldisposition ist, der kein Mensch Zuneigung entgegenbringen konnte. Jener Ami-Intellektuelle, der im "Spiegel" darüber sinniert, ob nicht auch er potentiell ein Präsidenten- oder Vatermörder gewesen ist, schafft mit einem Satz die Verbindung von Pseudoerklärung des Attentats aus der Natur des Menschen und Verherrlichung der Präsidentenmacht und ihres Anwenders:
"Im Fall Hinckley war Vatermord offenbar ein emotionales Tabu, statt dessen erschießt er die Vaterfigur eines ganzen Landes, einen Mann, der seinem Vater gleicht. ... tiefe Haßtiebe für den Mann Reagan."
Wie allgemein akzeptiert solch psychologisches Urteil über die Konkurrenz ist, beweisen die Hauptbeteiligten des Attentats, jeder auf seine Weise: Hinckley selber hat sich offenbar die Ideologie von der charakterlichen Selbstverantwortung für den Erfolg zu eigen gemacht und sich Beachtung verschafft: in den internationalen Schlagzeilen. Der angeschossene Präsident leistet sich den zynischen Spruch:
"Ich hoffe, daß er mit seinen Problemen fertig wird.",
gewürdigt als statement des verständnisvollen Staatsvaters, der jedem seiner Bürgersöhne nur das Beste wünscht und deswegen guten Gewissens das verantwortet, was der von ihm verkörperte Staat praktiziert: Hinckley ins Zuchthaus oder als Irren einsperren.