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Österreich
MORD UND POLITIK
In den Morgenstunden des 1. Mai 1981 wurde der Verkehrsdezernent der Stadt Wien in seinem Dienstwagen von einem bisher unbekannten Täter erschossen, als er gerade von zu Hause zur Mai-Kundgebung aufbrechen wollte. Bis zur Stunde gibt es nicht den leisesten Hinweis auf ein Tatmotiv, sieht man von dem Indiz ab, daß der Waffentyp auch schon von Terroristen benutzt wurde. Für die österreichische Öffentlichkeit, allen voran die führenden Politiker, reicht aber allein schon der Umstand aus, daß das Opfer Berufspolitiker war, um das Verbrechen nach allen Regeln der Kunst für ihre Politik auszuschlachten, in einer Schamlosigkeit, daß sich der Eindruck aufzwingen muß, die "Verschonung der Alpenrepublik" von terroristischen Mordanschlägen sei bisher seitens der führenden Politiker als die weitaus größere Gefahr für die Demokratie bedauert worden; und der unterstellte politische Hintergrund des Falls Nittel biete endlich die Gelegenheit, auch Österreich an den internationalen Standard politischer Benutzung des Terrorismus für den Ausbau der wehrhaften Demokratie heranzuführen.
"Terror bewegt nichts!",
meinte der SPÖ-Klubobmann (= Fraktionsvorsitzender) Fischer in der Nationalratssitzung vom 6. Mai. Einmal abgesehen von den meisten Staatsgründungen seit den Anfängen der bürgerlichen Gesellschaft mag da ja was dran sein, zumindest was die Intentionen der modernen Terroristenszene betrifft. In Österreich jedenfalls hat der Mord an dem Verkehrsstadtrat Nittel, ohne daß bis zur Stunde überhaupt klar ist, ob politischer Terrorismus oder ein sogenanntes gewöhnliches Verbrechen dahintersteckt, Bewegung in die gesamte Parteienlandschaft gebracht. Neben der Existenz von Bundesheer, Polizei und Justiz belegen die Äußerungen demokratischer Spitzenpolitiker seit Bekanntwerden des Verbrechens in kaum noch zu überbietender Offenheit, daß die Gewalt ein Mittel der Politik ist. Seit dem 1. Mai 1981 ist der tote Stadtrat Manövriermasse der demokratischen Parteien in der Auseinandersetzung gegeneinander und ihres Konsens gegen jeden, der in dieser Republik das Maul zu weit aufreißt. Es scheint der Beruf zu sein, der bei Staatsmännern jene Kaltschnäuzigkeit hervorruft, die einen Benya, Vorsitzender des Österreichischen Gewerkschaftsburides (ÖGB) und Parlamentspräsident, nach den obligatorischen Bekundungen persönlicher Betroffenheit auf der Trauerkundgebung am 1. Mai befähigt, mit Trauerflor in der Stimme sofort zum Rundschlag auszuholen und Klage darüber zu führen, "daß es populär sei, über alles zu schimpfen, alles schlecht zu machen." Und es mutet fast wie vorsätzliches Auslegen einer falschen Fährte an, wenn der Wiener Bürgermeister Gratz, drei Stunden nachdem geschossen worden ist, "wörtlich sagte: Es ist auch eine Mahnung, welche gefährliche Waffe das Wort ist, wenn es zum Haß reizt." (Krone vom 2. Mai) Das akribische Aufzählen jeder Regung bürgerlichen Unmuts gegen Nittel ("Hatte Kontroversen mit 'grünen Bürgeraktionskomitees' auszutragen."), die sorgfältige Koppelung der Nachrichten über den Mord an Nittel und über zwei Hausbesetzungen am Vortag, die kaum verhohlene Anspielung führender SPÖ-Politiker auf den Fall Androsch, überhaupt die kaum mehr relativierte Gewißheit, der internationale Terrorismus habe Österreich treffen wollen und sich zu diesem Zweck ausgerechnet einen Wiener Stadtrat ausgesucht, alles dies legt den Schluß nahe, daß die Gemeinheit umso größer, je kleiner die Republik ist.
Was geht eigentlich in Politikern vor, die auf die Nachricht von der Ermordung eines Kollegen sich als erstes dazu aufgefordert fühlen, die Tat ausdrücklich zu verurteilen? Wieso meinen sie es nötig zu haben, wie der ÖVP-Mann Busek, zu versichern, daß "Nittel zwar ein politischer Gegner, aber immer ein ehrlicher und vertragstreuer Partner war." Wieso muß Alois Mock, sein Parteichef, "dieses verabscheuungswürdige Verbrechen, das, gleich aus welchen Motiven es geschah, schärfstens verurteilen"? Steckt dahinter nicht die Gewißheit, daß die Gewalt und - im Ernstfall - auch das Umbringen von Leuten zum Repertoire der Politik gehört und daß sich die Solidarität der Demokraten immer dann vehement darauf besinnt, daß die Gewalt kein Mittel der Politik sein darf, wenn sie von nichtautorisierter Seite ausgeübt wird und einen Politiker trifft? Mitten in der allgemeinen Bekundung der Abscheu vor Gewalt machte der "Kurier" vom 5. Mai mit der Schlagzeile auf: "Nun bewaffnete Leibwächter für unsere Spitzenpolitiker! Polizei bietet 'Gorillas' für Bewachung an." In welchen Kategorien denken eigentlich Politiker wie der schon zitierte Benya, die, noch ehe der tote Nittel unter der Erde ist "an alle appellieren, dem Tod des Stadtrats einen Sinn zu geben", Politiker, die wie der ebenfalls schon erwähnte Mock den Mord an Nittel "als Attentat auf die Demokratie schlechthin" gewertet sehen wollen; Politiker, die wie der FPÖ-Klubobmann Peter sich gegen "jedes andeutungsweise Herstellen von Verbindungen zwschen der Schreckenstat und der Innenpolitik" (Zitate aus "Die Presse" vom 7. Mai) aussprechen und damit einen Angriff auf die beiden Konkurrenzparteien starten?
Von jener "Frau im dunklen Mantel, die immer wieder schrie: 'Mein Heinzi hams ma daschossen, mein Heinzi ist tot: I brauch ka Staatsbegräbnis, mochts ma mein Heinzi wieder lebendig!" (Krone vom 2. Mai) stammt die einzige bekanntgewordene Äußerung eines ehrlichen Gefühls über den Mord. Das Staatsbegräbnis, das sie nicht will, findet seit dem 1. Mai statt und wird von den Politikern mit allen Gehässigkeiten, die sie im Beruf gelernt haben, zelebriert. Was diese Herren jetzt am meisten fürchten müssen, wäre der für sie peinliche Umstand, daß sich der Mord an Nittel als nicht politisch motiviert erweist. Man kann allerdings ziemlich sicher sein, daß ihnen auch dann das Passende einfallen wird.
Kreisky: "Das ist der erste politische Mord seit 1945"
Obwohl man über den Täter noch nichts wisse, sei es doch ein politischer Mord, weil es einen Politiker getroffen habe, meinte Kanzler Kreisky.
Auch die Austro-Trotzkisten
von der GRM (= Gruppe revolutionärer Marxisten):
"Das Datum des 1. Mai legt den Schluß nahe, daß es sich in der tat gegen die Arbeiterbewegung als Ganzes richtet."