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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1981 erschienen.

Systematik

Warum der Ölpreis fällt
LETZTE ÖLUNG FÜR DIE OPEC

"Allemal war es eine Revision der von den großen Ölkonzernen angestellten Berechnungen über die Unkosten einer erweiterten oder auch langfristig konstanten Erdölförderung, inzwischen auch der Produktion von Energie in anderen Formen, die den ökonomischen Grund dafür abgab und abgibt, daß die OPEC sich mit ihren Kraftakten bislang noch nicht blamiert hat." (Resultate, Imperialismus 3)

Erstaunliches ereignet sich derzeit im Ölgeschäft: der Ölpreis sinkt! Nicht der Benzin- und Dieselpreis natürlich, der ist ja gerade erst von Staats wegen angehoben worden, sondern der Preis, auf den's für die Volkswirtschaft ankommt, der die Leistungsbilanz drückt, der Rohölpreis. Klar für jeden journalistischen Marktbeobachter, daß das am Markt liegen muß:

"Die Fakten sind klar: In der Welt wird gegenwäirtig mehr Roböl gefördert als nachgefragt. Prompt funktioniert auch wieder die Marktwirtschaft auf dem Ölmarkt - trotz des OPEC-Kartells." (Wirtschaftswoche, 1.5.81)

Die aus diesen Bemerkungen sprechende Weisheit, daß, wenn die Preise steigen, marktwidrige Erpressung durch das Kartell der Scheichs vorliegt, wenn sie stagnieren bzw. fallen, hingegen die "unsichtbare Hand" des alten Adam Smith ihre Marktmacht entfaltet, ist zwar auch nichts anderes als die passende Variante der immergleichen Ökonomen-Ideologie, daß der Markt der natürliche Mechanismus zur Mehrung der Wohlfahrt "aller" = der eigenen nationalen Volkswirtschaft ist, jede dem entgegenstehende wirtschaftliche Aktivität folglich eine Marktstörung. In diesem Falle aber verrät die schadenfrohe Kommentierung der Wandlung der bisherigen "Marktstörer" zu nunmehrigen "Opfern des Marktes" doch sehr schön, daß die OPEC-Staaten nicht das Subjekt des Ölgeschäfts sind.

Die Ölschwemme und ihre Macher:

"Auf der nächsten Opec-Tagung am 25. Mai wird nicht über eine Erhöbung, sondern über eine Senkung der Ölpreise diskutiert werden." (Frankfurter Allgemeine, 22.4.81)

Die Gewißheit, mit der dies vorhergesagt werden kann, hat ihre solide Grundlage in dem, was sich auf dem Ölmarkt schon seit gut einem Jahr tut. Nicht einmal der Krieg zwischen Iran und Irak, der immerhin den letzteren bei der Rohölförderung vom 2. auf den 9. Platz unter den OPEC-Ländern zurückfallen ließ, taugte diesmal als Anlaß für eine nennenswerte Erhöhung der Preise. So sah schon das Jahr 1980, trotz der 1979 und zu Jahresbeginn erreichten Preissteigerungen, für die OPEC-Staaten schlecht aus, wie die "Süddeutsche Zeitung" sich freut:

"Sie hatten ihr Öl 1980 im Durchschnitt zwar um 23% teurer verkauft, dafür aber 12% weniger. Das dann noch verbleibende Einnahmeplus wurde von der Inflationsrate in den wichtigsten Industrieländern (OECD) von durchschnittlich 13% mehr als aufgezehrt. Fazit: Trotz spektakulärer Preiserhöhungen erlitten die OPEC-Länder real eine Einbuße an Kaufkraft ihrer Ölerlöse." (SZ, 2./.3.5.81)

Und in den ersten vier Monaten des laufenden Jahres ist dieser Kaufkraftverlust munter vorangegangen, da nicht nur die Produktion der OPEC-Länder, insbesondere jener Staaten mit besonders hohen Ölpreisen - wie Algerien, Libyen, Nigeria - mangels Abnehmer weiter zurückgeht, sondern auch die Preise gerade der Hochpreisstaaten zurückgenommen werden müssen, damit die überhaupt noch genügend für ihren Finanzbedarf absetzen können. Die Daten, an denen sich die bevorstehende OPEC-Konferenz orientieren wird, sind mittlerweile die einer allgemeinen Schwemme auf dem Weltölmarkt. Und deren Zustandekommen ist durchaus kein Geheimnis, sondern Resultat des vereinten Bemühens der dreierlei Beteiligten am Ölgeschäft:

Die großen Ölgesellschaften

haben mit dem aus den bisherigen Preiserhöhungen beschleunigt akkumulierten Kapital inzwischen außerhalb der OPEC-Staaten so erfolgreich neue Vorkommen erschlossen, daß der Anteil der OPEC an der Erdölproduktion der nichtsozialistischen Staaten allein seit 1979 von 61% auf etwa 52% gedrückt werden konnte. So ist Mexiko hier zum drittgrößten Ölförderer hinter Saudi-Arabien und den USA aufgerückt, und die britisch-norwegische Nordseeölförderung ist auch längst in die Größenordnung der wichtigeren OPEC-Länder hineingewachsen. Der erreichte Stand der weltweiten Vermehrung der Förderkapazitäten erlaubt es den Ölgesellschaften, einige Ölstaaten mit etwas höheren Alimentationsansprüchen aus dem Ölgeschäft vorübergehend ein wenig links liegen zu lassen, im Interesse einer Stabilisierung der Kontraktpreise auf ermäßigtem Niveau.

So haben Gulf Oil, BP und Shell ihrem Lieferanten Kuwait, das jüngst seinen Zuschlag auf den 35,50 Dollar-Basispreis von 5,50 auf 3 Dollar reduzierte, gemeinsam mitgeteilt, daß sie überhaupt keinen Aufschlag mehr zahlen wollen, und Kuwait hat bislang erst für einen Teil des ausgefallenen Absatzes einen neuen Abnehmer gefunden in Gestalt Japans, für 2,75 Dollar Zuschlag. Ähnliche Meldungen über Lieferkontakte, die durch die Ölkonzerne zwecks Reduzierung der Abnahmepreise suspendiert wurden, kommen aus Libyen und anderen OPEC-Ländern. Am veränderten Verhältnis des zurückgehenden Mineralölverbrauchs in den kapitalistischen Metropolen zu ihren reichlich sprudelnden Ölquellen rund um den Globus merken die Ölgesellschaften nämlich, daß mit steigenden Preisen momentan aus dem Geschäft nicht mehr herauszuholen ist - Grund um so mehr, durch das Anzapfen der allemal profitabelsten Ölquelle: ihrer eigenen, in den Tanks immer wertvoller gewordenen Vorräte, die in diesen Wochen abgebaut werden, nicht nur unmittelbar einen Schnitt zu machen sondern dem Rohölpreis der Förderländer auch von dieser Seite nach unten auf die Sprünge zu helfen, ganz abgesehen von der Ausweitung ihrer übrigen weltweiten Energieaktivitäten. So sichern sie bei Aufrechterhaltung "stabiler", also gewiß nicht fallender Energieabgabepreise ihre Gewinne nun erst einmal durch die sehr souveräne Senkung ihrer Einkaufspreise bei den Förderländern. Die konstatierte "tiefgreifende Entspannung" am Welt-Energiemarkt ergibt sich so zwanglos aus der Stabilisierung der Monopolstellung der Energiekonzerne durch die Beseitigung der bescheidenen Möglichkeiten der OPEC, das internationale Ölgeschäft auch für sich auszunutzen.

Die westlichen Verbraucherstaaten

haben beschlossen, die sogenannte "zweite Ölkrise", d.h. die Ölpreiserhöhungen von 1979/80 nicht mehr als bloßes Produktionskosten-, Zahlungsbilanz- bzw. Petro-Dollar-Recycling-Problem zu behandeln, dem durch fleißiges Exportieren der eigenen Wirtschaft beizukommen wäre. Vielmehr haben sie sie sowohl praktisch wie propagandistisch zum Anlalß genommen, mit dem Energiesparen und der Erschließung eigener Energiequellen als Bestandteil des Programms der wirtschaftlichen Aufrüstung ernst zu machen. Und das heißt zuallererst, den Wirkungen des gestiegenen Preises voll zur Geltung zu verhelfen: Durch Freigabe (nach oben) der Preise für Benzin und Erdgas in den USA bzw. durch kräftige Steuererhöhungen auf Mineralölprodukte in den anderen westlichen Industrienationen wird das Sparen für den Verbraucher ganz von alleine so richtig lohnend. Und wo der Witz am Energiesparen nicht das Sich-Einschränken ist, sondern die profitbringende Investition in verbesserte, sparsamere Produktionsprozeue, bei seinen Kapitalisten also, läßt kaum ein Staat sich lumpen in der Gewährung gezielter Investitionsbeihilfen und beim Abbau investitionshemmender Umweltschutzbestimmungen im energiewirtschaftlichen Bereich.

Das gilt vor allem für alle Investitionen, die das vorteilhafte Energiepreisniveau zum Anlaß nehmen, das Energieangebot zu vermehren, sei es die diversen Atomprogramme, sei es das Anbohren noch der letzten potentiellen Ölblase im eigenen Hoheits- bzw. stabilisierten Einflußbereich, sei es die intensive Nutzung der Kohleflöze der ersten, zweiten und dritten Welt oder auch einfach die Verfahren zur effizienteren Energieumwandlung in Kraftwerken und Raffinerien. Auf dieser Basis begeisterte sich das "Wallstreet Journal" vom 3.2.81 nicht ohne Grund für die sich abzeichnenden Perspektiven für den Ölmarkt. Nicht nur gehe der Verbrauch an Mineralöl dank besserer Nutzung immer mehr zurück,

"Auch die Nachrichten von der Angebotsseite sind gleich erfreulich. Der Weltölpreis ist jetzt hoch genug, um die Ershließung marginaler Lagerstätten lohnend zu machen. Solche Ressourcen wie schwierig erreichbares Off-shore-Öl und die Schweröllagerstätten in Kalifornien und Kanada werden die Versorgung Nordamerikas aufrechterhalten helfen. Die mexikanische Produktion dürfte mit der Erschließung neuer Ölfelder noch zunehmen. Und noch immer gibt es in den USA und anderswo in der westlichen Hemisphäre zahlreiche noch nicht vollständig erforschte ölträchtige Sedimentbecken. Das Ergebnis wird die wirkliche Autarkie für die westliche Hemisphäre sein. Und mit ihr wird die Ölabhängigkeit vom Nahen Osten - mit ihren gegenwärtigen finanziellen, politischen und Sicherheitsproblemen - der Vergangenheit angehören."

Die Ölexportländer stellen derzeit fest, daß ihre Souveränität über die Preisgestaltung des eigenen bis nicht nur am Geschäftskalkül der Ölmultis und der Energie- und Wirtschaftspolitik der imperialistischen Führungsmächte als der Hauptabnehmer des Öls ihre Grenzen findet, sondern ganz wesentlich daran, wie der Ölstaat Nr. 1 seine Souveränität betätigt:

Saudi-Arabien

Dessen Gewicht auf dem Weltölmarkt gibt ihm nämlich einige Handlungsmöglichkeiten, die den Mitanbietem verschlossen sind. Hatte es schon im letzten Sommer durch die Ausweitung seiner Förderung von 8,5 auf 10,5 Mio. barrel pro Tag eine Ausnutzung des iranisch-irakischen Krieges durch die anderen weitgehend verhindert und damit seinen Anteil an der OPEC-Förderung von 31% Ende 1979 auf 37% Ende 1980 heraufgeschraubt, so hat dieser im April 1981 - da wegen der hohen Saudi-Förderung zu den niedrigsten OPEC-Preisen die anderen ihre Produktion zurücknehmen mußten - mittlerweile 44% erreicht. Damit hat es auch bei den Ölerlösen innerhalb der OPEC

"als einziges Land dennoch ein Plus erzielt, dies obwohl (oder weil?)" - als ob das fraglich wäre! - "das Land eine zurückhaltende Preispolitik betrieb und stets am unteren Ende, der Preisskala operierte. Über eine Ausweitung der Mengenproduktion ist also gelungen, was die Konkurranten durch zum Teil exorbitante Preiserhöhungen nicht realisieren konnten, nämlich eine reale Erhöhung der Öleinnahmen." (SZ, 2./3.5.81)

Und während die professionellen Ölmarktbeobachter konstatieren, daß die gegenwärtige preisdrückende Ölschwemme, d.h. der trotz aller Produktionskürzungen bestehende Angebotsüberschuß im wesentlichen der Erhöhung der Saudi-Förderung um 2 Mio. barrel pro Tag entspricht, reist der smarte saudische Ober-Ölscheich Yamani auf einer von den Medien der westlichen Welt so wohlwollend wie noch nie begleiteten "Goodwill-Tour" durch die Metropolen des Imperialismus, um auf ganz besonders charmante Art seine Kartellbrüder anläßlich der bevorstehenden Genfer OPEC-Konferenz "zur Besonnenheit zu mahnen".

"Diese Ölschwemme wurde von Saudi-Arabien vorhergesehen und praktisch gemacht. Wir haben die Ölschwemme bewirkt und wir wollen sie haben, um den Ölpreis zu stabilisieren.",

erklärte er am Ostersonntag dem amerikanischen Fernsehpublikum. (An ähnlichen mäßigenden Worten durfte sich anläßlich seines Berlinbesuchs am 21. Mai die deutsche Öffentlichkeit entzücken.) Yamani machte auch ganz klar, auf welchem Niveau der Preis zu stabilisieren sei - bei dem von den Saudis genommenen OPEC-Tiefstpreis von 32 Dollar, allenfalls bei 34 Dollar.

Seine - im Grundsatz unbestreitbaren - Verdienste um die Ölschwemme übertreibt er freilich ein wenig. Ohne das Geschäftskalkül der Ölgesellschaften, daß das gegenwärtige Preisniveau für sie reicht und ein höheres angesichts der "gegenwärtigen Wirtschaftslage", d.h. angesichts der erklärten Absichten der imperialistischen Staaten mit ihrer nationalen Ökonomie dem Geschäft nicht mehr unbedingt dienlich wäre, hätten auch die Saudis die Schwemme nicht zustandegebracht.

So wird denn auch eher nachsichtig registriert, daß Yamani es mit seinen "geradezu atemberaubend kühnen" Sprüchen an die Adresse der OPEC-Partner natürlich darauf abgesehen hat, den Saudis das Kriegsgerät zu verschaffen, das ihre Anerkennung als wichtigster Partner des Westen in der Region erst so richtig vollendet.

"Was bei objektiver Analyse aussieht wie eine Demonstration außerordentlicher Liebenswürdigkeit", (Yamanis US-Fernsehrede) "kann seiner Natur nach nicht getrennt werden von dem dringenden Wunsch der Saudi-Regierung nach Lieferung des AWAC-Systems und der verbesserten Ausrüstung der F-16-Kampfflugzeuge." (Financiel Times, 23.4.81)

Und weil die bedingungslose politische und ökonomische Botmäßigkeit gegenüber dem Imperialismus die Art und Weise ist, wie der Ölstaat Saudi-Arabien seine Souveränität am vorteilhaftesten genutzt sieht, können die entsprechenden Waffengeschäfte der USA, der BRD und anderer mit dem sich anbietenden Vorzugspartner denn auch ohne Eile und ganz ohne Sorge um billiges Öl angegangen werden.