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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1981 erschienen.

Systematik


KLARSTELLUNGEN ÜBER DIE SOWJETUNION

1.

In ihrer Außenpolitik vertreten sowjetische Politiker die Interessen ihrer Staatsmacht, und im Unterschied zur auswärtigen Politik imperialistischer Staaten repräsentieren sie dabei nicht die Zusammenfassung privater Geschäftsanliegen, die ihnen als Anspruch angetragen und von ihnen als Aufgabe anerkannt werden. Ihr Grund, Beziehungen irgendwelcher Art zu fremden Souveränen einzugehen, Einfluß auf andere Staaten zu nehmen, ist ein rein negativer. Der Revisionismus an der Macht hat die politische Kritik am Kapital im Namen der Sozialstaatsideale exekutiert und mit der Verstaatlichung der Produktion die Gesetze der Kapitalverwertung außer Kraft gesetzt; diese Produktionsweise lebt nicht von der Akkumulation über die Grenzen des eigenen Staates hinaus, zumal die natürlichen Voraussetzungen keinerlei Hindernis darstellen. Wo die volksfreundliche Politik endlich auch die "Kommandohöhen der Produktion" besetzt hat, agiert der Staat als reeller Gesamtkapitalist: Seine Beschlußfassung über Produktion und Verwendung des Reichtums ist die erste und wichtigste Produktionsbedingung. Um der Durchführung des sozialistischen Aufbaus willen wird die eigene Ökonomie der Benützung durch fremde ökonomische Subjekte entzogen und das staatliche Außenhandelsmonopol geht wirtschaftliche Beziehungen zu anderen Nationen nur nach Maßgabe eines Bedarfs ein, der sich nicht der freien Wahl des besseren Geschäfts verdankt. Die UdSSR und ihr Staatenblock sind weder Subjekt noch Objekt eines Imperialismus, was einst die westlichen - dank des Osthandels nicht mehr ganz aktuellen - Beschwerden hervorrief, die die Fast-Autarkie der Sowjetunion zu einer üblen Waffe des Kommunismus erklärten, weiß sie die Schaffung und Benützung von Abhängigkeiten verunmöglichte.

2.

Der Konservativismus der revisionistischen Herrschaft, die in ihrer Zufriedenheit mit der Errichtung einer äußerst gerechten Staatsgewalt nach innen jeden Gedanken an ein "Absterben des Staates" für völlig überflüssig erklärt, verfolgt, im Verhältnis zu anderen Staaten ebensowenig revolutionäre Zielsetzungen. Die Vorstellung, daß es ein Segen für alle Völker der Welt wäre, ebenfalls mit einer revisionistischen Staatsgewalt ausgestattet zu werden, hegt zwar jeder ML-Politiker - die Politik gegenüber dem Rest der Welt ist jedoch einzig von dem Interesse bestimmt, die Realisierung des ökonomischen und politischen Programms im eigenen Herrschaftsbereich durch auswärtige Verpflichtungen nicht zu gefährden. Der Grund für die Repräsentanten dieser Art Volksherrschaft, überhaupt Außenpoltik zu betreiben, liegt nicht in ihrem politischen Programm, sondern in der Politik des Westens! Seit ihrer Gründung ist die SU ununterbrochenen Angriffen auf ihre Souveränität ausgesetzt - Unterstützung der Konterrevolution durch die Entente, wirtschaftliche und militärische Versuche, den neuen Staat zum Zusammenbruch zu bringen, der Rußlandfeldzug Hitlers, NATO, Kalter Krieg und "Entspannung" -, Angriffen, die dem sehr prinzipiellen Willen der USA und der europäischen Staaten entspringen, diese Form der Herrschaft nicht zu tolerieren. So wie der Westen der SU mit allen jeweils verfügbaren Mitteln bewiesen hat und beweist, daß ihre Souveränität durch die Herrschaft über Land und Leute ihren Bestand keineswegs gesichert hat, in dieser Form wird der Sowjetunion der Grund für ihre Außenpolitik aufgezwungen, die in allen ihren Varianten daher auch den negativen Zweck verfolgt, Selbstbehauptung ihrer Herrschaft gegen die Angriffe von außen.

Mit einer Anerkennung, die sich aus dem Interesse an ökonomischer Benützung ergibt, das sich mit dem jeweils zuständigen Souverän ins Einvernehmen setzt, kann die SU von seiten der imperialistischen Staaten nicht rechnen - dem Privateigentunr den freien Zugang zu untersagen, ist ja gerade der Inbegriff ihres "Totalitarismus". Überhaupt erst die Etablierung und der ständige Ausbau eines respektablen Gewaltapparats, der die Grenzen der Sowjetunion verteidigt und jedem Angreifer beträchtliche Schäden in Aussicht stellt, ist dazu angetan, die anderen Staaten zu Anerkennung zu zwingen. Das militärische Potential der SU dient nicht zur Absicherung ökonomischer Beziehungen zu anderen Nationen, sondern ist selbst die materielle Grundlage, überhaupt andere außenpolitische Aktivitäten aufnehmen zu können, und auch die sind im strengen Sinn nichts anderes als Kriegsdiplomatie: Sie gehorchen nur dem Zweck, sich gegenüber der durch alle Phasen des "Ost-West-Gegensatzes" hindurch gleichermaßen grundsätzlichen Kampfanpe des Westens Respekt zu erzwingen bzw. sich für diesen Zweck weltpolitisch zusätzliche Mittel verfügbar zu machen.

3.

Mit diesem Zweck ist die Sowjetunion erfolgreich gewesen, und zwar nicht nur mit der Verteidigung ihrer Grenzen, sondern mit der Einrichtung des Ostblocks. Ironischerweise dank der Konkurrenz der Waffen, die das faschistische Deutschland den imperialistischen Demokratien aufgezwungen hat und zu deren Entscheidung die SU gefordert war. Daraus ist für die SU die zeitweilige Anerkennung als Bündnispartner und die einmalige Gelegenheit erwachsen, außerhalb ihres Territoriums als legitime Besatzungs- oder Befreiungsmacht aufzutreten. Mit Revolution hat die Einrichtung des Ostblocks wenig zu tun, vielmehr hatte der Genosse Stalin nicht unrichtig den ziemlich bruchlosen Übergang der USA wahrgenommen, den gerade noch zum Kriegführen benützten Bündnispartner mit Hitlers leicht modifizierten Argumenten zum neuen Hauptfeind zu erklären, im Rahmen dieser Politik

"einen Westblock zu bilden und die Sowjetunion durch das Trugbild der Kredite zu isolieren (Marshallplan), die nicht ohne verpflichtende Einflüsse auf die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit der Teilnehmer (der Pariser Konferenz) bleiben können."

Der Kommunismus der im Osten unter Anwesenheit der Roten Armee eingesetzten Regierungen zeichnete sich denn auch zunächst und vor allem durch die "Freundschaft zur Sowjetunion" aus, d.h. durch eine Unterstützung von deren Politik, die "USA in Europa zu isolieren", was die Beseitigung aller alternativen politischen Programme und einiger nationalistischer = rechtsabweichlerischer Strömungen in den KPen zur Konsequenz hatte und eine Ausgestaltung der Herrschaft nach innen, die die prinzipielle Zuverlässigkeit dieser Nationen, also das revisionistische Kommando über die Massen und den nationalen Reichtum garantierte. Kein Programm eines 'Gemeinsamen Marktes' oder des Wachstums der beteiligten Volkswirtschaften, sondern die Funktionalisiening für die politisch-militärischen Zwecke der SU hält das sozialistische Lager zusammen, und nichts, charakterisiert die Differenz dieser Art Herrschaft zum Imperialismus besser als die Querelen im sowjetischen Wirtschaftsbündnis: Die Tauschgeschäfte im RGW vermitteln nicht die Akkumulation von Kapital auf beiden Seiten, nicht einmal auf einer, sondern stellen immer nur ein Abpressen oder Zuschießen von knappen Gütern dar. Und wenn die dortigen Regierungen auf ihren nationalen Reichtum achten vor allem im Hinblick auf die Zahlungsverpflichtungen, die sie sich mit ihrer Inanspruchnahme des Weltmarkts eingehandelt haben, stellen sich die RGW-intemen Lieferverträge zunehmend als Hindernis dar, soweit sie das eigene Kontingent an "weltmarktfähigen", devisenbringenden Waren vermindern. Was nur leider unvermeidlich ist, soweit wie die eigene Zahlungsfähigkeit es nicht gestattet, sich für den eigenen Bedarf ganz auf dem Weltmarkt einzudecken.

Daß die "Führungsrolle" der Sowjetunion, auch wenn sie im RGW-Schacher gewichtigere Erpressungen gestattet, dennoch alles andere als den Standpunkt der rücksichtslosen Bereicherung an unterworfenen Nationen praktiziert, belegen gerade die Unternehmungen, mit denen man im Westen die Ausbeutung der SU anzuklagen beliebt: steigende Rohstoffpreise, d.h. die nur prozentual an Weltmarktpreise angepaßte Berechnung sollen für die Ausplünderung der Satelliten stehen, die die SU betreibt, während der selbstverständliche Usus im Osthandel, daß die Weltmarktpreise eben ganz einfach und selbstverständlich "steigen", unter die völlig unverdächtige Rubrik "Verschlechterung der terms of trade" fällt.

Die "Schwäche" des Blocks, den sich die SU geschaffen hat, beruht gerade darauf, wie sie die Ausbeutung der Arbeiterklasse durch das Privateigentum unterbrochen hat. Der unter sozialstaatlichen Garantien vollzogene Zwang zur Mehrarbeit für die Nation kann mit dem Imperialismus in Sachen produktive Ausbeutung nicht konkurrieren. Weshalb jede Regierung im Osten, sooft ihr die Sanierung des nationalen Reichtums auf dem Wege des Außenhandels gestattet ist, die "Angebote" des Weltmarkts für weitaus attraktiver befindet und im Gefolge der sich daraus entwickelnden "Verbindlichkeiten" - alles Nähere dazu siehe Polen - ein immer weniger brauchbarer und auch immer weniger williger Bündnispartner für die brüderliche SU wird - und treuer Bündnispartner bleibt ein solcher Staat nur soweit, wie die Stabilität der eigenen Herrschaft ohne den Block nicht auskommt aus Gründen der "Abhängigkeit". Der Imperialismus dagegen hat zwar mit dem "Trugbild der Kredite" "auf die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit" der westlichen Hälfte Europas durchaus "Einfluß" genommen und die von Stalin angeprangerte "Einmischung in die innere Wirtschaft europäischer Staaten mit Hilfe von Dollars" wahrgemacht, aber eben damit hat er seinen Satelliten zu einer potenten imperialistischen Geschäftsgrundlage verholfen und sich, wegen ihres zufriedengestellten Nationalismus, ganz freiwillige treue Bündnispartner geschaffen.

Welche Fortschritte das alte westliche Wunschbild der "Aufweichung" des Ostblocks mittlerweile gemacht hat, ist an der unglaublichen Konzilianz festzustellen, mit der der Genosse Breschnew das allseitige Bemühen um "nationale Lösungen" in seinem Bündnis kommentiert: Die zur Bewältigung des Osthandels und seiner politischen Konsequenzen entwickelten nationalen Wege, die im Interesse der eigenen Herrschaftstabilisierung bei der Beseitigung revisionistischer Programmpunkte sehr unorthodox verfahren und zur Rechtfertigung ihrer Abweichung von den gemeinsamen Herrschaftsprinzipien das schöne Argument verwenden, das russische "Modell" passe leider nicht ganz in ihre Landschaft und es habe ja wohl auch seine Mängel, (Polen hier wieder das fortgeschrittenste Exempel), dieser eindeutige Mangel an Liniertreue wird mit einem für ML-Politik unglaublichen Wohlwollen begutachtet, unter der einzigen Bedingung, daß sich die nationale Vielfalt dafür funktional zu erweisen hat, daß sie als Ostblock stattfindet. Unter der Bedingung ist der Chef der großen SU bereit einzuräumen, daß für die interne Regelung die Sowjetmacht nicht länger das maßgebliche unumstrittene Vorbild ist:

"Über irgendeine "Gleichschaltung" reden und die kommunistischen Parteien entsprechend der Anerkennung oder Nichtanerkennung der von ihnen gewählten Wege zur Umgestaltung der Gesellschaft einander gegenüberstellen, kann man meiner Ansicht nach nur, wenn man die realen Tatsachen ignoriert. In einigen kommunistischen Parteien fallen mitunter kritische Äußerungen zu diesen oder jenen konkreten Seiten der Entwicklung unseres Landes. Wir sind keineswegs der Meinung, daß bei uns alles ideal war. Der Sozialismus ist in der UdSSR unter unglaublich schweren Bedingungen aufgebaut worden. Die Partei hat den Weg durch Neuland gebahnt, und niemand weiß besser als wir, welchen Schwierigkeiten und Mängeln wir auf diesem Wege begegnet und welche davon noch nicht überwunden sind.

Kameradschaftlicher und konstruktiver Kritik gegenüber sind wir sehr aufgeschlossen. Aber wir sind entschieden gegen solche "Kritik", die die sozialistische Wirklichkeit verfälscht und damit gewollt oder ungewollt der imperialistischen Propaganda, dem Klassenfeind dient."

Man vergleiche diese Toleranz mit dem Geschrei westlicher Staatsmänner, das die drohende Beteiligung einer auf sozialen Frieden, Erfüllung des NATO-Auftrags und christlicher Nächstenliebe bedachten KP Italiens an der Regierung hervorrief.

4.

Mit der Etablierung des Osthlocks und dem schnellstmöglichen Nachziehen in der atomaren Bewaffnung hat sich die Sowjetunion in der unmittelbar militärischen Konfrontation behauptet zumindest soweit, daß die Planspiele im Pentagon und state department mit einem ökonomischen Zusammenbruch, siegreichen Aufständen der unterdrückten Völker oder einem glatten, schon vorher entschiedenen Blitzkrieg zu den Akten gelegt werden mußten. Dieser Erfolg ist es gewesen, aus dem die sowjetische Politik den Schluß gezogen hat, daß es nun möglich sein müsse, zu anderen Methoden der Politik überzugehen, ausgedrückt in der Ablösung der Theorie von der "Unvermeidbarkeit des Krieges" durch die "Politik der friedlichen Koexistenz":

"Das Leninsche Prinzip der friedlichen Koexistenz von Staaten mit verschiedener sozialökonomischer und politischer Ordnung bedeutet nicht einfach, daß es keinen Krieg gibt, bedeutet nicht den Zustand eines provisorischen labilen Waffenstillstandes. Es setzt voraus, daß diese Staaten untereinnnder freundschaftliche politische und Wirtschaftsbeziehungen unterhalten, es sieht die Herstellung und Entwicklung vielfältiger Formen der friedlichen internationalen Zusammenarbeit vor." (Chruschtschow)

Nachdem all das, was die Sowjetunion zur Behauptung ihrer Existenz unternommen hat, eine Behinderung in der Durchführung ihres politischen Programms gewesen ist statt alle Kräfte für den sozialistischen Aufbau zu mobilisieren, die Bestreitung des II. Weltkriegs, die Hinnahme der entsprechenden Kriegsschäden und deren Beseitigung auch in den dazugewonnenen Staaten, gleichzeitig und im Widerspruch dazu weitere Rüstungsanstrengungen gemäß dem von den USA vorgegebenen Maßstab -, nachdem die Anstrengungen zum sozialistischen Aufbau durch die Kosten der vom Westen auf gezwungenen Konfrontation jahrelang vereitelt worden waren, haben die Sowjetführer den Erfolg in Sachen atomares Gleichgewicht zum Anlaß für die Hoffnung auf eine günstigere Regelung des Verhältnisses zum Imperialismus genommen. Die "Politik der friedlichen Koexistenz" ist ganz im Gegenteil zu der jetzt wieder üblichen Interpretation, es sei eine ganz besonders heimtückische Verkleidung des Strebens nach der Weltrevolution, sowjetische Sicherheitspolitik, bemerkbar an der Reihenfolge der "Beziehungen", wie sie der Verkünder der Theorie vorstellt. Während der Imperialismus gerade wegen seiner "sozialökonomischen und politischen Ordnung" und wegen der "freundschaftlichen Wirtschaftsbeziehungen", die diese Ordnung knüpft, den unfriedlichen Ausgang und die unfreundlichen Begleiterscheinungen dieser Beziehungen mit einer solch traumwandlerischen Sicherheit antizipiert, daß er ohne jemals über die Kosten zu klagen, sich ständig den entsprechenden Militärapparat hinstellt, ist die Aufrechterhaltung des "provisorischen labilen Waffenstillstands" gerade das Ärgernis für die revisionistischen Politiker, das überwunden werden soll. Die Unsicherheit, die mit einer rein durch militärischen Drohungen erzwungenen Anerkennung verbunden ist, die Kosten in der Durchführung einer solchen permanenten Konfrontation auf wachsender Stufenleiter bemerken sie und verfallen auf andere Beziehungen als Mittel zur Behebung dieser Mißlichkeit. Der Versuch, sich mit der vom Imperialismus präsentierten permanenten Kriegserklärung auf eine effektivere Weise einzurichten, hat die weltpolitische Betrachtungsweise zustandegebracht, nach der der Imperialismus zwar einerseits zutiefst aggressiv, andererseits aber nur eine "verschiedene sozialökonomische und politische Ordnung" ist, mit der sich "koexistieren" können lassen muß. Getrennt vom Interesse an wechselseitiger Benützung, wie sie der Anerkennung von Staaten zugrundeliegt, die für das Kapital die Herrschaft ausüben - sei es als Veranstalter oder Material des Weltmarkts - ohne den Materialismus bürgerlicher Herrschaft will sich die Sowjetpolitik friedliche Mittel des Koexistierens sichern. Unter Abstraktion von den Gründen der Konfrontation, in der sie steht, also unter Abstraktion von den ökonomischen Interessen beharrt sie auf dem zwischenstaatlichen Respekt als der materiellen Grundlage jeder Herrschaft in der Staatenwelt. Und zur Sicherung und dauerhaften friedlichen Garantie eines Anerkennungsverhältnisses, das nicht mehr bedeutet, als sich nicht in die Quere zu kommen, dafür bemüht sie in methodischer Manier die "vielfältigen Formen der friedlichen internationalen Zusammenarbeit": Diese Art, sich die Regelung der Beziehungen in der Staatenwelt angelegen sein zu lassen, ist ein praktizierter Idealismus gegenüber dem Imperialismus, dessen "Aggressivität" ja nun wirklich ein Faktum ist, obwohl anders als in der revisionistischen Theorie: schließlich resultiert sie nicht aus den Mißerfolgen, sondern aus den Erfolgen des Kapitals, das deshalb auch seine Herrschaft mit den Mitteln ausstattet, die die "Aggressivität" so unausweichlich macht.

Und mit Idealismus ist hier nicht die Güte und Harmlosigkeit einer Staatsmacht gemeint, ihre moralische Höherwertigkeit, ihr Verzicht auf unsaubere Mittel oder ähnliches, sondern das spezielle Mißverhältnis von Absichten und Mitteln der revisionistischen Politik, die sich mit den Mitteln des Imperialismus gegen diesen behaupten will und dafür ihre revisionistischen Programme als untragbare faux frais opfern muß.

Als erstes fällt diesem Mißverhältnis die Etappenbestimmung der "friedlichen Koexistenz" zum Opfer. Die Einordnung dieser Politik als Schritt auf dem Weg zur Weltrevolution, nämlich der Schritt, der die militärische Konfrontation überflüssig macht:

"Man muß es so einrichten, daß der unvermeidliche Kampf zwischen den Systemen ausschließlich zum Kampf zwischen den Ideologien wird."

wodurch alle Kräfte für den Aufbau des Kommunismus freigesetzt werden können um dessen vorbildliche Leistungen die Völker der ganzen Welt von der Überlegenheit der revisionistischen Herrschaft überzeugen, so daß ein Aufschrei über die ganze Welt geht: Sowas wollen wir auch!

"Der Sieg des Sozialismus im wirtschaftlichen Wettbewerb wird ein vernichtender Schlag für das ganze System kapitalistischer Beziehungen bedeuten. Sobald das Sowjetvolk die Errungenschaften des Kommunismus genießt, werden neue Hunderte Millionen Menschen in der Welt sagen: 'Wir sind für den Kommunisnnus!'"

Daß es dazu erst gar nicht kommt und dieser Adventskalender des Kommunismus in die Abteilung schöne, aber nicht weiter bedeutsame Ideale der Politik verwiesen wird, dafür hat gesorgt und sorgt die Weltmacht Nr. 1 und die von ihr veranstaltete Weltordnung. Sie präsentiert den Verfechtern der friedlichen Koexistenz und des Wettbewerbs der Systeme a la Grand Prix de la Chanson harte Bedingungen, deren Benützung für den "Sieg des Sozialismus" zu ganz anderen Resultaten führt, als es der revisionistische Etappenplan vorsieht.

5.

Die Politik der friedlichen Koexistenz setzt auf eine Regelung des Verhältnisses der Staaten, die mit der nationalen Unabhängigkeit, mit der wechselseitigen Anerkennung auch schon den Fortschritt nationalen Wohlstands garantiert. Sie macht aus der Form der Staatenkonkurrenz das Ziel ihrer Bemühungen und das in einer Welt, in der die Herrschaft des Kapitals den Verlauf dieser Konkurrenz längst entschieden hat: die Weltmacht USA, der Sieger zweier Weltkriege hat nicht nur mit dem Dollar den Weltmarkt als Mittel ihrer nationalen Bereicherung eingerichtet, sondern ihre Herrschaft mit Militärbündnissen über sämtliche Kontinente hinweg - eben mit Ausnahme des Ostblocks - etabliert. Mit ihrem Ziel einer gerechten Weltordnung, in der wirkliche Unabhängigkeit und Gleichberechtigung der Völker gelten, also auch die Existenz sozialistischer Herrschaft garantiert wäre, tritt die SU daher von Beginn an in die Konkurrenz mit der Weltmacht Nr. 1. "Hegemonie" und das "Streben nach Überlegenheit" ist die weltpolitische Todsünde, von der der gegnerische Block abgebracht werden soll, mit der Konsequenz, daß sich die sowjetische Politik auf alle vom Imperialismus eingerichteten Verkehrsformen seiner Herrschaft als Mittel ihrer Sicherheitspolitik einläßt. Weltpolitik, um sich gegen den westlichen Block Sicherheitsgarantien zu verschaffen, ist die Politik der "Weltfriedensmacht": Wettrüsten, Ringen um Einflußsphären, Pflege guter Beziehungen zu möglichst vielen fremden Souveränen, Erfinden von Lösungsmodellen und Verhaltenscodices, Veranstalten von Konferenzen, Gipfeltreffen und Dauerkommissionen, Werbekampagnen, Staatsbesuche, Völkerfreundschaften rauf und runter bis zu den höheren Abteilungen der Diplomatie mit Kultur und Olympia - darin ist die sowjetische Außenpolitik ganz Produkt des Imperialismus, dessen getreues Spiegelbild. So wie die revisionistische Herrschaft nach innen mit den Idealen des Sozialstaats ernst macht (und dabei keineswegs überfluß stiftet), verspricht sie sich außenpolitisch von der unangetasteten Souveränität wahre Wunder. Die SU führt im internationalen Maßstab einen diplomatischen Kampf um Rechte: So wie sie jedem Volk in jedem Erdenwinkel das Recht auf Selbstbestimmung zuerkannt wissen will, ohne danach zu fragen, wodurch ein solches Recht auf eine ganz eigene Staatsgewalt eine nützliche Sache für die Nation - vom Volk ganz zu schweigen - wird, so entdeckt sie auch bei sich nicht den Mangel an Mitteln, aus ihrer abstrakt durchaus vorhandenen Souveränität mehr Gewicht im Streit mit dem Imperialismus werden zu lassen. Jede gescheiterte Unternehmung bzw. jeder Erfolg der USA gilt den Außenpolitikern der "Weltfriedensmacht" nicht als Angriff auf ihre Interessen, sondern als Entzug einer ihnen eigentlich zustehenden Rücksicht. Während sich die USA nur zynisch-offensiv auf die "Regeln" der zwischenstaatlichen Gewalt und des Geschäfts berufen, betteln die Moskauer Fanatiker des Vertrags vor, während und nach jeder militärischen und diplomatisclien Konfrontation um das garantierte Wohlverhalten ihrer Erpresser. Und weil sie selbst mit ihrer Sorte Sicherheitspolitik des öfteren kräftig zur Sache gehen, gelten sie auf dem Weltmarkt der Diplomatie und öffentlichen Meinung als die unverschämtesten Heuchler. Zu Unrecht. Die fünf bis sieben Untaten, die die UdSSR in 31 Nachkriegsjahren vollbracht hat, kann jedes Schulkind aufzählen. Bei den USA würde das Gedächtnis versagen.

6.

Die Erfolgsmeldungen Chruschtschows, daß der amerikanische Präsident "staatsmännische Weisheit in der Beurteilung der weltpolitischen Lage" bewiesen habe und "aufrichtig den Zustand des 'Kalten Krieges' liquidieren wolle", so "daß die Sowjetunion und die USA Arm in Arm gehen können, um den Frieden zu festigen und eine wirkliche internationale Zusammenarbeit aller Staaten herzustellen", haben die USA auf ihre Weise beantwortet. Nach dem Ausspruch eines ihrer Außenminister,

"Werfen wir den Begriff einer vorübergehenden und unbehaglichen Koexistenz auf den Müllhaufen",

lautete die Antwort auf das militärische Standhalten der Sowjetunion und die dadurch erzwungene Rücksichtnahme auf einen militärisch gewichtigen Gegner Wettrüsten.

Und diese Herausforderung, die schon immer auf den Zweck des "Totrüstens" berechnet war, hat die Sowjetunion angenommen: Sie hat sich die von den USA vorexerzierte politische Kalkulation mit dem Militär zueigen gemacht, wonach für alle nur möglichen Zwecke des Geschäfts politischer Erpressung die "passende" militärische Drohung "glaubhaft" gemacht werden muß und folglich die jeweils passenden Mittel und "Optionen", angefangen von dem mittlerweile für harmlos erklärten "bloß" "konventionellen" Kriegsgerät bis zu den vielfältigen Möglichkeiten atomarer Vernichtung, verfügbar zu sein haben. Dadurch wiederum hat die SU sich erst durch das amerikanische Aufrüsten erpreßbar gemacht: Für eine tatsächliche Abschreckung der Gegenseite mit dem tatsächlich bloß defensiven Zweck, in Ruhe gelassen zu werden, wäre ja gerade im "Atomzeitalter" das Mitziehen in sämtlichen Unterabteilungen moderner Rüstung nicht erforderlich. Dieser Schritt entspringt allerdings der Logik sowjetischer Politik: Gerade weil die Politiker der friedlichen Koexistenz über den "labilen Waffenstillstand" hinaus mit der Weltmacht Nr. 1 zu Formen einer einvernehmlichen Regelung gelangen wollen, haben sie sich als dafür erforderliche Voraussetzung die Notwendigkeit geschaffen, mit ihrer Rüstung am Maßstab der amerikanischen fortlaufend und in allen Bereichen den USA zu beweisen, ein wie unausweichlicher Gesprächspartner sie sind. Die Absicht, sich den universellen und je nach Anlaß differenzierten Respekt der Weltmacht Nr. 1 zu erzwingen, um den Gegner von der Notwendigkeit, die Konfrontation aufzugeben und zum Verhandeln überzugehen, zu überzeugen, verlangt eben in ihrer Konsequenz, in allen Sphären und auf allen "Ebenen" mit entsprechenden Drohungen gegenhalten zu können. Das ist Gleichgewichtspolitik vom russischen Standpunkt.

Die Folgelasten dieser Unternehmung sehen so aus, daß der geplante stürmische Aufbau des Kommunismus schon deshalb nie stattfindet, weil die Finanzierung des Militärapparats für die revisionistische Wirtschaft reinen Abzug vom Mehrprodukt bedeutet. Weder akkumuliert in der Rüstungsindustrie das Kapital, das sich, auch wenn seine Gewinne der Staat realisiert, über den Export nützlich macht noch wirkt der Rüstungssektor als Hebel des "technischen Fortschritts" auch für andere Zweige. Umgekehrt behindert der laufende Abzug von Investitionsmitteln, Arbeitskräften und Produktionsmaterialien das Wachstum der zivilen Industrie in der Sowjetunion wie in den Bündnisstaaten.

Der fortgesetzte Widerspnch der Rüstung zum politischen Programm für den eigenen Machtbereich - es soll ja nach wie vor auf den vorbildlichen Sozialstaat zugehen - und ihre notwendige Untauglichkeit für den damit verfolgten außenpolitischen Zweck, die USA zur Aufgabe der Konfrontation zu bewegen, liegt den unermüdlichen sowjetischen Abrüstungsangeboten zugrunde. Deren Logik ist die folgende: Wenn aufgerüstet wird, um dem Gegner überall die Chancenlosigkeit seiner gegen die SU gerichteten Absichten zu beweisen, dann muß er doch - Beweis erledigt - zu der Auffassung zu bewegen sein, daß weitere Maßnahmen überflüssig sind. Die Abrüstungskampagnen der Sowjetunion versuchen allesamt, den USA die Nutzlosigkeit, ja den Schaden weiterer Rüstung vorstellig zu machen:

"Indem das Wettrüsten der Wirtschaft und den sozialen und kulturellen Bereichen immer größere Summen entzieht, mindert es den Wohlstand der Nation, ihre Stärke, sowie die Zukunftsaussichten von Staat und Gesellschaft. Es ergibt sich daraus das Dilemma, ob es auch lohnt, die Sicherheitsvorkehrungen für ein Haus zu verstärken, wenn die Kosten dafür den Besitzer ruinieren." (Arbatow)

Nutzlos und schädlich ist das Wettrüsten jedoch allein gemessen an den Zwecken sowjetischer Politik.

"Die UdSSR ist zu Verhandlungen über die Begrenzung aller beliebigen Waffenarten bereit. Wir haben seinerzeit vorgeschlagen, die Schaffung des maritimen Raketensystems Trident in den USA und des entsprecheiiden Systems bei uns zu verbieten. Dieser Vorschlag wurde nicht angenommen. Infolgedessen wurde bei den Amerikanern das neue Unterseeboot "Ohio" mit Trident-1-Raketen entwickelt. Ein analoges System - Taifun wurde bei uns geschaffen. Nun, und wer hat dabei etwas gewonnen?" (Breschnew)

Eine so dumme Frage würde einem Ami-Präsidenten nicht einmal im Traum einfallen - beweist doch schon das Jammern der anderen Seite über den Zwang, immer wieder nachziehen zu müssen, den ersten Erfolg einer fortschreitenden Rüstung: daß dem Feind damit das Leben schwer gemacht wird. Sowjetische Politiker dagegen stellen dieselbe Frage nach jeder neuen Rüstungsrunde wieder - und beglückwünschen sich zu jeder Rüstungskontrollverhandlung, die stattfindet, und zu jedem Vertrag, auch wenn sich darin tatsächlich bloß die USA ihren militärischen Vorspnng bestätigen lassen und dem Vergleich der beiderseitigen Potentiale neue Anstöße zur Aufrüstung entnehmen. Denn für die in diesem Vergleich schwächere Seite gilt unbedingt, daß das kalkulierbare immer noch besser ist als freies Wettrüsten:

"Sehr wichtig ist die Tatsache, daß das SALT II-Abkommen zur Stärkung der strategischen Stabilität und Berechenbarkeit beiträgt."

Unverdrossen wird auch noch mit einem weiteren, bloß möglichen Fortschritt kalkuliert, daß das Abkommen

"die Aussicht auf weitere, gewichtige, quantitative und qualitative Beerenzung erhöht."

Überhaupt kann man von nssischer Seite noch viele Möglichkeiten in weiteren Verhandlungen sehen, obwohl der Westexperte der Sowjetunion diese Hoffnungen auch seinerseits in die Vergangenheit verlegt:

"Es gibt auch einen wichtigen politischen Nutzen im Zusammenhang mit SALT II, nämlich - so hofften wir jedenfalls - eine Verbesserung der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen." (Arbatow)

Daß überhaupt verhandelt wird, bietet gegenüber der inzwischen wahrgemachten Aussicht auf ein unbegrenztes amerikanisches Aufrüsten ein Moment von Sicherheit; und allein darauf noch zielen mittlerweile Abrüstungsinitiativen der Sowjetunion. Um dem Gegner das Verhandeln schmackhaft zu machen, werden auch durchaus einseitige Vorleistungen angeboten: Für den Fortgang von MBFR einseitiger Abzug von ein paar tausend Soldaten aus der DDR; für den Fortgang von SALT die Erweiterung der vertrauensbildenden Maßnahmen auf das ganze europäische Gebiet der Sowjetunion...

Ihre objektive Grenze haben diese Bemühungen um weiteres Verhandeln allerdings darin, daß sich schließlich auch Sowjetpolitiker nicht freiwillig entwaffnen. Neben die Werbung für Frieden und Entspannung treten, je länger und je deutlicher die NATO-Offensive sich vorträgt, die Drohungen mit der Rechnung, die auch die SU fortlaufend angestellt hat: Für den Ernstfall ist alles Notwendige da. An die Adresse der BRD:

"Die BRD muß selbst für sich die Frage entscheiden, ob es sich für sie lohnt..., daß sie Startplatz für amerikanische kontinental-strategische Waffen wird, die für den Erstschlag auf das sowjetische Territorium bestimmt sind und sie folglich auch Zielscheibe für den unvermeidlichen Gegenschlag wird." (Portugalow)

An die Adresse der USA:

Falls diese Raketen - ich wiederhole, amerikanische Raketen - sowjetisches Territorium treffen, wird der Gegenschlag nicht nur gegen jene Länder gerichtet sein, in denen sie abgefeuert wurden, sondern auch gegen die Vereinigten Staaten, und zwar genauso, als wenn die Raketen in Montana gestartet worden wären." (Arbatow)

Der fortgesetzte Versuch, die militärische Selbstbehauptung gegen den Imperialismus auszubauen zur friedlichen Koexistenz, das Standhalten im - damit eröffneten - Wettrüsten wiederum zu benützen, um den USA eine garantierte Rücksichtnahme auf die Weltmacht Nr. 2 abzuringen, diese Anstrengung hat im Resultat die SU zwar mit einer der amerikanischen ziemlich ebenbürtigen Streitmacht ausgestattet, aber ohne daß die zweite Hälfte des beabsichtigen Handels gelungen wäre. Im Gegenteil: Wie die gesammelten Sprüche amerikanischer Politiker der letzten Zeit belegen, ist das Ärgernis der Existenz der Sowjetunion nur um so größer geworden.

7.

Angesichts dieser Verlaufsform der Koexistenz ist der friedliche Weg zur Weltrevolution über den Beweis der überlegenheit des Kommunismus, den die Sowjetpolitiker keineswegs aufgegeben haben, zu einer ebenso mühsamen wie peinlichen Veranstaltung geraten, die zwar objektiv alles andere als die bodenlose Menschenverachtung und die Heimtücke ihres "totalitären Systems" belegt, in der westlichen Öffentlichkeit aber mit wachsender Begeisterung für diesen Beweis verwendet wird.

Die Abteilung 'friedlicher Wettbewerb', in der die Völker der Welt von der Vorbildlichkeit der sowjetischen Herrschaft überzeugt werden sollten, um dann mit Nachdruck ihre Regierungen zur Aufgabe der feindseligen Einstellung zur SU und zur Übernahme von deren Errungenschaften zu bewegen, hat sich sämtliche Praktiken des Kulturimperialismus zueigen gemacht, um es mit der Legende von der Völkerfreundschaft einmal für ihre Zwecke zu probieren. Herausgestellt hat sich allerdings die Wahrheit, daß die Vorführung nationaler Leistungen - angefangen von wirtschaftlichen Zuwachsraten über Wissenschaft und Sport bis hin zur Verschickung von Volkstanzgruppen und anderen erlesenen Kulturprodukten - zwischen den imperialistischen Nationen als Reklame für gute Beziehungen nur aus dem Grund und insoweit etwas taugt und die entsprechenden "Freundschaften" ideologisch begleitet, weil bzw. wie in der wechselseitigen Nützlichkeit für die nationale Kapitalakkumulation und die gemeinsamen politischen Zwecke der Staaten eine handfeste imperialistische Geschäftsgrundlage gegeben ist. Der Einsatz derselben Mittel ist für die Überwindung oder auch nur Milderung des Ost-West-Gegensatzes eine ziemlich stumpfe Waffe. Denn darin ist sich der gebildete Nationalismus jeder westlichen Öffentlichkeit sehr gewiß, daß der eigentliche Maßstab für die Bewunderung der Leistungen und Eigenarten fremder Völker in deren Brauchbarkeit und Bedeutung für "uns", also für die handfesten Zwecke der eigenen Regierung besteht; und mit schlafwandlerischer Sicherheit bringt sie dieses Kriterium zur Anwendung, wo immer sie die Propaganda der Weltfriedensmacht begutachtet. Da sind die Wachstumsraten der Fünfjahrespläne entweder erlogen oder mit mangelnder Freiheit erkauft, der Fußball schematisch, die Goldmedaillen durch Sportsklaven im Staatsdienst entwürdigt, und die Kultur taugt eigentlich erst dann etwas, wenn deren Vertreter ihre Kreativität als Dissidenten, im Westen oder gleich als Iwan Rebroff oder Don-Kosaken entfalten.

Ebenso können die sozialstaatlichen Errungenschaften noch so bunt bebildert und in den entsprechenden Hochglanzheftchen verbreitet werden - die Reklame mit dem Ein- und Überholen in Sachen Lebensstandard, die man in den fünfziger Jahren ernsthaft angepeilt hatte, ist aus bekannten Gründen etwas in den Hintergrund getreten -: auch diese Werbung der SU für sich erschüttert nie die sichere Einteilung der Welt in Feind und Freund, die eben vom Standpunkt der eigenen Regierung vorgenommen wird. Es ist nun einmal ein Widerspruch, wenn eine fremde Herrschaft sich einem Volk als die bessere, weil effektivere vorstellt: wie soll denn da etwas anderes wachsen als der Nationalismus? Und da die SU ja nun einmal nicht umhin kann, sich in der Abteilung Militär auf ihren Gegensatz zum Westen einzustellen, so werden auch ihre propagandistischen Bemühungen um Völkerfreundschaft als besondere Perfidie gekonnt entlarvt. Je mehr im Gefolge der NATO-Offensive auch diese politischen Kampagnen sich der "Rettung der Entspannung" verschreiben, um so empörter und geschlossener erfolgt im Westen die Zurückweisung solch "widerlicher Täuschungsmanöver".

"Die Völker müssen die Wahrheit darüber erfahren, welche verheerenden Folgen ein Kernwaffenkrieg für die Menschheit hätte. Wir schlagen vor, ein autoritatives Komitee zu bilden, das vor Augen führen würde, wie lebensnotwendig es ist, die nukleare Katastrophe abzuwenden. Dem Komitee könnten sehr namhafte Wissenschaftler aus den verschiedensten Ländern angehören. Über die vom Komitee gezogenen Schlußfolgerungen sollte die ganze Welt informiert werden."

Diese ehrenwerten Vorschläge, von denen der Genosse Breschnew noch eine ganze Latte anführen kann, erledigen sich einfach durch die SS 20, die "uns" bedrohen (ganz im Gegensatz zu den Pershing II, die "uns" schützen, indem sie denselben Krieg von der entgegengesetzten Seite her vorbereiten). Schon allein das Wort 'Frieden' im Munde eines östlichen Politikers ist so gut wie ein Angriff, weil es die hiesigen, bloß zur Verteidigung bestimmten Waffen attackiert. Da reicht ein Verweis auf die bekannten "Schalmeien", die immer nur drüben geblasen werden, oder auf den Palmwedel, hinter dem sich die Bomben verstecken.

Die Kosten und die Scheußlichkeiten, die mit der Heranzucht ganzer Heerscharen von Künstlern und Sportlern rein zur Repräsentation der Vorbildlichkeit ihrer Herrschaft in der ganzen Welt verbunden sind, könnte sich die SU vom Effekt her beurteilt ohne Schaden sparen. Aber die Logik einer Weltpolitik, die die Konkurrenz mit dem Imperialismus in der Absicht betreibt, sich mit ihm als ebenbürtige Macht zu arrangieren, will auf keine von dessen Methoden verzichten. Und so kämpft die SU ebenso unermüdlich um eine gute öffentliche Meinung über sich im Lager des Gegners, wie sie sich vor dieser Meinung durch ihre anderen und sogar durch eben diese weltpolitischen Unternehmungen dauernd desavouiert. Im Zweifelsfall lautet das Argument gegen ihre Friedenspolitik schlicht und einfach: Afghanistan!

8.

"Gerade in einer Atmosphäre der friedlichen Koexistenz von Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung vollzog sich die sozialistische Revolution auf Kuba, errang das algerische Volk die nationale Unabhängigkeit, erstarkten und wuchsen die Bruderparteien und nahm der Einfluß der kommunistischen Weltbewegung zu."

Die "friedliche Koexistenz" ist für die SU nie etwas anderes gewesen als die militärische Konfrontation mit den USA und der Einsatz der eigenen - auch militärischen Potenz für den Kampf um befreundete Nationen, um mit einem stets wachsenden "sozialistischen Lager" die Vorherrschaft der USA zu brechen.

Das Bestreben, gegen das westliche Bündnis zur Stabilisierung der eigenen Herrschaft ein Gegengewicht zu schaffen, verfolgt durchaus das Ziel, möglichst viele Staaten nach Art des Ostblocks einzugemeinden. Gemessen an der amerikanischen Weltherrschaft ist aber auch schon jede Regierung, die nur nicht pro-amerikanisch ist, ein Gewinn; jede "nationale Unabhängigkeit" ist unter diesem Gesichtspunkt ein - zumindest potentieller - Fortschritt. Was die Freundschaft mit der SU betrifft, haben sich die Kriterien dafür in der sowjetischen Außenpolitik entsprechend vereinfacht. Von Beginn an war die Funktionalität anderer Staaten für die Garantie der Sowjetherrschaft das außenpolitische Ziel, nicht die Anzettelung revisionistischer "Revolutionen" und auch die Einrichtung revisionistischer Herrschaft - nach innen bestenfalls ein abgeleitetes Unterziel; wenn sich im Rahmen der außenpolitisch beurteilten Zweckmäßigkeit etwas in der Richtung Sozialismus ergab, war es den Sowjetpolitikern recht, aber nie oberster Zweck ihrer Aktivitäten. Die Freundschaft der SU mit diversen Nationen hat sich nie am dortzulande gebräuchlichen Umgang der Herrschaft mit ihrem Volk bemessen, sondern ausschließlich an der Stellung, die dessen politische Macher zu den beiden Weltmächten einnahmen. So hat die Sowjetunion zahlreiche Völkerfreundschaften mit Militärdiktaturen, Monarchen und ziemlich blutrünstigen Figuren des Imperialismus geschlossen, gute Beziehungen zu Staaten gepflegt, die zu Hause fröhlich ihre kommunistischen Fraktionen einschließlich der moskautreuen abschlachteten, was vom Westen je nach Bedarf als Heuchelei oder schadenfroh als Schwäche ideologisch ausgewertet wurde. Dabei war andererseits der Sowjetunion bei ihren Freunden nationaler Antiamerikanismus noch nicht einmal unbedingt und in jeder Form recht, sondern nur nach Maßgabe ihrer durchaus zweiseitigen Kalkulation mit dem bedeutenderen Rest der Welt, vor allem mit den USA. Das hat der Weltfriedensmacht einige Kollisionen mit dem Nationalismus ihrer befreundeten Souveräne eingebracht; und umgekehrt haben einige Völker und Befreiungsbewegungen dafür bitter zahlen müssen.

Nach der optimistischen Begutachtung der "friedlichen Koexistenz" als Chance für die Erringung nationaler Unabhängigkeit und für die Vermehrung des sozialistischen Lagers, wie sie vom ZK der KPdSU im Streit mit der KPCh über die Generallinie abgegeben wurde, hat die SU die Phase der Entkolonialisierung als die Gelegenheit begriffen, sich den USA als die zu berücksichtigende Gegenmacht zu präsentieren. Tatsächlich hat die SU auch im Streit zwischen den alten Kolonialmächten, den USA und den jeweiligen lokalen "Eliten" um die wünschenswerten Modalitäten der Übernahme der Herrschaft in nationale Selbstverwaltung an der Schaffung souveräner Staaten mit militärischer Hilfe mitgewirkt und sich auf diesem Wege politische Verbündete geschaffen. Ihren weltpolitischen Zweck dabei hat die SU am Vietnamkrieg genauso exemplarisch durchexerziert und klargestellt wie ihr Hauptfeind den seinen: Sie hat Nordvietnam Waffen- und sonstige Hilfe geleistet, ohne die der Krieg mit Sicherheit bald zugunsten des US-Schützlings entschieden gewesen wäre; auf eine rasche Beendigung zugunsten des Nordens war die Unterstützung aber auch nicht berechnet, und schon gar nicht ist die SU das "Risiko" eingegangen, die amerikanische Schlächterei durch ein entsprechend massives Ultimatum zu unterbinden. Ihr tatsächlicher Erfolg - und Zweck - war jedenfalls anders beschaffen: Indem sie Nordvietnam bis zum Ende militärisch aufrechterhielt, hat die SU den USA praktisch bewiesen, daß bei der imperialistischen Neusortierung der Welt an einer gewissen Rücksichtnahme auf ihre Macht kein Weg vorbeiführte; indem sie Nordvietnam bis zum Ende bluten ließ, hat sie zugleich die praktische Klarstellung abgeliefert, daß ihr Antiimperialismus kein bedingungsloser, sondern auf eben diesen Respekt berechnet ist und die ziemlich totale Zerstörung eines verbündeten Landes durchaus hinzunehmen bereit ist - um den "Preis", daß man mit ihr darum gleichberechtigt feilscht. So erfuhren die Sowjetdiplomaten die Genugtuung, sich von ihren amerikanischen Gegnern als Partner in Friedensverhandlungen und für die Einhaltung der "Entspannungsära" anerkannt zu sehen, während die USA zur gleichen Zeit Nordvietnam "in die Steinzeit zurückbombten"! An den Konsequenzen dieser Sorte Weltpolitik der Sowjetunion: sich gegen die USA und gleichzeitig im Einvernehmen mit ihnen behaupten zu wollen, haben die Vietnamesen bis heute zu laborieren.

Zugleich tritt an der vietnamesischen Nachkriegszeit zutage, was die Freundschaft mit der SU für die jeweilige Herrschaft erbringt und was sie demgemäß für die Erweiterung des sozialistischen Lagers taugt. Zwar liefern sämtliche RGW-Staaten Hilfsgüter nach Vietnam; eine für die dortige Staatsgewalt effektive Sonderung von unproduktivem Elend, produktiver Armut und verfügbarem Reichtum, eine nationale Produktionsweise also, die die Verelendung funktional gestaltete und der politischen Gewalt die nötige dauerhafte Revenuequelle für ihre immerhin beträchtlichen innen- und außenpolitischen Notwendigkeiten und Vorhaben verschaffen würde, kommt dadurch aber noch lange nicht zustande; und so dankbar die zuständige Regierung die Geschenke ihrer Bruderländer entgegennimmt, so sehr ist sie doch auch auf eine vorsichtige diplomatische Distanz zu ihnen bedacht, um ihren wiederholten Ansuchen um Kredite aus dem Westen nicht jede Aussicht auf Erfolg zu nehmen. Daß die Weltpolitik der SU kein Imperialismus ist, macht sich hier unmittelbar als deren Schwäche geltend. In ihrem Bemühen, sich fremde Souveräne zu verpflichten und zur dauerhaften Unterstützung zu gewinnen, konkurriert die SU über deren nationales Interesse mit dem Westen. Diesem Interesse hat sie Mittel zur militärischen Stabilisierung der dortigen Herrschaft anzubieten, darüberhinaus auch Güterlieferungen und Devisenhilfe. Eine Teilnahme am Weltmarkt aber, die radikale und ergiebige Benützung der vorhandenen natürlichen Reichtümer mitsamt Volk durchs Kapital, ohne die auch die natürlichen Reichtümer für die zuständige Staatsgewalt kein Reichtum sind, also eine ordentliche Ausbeutung kann die SU ihren befreundeten Souveränen nicht verschaffen, eben weil ihre eigene nationale Ökonomie deren Ressourcen nicht effektiv genug für sich auszunutzen vermag.

Die Konsequenz dieser scheinbar paradoxen, in der Welt des Imperialismus aber sehr logischen Schwäche der sowjetischen Außenpolitik - sie vermag einer befreundeten auswärtigen Herrschaft ökonomisch wenig zu nützen, weil sie diese ökonomisch wenig zu nützen vermag! - ist leicht abzusehen und nicht bloß an Vietnam ausgiebig zu studieren: Ist die Unabhängigkeit mit Hilfe der SU erreicht, sehen sich die Vertreter der neuen souveränen Nation nach soliden Einnahmequellen um und bemühen sich, wie "sozialistisch" sie sich auch immer nennen mögen, um die "Entwicklung" ihres Landes durch das Kapital und als Voraussetzung dafür um eine Verbesserung ihrer Beziehungen zu den USA oder Europa.

Aus der pragmatischen Kalkulation jedes Staates mit den Mitteln seiner Herrschaft und deren materieller Grundlage ergeben sich folgerichtig laufend Relativierungen der engen Freundschaft zur SU: Die indische Regierung verhökert ein mächtiges Symbol der russisch-indischen Freundschaft, ein von der SU errichtetes Turbinenwerk, an Siemens in der Hoffnung auf bessere Gewinne; Angola lädt nach der Befreiung als erstes die amerikanischen Ölfirmen zum Abschluß neuer Verträge ein; in Simbabwe werden die Botschafter des Ostblocks schon gleich bei der Unabhängigkeitsfeier demonstrativ in den Hintergrund gedrängt, weil die Zukunft der souveränen Nation nun einmal auf dem Weltmarkt liegt und auch altgediente Guerillaführer sich keine Romantik leisten.

Daß die SU in diesem Punkt dem Imperialismus nicht gewachsen ist, hat für diesen neben dem ökonomischen und politischen im übrigen auch noch den überaus erfreulichen ideologischen Vorteil, daß ausgerechnet der "Anwalt der unterdrückten Völker" sich als der einzige wirkliche und außerordentlich böse Imperialismus auf der Welt hinstellen läßt. Während der Westen sich auf den "stummen Zwang" der ökonomischen Erpressung verlassen kann und deren Gelingen durch Waffengewalt "bloß" abzusichern braucht, fallen bei der Sowjetunion Waffenhilfe und politischer Einfluß so ziemlich zusammen, was in der moralischen Konkurrenz um die sauberste Weste durchaus negativ zu Buche schlägt. Der Westen gewährt die beste Entwicklungshilfe, die es gibt, einfach indem er seine Kapitalisten zur Prospektion neuer Geschäftsmöglichkeiten in alle Welt schickt, was sich mit dem Begehren der lokalen Potentaten nach einer Erhöhung ihre Einkünfte so vortrefflich vereinbaren und den Imperialismus als friedliche, harmonische und humane Angelegenheit erscheinen läßt; der Osten dagegen hat im Bereich der Entwicklungshilfe erst einmal nur Waffen vorzuzeigen, seine nicht-militärische "Hilfe" ist bescheiden, gerade weil sie für die Gebernation Hilfe im wahrsten Sinne des Wortes darstellt; und weil sie die Idealismen der "Entwicklungshilfe" nicht kritisiert, sondern ganz besonders pflegt, bringt die sowjetische Diplomatie und Propaganda sich vor allen moralischen Instanzen der "Völkerfreundschaft" erst recht in die Defensive. Tatsächlich kann der Westen ja auch in seinem Bemühen um die Freundschaft fremder Souveräne ganz anders zu Werke gehen, eben weil das sein Geschäft ist oder überaus einträgliche Geschäfte vermittelt; für die SU dagegen stellen alle materiellen Leistungen zur Aufrechterhaltung oder Gewinnung solcher Freundschaften reine faux frais dar. Kuba, der einzige Staat, der nach der Einrichtung des Ostblocks dazugewonnen wurde, ist in ökonomischer Hinsicht für den RGW eine einzige Belastung - und dabei bedeuten umgekehrt der garantierte Zuckerpreis und die Wirtschaftsverträge mit dem RGW für Kuba auch nicht mehr, als daß es existenzfähig gehalten wird und gleichzeitig im Rahmen seiner außenpolitischen Handlungsfreiheit alles tut, um mit den imperialistischen Staaten ins Geschäft zu kommen.

*

Es ist allerdings nicht allein die mangelnde wechselseitige Einträglichkeit der sowjetischen Völkerfreundschaft, die auf deren Dauerhaftigkeit regelmäßig die schädlichsten Wirkungen hat. Auch in ihrer weltpolitischen Zielsetzung harmoniert die Weltfriedensmacht mit dem Nationalismus befreundeter Staaten, selbst wo dieser entschieden anti-amerikanisch ist, nur sehr bedingt; immer wieder macht der Nationalismus der Bündnisstaaten sich für das von der SU beabsichtigte und betriebene weltpolitische Geschacher störend bemerkbar und führt zu einem für den Westen höchst interessanten Dilemma: Gibt die SU im Interesse der Freundschaft den nationalen Interessen ihrer Partner Raum, so läuft das nur zu leicht dem angestrebten Arrangement mit der Weltmacht Nr. 1 zuwider; kommt sie ihnen nicht nach, so schafft ihr gerade der enttäuschte Nationalismus dieser Staaten die ärgsten Gegner: Wenn die Führer der KPCh in der "Polemik über die Generallinie", dem Dokument ihrer offiziellen Verabschiedung aus der Freundschaft mit der SU, des öfteren sehr richtig feststellen, daß die Politik der friedlichen Koexistenz mit Kommunismus und Weltrevolution nichts zu schaffen hat, daß auch die russischen Beteuerungen über den guten Willen der Ami-Präsidenten zur friedlichen Koexistenz ziemlich unrealistisch sind, so sind diese Feststellungen doch nicht der Grund des politischen Zerwürfnisses. Der eigentliche Grund, in der Theorie der beiden bösen Supermächte mit chinesischer Übersichtlichkeit ausgeführt, liegt in ihrem von der sowjetischen Kalkulation gebremsten Nationalismus:

"Wir wollen die Führer der KPdSU fragen: Haben die mehr als 100 Staaten in der Welt mit insgesamt über drei Milliarden Menschen etwa gar kein Recht, ihr Schicksal selbst zu bestimmen:, Müssen sie sich alle untertänigst den Anordnungen der beiden "Riesen", der beiden "großen Mächte", Sowjetunion und USA unterwerfen? Ist dieser anmaßende Unsinn von euch nicht Ausdruck des reinsten Großmachtchauvinismus, der reinen Machtpolitik? Und weiter wollen wir die Führer der KPdSU fragen: Glaubt ihr wirklich, daß durch ein Übereinkommen zwischen der Sowjetunion und den USA, zwischen zwei "großen Mächten", über das Schicksal der ganzen Menschheit entschieden, eine Lösung aller internationalen Probleme erreicht werden kann?...

Das einzige Land, das die Führer der KPdSU respektieren, sind die USA. Um der sowjetisch-amerikanischen Zusammenarbeit willen scheuen die Führer der KPdSU nicht vor Verrat an den wahren Verbündeten des Sowjetvolks zurück..."

Bezeichnenderweise hat nicht zuletzt die Weigerung der SU, China an der Entwicklung der Atombombe und der atomaren Bewaffnung teilnehmen zu lassen, den Streit bis zum Bruch zugespitzt; und dabei hat ausgerechnet diese Weigerung mit Großmachtchauvinismus oder Hegemoniebestrebungen noch nicht einmal viel zu tun. (Ein Interesse an Unterdrückung als solcher, wie es die Chinesen angreifen, hat es in der gesamten Weltgeschichte ohnehin noch nicht gegeben.) Es ist gerade "verantwortungsvolle" Weltpolitik vom Standpunkt der SU, die dieser Weigerung zugrundeliegt: Der Beweis des guten Willens und der Verständigungsbereitschaft, erbracht dadurch, daß man die eigenen Verbündeten nicht hemmungslos aufrüstete, sollte die USA zu der Gegenleistung bewegen, ihrerseits Rücksichtnahme walten zu lassen und insbesondere auf die atomare Bewaffnung der BRD zu verzichten. Der chinesische Nationalismus wurde zugunsten des beabsichtigten Handels mit den USA enttäuscht, worüber der wichtigste Bündnispartner zum wohl erbittertsten Feind der SU geworden ist; die USA ihrerseits haben sich dadurch nicht weiter beeindrucken, schon gar nicht von ihrer Aufrüstungspolitik abhalten lassen, im Gegenteil, und überdies die Früchte des chinesischsowjetischen Zerwürfnisses geerntet.

Der nach China wichtigste Verlust im Bereich der Völkerfreundschaft war der Übergang Ägyptens ins Lager der USA; eine Entscheidung, die nach haargenau demselben Muster zustandekam: Aus lauter "weltpolitischer Verantwortung", sprich um einer einvernehmlichen Regelung mit den USA willen, fühlte die Schutzmacht sich veranlaßt, den Nationalismus ihres Schützlings zu bremsen - ohne daß ihr das von irgendeiner Seite Dank eingetragen hätte.

"FALIN: Dann kam der Nahostkrieg vom Oktober 73. Sie haben im Westen zwar geschrieben, daß wir dahinterstehen, daß wir Ägypten angestiftet hätten, diesen Krieg zu beginnen, aber Sie konnten sich ja später davon überzeugen, daß das genaue Gegenteil richtig war.

SPIEGEL: Präsident Sadat hat uns das im letzten Monat noch einmal bestätigt.

FALIN: Wir taten alles, um diesen Konflikt zu vermeiden, wir sind bis zum Äußersten gegangen, um Ägypten zurückzuhalten. Der Westen hat uns das nie honoriert. Am Ende dieses Krieges beschlossen die Amerikaner, daß die Zusammenarbeit mit der Sowjet-Union keine Priorität mehr habe. Sie waren damals nicht bereit, gemeinsam mit uns eine politische und dauerhafte Lösung durchzusetzen. Die Amerikaner, genauer gesagt, Kissinger, kamen damals offenbar zur Überzeugung, Sadat biete ihnen etwas, was sie allein machen könnten.

SPIEGEL: Das taten sie dann ja auch.

FALIN: Moment, zunächst begann die Diplomatie der kleinen Schritte, welche die Zusammenarbeit mit uns abbaute...

SPIEGEL: Man hat Sie dort ausmanövriert."

9.

Was der "SPIEGEL" da schadenfroh anmerkt, ist aufs Ganze gesehen fast schon eher eine Untertreibung. Wozu die langjährige Konkurrenz der Sowjetunion mit dem Imperialismus um Einflußsphären als Mittel ihrer Selbstbehauptungs- und Sicherheitspolitik per Saldo geführt hat, gibt eine bürgerliche Einschätzung recht realistisch wieder, die damit zugleich ganz unbefangen das Gerede von der ungeheuren Gefahr zurechtrückt, die weltpolitisch angeblich von der Sowjetunion ausgeht und deren Beschwörung dem Imperialismus zur Universalrechtfertigung dient:

"Einr Reihe von Erfahrungen und Rückschlägen im Kongo 1961, in Indonesien nach dem Sturz Sukarnos 1965, in Algerien, Ghana und Guinea, die überraschend schnelle Niederlage Ägyptens im Junikrieg 1967, die sehr gemischten Erfolge sowjetischer Wirtschaftshilfe, am kostspieligsten wohl im Falle Kubas,... Der kostspielige Wettbewerb mit den Vereinigten Staaten um die Gunst der 70 oder 80 Entwicklungsländer erwies sich nicht als ein "Zero-Sum-Game", in dem der Verlust des einen genau dem Gewinn des anderen entspricht. Ein großer Teil der so umworbenen Länder profitierte vielmehr von beiden Seiten, ohne sich in Abhängigkeiten der einen oder anderen fangen zu lassen. Die Dritte Welt offenbarte sich als ein ganzer Kosmos von Nationalstaaten, deren Stimme in den Vereinten Nationen nützlich sein konnte, die auf seiner Seite zu haben aber noch lange nicht eine Verschiebung des Kräftegleichgewichts zu eigenen Gunsten bedeuten mußte. Aus einer ganzen Reihe von sowjetischen Publikationen läßt sich ablesen, daß man in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre in der Sowjetunion zu einer nüchternen Einschätzung von Möglichkeiten und Grenzen der Politik in der Dritten Welt gelangte."

Eine noch deutlichere Sprache sprechen Figuren wie der amerikanische Außenminister, sogar dort, wo er umgekehrt die gräßliche Bedrohung der freien Welt durch die "aggressive" SU an die Wand malen will: Die USA wären bereit,

"den Sowjets das anzutun, was sie uns (!) angetan haben, in Angola, Kuba, Afghanistan."

o ist die Welt sortiert: Drei bis fünf Fleckchen Erde - wenn man Äthiopien und Mocambique noch hinzurechnen will - auf drei Kontinenten, auf die die sowjetische Weltpolitik sich zuverlässig stützen kann, sind die Ausbeute; und weil er derart mager ist, ist auch dieser "Erfolg" für den Imperialismus eine einzige Provokation: Vergeltung steht an dafür, daß die Sowjetunion sich überhaupt aktiv in einer Welt betätigt, die der amerikanische Außenminister mit der größen Selbstverständlichkeit als die "unsere" bezeichnen kann - und das leider ohne sich zu blamieren.

Die SU selbst sieht dieses Ergebnis allerdings anders. Beispielhaft dafür, wie der interviewte Sowjetdiplomat das schadenfrohe Urteil des "SPIEGEL" über den sowjetischen Mißerfolg in Ägypten zurückweist:

"FALIN: Ausmanövriert? Die Amerikaner haben sich selbst und den Westen ausmanövriert. Sie haben ja keine Lösung gefunden. Die Situation im Nahen Osten bleibt so gefährlich, wie sie war. Wenn nicht gefährlicher..."

Die letite absurde Schlußfolgerung, die dem Westen einen Schaden nachsagen will, weil es im Nahen Osten nach wie vor "gefährlich" zugehe, bringt in der idealisierten Form, daß es um "gemeinschaftliche Lösungen", die "Regelung von Spannungen", "Beseitigung von Konflikten" etc. etc. zu gehen habe, das Prinzip der sowjetischen Weltpolitik zur Anschauung. Mit seiner Feststellung,

"Es gibt sicherlich keinen Staat, der der Menschheit in den letzten Jahren ein so weites Spektrum von konkreten und realistischen Initiativen zu den wichtigsten Problemen der internationalen Beziehungen vorgelegt hätte, wie die Sowjetunion."

hat der Chef der SU - einmal abgesehen von dem Prädikat "realistisch" - sicherlich recht. Und recht hat auch der westliche Kommentator, der hinter dem dauernden Begehren der SU, über weltpolitische Streitigkeiten Konferenzen zu veranstalten, deren Weltmachtegoismus entdeckt:

"Möglichst viele Konferenzen...

Die Forderung, die Nah-Ost-Konferenz in Wien wiederaufzunehmen, steht für zwei Ambitionen. Moskau will sich im Nahen Osten wieder ins Spiel bringen... Eine Wiederaufnahme der Genfer Konferenz würde ferner in des Kremls Absicht passen, praktisch alle strittigen Themen zum Gegenstand internationaler, Konferenzen zu machen: Golf-Region und Indischer Ozean, europäische Abrüstungskonferenz, Sicherheitsratkonferenz, Wissenschaftskonferenz zur Vermeidung nuklearer Konflikte, Nah-Ost-Konferenz. Moskau möchte sich derart überall ein Mitspracherecht sichern..."

Dabei hätte ihm allerdings auffallen können, daß sämtliche Konferenzthemen von der Weltmacht Nr. 1 geschaffene Fakten zur Voraussetzung haben, die auf die Eliminierung der Nr. 2 hinauslaufen. Dies kommt ihm aber dermaßen rechtmäßig vor, daß das Pochen der SU auf einem "Mitspracherecht" die einzige unverschämte imperialistische Regung ist, die er auf der Welt entdecken kann.

Die Methode der Weltpolitik, die aus einer mit militärischen und anderen Mitteln gesicherten Einflußnahme ein Recht auf Mitsprache ableitet und vom erzwungenen Respekt zur Institutionalisierung des Anerkennungsverhältnisses übergehen will - nichts anderes ist ja das dauernde Reklamieren von Konferenzen und Gipfeltreffen -, ist auch schon der ganze Inhalt der von der SU praktizierten Politik der friedlichen Koexistenz: Den Gegner, dem gegenüber man sich mit allen verfügbaren machtpolitischen Mitteln als unausweichlicher Verhandlungspartner etabliert hat, dafür zu gewinnen suchen, daß das ständige Kräftemessen zugunsten von Methoden der gemeinschaftlichen Regelung und Rücksichtnahme ein Ende findet. Weil es aber nach wie vor der Imperialismus ist, dessen Bestrebungen die Existenz der SU im Wege steht - und das umso mehr, je mehr sich diese als Weltmacht betätigt -, läßt der Adressat der sowjetischen Demonstrationen des guten Willens sich nicht nur nicht "überzeugen"; im Gegenteil: Der Westen nimmt jedes derartige Angebot als Schwäche wahr, fühlt sich keineswegs zu Gegenleistungen verpflichtet, sondern nützt die demonstrierte Verhandlungsbereitschaft der Gegenseite für seine Durchsetzung aus. Daher hat die SU auch allen Grund, sich nach jeder solchen Aktion darüber zu beklagen, daß der Westen "gemeinsame Spielregeln" verletzt hätte:

"Es gibt eine prinzipielle Frage, die wir stellen müssen, damit klar ist, wovon wir reden. Ist Afghanistan ein Staat wie jeder andere, oder ist Afghanistan ein ganz besonderer Staat? Wenn Afghanistan ein Staat wie jeder andere ist, dann müssen wir auch sein Recht auf Verteidigung, Selbstverteidigung und kollektive Verteidigung anerkennen. Wollen wir einmal Afghanistan mit Zaire vergleichen. Vor drei Jahren ist bekanntlich in Zaire eine begrenzte Zahl von Katangagendarmen eingednngen..."

Und dennoch meint und behauptet diese Politik ungerührt, ihr Verfahren, sich einseitig an die selber ausgedachten Spielregeln des wechselseitigen Respekts zu halten, mache keine Zugeständnisse an die USA, sondern stelle die einzige Methode dar, sich mit ihnen zu einigen:

"SPIEGEL: Der amerikanische Chefdelegierte auf der KSZE-Folgekonferenz in Madrid hat gesagt, solange sowjetische Truppen in Afghanistan ständen, werde es keine europäische Abrüstungskonferenz geben.

FALIN: Wir könnten auch sagen, es werde keine Abrüstung geben, solange die amerikanische Flotte im Indischen Ozean herumschwiinmt, solange die USA nichts tun, um zu einer gemeinsamen Nahost-Politik zurückzukehren, wie in der Deklaration von 1977 vorgesehen war. Die Amerikaner nehmen hier etwas in Anspruch, was auch jedes andere Land in Anspruch nehmen kann und darf. Da herrscht (?) Gleichberechtigung.

SPIEGEL: Das heißt, dann werden Sie ein "linkage" auf russisch buchstabieren und auf den Verhandlungstisch legen.

FALIN: Das werden wir nicht tun. Wir werden Realisten und Pragmatiker bleiben. Wir haben den Amerikanern immer gesagt, daß wir unsere Beziehungen Schritt für Schritt verbessern wollen."

Auf der einen Seite die Feststellung, daß die USA rücksichtslos gegen die SU Schritte unternehmen, die ihre Vorherrschaft ausbauen, und gleichzeitig von der SU verlangen, jegliche ähnliche Unternehmung ihrerseits zu unterlassen, auf der anderen Seite das Angebot an die USA, immer noch unverdrossen an einer "Verbesserung der Beziehungen" interessiert zu sein; die Berufung auf ein Erpressungsmittel, das man hätte, aber nicht anwenden will: So praktiziert die SU das Programm ihrer Außenpolitik, sich gegen die USA als Weltmacht mit einem eigenen Block und vielen Freunden als Gegenmacht zu etablieren, um sich auf diese Weise eine dauerhaft garantierte Anerkennung zu verschaffen, und mit demonstrativem Wohlverhalten die USA darauf hinzuweisen, daß die ganzen weltpolitischen Unternehmungen "bloß" zum Zweck der Selbstbehauptung und nicht zum rücksichtslosen Angriff auf ihre Herrschaft geschehen. Ein höchst untaugliches Verfahren, die Weltmacht Nr. 1 zu beeindrucken - schon gleich dann, wenn diese zu erkennen gibt, daß sie entschieden keine Rücksicht mehr nehmen will, ja es sogar auf eine Konfrontation um jeden Preis ankommen läßt. Denn nicht nur sind die USA samt ihren zu diesem Zweck eingerichteten Militärbündnissen auf diese Weise nie und nimmer von ihrer prinzipiellen Kriegserklärung abzubringen; noch dazu bestärkt jedes Zugeständnis der SU mit dem Ziel, die "Entspannung" wieder voranzubringen, die USA in der Auffassung, daß es nicht lohnt, diesem Gegner weltpolitisch Anerkennung entgegenzubringen, daß im Gegenteil schon damit ein höchst wirksames Druckmittel aus der Hand gegeben wird. Und deswegen wird dann auch jeder sowjetische Versuch einer Einschüchterung ihres Gegners - eine Antwort dieser Art auf die Politik der USA war Afghanistan - von den USA keineswegs als Anlaß zur Korrektur ihrer Politik genommen, sondern als neuer Hebel für die fortgesetzte Erpressung genutzt.

10.

Die Sternstunden und zugleich der Wendepunkt für diese Weltpolitik des Antiimperialismus durch Gesprächsbereitschaft waren die SALT-Verhandlungen - sowie insbesondere die seit 1966 von den Warschauer-Pakt-Staaten unablässig beantragte und 1973 abgehaltene Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Seither ist die "Entspannung" ständig gefährdet, und jeder (nur die USA halten sich dabei begreiflicherweise zurück) "kämpft" um ihre "Rettung". Dabei ergeben sich diese "Nöte" nur allzu direkt aus dem in Gestalt eines ungeheuren Friedens- und Völkerversöhnungsspektakels veranstalteten Handel.

Nachgekommen ist der Westen dem dringlichen Begehren des Ostblocks, einige seit dem II. Weltkrieg ausstehende Friedensverträge und Grenzbereinigungen diplomatischer Art zu verabschieden, nachdem die USA die SU in den Rüstungskontrollverhandlungen bereits förmlich als weltpolitischen Gesprächspartner anerkannt hatten. Die fortgesetzten Anträge aus dem Osten ließen für ihn die weitergehende Chance einer "friedlichen" Einflußnahme auf den Osten und andere Geschäfte erwarten. Für die "Sicherheit" Europas bleibt nach wie vor die NATO zuständig, deren beachtliche Aufrüstung gerade während der Entspannungspolitik nicht vergessen werden darf, was Bundesminister Apel neulich noch gewürdigt wissen wollte: Zu verlieren war also nichts.

Gewollt und bekommen hat die Sowjetunion eine Garantieerklärung, daß die BRD die Grenzen des sowjetischen Einflußbereichs respektiert: Die ständige diplomatische Infragestellung - Wiedervereinigung - der "sogenannten DDR" sollte auf ein moderates innerdeutsches Maß heruntergeschraubt werden.

Gewollt, bekommen und ihrerseits zugestanden hat die SU "vertrauensbildende Maßnahmen" im militärischen Bereich als Ergänzung zu den MBFR-Verhandlungen. Seitdem dürfen sowjetische Offiziere NATO-Manövern mit dem Thema

"Was tut die NATO, wenn in sozialistischen Ländern wie der DDR und Polen etwas geschieht? Was tun im Falle von Streiks und Unruhen in einigen östlichen Ländern?"

beiwohnen und sich darüber beschweren.

"Wir jedenfalls veranstalten nicht solche Spiele und haben nicht solche provokanten Absichten wie die NATO. Wie würden Sie reagieren..." (Falin)

Nicht gewollt, aber zugestanden hat die SU, daß auch an ihre Machtsphäre die moralischen Maßstäbe der bürgerlichen Herrschaft angelegt werden; in der Weltöffentlichkeit und im diplomatischen Verkehr, darf sie seit ihrer Unterschrift unter den sogenannten "Korb III" die alte Hetze mit dem Zusatz genießen, vertragsbrüchig zu sein. Was der Westen sich von dieser als Zeichen des guten Willens und der Bereitschaft zur Entspannung erbrachten Vorleistung der SU, der Einverständniserklärung mit den Menschenrechten, erwartet hat und was von ihr zu halten ist, erläutert die Bundesregieiung so:

"Wurde auf seiten des Ostens immer wieder das Kollektiv, der Staat betont, so war es für die westlich-demokratischen Staaten von vorrangiger Bedeutung, dem einzelnen als Nutznießer dieser Konferenz zu möglichst viel Raum im Schlußdokument zu verhelfen. Dies war der Fall im Prinzipienkatalog, wo es um Freiheiten des Individuums geht..."

Was die "Nutznießerschaft" des "einzelnen" betrifft - sollten die ausgewanderten Polen, Rußlanddeutschen und Juden gemeint sein, die hier und in Israel den Bodensatz des Proletariats vermehren? -, gibt es einige Zweifel anzumelden. Unbestrittener Nutznießer ist auf jeden Fall der Westen, der die interne Regelung seiner Herrschaft - jede der schönen Freiheiten des Individuums weist dieses schließlich unmißverständlich darauf hin, wenn es zu gehorchen hat, und zieht daher bekanntlich einen ziemlichen Rattenschwanz von Pflichten, vor allem die Pflicht des verantwortungsvollen Gebrauchs, nach sich - vom Osten als verbindlichen Maßstab hat anerkennen lassen. Denn das bedeutet nicht nur die Verpflichtung auf den gemeinsamen Lobpreis schöner Ideale. Die Sowjetunion hat damit den Westen zu einigen sehr praktischen Unternehmungen geradezu ermächtigt und eingeladen: 1. steht sie vor der Weltöffentlichkeit, da der demokratische Katalog von Rechten und Pfichten nun einmal in ihrem Machtbereich kein Recht ist, grundsätzlich und für jeden Bedarf als der Schuldige da, der sich an seine eigenen Versprechungen nicht hält, also prinzipiell erst einmal Wohlverhalten an den Tag legen muß, damit man ihn überhaupt für verhandlungs- und vertragswürdig ansehen kann. 2. läßt sich mit dieser Handhabe westlicherseits Einfluß nehmen auf den internen Umgang mit Oppositionellen, deren Angriffen auf ihr Staatswesen Schützenhilfe geben, und somit - ob diese nun allzusehr ermutigt durch den Westen im Knast landen oder nicht, beides ist nicht ungünstig -, einiges für die Verbreiterung von Unzufriedenheit im Ostblock tun. 3. fördern Erleichterungen des Reiseverkehrs, mehr Freizügigkeit für Journalisten und ähnliches den Systemvergleich, den auch die Bürger im Ostblock gerne anstellen. Alles dies sind Möglichkeiten der Einmischung, die zwar nicht die sozialistische Ordnung aus den Angeln heben, ihr aber durchaus Schwierigkeiten bereiten und im Verein mit weitergehenden, handfesteren Erpressungen unschätzbare Dienste leisten - man denke nur an die Schlachtberichterstattung aus Polen, die die beiden deutschen Fernsehprogramme in vorbildlicher Weise erledigt haben.

Gewollt und bekommen hat die SU die Zusicherung des Westens, daß auch er sich vom Handel mit der östlichen Seite allerhand verspricht. Gewisse Handelshemmnisse, wie vor allem die Zoll- und Kontingentierungsbestimmungen der EG gegen unliebsame Konkurrenten haben zwar bis heute nicht beseitigt werden "können", dafür sind im Osten umso mehr "Hindernisse" verschwunden, was in Anbetracht von dessen Handelsbedürfnis auch nur gerecht ist.

Daß die Kapitalismuskritiker sowjetischer Machart das "Kapital" von Marx nicht als Kritik, sondern als Lehrbuch für ordentliche Wirtschaftslenkung zu lesen pflegen (wenn überhaupt), diesen praktisch umgesetzten Aberwitz hat ihnen der Westhandel in gewisser Weise heimgezahlt. Die Entscheidung, sich die Mittel für die Entfesselung der Produktivkräfte, die auch wegen der Kosten des Wettrüstens zu wünschen übrig ließ, auf dem Weltmarkt zu besorgen, beweist ein ziemliches Maß an Vertrauensseligkeit. Zwar haben die Verantwortlichen sich und vor allem die SU ihre Bündnisstaaten zur Vorsicht gemahnt, als z.B. der Schacher 'Berlinklausel gegen Senkung der Zölle auf Textilwaren' losging:

"Theoretisch kann als unumstritten gelten, daß die Beziehungen der sozialistischen Länder zur kapitalistischen weltwirtschaft eine quantitative und qualitative Grenze aufweisen, deren Überschreitung in Widerspruch zu den gesellschaftspolitischen Interessen der sozialistischen Staaten führen kann. Es ist deshalb erforderlich, diese Grenze zu erkunden und annähernd zu bestimmen, damit die Praxis der wirtschaftsbeziehungen zum Kapitalismus den Interessen der Entwicklung der sozialistisclen Gesellschaft tatsächlich entspricht."

Die "Erkundung" dieser Grenze hat allerdings vorwiegend praktisch stattgefunden. Während alle ML-Schulbücher die Bösartigkeit der kapitalistischen Monopole und die Gefährlichkeit des staatsmonopolitischen Kapitalismus schildern, haben die ML-Politiker - und beides paßt gut zusammen - sich als Anhänger der Theorie der "internationalen Arbeitsteilung" erwiesen. Im Bedürfnis danach, die ökonomischen Voraussetzungen ihrer Herrschaft aufzubessern, haben sie im westlichen Warenangebot nichts anderes als äußerst nützliche Güter und Techniken des Fortschritts gesehen und das Wertgesetz, das sie sonst angeblich überall "anwenden", wie immer außer acht gelassen. Die Bedingungen für die Beschaffung dieser nützlichen Dinge, die lauten: 1. Geld, und zwar ein anerkanntes; 2. für die Devisenbeschaffung per Export taugliche Gebrauchswerte; 3. die Entscheidung über die Tauglichkeit nach Maßgabe der Verwertungsinteressen westlichen Kapitals, das beileibe nicht alle hübschen Gebrauchswerte zum Nutzen des "wechselseitig vorteilhaften Handels" kaufen will; 4. die Entscheidung über die Tauglichkeit des Handels überhaupt, die nicht vom Bedürfnis jedes einzelnen begeisterten Handelskapitalisten, sondern von der EG zum Schutze der in ihr versammelten Volkswirtschaften getroffen wird - diese Bedingungen bemerkten die zuständigen Politiker erst hinterher und auch dann noch nicht richtig:

"Die polnische Führung hat festgestellt, daß die Kreditrichtlinien früherer Regierungen falsch waren. Falsch in ihrem Tempo, ihrer Konzeption und ihren Hoffnungen, die polnische Wirtschaft so mit fremden wirtschaften verbinden zu können, daß alles quasi automatisch läuft; daß die polnische Wirtschaft in den Techniken der Produktion ein so hohes technisches Niveou erreicht, daß ihre Waren überall zu günstigen Preisen Absatz finden. Das war nicht der Fall."

So kann man seine politökonomischen Irrtümer selbstkritisch für die Ergebnisse des Westhandels verantwortlich machen - und die Spekulation auf einen nützlichen Handel mit dem Feind noch nach ihrer Widerlegung rechtfertigen.

Die Unzufriedenheit mit den Erträgen der eigenen Ökonomie und das Interesse an den Mitteln der Produktivität, wie sie im Westen käuflich zu erwerben sind, führte nicht deswegen zum flotten Schacher mit verheerenden Konsequenzen, weil die Planwirtschaft ihren technischen Entwicklungsstand überschätzt hätte. Die sowjetischen Antiimperialisten hatten ernstlich das erworbene Maß an Anerkennung für eine Sistierung der Feindschaft gehalten und geglaubt, sich nützliche Abhängigkeit durch Handelsbeziehungen leisten zu können: Gerade der Handel sollte einen ganz eigenen politischen Vorteil für ihre Zwecke herbeiführen - worin sie sich mit der Gegenseite auch schon wieder einig waren. Die westlichen Staaten, vor allem die der EG, hatten mit ihrem "Wandel durch Handel" unüberhörbare politische Hoffnungen verbunden; ebenso großen Wert legten auch die Sowjetpolitiker darauf, in der Schlußakte eigens die politische Aufgabe vermerken zu lassen, daß der Handel "zur Festigung des Friedens und der Sicherheit in Europa und der ganzen Welt beizutragen" hätte. Ihre diplomatischen Vorkehrungen, die mit jedem deutschen Firmenchef in Moskau einen Quasi-Staatsbesuch veranstalten, jeden Kaufvertrag als Symbol der Völkerfreundschaft hochleben lassen, bei jedem Geschäft den wechselseitigen Nutzen als eigentlichen Zweck herausstreichen und insbesondere immer den "unersetzlichen" Vorteil für die BRD betonen alle diese Maßnahmen verraten die irre Berechnung, mit dem Geschäftsinteresse der anderen Seite sich auch deren bleibendes Wohlwollen, ein Faustpfand für den Frieden gesichert zu haben: Der Fehler in dieser Bereehnung ist der, ausgerechnet imperialistische Nationen dadurch unter Druck setzen zu wollen, daß man ihren materiellen Vorteil garantiert. Die BRD hat sämtliche Geschäftsmöglichkeiten weidlich ausgenützt, ohne sich deswegen in ihrer politischen Entscheidungsfreiheit einengen zu lassen. Der enttäuschte, aber immer noch auf solches Einvernehmen berechnete Appell an die BRD, ausgerechnet ihre Kapitalisten die Außenpolitik machen zu lassen -

"Die BRD muß selbst für sich die Frage entscheiden, ob es sich für sie lohnt, auf die Früchte der Entspannung zu verzichten, von denen sie zu ihrem eigenen Wohl mehr gekostet hat, als sonst irgendjemand im Westen, um dessentwillen, daß sie Startplatz für amerikanische kontinental-strategische Waffen... und folglich auch Zielscheibe für den unvermeidlichen Gegenschlag wird..." -

wird eindeutig beantwortet. Es hat sich für die BRD bereits dermaßen gelohnt, daß sich 1. die Erfolge des bundesdeutschen Kapitals von dessen Staat in eine beachtliche Unterstützung des atlantischen Bündnisses haben umsetzen - lassen. 2. Hat der Handel zum wechselseitigen Vorteil "bei allen östlichen Handelspartnern vor allem Schulden hinterlassen, die deren Bereitschaft garantieren, so ziemlich jedes weitere Geschäftsangebot anzunehmen und sich auf alle erdenkliche Weisen der weiteren Akkumulation westlichen Kapitals zur Verfügung zu stellen. Und ab einer gewissen Höhe der Schulden - Beispiel Polen - hat der Westen als Hauptgläubiger die Mittel in der Hand, sich angesichts des drohenden Staatsbankrotts in das Kommando über die Produktion einzukaufen und seinen nicht nur wirtschaftspolitischen Wünschen nachdrücklich Beachtung zu verschaffen.

Die Berechnung, daß der Handel politisch vorteilhaft sei, indem er Abhängigkeiten schafft, hat sich für die SU also genau in umgekehrter Richtung, nämlich gegen sie selbst bzw. ihre Bündnisstaaten bewahrheitet. So sehr, daß die NATO mittlerweile Polen für ihren Zuständigkeitsbereich reklamiert und damit ein Stück des Versprechens schon wahr gemacht hat, mit dem sie gegründet wurde: die weltpolitische Bewegungsfreiheit der SU einzudämmen und tendenziell die Störung des Weltfriedens durch deren Existenz zu beseitigen. Für die weitere Realisierung dieses Programms hat der friedenssichernde Handel die Möglichkeit geschaffen, im ehemals fast völlig autarken Ostblock große Teile der Produktion stillzulegen und akute Versorgungsmängel zu verursachen, wenn es gewünscht wird. Zumindest in der Weizenfrage haben die USA da schon ein bißchen experimentiert; was die Energieversorgung betrifft, ist es nicht uninteressant, wie die SU an ihren Lieferverpflichtungen auf der einen und Förderproblemen auf der anderen Seite herumlaboriert und dem Westen ein Billigangebot nach dem anderen macht.

"Gute Beziehungen" mit den europäischen Staaten hat die SU im Rahmen der KSZE-Vereinbarungen und der daran anschließenden Geschäfte durchaus geknüpft. Insbesondere um die BRD hat sie sich damit verdient gemacht: Der ist es mit dem Abschluß ihrer Sonderfriedensverträge gelungen, aus der Querulantenecke der Hallstein-Doktrin herauszukommen, den Ost- und insbesondere den innerdeutschen Handel für ihre wirtschaftliche Blüte zu verwenden und, solchermaßen wirtschaftlich und politisch gestärkt, in der Weltpolitik eine furchtbar vermittelnde und friedensliebende Rolle zu spielen. Die Anerkennung, die die SU auf diese Weise der BRD verschafft hat, kehrt sich jetzt als eine ganz eigene Waffe gegen sie: Wenn schon die USA die Entspannung aufgekündigt haben, dann wird die Aufrechterhaltung der guten Beziehungen mit Europa und der BRD zu einer eigenen Kampffront für die Sowjetpolitik. Und das hat den schönen Effekt, daß der gesuchte Gesprächspartner BRD der SU ganz im Interesse der immer noch existenten guten Beziehungen - die Forderungen des Bündnisses noch einmal und mit eigenen "Argumenten" unterstrichen als die ganz speziellen und entspannungsrettenden Forderungen der BRD vorträgt. Schließlich kann auch die BRD ein Problem auf der Welt überhaupt nicht leiden: Afghanistan.

11.

Der Grund für "Afghanistan" ist für alle, die es wissen wollen, nur allzu klar.

"Ende 1979 mußte die Lage in Afghanistan zwangsläufig im Kontext der ständig wachsenden internationalen Spannungen auf der ganzen Welt wie auch speziell in dieser Region bewertet werden. In diesem Rahmen gewann die Bedrohung der aus der Revolution hervorgegangenen Regierung wie auch die Bedrohung unserer eigenen Sicherheit sehr viel mehr Bedeutung, als das zu Zeiten der Entspannung der Fall gewesen wäre.... der Beschluß der NATO, während der nächsten 15 Jahre die Rüstungsetats jährlich zu erhöhen (1978)... die Entscheidung des US-Präsidenten für einen'"Fünfjahresplan", der weitere militärische Programme und Rüstungsausgaben vorsieht,... der Nachrüstungsbeschluß der NATO, neue amerikanische Mittelstrekkenraketen zu bauen und in Europa zu stationieren ... SALT praktisch zum Stillstand gebracht... Annäherung an China auf eindeutig antisowjetischer Basis... hinzu kam, daß die USA Endr 1979 einen ganzen Schwarm von Kriegsschiffen samt Flugzeugen und Nuklearwaffen in den Persischen Golf entsandten. Wir konnten nicht recht glauben, daß das nur der Befreiung der Geiseln in Teheran dienen sollte..." (Arbatow)

Peinlich ist nur, daß die Maßnahme gegen die "Bedrohung der Sicherheit an der südlichen Grenze", d.h. die Bedrohung der einzigen Ausnahme in einer Reihe von feindlichen oder direkt der NATO zugehörigen Grenz-Staaten, immer noch mit der Rettung einer Revolution und der sozialen Errungenschaften in Afghanistan daherkommt. Die gegen das allseitige politische und militärische Vorrücken des Westens unternommene Besetzung des Terrains kombiniert den Zynismus auswärtiger Sicherheitspolitik mit dem besonderen Moralismus der Sowjetmacht: so vertritt diese Aktion nicht nur die legitimen Interessen des "afghanischen Volkswillens", sie ist auch als Äquivalent für Bodengewinne des Westens nur "gerecht". Auf die Auswertung der sowjetischen Unternehmung durch den Westen folgt dann zum tausendstenmal die empörte Feststellung,

"Wer gibt eigentlich den Vereinigten Staaten das Recht, die Angelegenheiten der anderen regeln zu wollen?" (Falin)

Der Moralismus des Westens, die Rolle der USA als "Weltpolizist" und Garant der Freiheit aller befreundeten Souveräne, steht unbestritten da, weil er erfolgreich ist, nicht weil er ehrlich wäre, - zwischen den Blöcken haben sich die Staaten in aller Welt mit den imperialistischen Schutzmächten arrangiert, die ihrem Herrschaftskalkül mehr -zu bieten vermochten, und auch der Westen hat des öfteren einigen militärischen Nachdruck hinter seine "Angebote" gesetzt. Der Moralismus der Sowjetunion blamiert sich nicht an der Heuchelei, sondern an ihrem Mißerfolg in der Staatenkonkurrenz, der sie immer wieder auf die bloß militärische Durchsetzung verweist - und die ist in der Weltöffentlichkeit nun einmal viel weniger populär als die "Verteidigung existenzieller ökonomischer Lebensinteressen".

Die Politik der "friedlichen Koexistenz" hat für ihre Vertreter per Saldo auf der ganzen Welt nichts verbessert; sie hat sogar umgekehrt die Aussichten, um die endgültige militärische Entscheidung herumzukommen, immer mehr vermindert. Der Kampf um die Erweiterung des eigenen Lagers wurde zu einem Mißerfolg, weil er sich stets am Zweck vergrößerter Sicherheit durch Einvernehmen mit dem Imperialismus relativiert hat; dieselbe außenpolitische Linie gibt imperialistischen Eingriffen in den Bestand des eigenen Lagers selbst inzwischen ökonomisch und politisch immer weiteren Raum. Und dabei versetzt noch jeder Akt der Selbstbehauptung auf dem Hintergrund dieser Politik den Westen in die Lage, sein Vorgehen als Reaktion auf die ständig wachsende "sowjetische Bedrohung" auszugeben und den Schein aufzubauen, daß der einzige Imperialismus auf der Welt im Osten regiert. Aus der Politik der "friedlichen Koexistenz" mit ihren Konzessionen außen- und innenpolitischer Natur hat der demokratische Imperialismus so die politischen Mittel, einschließlich der Rechtfertigung, für eine Offensive in ganz neuem Stil gewonnen: Während die amerikanischen Interkontinentalraketen jahrelang als "ausreichender Schutz" für Europa aufzufassen waren, sind die europäischen "Schutzbedürfnisse" seit dem Nachrüstungsbeschluß so dringlich, daß von Europa aus noch einmal ein ganz eigenes und zusätzliches nukleares "Gleichgewicht" gegen die Sowjetunion aufgebaut werden muß.

Ausgerechnet darauf antwortet die Weltfriedensmacht weiterhin mit zunehmend defensiven Angeboten. Die ursprüngliche Position, überhaupt erst unter der Bedingung der Rücknahme des Nachrüstungsbeschlusses weiter zu verhandeln, hat sich mittlerweile zu der Bitte fortentwickelt, den Zeitpunkt der Aufstellung hinauszuzögern und überhaupt zu verhandeln. Die Friedenskampagne der UdSSR beschwört nacheinander das Interesse des Westens, das der USA, das Europas gegen die USA, das der BRD, das Europas gegenüber der BRD, das Interesse sämtlicher Völker gegen ihre Regierungen; abwechselnd wird darauf verwiesen, daß die internationale und nationale Linie des Imperialismus weder im internationalen noch nationalen Interesse liegen kann und darf - all das in dem Bestreben, den Westen von der beschlossenen Offensive abzubringen, im unbedingten Willen, in der imperialistischen Welt eine Möglichkeit zur Rettung der "Entspannung" aus sowjetischer Sicht, also zum friedlichen Arrangement mit der NATO zu entdecken. Dieses ihr außenpolitisches Ideal haben die Sowjetpolitiker zu einer kompletten ideologischen Sichtweise der Staatenwvelt fortentwickelt, die sie auch bei jeder Gelegenheit in der Hoffnung auf durchschlagende Erfolge vortragen, und zwar nach dem optimistischen Motto: Nie und nimmer kann die westliche Politik mit dem "wirklichen" Interesse des Westens zusammengehen!

Nach dieser Betrachtungsweise schwindet der amerikanische Einfluß auf den Rest der Welt und insbebondere die Rohstoffquellen dermaßen rapide, daß die Aggressivität der USA einerseits immer größer, andererseits immer weniger durchsetzungsfähig wird. Da agiert der amerikanische Präsident mit reiner Willkür und Machtbesessenheit, beugt sich andererseits in seiner fatalen Abhängigkeit von den Wahlen der öffentlichen Meinung, die ihrerseits nicht die des Volkes ist, sondern von den "Institutionen des Kalten Krieges", die trotz Entspannung weiterleben wollen, manipuliert ist. Die ominösen Institutionen sind zwar auch nichts anderes als die Apparate der US-Regierung - aber was soll's! - oder andererseits der militärisch-industrielle Komplex, hinter dem das Profitinteresse lauert, obwohl das Profitinteresse der US-Industrie eigentlich sehnsüchtig auf den riesigen Binnenmarkt, die unerschöpflichen Rohstoffe und die vorteilhaften Handelsbeziehungen mit der UdSSR wartet. Schließlich ist sogar die neue Offensive ein "künstlicher Kalter Krieg", künstlich, weil 1. die USA keinen Grund mehr haben, sich von der UdSSR bedroht zu fühlen, - der erste "Kalte Krieg" war nämlich ein "Mißverständnis", das sich mittlerweile mit der "Entspannung" aufgeklärt hat -, und 2. weil die USA ihn

"anzetteln, ohne über dir notwendigen Mitlel zu verfügen, ihn zu gewinnen." (Arbatow)

Da verfügen die USA einerseits über die Mittel, Europa zu knechten, wie andererseits Bundeskanzler Schmidt ermutigt wird, seine uneingeschränkte Souveränität zu wahren. Und als Fazit seiner ganzen Forschungen legt der Westexperte des ZK der KPdSU seine Schlulßfolgerung vor:

"Nein, ich glaube nicht an eine Verschwörer-Theorie in der Geschichte... Aber in diesem besonderen Fall, angesichts der Mythologie von der 'sowjetischen Bedrohung' und dem Wettrüsten, bin ich zutiefst davon überzrugt, daß wir es mit einer Verschwörung zu tun haben, wenn nicht gar mit einem verzweigten System von Verschwörungen."

Die praktische Abteilung dieser Sorte Kapitulationserklärung sind die letzten Gefechte um eine Einflußnahme auf das nationale Interesse der Europäer, um diesem sein Einverständnis mit dem der USA mit allen Mitteln als unvernünftig zu beweisen. Und auch hier liegt es in der Logik der Sache, daß der Schuß nach hinten losgeht. So hat sich der Chef der großen Sowjetunion mit fast schon unhöflicher Aufdringlichkeit noch für dieses Jahr in Bonn eingeladen, will also einen Generalangriff starten, um die "guten Beziehungen" mit der BRD auszunützen. Dabei hat alles, was die Sowjetunion zur Aufbesserung dieser Beziehungen geleistet hat, ihre europäischen Partner nur zu immer besseren Leistungen im Rahmen der NATO befähigt und beflügelt. Und wenn die Bundesregierung sich nicht noch überhaupt entschlielßt, der Gegenseite mit einer Ausladung ihres Oberhaupts eine äußerste friedliebende "Warnung" zukommen zu lassen, so hat der Besuch mit Sicherheit nur einen Inhalt: die wiederholte Klarstellung der BRD, daß sie sich vom "Liebeswerben" der Sowjetunion nicht im geringsten beeindrucken läßt, sondern allenfalls in ihrer Linientreue zum Bündnis noch bekräftigt wird.

Noch schlechter ist es um den Beistand jener Opposition in den kapitalistischen Demokratien Europas für die sowjetischen Friedensinitiativen bestellt, die im vorigen "Kalten Krieg" noch als Moskaus fünfte Kolonne gegolten haben. Die Regierung des wahren Vaterlandes aller Werktätigen hat die kommunistischen Bruderparteien sogar auch offiziell hinter ihr Interesse an einer Verständigung mit den Staatsspitzen zurückgesetzt, und das haben diese Parteien sich zu Herzen genommen. Offen für die Sowjetunion treten sie nurmehr dort ein, wo sie ohnehin nichts zu bestellen haben - und sorgen mit dieser national verdächtigen Gesinnung bei aller demonstrativen Vaterlandsliebe nur erst recht dafür, daß es auch so bleibt. Wo sie eine nationale Kraft darstellen, haben sie umgekehrt aus dem Deal der sowjetischen "Internationalisten" mit ihrer nationalerr Führung für sich die Verpflichtung und Chance abgeleitet, eine wirklich "glaubwürdig" nationale Politik zu treiben. Und dazu gehört unter Eurokommunisten heute nicht nur die Treue zur NATO oder zur force de frappe, sondern die noch einmal extra schonungslose Kritik an der sowjetischen Außenpolitik: "Afghanistan!"

Das Werben um die europäischen Staaten und besonders um die BRD, das Erfinden von möglichen und benützbaren Differenzen zu den USA und die friedliebenden Angebote mit dem Ziel, solche Differenzen zu vergröFßern, haben ihre objektive und auch den Sowjetpolitikern keineswegs unbekannte Grenze. Abgesehen von weiteren Vorleistungen geschäftlicher und vertrauensbildender Art, die man in Bonn und Paris sicher dankend entgegennimmt, haben sich die Wünsche an die sowjetische Adresse, bei deren Erfüllung die NATO-Partner sich allenfalls für einstweilen befriedigt erklären würden, mittlerweile auf drei Forderungen "reduziert": Polen, Afghanistan und die einseitige Abrüstung der Sowjetunion. Und gegenüber diesen Kapitulationsforderungen bleibt für eine Fortführung der sowjetischen Politik der "friedlichen Koexistenz" verdammt wenig Raum. Der Westen möchte keinen "Frieden um jeden Preis" haben und setzt den Preis laufend höher - aber der Preis der Selbstaufgabe ist auch für die "Friedliche Koexistenz" zu hoch. Dazu hat der letzte Parteitag der KPdSU alles Erforderliche gesagt:

"Wir werden der Stärkung der Verteidigung des Landes auch weiterhin nicht nachlassende Aufmerksamkeit widmen. Ohne jeden Zweifel werden unsere ruhmreichen Streitkräfte über alles Notwendige verfügen, um den Versuchen der imperialistischen Kräfte zuverlässig entgegentreten zu können."

Der Vietnamkrieg im Resultat

In seinem Verlauf wie in seinem Ergebnis zeigt der Vietnamkrieg, daß sein wirklicher, maßgeblicher Zweck mit den Vorhaben der unmittelbar kriegführenden einheimischen Souveräne nichts zu tun hatte - der scheinbar eindeutige Sieger, Nordvietnam, ist seines schließlichen "Erfolges" nie und bis heute nicht froh geworden: Die staatliche Einheit wurde um den Preis der Zerstörung des gesamten Landes errungen. Die Sowjetunion steht da schon besser da: Sie hat sich auf diesem Schlachtfeld den Einstieg in die "Entspannungspolitik", also ihre formelle Anerkennung durch die Weltmacht Nr. 1 als die Nr. 2 erstritten. Der eigentliche Kriegsgewinnler sind allerdings die "gedemütigten" Verlierer, die USA: Sie haben dort, stellvertretend für den gesamten Rest der alten Kolonialreiche und alle sonstigen Dependancen ihres Imperialismus, die brutale "Wahrheit" durchgekämpft, daß es sich nicht lohnt, gegen sie einen Krieg zu gewinnen und eine souveräne Nation aufmachen zu wollen. Außerdem wissen sie seither, wie viel Freiheiten ihr Hauptfeind ihnen tatsächlich läßt. Ausführlicheres hierzu in Resultate 5: Imperialismus 2, Die USA - Weltmacht Nr. 1, S. 71-90

In welcher Absicht die USA sich auf Verhandlungen über die beiderseitigen Atomwaffenarsenale überhaupt eingelassen haben und inwiefern von dieser Absicht her ihre Nichtigerklärung des Verhandlungsergebnisses logisch und notwendig ist, obwohl es für sich genommen lauter Begünstigungen für ihre Rüstungspolitik enthielt, haben wir in dar vorigen MSZ Nr. 2 analysiert: "Ende der Entspannung"

Zweck und Ergebnisse des Osthandels sind ausführlich gewürdigt in Resultate 6: Imperialismus III

(Abb. siehe GIF-Datei in diesem Brett. Anm. MG_ARCHV)

Anders als auf dem militärischen Feld besitzt die NATO im wirtschaftlichen Bereich eine hohe Überlegenheit über die Länder des Warschauer Paktes, wie eine Addition der wirtschaftlichen Gesamtleistungen der Mitgliedsländer der beiden Blöcke ergibt.