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Frankreich
"HISTORISCHE WENDE" DURCH MITTERAND?
Ein Gerücht geht um in Europa - das Gerücht, mit der Wahl Francois Mitterands würden sich "die Bedingungen für linke Politik" verbessern".
Präsident Reagan hingegen ist nicht vom Stuhl gefallen:
"Der konservative Amerikaner... setzt auf eine alte, spekulativ durchaus gerechtfertigte politische Regel: Wenn die Linken erst einmal an der Macht sind, betreiben sie erfahrungsgemäß eine rechte Politik." (Wirtschaftswoche)
Das ist natürlich auch Quatsch - als ob ein amerikanischer Präsident es nötig hätte, auf spekulative Regeln zu setzen! -, aber der Spruch gibt die Stimmungslage der Bourgeoisie doch einigermaßen korrekt wieder.
Nüchtern betrachtet, und nicht in linke Visionen übers zarte Pflänzchen Hoffnung, aus dem schließlich eine große, große sozialistische Bewegung erwachsen wird, verwoben, ist dem rechnenden Verstand die Differenz zwischen Wahlversprechen und Regierungswirklichkeit aus eigener Erfahrung durchaus geläufig. Und - bei der nüchternen Betrachtung geblieben - schon bei den Wahlversprechen fallen den bürgerlichen Politikreportern mancherlei Gründe ein, warum sie einige Gelassenheit demonstrieren können. Zwar hat aus dieser Ecke niemand den neuen Präsidenten lauthals begrüßt - und Reagan ließ sich mit seinem Glückwunschtelegram 24 Stunden Zeit, es dann aber ganz konventionell herzlich ausfallen -, zwar unternahm der Franc einen "Sturzflug" - der nach der endlosen Strecke von 12 3/4 Centimes (gegen den Dollar) durch eine Diskonterhöhung der Zentralbank und etwas Währungsintervention wieder beendet war -, zwar erlebt die Pariser Börse einen "roten Montag" - an dem unzählige Kleinaktionäre zum Verkaufsschalter rannten -, der zwei Tage später durch eine "kräftige Aufwärtsbewegung durch Großeinkäufe" fast schon wieder vergessen war. Wo aber blieben die empörten Aufschreie, die hetzerischen Kommentare, die Beschwörungen über den Zusammenbruch der "westlichen Verteidigungsbereitschaft"?
Um auf die
Wahlversprechen
zurückzukommen und mal abgesehen davon, daß es sich bei Mitterand um einen alten, ausgefuchsten Polithänger handelt,
- der es in der IV. Republik 11 mal zum Ministersessel brachte;
- der als Innenminister während des Algerienkriegs ganz entschieden gegen den Abfall der Kolonie vorzugehen versprach, bis de Gaulle seinen Sinn änderte;
- der etliche Jahre darauf verbrachte, die Kommunisten aus der politischen Landschaft Frankreichs hinwegzutricksen:
"Unser Ziel ist es, eine große sozialistische Partei auf dem von der KP besetzten Terrain aufzubauen, um den Beweis zu erbringen, daß von den 5 Millionen kommunistischen Wählern 3 Millionen sozialistisch wählen können.";
- der sich auch nicht scheute, für die Durchsetzung der eigenen Herrlichkeit mannigfach wechselnde Bündeleien mit links und rechts in der eigenen Partei in Gang zu setzen;
- der jetzt schon mehr als deutlich zu erkennen gibt, daß ihm kein kommunistischer Minister ins Kabinett kommt, außer er frißt ihm den ganzen Tag aus der Hand (was wiederum sehr wohl denkbar ist);
was versprechen sie denn - die Wahlversprechen?
Hat er gesagt, er will dem amerikanischen Vernichtungswillen den Sowjets gegenu er einen Riegel vorschieben? Nein, er schafft es sogar, die Sowjets noch entschiedener als sein Vorgänger Giscard "wegen Afghanistan" zu verdammen, und läßt an der Bündnistreue zur NATO und am Willen, die französische Armee schon im wohlverstandenen nationalen Interesse weiterhin und im erwünschten Sinne aufzurüsten, keinen Zweifel.
Will er die imperialistischen "Zuständigkeiten" und "Engagements" des französischen Staats beenden? Nein, die Truppen bleiben Afrika und im Nahen Osten stationiert, mit dem einschränkenden Zusatz, sie würden von sich aus nicht auf fremde Gebiete übergreifen - auf den Tag warten wir nur, wo Mitterand verzweifelt mit dem "Hilfeersuchen" eines "befreundeten Staates" ringen muß und sich schweren Herzens zur "Stabilisierung der Region" oder zum "Schutz französischer Bürger (+ Interessen)" entschließt.
Hat er versprochen, das französische Atomprogramm zu stoppen? Nein, er will es nur nicht über den gegenwärtig geplanten Stand hinausführen - nachdem die vorherige Regierung noch schnell eine umfängliche Reihe von Projekten ins Werk gesetzt hat. Will er die kapitalistische Verfügung über einige französische Schlüsselindustrien in Staatsgewalt übergehen lassen? Nein, er "plant" - "soweit auf die Schnelle machbar und unter Berücksichtigung der beschränkten finanziellen Mittel des Staates" - die "Nationalisierung" und macht auch keinen Hehl daraus, daß er dabei nicht die Verbesserung der sozialen Lage der französischen Arbeiterklasse im Sinn hat, sondern die nationale Lage, nämlich eine Stärkung der französischen Wirtschaft insgesamt, zum Zwecke ihrer besseren Durchsetzung auf dem Weltmarkt und zum Ruhme des Staates. - Sonst wäre er ja wohl auch nicht gewählt worden.
Kein Zweifel - Mitterand ist ein leidenschaftlicher Nationalist und ebenso leidenschaftlicher Antikommunist.
Trotz alledem stellt Mitterands Machtübernahnne einen Wechsel in der französischen Politik dar. Ab jetzt gehört sich die besondere Rolle Frankreichs i n der Welt anders herausgearbeitet als bisher. Da allerdings liegt für den bürgerlichen Verstand Grund zur Beunruhigung - und für den dummen, linken Grund zur Hoffnung -, die sich aber sachgerecht auf die Frage zusammenzieht: Was für einen Konkurrenten wird Frankreich abgeben? Oder ideologisch:
"Wie berechenbar ist Mitterand?"
Im außenpolitischen Bereich hat er zu erkennen gegeben, daß er "Washingtons Hegemonialstreben in der 'Dritten Welt' und vor allem in Mittelamerika" nicht leiden kann, was - angesichts der eindeutig verteilten Machtgewichte in der Welt - nichts anderes bedeutet, als daß er sich für die Stärkung Frankreichs eine Politik mehr nach dem bewährten Muster der SPD vorstellt - aber mit dem Selbstbewußtsein der immer noch praktizierten französischen "mission" in der "Dritten Welt": An nichts schuld sein, überall nur für Frieden(struppen) eintreten, Gewicht durch schlichtende Tätigkeit gewinnen - auch wenn überhaupt nichts geschlichtet wird, sich gegen unmoralische Machenschaften in der Weltpolitik verwahren, keine Diamanten von Bokassa annehmen sondern gleich den richtigen Negerfürsten aussuchen -, die fortschrittlichen Kräfte favorisieren und so das wohlverstandene Eigeninteresse Frankreichs befördern - immer, solange es geht. Das schon aggressiv zu nennende westliche Interesse am Ausgang der französischen Wahl, in dem milde Zuversicht und unverhüllte Drohung sich paaren, ist bei Mitterand auf fruchtbaren Boden gefallen: Seit seinem Sieg gibt er jeden Tag zwei Äußerungen von sich, in denen er den ihm gegenüber geäußerten Generalvorbehalt akzeptiert - und dementiert.
Was das Innenpolitische angeht, steht das Wahlversprechen der Anhebung der Mindestlöhne und die Schaffung von Arbeitsplätzen im staatlichen Dienst. Da dieses Versprechen unverzichtbar war für die Gewinnung der für ihn relevanten Wählerschichten, ist leichtfertiges Überspielen so einfach nicht möglich. Nur gut, daß es sich doch einigermaßen mit dem Wirtschaftsprogramm verträgt, bzw. verträglich machen läßt: Die sozialistische Gewerkschaft hat schon die Bereitschaft zu einer nur 1O%-igen Mindestlohnerhöhung signalisiert; die 35-Stunden-Woche verspricht Mitterand (nur) EG-weit durchzusetzen; und eine zumindest partielle Rückholung der Ausgaben durch Inflation und Steuererhöhung - worauf sich auch frz. Politiker virtuos verstehen - ist schon eingeplant und fällt in die Abteilung "Ankurbelung der Wirtschaft durch Nachfragestärkung".
Es bleibt jedoch bestehen, daß der Staat sich verstärkt in den Gegensatz von Kapital und Arbeit einmischt; einerseits will er dem Kapital gegenüber die seit de Gaulles "planification" vertraute Mischung aus staatlicher Hilfe und Vorschrift ausbauen, worin für die Kapitalisten immer eine Garantie ausgesprochen ist, solange sie den Nachweis ihrer nationalen Unentbehrlichkeit erbringen. Zugleich dürfte jedoch ein Streit darüber angehen, daß die Mindestlohnerhöhung keine Auswirkung auf das allgemeine Arbeitskostenniveau hat, sondern eine bloße sozialplanmäßige Berechnungsgrundlage ist.
Das verkündete Ideal einer stärkeren staatlichen Formierung der Wirtschaftsbasis Kapital und Arbeit für einen ordentlichen nationalen Aufschwung enthält den Widerspruch, auf eine Belastung des Nationalkredits zu setzen, auf die staatliche Souveränität zum Schuldenmachen zu bauen, ohne daß diese Maßnahmen - mehr 'Sozialausgaben', ein 'Konjunkturprogramm' als Ergänzung zur verstärkten Nationalisierung der Konkurrenz und vermehrte Rüstungsausgaben für atomraketenbestückte U-Boote usw. usf. - in gleich "produktiver" Weise der Stärkung der ökonomischen Basis des Staates oder den außenpolitischen "Notwendigkeiten" zugutekommen. "Unrealistisch" ist dieses Programm einerseits ebensowenig wie die Reagan'sche Politik der Ausgabenerhöhung bei gleichzeitigen Steuersenkungen. Allerdings sorgen die in ihm zusammengefaßten gegensätzlichen Maßnahmen für den einen Zweck, die Nation und ihre Wirtschaft zu stärken, dafür, daß die Abstriche an den entsprechenden Stellen schon noch vorgenommen werden, und die ökonomische und politische "Einbindung" in den Westen wird zusätzlich die Grenzen für die Freiheit des Staates im Umgang mit seiner Finanzmacht enger ziehen. Denn in dem sozialistischen Regierungsprogramm steckt sicher ein gewisser Widerspruch zur aktuellen Lage der westlichen Welt, den die Kommentatoren auch sofort gewittert haben: Die Ausdehnung des Nationalkredits, den man nicht zufällig gegenwärtig durch Zinserhöhungen festigt, wird einige schärfere Malßnahmen gegen die Konkurrenten ins Auge fassen und mit deren Reaktion rechnen müssen - Protektionismus, Einflußnahme auf den Kapitalverkehr und auch die näheren Umstände des weiteren Verfahrens in der EG sind noch längst nicht geklärt. Helmut hat vorsichtshalber erklärt, daß Margret trotz der unerfreulichen Ereignisse in Maastricht schon eher wieder zu seinen Busenfreundinnen zählt, und "Achsen" habe es in Europa selbstverständlich noch nie gegeben, noch seien sie jemals intendiert gewesen.