Info

Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1981 erschienen.

Systematik

Milliarden-Anleihe bei den Saudis
HILFE ZUR ANPASSUNG

Im Elsaß haben Schmidt und Giscard bei ihrem letzten Treffen bekanntgegeben, daß sie bei den Ölstaaten zur Förderung ihrer Volkswirtschaften Kredit aufnehmen wollen. Die Bundesrepublik bekommt durch Ausgabe von Schuldscheinen 6,3 Mrd., Frankreich ebensoviel. Hierzulande sollen diese Gelder von der dem Staat zugehörigen Kreditanstalt für Wiederaufbau - einer Institution des "European Recovery Program" - an die als förderungswürdig anerkannten Kapitalisten zinsverbilligt weitergegeben werden. Dieser eigentlich simple Vorgang fand großes Echo nicht dafür zuständiger Öffentlichkeit - "politisches Novum" -, und es wurde ihm sogar "zukunftsweisende Qualität" zugesprochen.

"Kein Konjunkturprogramm"

Damit keine Mißverständnisse aufkommen, grenzt die Bundesregierung diesen Beschluß gleich gegen "Konjunkturprogramme alten Stils" ab. Es geht nicht wie sonst in Zeiten konjunktureller Flaute darum, die Gewinnlage der Unternehmein zu verbessern und sie dadurch zu vermehrter Investition anzuregen: Erstens können die Kapitalisten und ihre Verbände selbst "keinen konjunktur-politischen Handlungsbedarf" entdecken und bekunden rege "Investitionslust", zweitens wird diese neuartige Subvention nur an schon laufende oder beschlossene Investitionsprojekte vergeben (bis zu 8 Millionen DM) - was daraufhin beschlossene und eventuell zurückdatierte Investitionen selbstverständlich nicht ausschließt.

Es geht also in dem von der Regierung beschlossenen Vorhaben ausdrücklich nicht darum, Wirkungen der Konjunktur aufzufangen, indem der Staat an notleidende Unternehmen oder Branchen Aufträge vergibt bzw. "Erhaltungssubventionen" ausschüttet - mittlerweile abfällig "Gießkannen-Subventionen" genannt -, und es wird von Staat und Presse viel Mühe auf diese Abgrenzung von früheren Konjunkturprogrammen verwendet. Radikal befindet der Staat eine "Umstrukturierung" seiner Volkswirtschaft für nötig und ermuntert seine reichtumschaffenden Bürger, sich auf künftige Auseinandersetzungen neuen Stils mit den ausländischen Konkurrenten einzustellen.

Die Förderung des "Umstrukturierungsprozesses der deutschen Wirtschaft"

In einem Zustand, wo die Konkurrenz schon auf vollen Touren läuft und rationalisiert wird, wohin man auch blickt, macht der Staat mit seinem Kredit-Investitionsprogramm den Unternehmern ein Angebot. Diejenigen, die sich in "Zukunftsinvestitionen" engagieren, bekommen ein Zuckerbrot.

Beispiel: Kapitalisten, die Energieeinsparungen durchführen - für den Staat - Entlastung der Zahlungsbilanz, Schonung der Währungsreserven, verbesserte Möglichkeit, ausländisches Geld für die inländische Staatsverschuldung zu bemühen - oder energieeinsparende Techniken in Produkte umsetzen, werden in den Genuß des billigen Kredits kommen. Angesichts der überall durch die Staaten betriebenen Öl- und Energieverteuerung sinnen die Kapitalisten auf Energiekostensenkung, insbesondere durch Ölsubstitution, sehen sich also in ihrem kostpreissenkenden Bemühen vom Staat unterstützt. Zum zweiten läßt sich mit dem Verkauf entsprechender Verfahren ein zukunftsträchtiges Geschäft machen.

Beispiel: Anschaffung und Produktion neuer Kommunikationstechniken haben den staatlichen Segen. Verschiedene neuartige Produkte der Elektroindustrie lassen sich mittlerweile profitgünstig herstellen und auf einen "aufnahmebereiten" Markt werfen. Voraussetzung dafür ist eine entsprechende Grundlageninvestition des Staats für die gesamte Industrie, z.B. die neuen Lasertechniken der Bundespost und der Ausbau ihrer EDV-Technik, die gesellschaftliche Zirkulationskosten Hand in Hand mit den Neuentwicklungen der elektronischen Industrie einsparen helfen, und zwar in großem Maßstab. Über die Vorteile von Bildschirmkonferenzen statt Geschäftsreisen und von Abwicklung des gesamten Geschäftsverkehrs über EDV und Glasfaserleitungen weiß mittlerweile der letzte Manager Bescheid.

Die beiden Beispiele von für förderungswürdig erachteten Investitionen illustrieren, daß der Staat sie unter einem Gesichtspunkt betrachtet: Springen dabei den "Leistungsgrad" der gesamten Volkswirtschaft steigernde Kostenverbesserungen heraus? So kontrolliert er also bei der Kreditvergabe die Kapitalisten, ob die aufgenommenen Gelder ihren individuellen Erfolg im Einklang mit dem nationalen Bestreben wahrscheinlicher machen.

"Marktgerechte Investitionslenkung"

Damit mischt sich der Staat anders als früher in den Investitionsprozeß ein. Er forciert die technologische Aufrüstung der deutschen Wirtschaft, unterstützt die Anhebung des Produktivitätsstandards gegen die ausländischen Konkurrenten, indem er die Investitionen belohnt, die sich "auf längere Sicht" als durchschlagend in der Konkurrenz erweisen sollen. Die von den Kapitalisten schon betriebene Modernisierung der Produktion treibt er, die nötigen "Anreize" gebend, gleich noch um einen entscheidenden Schritt voran, und zwar über das hinaus, was das unmittelbare Geschäftsinteresse dem einzelnen Kapitalisten als notwendig und wünschenswert erscheinen läßt. Der Staat betätigt sich sozusagen als ideeller Gesamtkapitalist für sich selbst, indem er in Bereichen, die er als zukünftig entscheidend und zugleich die technologische Umwälzung der Unternehmen fördernd ansieht, massiv und gezielt eingreift: Nicht 20 Mrd. werden zur Förderung der Konjunktur ausgeschüttet, sondern eben die 6,3 Mrd. an diejenigen vergeben, die sich um die produktiven Grundlagen der Nation verdient machen. Unter dem allgemeinen Beifall der Presse macht die Wirtschaftspolitik Schritte, die sich in so manchem Lehrbuch in den Kapiteln "geplanter Kapitalismus" und "Investitionslenkung" finden und dort immer sehr negativ beurteilt werden, von wegen unternehmerischer Initiative und so.

Ohne Zweifel handelt es sich bei diesen zinsverbilligten Krediten um die selektive Unterstützung unternehmerischer Investitionspläne, wenn die Regierung sich nämlich vorbehält, jede einzelne Investition einzeln abzusegnen. Vorausgesetzt ist, daß die Unternehmer selbst tätig werden (können), daß sie selbst das für die Umstellung der Produktion notwendige Kapital aufbringen. Die Kapitalisten sind also einer Kontrolle zu unterwerfen, die nicht das Kriterium des Gewinns als erstes betont - dieser wird sich dann schon einstellen, wenn der staatlich betriebene Aufrüstungsprozeß erste Früchte trägt.

"Ein Programm für den Mittelstand"

Diese Absichtserklärung wurde verschiedentlich bezweifelt, weil sich die journalistische Vorstellungskraft beim Stichwort "Stärke des deutschen Kapitals" ja gerne bei den bekannten Großunternehmen aufhält. Für diese sind jedoch 8 Millionen zwar willkommen, aber auch nicht mehr als ein Zubrot, was darauf hinweist, daß der Staat sich der Bedeutung seiner Mittelstandsbetriebe (bis etwa 1100 Arbeiter) sehr wohl bewußt ist. Diese machen mit ihrer breiten Variation an Exportprodukten und in der kostengünstigen Funktion als Zulieferer das "backbone of german industry" (Times) aus, und in gerade dieser volksvirtschaftlich segensreichen Wirkung will der Staat sie vorangebracht wissen. Daß darüber der schon laufende Prozeß von Rationalisierung und Fusionierung nur beschleunigt wird, daß also gerade infolge des Investitionsprogramms so manches Unternehmen sich als Klitsche herausstellen wird - es kann die nötigen "Vorleistungen" für die Subvention nicht aufbringen -, ist keine Frage, weil hier der Staat im Unterschied zum "Gießkannen-Prinzip" die Leistungsfähigkeit explizit zum Kriterium seiner Unterstützung macht, somit manchem mittelständischen Betrieb durch Nicht-Vergabe des Zuschusses einen massiven Wettbewerbsnachteil ungerührt zufügt. So betrachtet ist das "Mittelstandsprogramm" selbstverständlich auch eines für die Großen der Industrie, denen sich so manche günstige Konkursmasse zum Kauf anbietet.

Die Banken

erhoben natürlich ihre Stimme gegen diesen "Eingriff in die freien Selbstregulierungskräfte des Kapitalmarktes", schließlich hät der Gewinn aus Kredit(bedürfnis) in erster Linie ihnen zuzukommen bzw. der Staat ihnen nicht einen Teil potentieller Kunden abspenstig zu machen.

Größere Feindschaft wollte jedoch nicht entstehen. Erstens ist das Kreditgeschäft der Banken sowieso gesichert und man denke an die vielen, sich zwangsläufig anschließenden "Nachfolgeinvestitionen", die entsprechend Kreditnachfrage hervorrufen werden. Zweitens: Wo anders, denn bei den Banken, sollen sich die 6,3 Mrd. schließlich niederschlagen? Die industriellen Kapitalisten werden das zusätzliche Geld wohl kaum in ihren Tresoren aufheben. Womit sich ein weiteres Moment des "Paradoxons" erklärt, warum in der BRD einerseits ein "angespannter Kapitalmarkt" existiert, andererseits flotter Kapitalexport stattfindet: Der Kreditbedarf läßt sich - mit tatkräftiger Unterstützung des Staates - offensichtlich decken, ohne daß die lukrativen Zinsgeschäfte im Ausland eingeschränkt werden müßten.

Die Konkurrenten

sind weniger glücklich, denn sie haben dieses Programm genauso verstanden, wie es gemeint ist: eine Kampfansage der beiden potentesten "Partnerstaaten" gegen den Rest der EG.

Zu gerne würden sie die Vorzugsbedingungen einer Kreditaufnahme bei den Öl-Staaten und die damit ermöglichte Unterstützung des eigenen Kapitals auch nutzen. Frankreich schätzte sich also glücklich, die Anleihe zu einem Gemeinschaftsgeschäft zu machen - Giscard gab damit sogar mächtig während seines Wahlkampfes an -, andrerseits verkündete er sogleich, man werde die eigene Hälfte insbesondere dazu verwenden, das französische Bruttosozialprodukt um 0,5 Prozent schneller wachsen zu lassen als das - deutsche. Dafür will die französische Regierung exakt dieselben wirtschaftsfördernden Maßnahmen wie die bundesrepublikanische ergreifen mit einem kleinen Zusatz, nämlich den Vorteil der vergleichsweise entwickelteren Atomenergie noch stärker zur Geltung zu bringen. Die italienische Regierung zog hieraus gar nicht zu Unrecht den Schluß, daß der hier erfolgte Zusammenschluß der beiden führenden Nationen der EG zu einer Kernmannschaft des Wirtschaftsbündnisses für die EG nichts Gutes bedeute. Und zwar deswegen, weil Italien dabei ausgeschlossen wurde; dabei hätte es zu gerne unter dem Signum EG die Vertrauenswürdigkeit der beiden Partnerstaaten fürs Hereinlenken von Kapitalströmen mit ausgenutzt. Der Hinweis, daß es sich bei der Gemeinschaftsanleihe um einen Verstoß zumindest gegen den "Geist der EG" handele, wurde freilich keiner Erwiderung bedacht: Die Zeiten haben sich eben auch in der EG geändert und mit idealistischen Sprüchen, die früher sehr wohl ein Mittel der Auseinandersetzung innerhalb des Bündnisses waren, obwohl man ihnen damals genauso die niedere Absicht anmerkte, sind keine Punkte mehr zu machen.

Aktuelles P.S.

Der Ausgang der französisctien Präsidentenwahl hat zur Konsequenz die Rücknahme der französischen Beteiligung an der Anleihe gehabt. Dies ändert zwar nichts an ihrer nutzbringenden Anwendung hierzulande, wirft aber auf das partnerschaftliche Konkurrenzverhältnis zwischen den beiden "Kernnationen Europas" ein anderes Licht.

"Die neue Postanleihe hat ein Volumen von 900 Mio. Mark, wovon 150 Mio. zum Zwecke der Marktpflege sowie für Einrichtungen der Post reserviert bleiben. Die Emission der Post stellt übrigens einen neuen Nachkriegsrekord dar: noch niemals ist eine öffentliche Emission mit einem so hohen Nominalzins an den Markt gebracht worden." (Süddeutsche Zeitung, 13.5.81)