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Der Dritte Weltkrieg (II)
GEGEN WEN ER GEHT UND WARUM
Jede Aussage über die Sowjetunion, jedes Urteil über den östlichen Staatenblock und dessen Politik sieht sich prompt mit der direkten oder heimlichen Frage konfrontiert, ob man denn nun etwas dafür oder dagegen gesagt haben will. Dieser bei keinem anderen Sachverhalt so unmittelbar und gebieterisch ausgeübte Zwang zur Parteilichkeit ist wohl die anschaulichste Vorführung der Botmäßigkeit demokratischen Denkens in der BRD. Seit die Linke sich entschieden undogmatisch erst von den Vorbildern einer arbeiterfreundlichen Herrschaft und jetzt auch von der Arbeiterklasse selbst verabschiedet hat, sind auch dort die letzten Schamgrenzen gefallen. Nach dem Bahro'schen Muster, daß "die Linke" auf jede "Frage" bürgerlicher Herrschaft eine "Antwort" parat haben muß, sich also erst einmal mit tiefem Verständnis für die Notwendigkeiten unseres Staatswesens auszuweisen hat, ist es beschlossene Sache, daß das "bürgerliche Lager" den Antikommunismus, Unterabteilung Russenhetze, nicht gepachtet haben darf. Stellvertretend für andere und mit einer Widmung an Rudolf Bahro versehen hat Renate Damus 1978 Selbstkritik geübt:
"Mit wenigen Ausnahmen... hat die Linke die bürgerlichen Systemkritiker an und in den osteuropäischen Staaten der hiesigen bürgerlichen Presse überlassen... Bezogen auf die liberale Opposition (z.B. Mitglieder der Charta 1977 in der CSSR)... bedarf es einer aktiven Solidarisierung..."
Mittlerweile ist ja auch die Linke soweit, den drohenden Ausruf "Afghanistan" für ein Argument zu halten. Daß uns so ziemlich jede Art von Herrschaft unsympathisch ist, braucht die MSZ nicht eigens zu betonen. Gerade deshalb aber weigern wir uns, jeden Versuch zu einer politischen Auseinandersetzung mit der Sowjetpolitik gleich vom Diktat der Verurteilung erschlagen zu lassen, weil das schließlich nichts anderes ist als das platte Treuebekenntnis zur hiesigen Form der Herrschaft, der BRD, ihrer Schutzmacht und schließlich der heiligen Allianz in der NATO, die diese "Werte" "verteidigt".
Die gehobenere Form der Parteilichkeit bedient sich mit der vielfältig variierten Theorie der Supermächte, Großmächte etc. der ebenso produktiven wie falschen Methode des Vergleichs, um entweder ausgehend von einer als Identität beider Staaten unterstellten Abstraktion wie 'Aggressivität' oder 'imperiale Bestrebungen' oder 'Hegemonie' graduelle Unterschiede auszumachen, wer jetzt gerade mehr aggressiv oder defensiv sei, damit heimlich nichts anderes als die Schuldfrage zu erörtern, d.h. theoretisch die Legitimation des III. Weltkriegs vorwegzunehmen. Oder man schlägt sich ganz "neutral" auf die Seite der "Kleinen", konstatiert, daß, wo zwei "Großmächte", da auch "Spannungen" oder "Rivalitäten", die sich wechselseitig - jede Aktion ist bloß Reaktion usf. - ganz unausweichlich hochschaukeln, womit auf jeden Fall das gute Gewissen mit der eigenen Ohnmacht, bzw. der Ohnmacht des nationalen Machtapparates gerettet wäre; der ist so klein, daß er überhaupt gar nichts Böses wollen kann, und bekommt so für seine imperialistische Schützenhilfe die Generalabsolution erteilt.
Es ist zwar nicht möglich, die Außenpolitik der UdSSR zu kritisieren, ohne dabei auf die USA zu sprechen zu kommen; im Gegensatz aber zu der bürgerlichen Betrachtungsweise, die mit der Abstraktion zweier Großmächte die sehr unterschiedlichen politischen Zwekke ignorieren will, kann eine rationelle Erklärung der Außenpolitik nicht darauf verzichten klarzustellen, um was für eine jeweils verschiedene Sorte Herrschaft es sich handelt, in welchem Verhältnis zu ihrer Gesellschaft sie steht und mit welchen politischen Absichten und Mitteln sie sich deshalb in Beziehung zu anderen Staaten setzt. Was die USA betrifft, verweisen wir daher auf die Ableitung des Imperialismus in Resultate Nr. 4, "Imperialismus 1" und Resultate Nr. 5 "Imperialismus 2". Während dort ausgeführt wird, wie sich der Imperialismus, die Herrschaft des Kapitals, in der Konkurrenz der Staaten betätigt und diese zu dem Resultat der Weltmacht USA geführt hat, steht die Herrschaft der Sowjetunion und ihrer Bündnisstaaten nicht für die Akkumulationsbedürfnisse des Kapitals. Daß dort die Freiheit des Eigentums durch das staatliche Monopol über die Produktionsmittel, damit über Produktion und Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, ersetzt worden ist, und auf diese Weise die Reichtümer dieser Gesellschaften dem "Markt", d. h. der freien Benutzung durch das Kapital entzogen sind, dieser Ausschluß ihrer Herrschaftsgebiete aus dem Weltmarkt stellt ja gerade das ganz grundsätzliche Ärgernis für die imperialistische Politik dar. Bezogen auf die Ableitung des Imperialismus heißt dies, daß eine Erklärung der Sowjetaußenpolitik überhaupt erst in Paragraph 4 ("Die Emanzipation der politischen Gewalt vom Geschäft, das sie sichert: Militär - Diplomatie - Krieg") beginnt, also mit der prinzipiellen Kriegserklärung, mit der der Imperialismus die Umgestaltung ihrer Herrschaft nach innen konfrontiert hat und als Ost-West-Gegensatz bis heute konfrontiert. Urheber dieses Gegensatzes ist der Imperialismus, und die Politik der Sowjetunion ist, soweit wirklich Reaktion, allerdings eine Reaktion, die sich genausowenig darin erschöpft, Opfer zu sein - das noch einmal gegen die Schuldfrage andersherum -, sondern sich mit dem ganzen Instrumentarium revisionistischer Politik auf die Bewältigung dieses Gegensatzes einläßt. Die Paragraphen 1 ("Die Überwindung der Schranken nationaler Akkumulation"), 2 ("Die Besonderheiten des Weltmarkts"), 3 ("Die Unterwerfung fremder Nationen unter die Bedürfnisse des Kapitals") und 5 ("Kulturimperialismus") ergeben sich in der sowjetischen Politik erst vom Standpunkt des ihr aufgezwungenen Paragraphen 4 und fallen dementsprechend auch völlig anders aus.
Die bisherige Namengebung für die Sowjetpolitik, die die Linke entwickelt hat - "Sozialimperialismus", "Sozialfaschismus", "bürokratischer Kapitalismus" (das mit der "asiatischen Produktionsweise" lassen wir wegen seiner kulturimperialistischen Idiotie draußen) -, verbindet die schwerlich zu bestreitende Ahnung davon, daß es sich um eine irgendwie anders geartete Herrschaft handelt ("Sozial..."), mit dem unbedingten Wunsch, die Denunziation loszuwerden, daß die Russen auch nicht besser, mindestens genauso schlimm (Imperialismus), wenn nicht schlimmer (Faschismus) als die Demokratie und der Kapitalismus seien. Obwohl es für die Erklärung ziemlich egal ist, wie die Sachen heißen, der Unterscheidung halber behalten wir den Namen Imperialismus der Herrschaft des Kapitals vor.
Eine letzte Abteilung Urteile über die Sowjetunion will ihr in allen Abteilungen "Schwächen" ankreiden, womit in der bürgerlichen Hetze die Vorbildlichkeit der hiesigen Herrschaft herausgestellt wird. Die linke Kritik läuft eigentlich ziemlich auf dasselbe hinaus, wenn sorgenvoll die mangelnde Überzeugungskraft des sowjetischen "Modells" in der Dritten Welt oder die "Effizienzprobleme" der Planwirtschaften erörtert werden, die letztlich nur durch "Dezentralisierungen" oder "Liberalisierungen" zu beheben sein sollen. Diese Variante des Vergleichens legt an die Sowjetunion den Maßstab der gelungenen bürgerlichen Herrschaft an und legt mit der Begutachtung von Potenz/Impotenz bloß Zeugnis von der Bewunderung ab, die man den Leistungen des Imperialismus gegenüber hegt.