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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1981 erschienen.

Systematik

Tarifrunde '81 beendet
"EINE DER HÄRTESTEN TARIFRUNDEN..."

"Der Kampf gegen Reallohnabbau und soziale Demontage muß mit den Mitteln der gewerkschaftlichen Tarifpolitik geführt werden." (Loderer, am 10.5. in Osnabrück)

"Eine der härtesten Tarifrunden der Nachkriegszeit" (Janssen, IG Metall) ist vorbei. Indikator für die "Härte" ist die Dauer, die ihrerseits zum Mittel der Reallohnsenkung durch die Gewerkschaft gemacht wurde.

Die wenigstens bei der IG Metall noch kunstvoll zu 5-Prozentern geschnürten Pakete enthalten allesamt Pauschalbeträge für die tariflos verstrichenen ersten Monate des Jahres. Dabei sollen selbstverständlich die 160.-- DM für Februar und März zu den 4,9% dazu gerechnet werden. Ganz entgegen der Logik, mit der die Trennung zwischen Pauschalzahlung und prozentualer Tariflohnerhöhong für die restlichen 10 Monate in die Tarifrunde eingeführt wurde: Sie diente jedesmal als Mittel, um mit der Tariflohnforderung noch weiter herunterzugehen. So fiel es beispielsweise dem obersten Arbeitgeber der öffentlichen Arbeiter und Angestellten, Minister Baum, bei der Klunckerschen Alternative:

"Entweder 4,5 Prozent linear, ohne etwas dazu, oder 4,3% plus zweimal 120 DM." (Handelsblatt)

nicht schwer, sofort zuzuschlagen:

"Baum schienen dann die 4,3 Prozent mit dem Einmalbetrag doch 'verlockender' als die 4,5 Prozent." (Handelsblatt)

Der Erfolg...

Die mit viel "neuer Beweglichkeit" über Monate hinweg gestreckte Tarifrunde produziert inzwischen selbst die Anlässe und "Begründungen", mit denen der national erwünschte Lohn weiter abgesenkt werden kann.

So gab des weiteren das allgemeine Aufatmen nach dem Sindelfinger Pilotabschluß das gleichfalls allgemein nicht dem Inhalt des dort erzielten Ergebnisses galt, sondern dem Umstand, daß überhaupt abgeschlossen worden war - den übrigen Gewerkschaften die wunderschöne Gelegenheit, sehr prompt Abschlüsse zu tätigen, die noch einmal um einige Prozentteile unter dem "Piloten" lagen, und zwar ohne daß dies irgendwo mit hat, sondern umgekehrt ab sofort mit seinem Emkommen ohne jedes ideologische Getue in die nationale Pflicht genommen gehört. Das hört sich von seiten des Kapitals so an:

"Trotz des unbefriedigenden Ausgangs der Lohnrunde 1981 glaubt Stihl (Steinkühlers Tarifpartner), 'den Beginn einer Trendwende erkennen zu können'. So habe es sich gezeigt, daß die IG Metall ihre Augen nicht vor wirtschaftlichen Gegebenheiten verschließt. Sonst hätte sie nicht einem Ergebnis zugestimmt, das erstmals in der Nachkriegszeit unter det aktuellen Inflationsrate liege." (Handelsblatt)

Und das klingt bei der Gewerkschaft so:

"Die IG Metall habe immer wieder erklärt, daß diese Formel (das 2,5%-Angebot des Kapitals) unter keinen Umständen akzeptabel sei. Sie habe ihre Vorstellung vom Minimalkonsens, der ungefähr in der Höhe des jetzigen Abschlusses gelegen habe schon vor Monaten angedeutet. Die richtige Zahl sei also immer wieder signalisiert worden, doch hätten die Arbeitgeber sie nicht begreifen wollen." (Janssen, im Handelsblatt)

Entsprechend der "Trendwende" fallen die Beurteilungen des Resultats in diesem Jahr auch anders aus. Überraschend die gleichlautende Beurteilung des Abschlusses durch die Tarifpartner. Beide erklären - und dies im übrigen jeder Logik hohnsprechend auch noch für beide Seiten -, die Lohnrunde sei kein Erfolg, das Ergebnis könne niemanden befriedigen usw. Aus der üblichen Rollenverteilung herausgefallen ist da zunächst die Gewerkschaft, die das Gezeter des Kapitals über den immer zu hohen Abschluß sonst regelmäßig mit ihrem Siegesgebrüll über einen Abschluß, der sich sehen lassen könne, komplettierte. Niederlagen auf beiden Seiten? Wie soll das gehen? Da sich natürlich an der alten Rollenverteilung zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberseite doch nichts geändert hat, besteht diesmal der Sieg der Gewerkschaft gerade in dem offenen Eingeständnis, für ihre Leute nichts herausgeholt zu haben. Das ist neu und zeitnah: Das allseits zum besten gegebene Eingeständnis einer Niederlage n Sachen Arbeiterlohn ist der Sieg für eine Gewerkschaft, die die Tarifrunde benutzt hat, um ihre ökonomische und politische Verantwortung und Verantwortlichkeit für Deutschland in Konkurrenz zu den verantwortungslosen Unternehmern unter Beweis zu stellen. Und das ist so überzeugend gelungen, daß sich die Gewerkschaft nicht nur in Bonn, sondern auch beim Klassengegner der von ihr vertretenen Arbeiter ein schon gar nicht verstecktes Kompliment abholen konnte: "der Beginn einer Trendwende ist erkennbar..." ( Stihl, Metallindustrieller)

Also, die IG hMetall ist "rundum zufrieden", wie der Erfinder der "neuen Beweglichkeit" und Tarifexperte Janssen verrät:

"'Ich bin rundum zufrieden mit dem Verlauf (!) dieser Lohnrunde. Ich bin froh (froh, froh, benedicamus domino!), daß die neue Beweglichkeit, die ich maßgeblich mitzuentwickeln mir Mühe gegeben habe (Pfui, Deibel, wie der schon redet!), zu diesem Abschluß geführt hat.'... Durch die Warnstreiks sei die Konsequenz des Flächenstreiks vermieden worden."

Klartext: 'Wir haben alles getan, um Schaden von der Nation und ihrer Ökonomie abzüwenden. Als das Kapital uns zu Flächenstreiks zwingen wollte, sind wir standhaft geblieben. Wir sind auf die Provokation der Gegenseite, uns als bornierte Interessenvertretung der Arbeiterklasse zu entlarven, nicht hereingefallen. Weswegen sie auch schließlich klein beigeben mußten. Hurra!

Oder noch einmal in Janssens Worten, die sich wie eine Glrsse der MSZ zur Tarifrunde 1979 lesen:

"Die von den Arbeitgebern beabsichtigte ultimative Wende in der Tarifpolitik verhindert zu haben, sei der eigentliche Erfolg dieser Tarifrunde, der unter ungünstigen Umständen vielleicht nicht einmal den Reallohn der Arbeitnehmer garantiere." (Handelsblatt)

...und die Folgen

Der monatliche Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" über die Entwicklung der Verbraucherpreise stellt fest:

"Im Sog des Heizöls sind auch die Preise der anderen Haushaltsenergien, vor allem von Kohle und Strom stark nach oben angezogen. Sie haben sich binnen Jahresfrist um jeweils 7 Prozent und mehr verteuert... Der Lebensmitteleinzelhandel berichtet von einer regelrechten 'Preiswelle' für Nahrungs- und Genußmittel (plus 5 bis 7 Prozent); nach der Verteuerung der Milchprodukte träfen jetzt die neuen Preislisten auch für Brot- und Backwaren sowie für Fleisch und Fleischwaren ein... Für Tomaten muß die Hausfrau mit durchschnittlich 7,77 DM je Kilogramm gut ein Drittel mehr bezahlen. Kartoffeln kosten mit 2 DM je 2,5 Kilogramm rund 16 Prozent mehr..."

Und überschrieben ist das folgendermaßen:

"NACH DER TARIFRUNDE DIE KALTE DUSCHE"

Die Widerlegung dieses noch jedes Mal abgefeuerten "Schreckschusses der Kapitalisten und ihrer ökonomischen Sykophanten " soll dem ersten Kritiker dieser sogenannten Lohn-Preis-Spirale überlassen werden:

"Oder man sagt: Steigt der Arbeitslohn, so erhöhn die Kapitalisten die Preise ihrer Waren. ...

Antwort: Wenn es in der Hand der kapitalistischen Produzenten stände, beliebig die Preise ihrer Waren zu erhöhn, so könnten und würden sie das tun auch ohne Steigen des Arbeitslohns. Der Arbeitslohn würde nie steigen bei sinkenden Warenpreisen. Die Kapitalistenklasse würde sich nie den Trade-Unions widersetzen, da sie stets und unter allen Umständen tun könnte, was sie jetzt ausnahmsweise unter bestimmten, besondren, sozusagen lokalen Umständen wirklich tut - nämlich jede Erhöhung des Arbeitslohns benutzen, um die Warenpreise in viel höherem Grade zu erhöhn, also größern Profit einzustecken. ... Der ganze Einwurf ist Schreckschuß der Kapitalisten und ihrer ökonomischen Sykophanten.

Die Tatsachen, die den Vorwand zu diesem Schreckschuß liefern, sind dreierlei Art:

1. Es ist ein allgemeines Gesetz der Geldzirkulation, daß, wenn die Preissumme der zirkulierenden Waren steigt..., bei sonst gleichbleibenden Umständen die Masse des zirkulierenden Geldes wächst, Es wird nun die Wirkung mit der Ursache verwechselt. Der Arbeitslohn steigt (wenn auch selten und nur ausnahmsweis verhältnismäßig) mit dem steigenden Preis der notwendigen Lebensmittel. Sein Steigen ist Folge, nicht die Ursache des Steigens der Warenpreise.

2. Bei einem partiellen oder lokalen Steigen des Arbeitslohns - d.h. Steigen in nur einzelnen Produktionszweigen - kann dadurch eine lokale Preissteigerung der Produkte dieser Zweige erfolgen. Aber selbst dies hängt von vielen Umständen ab. Z.B. daß der Arbeitslohn hier nicht abnorm gedrückt und daher die Profitrate nicht abnorm hoch war, daß der Markt für diese Waren sich nicht verengt durch die Preissteigerung etc.

3. Bei allgemeiner Erhöhung des Arbeitslohns steigt der Preis der produzierten Waren in Industriezweigen, wo das variable Kapital vorherrscht, fällt dafür aber in solchen, wo das konstante resp. fixe Kapital vorherrscht." (K. Marx, Kapital Bd. 2, S. 340 f.)

Gerade weil das "Steigen des Arbeitslohns Folge und nicht die Ursache des Steigens der Warenpreise" ist, geriete der "Schreckschuß" der Kapitalisten dann zu einem Schuß in den Ofen, wenn diese es mit einem Tarifpartner zu tun haben, der aus Gründen nationaler Verantwortung und kapitalistischer Vernunft selbst auf eine Reallohnsicherung verzichtet. Wenn also die Lohnsteigerungsrate immer mehr hinter dem zurückbleibt, was das Kapital sich an Steigerungsraten der Warenpreise leisten kann, dann taugt die Ideologie der Lohn-Preis-Spirale nicht mehr. Toni Schmücker, VW-Chef, hat rechtzeitig gemerkt, daß die Aussicht auf eine Nullrunde beim nächsten Tarifstreit zwar sehr zu begrüßen, aber deswegen noch lange keine Nullrunde in Sachen VW- und Audi-Preis zur Konsequenz haben müsse. Folglich erklärt er zu der diesjährigen Preiserhöhung von VW und Audi um 3,9%, daß es sich um eine Preiserhöhung handele, die "unabhängig von der Tarifrunde beschlossen worden sei".

Es ist der Gewerkschaft 1981 zu verdanken, daß das Kapital auf die Jahrhundertideologie in Zukunft getrost verzichten kann. Ein erstaunlicher Erfolg praktischer Ideologiekritik!

In die Haare geraten ist man sich nur noch nach dem Abschluß in den Reihen der Unternehmer: Als Auftakt einer noch erfolgreicheren Tarifrunde '82 kündigten einzelne Regionalverbände dem Dachverband die Verhandlungsvollmacht.

Bleibt noch die "Milliardenlücke bei der Bundeswehr" zu schließen. Das letzte Kapitel der Tarifrunde schließt nahtlos an das erste an: Wenn es eine "Milliardenlücke bei der Bundeswehr" gibt, weil die "höheren Treibstoffkosten zu Buche schlagen" und unsere Truppe wegen Benzinmangel nicht für die "ständige Verteidigungsbereitschaft garantieren" kann, dann ist die Frage mehr als berechtigt: "Droht neue Erhöhung der Steuern? (Weser Kurier) Die erste hat nämlich prima geklappt. Die Tankstellen sind nirgendwo besetzt und geplündert worden. Allenfalls hat sich das volkstümliche Energiesparprogramm - man setze die Preise drastisch durch Steuern hoch, dann fährt die Menschheit mehr mit dem Fahrrad und "wir" sind nicht mehr so abhängig von den Ölscheichs und ihrem Inflationsimport - als staatliche Mindereinnahme bemerkbar gemacht, weswegen ja jetzt auch vielleicht wieder die Benzinsteuern erhöht werden sollen, damit Hans Apel Benzin für seine durstigen Leos kaufen kann.

Und was hat das alles mit der Tarifrunde zu tun? Die Antwort auf diese Frage hat Franz Steinkühler am 1. Mai gegeben:

"Nicht nur die Kriegshelden, sondern auch und erst recht die in den Fabriken umgekommenen Arbeiter haben Denkmäler verdient!"

Widerspruch bedacht worden wäre. Wenn auf der einen Seite der Steinkühler am 1. Mai in München aus der Differenz zwischen 4,8%-Angebot und 4,9%-Abschluß den Gegensatz von Billiglohnland und Lohnparadies bastelt und auf der anderen Seite im Stahlbereich umstandslos mit 4,6% (Pauschalbetrag 50,-- DM) und von der ÖTV mit 4,3% (Pauschalbetrag 120,-- DM) abgeschlossen wird, dann ist das nur für denjenigen verwunderlich, der die Tarifrunde immer noch am längst überholten Maßstab des Lohns, seiner Sicherung oder gar seiner Erhöhung mißt.

... für beide Seiten...

Dem ist bekanntlich nicht so, was vor, während und natürlich erst recht nach der gelaufenen Tarifrunde kein Geheimnis war und ist. Es ist in dieser Tarifrunde festgeschrieben, daß der westdeutsche Arbeiter und Angestellte nicht nur keinen Anspruch auf Kompensation der politischen (Steuer, Preise, Abgaben) und ökonomischen (Leistung-Lohn-Relation, Preise ) Einkommenskürzung