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Polen
EIN VORMILITÄRISCHER SIEG DER ENTSPANNUNGSPOLITIK
An, der Herstellung der jetzigen Lage in Polen waren genau vier Parteien beteiligt: Das VOLK hat gearbeitet, gebetet und sich angesichts seiner zunehmenden Verelendung zu einem Aufstand entschlossen. Die REGIERUNG hat auf die Arbeit aufgepaßt, sich mit Akteur 3 und 4 über die Verteilung der Früchte der Arbeit und deren Vermehrung geeinigt und seit dem Aufstand darum bemüht, ihr Volk wieder zu diszipliniertem Arbeiten anzuhalten. Akteur 3 sind die SOWJETS, seit der Gründung der Volksrepublik der lebhafteste Interessent an einem gelungenen Zusammenspiel von Volk und Staat, und Akteur 4 der WESTEN, allen voran die BRD, der Handelspartner der Volksrepublik. Diese 4 Parteien stellen jetzt das, was sie zustandegebracht haben, die Ruinierung nicht nur eines Volkes, sondern auch einer Volkswirtschaft, als eine Riesenaufgabe dar, der sie sich stellen müssen, und rufen sich reihum zur Verantwortung und Nichteinmischung auf. Bei so viel Einigkeit darin, daß es um die Rettung Polens geht, ist eigentlich ganz unerfindlich, woher denn immer die "Spannungen" kommen, vor denen wiederum alle in ihrer geballten "Hilfsbereitschaft" einmütig warnen.
Die Gewerkschaft unserer Lieben Frau
Die "Solidarität" hat sich recht und schlecht mit der Regierung um Polen geschlagen und so ziemlich als erstes eingesehen, daß Polen eine ausreichende Versorgung seiner Arbeiter mit Fleisch nicht zuzumuten ist. Den nationalen Notstand, den die Regierung wieder und wieder erfolgreich vorstellig gemacht hat, nicht als Resultat ihrer Wirtschafts- und Exportpolitik, sondern als Folge einiger Fehler und vor allem der Unruhe und Anarchie im Lande, hat die "Solidarität" korrekt, als Herausforderung an ihre Verantwortlichkeit verstanden und sich von der beabsichtigten Beweisführung, daß, wo nichts da ist, auch nichts zu erstreiken ist, überzeugen lassen. Einem Volk, das es dem Verteidigungsminister als Patriotismus anrechnet, wenn er Soldaten Urlaub gibt, um die Äcker zu bestellen, einem solchen Volk scheint ein Gedanke unerreichbar zu sein: daß, wenn man genug zum Fressen haben will, 1. Patriotismus ein Fehler ist, weil es 2. darauf ankommt, wie und zu welchem Zweck die Äcker bestellt werden, und daß sich die Erzielung hoher Preise, auch unter staatlichem Kommando, mit genügend Fleisch nicht verträgt.
Aber wo die eigene Armut in eine Frage des polnischen Nationalzusammenhaits übersetzt wird, hat sich die "Solidarität" vom Kampf um Errungenschaften für Arbeiter folgerichtig auf einen Kampf um ein armes, aber sauberes Polen umgestellt. So hat sie einen zähen Kampf um ihre Anerkennung als Kontrollinstanz der Regierung, eine Kampagne für anständige Herrschaft geführt, in allen Provinzen korrupte Funktionäre zum Rücktritt gezwungen, Fälle ungerechtfertigter Bereicherung auf Kosten des Volkes aufgedeckt, wobei ab und an für das Volk die Benutzung eines staatlichen Sanatoriums oder die Zuteilung von Funktionärsschinken herausgesprungen ist, und hat sich damit neben einiger Verbitterung in den Reihen der Partei den Vorwurf zugezogen, sie strebe nach "Doppelherrschaft" und maße sich den Status einer "politischen Partei" an. Dies ist wiederum ungerecht, denn wenn auch im realen Sozialismus notwendigerweise jeder organisiert vorgetragene Anspruch der Arbeiter einen politischen Gegensatz zu dessen Alleinvertretern in der Partei aufmacht, so verlangt doch die "Solidarität" nicht mehr, als - nach ihren Vorstellungen - korrekt regiert z u werden.
Auf den genialen Einfall der polnuchen Arbeiterpartei, einen General an die Spitze der Regierung zu rufen, als Repräsentanten staatlicher Ordnung nach innen und nach außen, und einen sogenannten Liberalen, dessen Liberalität im verständnisvollen Repräsentieren der Staatsnotwendigkeiten als Notwendigkeiten einer umfassenden Erneuerung Polens besteht, zum ständigen Gesprächspartner der Gewerkschaft in der Regierung zu ernennen, darauf hat die Gewerkschaft denn auch mit Einsicht reagiert. Für Ordnung ist sie:
"Wir wollen nicht, daß die Behörden schwach sind." (Modzelewski)
"Ich habe es gern, wenn Entscheidungen gefällt werden, unabhängig davon, wie die Entscheidungen ausfallen." (Walesa) -
und für die nationale Wirtschaft auch.
Die Forderung nach 90 Tagen Streikverzicht hat ihr eingeleuchtet:
"Wir müssen der Regierung Ruhe zum Regieren lassen." (Walesa),
aber unter einer Bedingung:
"Wir wollen als Sozialpartner anerkannt und geachtet werden. Das ist der einzige Weg, um aus der Krise herauszukommen." (Modzelewski)
Daß eben diese Bedingung in Bromberg sehr absichtlich verletzt worden ist, - in und außerhalb Polens gibt es genügend Interessenten an einer Konfrontation zwischen Regierung und Gewerkschaft, die mit einem Bürgerkrieg die Notwendigkeit einer neuen Ordnung beweisen würde - hat die Verhandlungsbereitschaft von Regierung und "Solidarität" wird aufs äußerste gefordert. Dabei hat Chefunterhändler Rakowski der Gewerkschaft neben dem "Bedauern der Regierung" versprochen, Fehler zu beichten und Schuldige büßen zu lassen, und sich die Zusicherung geben lassen, daß die "Solidarität" die künftigen Aktionen an der Not- und den -wendigkeiten der Nation bemißt. Durch die Benützung ihres einzigen Machtmittels - so die Logik eines Liberalen - würde sie nur sich selbst treffen:
"Vielleicht wollt ihr beweisen, daß es im Sozialismus keine unabhängigen Gewerkschaften geben kann."
Die Forderung der "Solidarität"
"Wir verlangen, daß die Gewerkschaft volle Garantien für ihre Tätigkeit hat,... daß niemand für seine Gewerkschaftstätiekeit verfolgt werden kann..."
ist zwar nicht erfüllt worden - welche Regierung auf der Welt unterschreibt denn einen Blankoscheck für staatsgefährdende Umtriebe. Aber ein Papier über den amtlich (re)konstruierten Hergang der Polizeiaktion reichte der "Solidarität" als Genugtuung.
Walesa, noch - gemäßigter - Sprecher der "Solidarität", hat die Zeichen der Zeit verstanden. Sie werden ja in aller Breite in der polnischen Öffentlichkeit und in den Verhandlungen hinter verschlossenen Türen diskutiert. Man hat ihm oft genug gesagt, daß zu viel Erfolg seines Vereins auf einen sozialistischen Bürgerkrieg hinausläuft. Und da er seine Nation über alles schätzt, sieht sich mit dem Polen verständigen kann, für wichtiger an als die Durchsetzung seiner Gewerkschaftssache. Als Diplomat der polnischen Arbeiter kommentiert er deren Kampf längst von einem übergeordneten Standpunkt aus. Das Ergebnis der Verhandlungen ist gut, weil es eine "Eingangsverständigung ist, welche die Aufnahme von Verhandlungen mit der Regierung in den Hauptkonfliktpunkten erlaubt." Ausdrücklicher Verzicht auf Streik und Streikdrohung sind geboten, denn Dauergesprächeo mit Rakowski steht nun nichts mehr im Wege. Der Inhalt dieser Gespräche wird abwechselnd der Bürgerkrieg,
"Es ist zu spät. Ein Blutvergießen ist unvermeidbar." (Wer veranstaltet das denn bloß?),
oder der nationale Notstand sein:
"Wegen des unverantwortlichen Vorgehens der Gewerkschaft letsten die westlichen Länder Polen keine Wirtschaftshilfe." (Rakowski)
Die Unzufriedenheit in der "Solidarität" hat deren Führer bislang niedergebügelt, was jetzt schon der ursprünglichen Heldin Anna Walentynowicz das Gewerkschaftsmandat gekostet hat. Walesa beherrscht bereits könnerhaft die Kombination von Rücktrittsdrohungen, kämpferischen Sprüchen, "wir zittern nicht, wir gehen nicht vor ihnen in die Knie" und Aufrufen zu Staatsvertrauen in der Stunde der Not:
"Nicht alle Autoritäten sind Schweine. Die Regierung Jaruzelski ist Polens letzte Chanae, um einer Katastrophe zu entgehen. Jaruzelski kann man trauen."
So weit geht der Nationalismus dieses Arbeiterführers, daß er die Leistungen der polnischen Politik, die er selbst zu spüren bekommen hat, als bloße Fehlleistungen verstanden wissen will.
Ob man Jaruzelski trauen kann, eben daran muß
Die Schutzmacht Polens im Osten,
die Sowjetunion, allmählich immer mehr zweifeln. Ihre Entscheidung, statt frühzeitig zuzuschlagen, auf die Fähigkeit der polnischen Arbeiterpartei zu einer "nationalen Lösung" zu setzen, hat ihr nunmehr eine nationale Lösung beschert, in der nicht nur eine unabhängige Gewerkschaft herumpolitisiert, sondern Studenten sich die Befreiung von obligatorischen Russisch- und ML-Unterweisungen haben zugestehen lassen, private Bauern immerhin einen unabhängigen Verein gründen, der alles andere als das feste Bündnis von Arbeitern und Bauern unter der Führung der Partei im Sinn hat, Parteifunktionäre über Demokratie reden, die Polen bräuchte im Unterschied zu anderen unzivilisierten Nationen - Namen werden keine genannt -, Generäle national-antirussische Politiker vergangener Zeiten hochleben lassen, das Politbüro höchstpersönlich mit "allgemeinen geheimen Wahlen der Parteiorgane und Nicht-Begrenzung der Zahl der Kandidaten" das Demokratische am Zentralismus herauskehrt, und schließlich der Vorsitzende des Journalistenverbands ganz unverblümt der Schutzmacht das Intervenieren untersagt. Denn
"ein Bundesgenosse, auf den man aufpassen müsse, sei keiner, lohne sich nicht in dieser Gegend Europas. Die gegenwärtigen Bedürfnisse und Prioritäten der polnischen Souveränität seien 1. Bewahrung der nationalen Identität. 2. Recht darauf, Sozialismus in einer Weise zu machen, die unseren Traditionen entspricht und auf die Unterstützung der ganzen NaLion zählen kann." (Bratkowski)
Der Beitrag der SU zur Stabilisierung der Lage, Stundung alter Schulden, neue Kredite z.T. ohne Rückzahlungsverpflichtung, also Geschenke, Rohstoff- und Nahrungsmittellieferungen, hat keineswegs den Effekt gebracht, aus Polen in wirtschaftlicher Hinsicht wieder einen brauchbaren Bündnispartner zu machen - da ist Polen vorerst ein Faß ohne Boden -, und die Rückkehr zu politisch zuverlässigen Verhältnissen ist dadurch genausowenig befördert worden.
Was den Auftrag des KPdSU-Parteitags betrifft, "den Gang der Ereignisse umzukehren", der eigens zur Warnung ohne eine Vertrauenserklärung in die Fähigkeit der polnischen Partei zur selbständigen Lösung abgegeben wurde, so hat die polnische Regierung nicht nur nichts umgekehrt, sondern eine Interpretation des Auftrags verlauten lassen, die nach den Spielregeln der Treue zur Sowjetunion nur als Ungehorsam bezeichnet werden kann.
"Gemeint gewesen sei damit die Möglichkeit und Notwendigkeit einer etwas größeren politischen Standhaftigkeit... Sie wolle nicht zurückkehren zu den Zuständen vor dem Juli letzten Jahres; auch sei das angesichts der eingetretenen neuen Entwicklung objektiv unmöglich."
Die Führungsmacht im Ostblock sieht sich nunmehr einem "eigenen Weg" gegenüber, mit dem verglichen der Prager Frühling reine Linientreue gewesen ist, gegen den das Aufstellen des sowjetischen Kriegsgeräts im Land und an den Grenzen als Drohung nichts ausrichtet, und der schließlich den Preis einer militärischen Lösung jeden Tag immer höher setzt. Mittlerweile wäre nicht mehr nur ein Arbeiteraufstand, sondern ein ganzes Volk und eine Partei zu befrieden, die sich sehr eigenständige Vorstellungen vom Sozialismus auf polnische Art macht, und in der selbst westliche Beobachter nur mit Mühe nach einer harten prosowjetischen Linie Ausschau halten, die für eine komplette neue Umbesetzung ausreichen würde. Ganz abgesehen von den anderen ausländischen Freunden Polens und deren angekündigten Formen der Nichteinmischung trifft die Kalkulation mit der Roten Armee als Retter des Sozialismus auf Bedingungen in Polen, die laufend verschlechtert werden. Der erste offizielle Angriff der Prawda auf die polnische Partei - von der gegen eine antikommunistische Veranstaltung an der Warschauer Universität
"keinerlei Abwehr geleistet wurde. Jemand in Polen ziveifelt noch an der Existenz der antisozialistischen Kräfte im Land: Braucht man aber noch irgendwelche Beweise für ihre Existenz und Aktivitäten?" -
konstatiert mit dem Mißtrauen in die Bruderpartei die fortgeschrittene Untauglichkeit Polens als politischem Bündnispartner einschließlich seiner staatstragenden Partei. Diese Feststellung ist allerdings keine Garantie für die friedliche Entlassung aus dem Bündnis.
Die polnische Regierung
hat bisher unbestritten Geschicklichkeit an den Tag gelegt im Umgang mit den Akteuren 1, 3 und 4, Sie hat nämlich entdeckt, daß der nationale Notstand, der Ruin ihrer Ökonomie und die Anfechtung ihres politischen Monopols durch die "Solidarität", auch Chancen bietet. Sie hat die Russen mit der "Solidarität" erpreßt und die "Solidarität" mit den Russen, die Russen und die "Solidarität" mit dem wirtschaftlichen Notstand, der eine Reduzierung der Lieferverpflichtungen und ziemlich unentgeltliche Hilfslieferungen auf der einen und Streikverzicht auf der anderrn Seite erfordert.
Als Antwort au£ die Streikdrohung der "Solidarität" gibt ein Regierungssprecher bekannt, daß die Lebensmittelvorräte nurmehr für 12 Tage ausreichten, womit zumindest sehr absichtlich Hamsterkäufe und die bekannten Schwarzmarktoperationen in Gang gesetzt werden, was zu der Verknappung einiges beiträgt. Mit einer Zielsicheren Versorgungspolitik hat derlei wenig zu tun, daneben wandern ja nach wie vor in reichlichem Maß polnische Fleisch- und Wurstwaren in die westlichen Supermärkte und die ökonomischen Angebote an die privaten Bauern verdanken sich der Kalkulation der Regierung mit Exportartikeln, deren Produktion dank der privatbäuerlichen Idiotie den Staat weitaus weniger kostet als die Produktion der Staatsgüter. In Sachen innerer Versorgung dagegen leisten sich die Bauern im profitlosen Sozialismus einen flotten Extraprofit per Schwarzmarkt.
Staatliche Propaganda mit drohendem Hunger, Verhandlungen mit Entgegenkommen und Zurücknahme und immer wieder die Drohung mit Bürgerkrieg und Russeneinmarsch, mit diesem Instrumentarium erzieht die Partei ihren neuen Sozialpartner zu einer Stütze nationaler Politik.
Die brüderliche Sowjetunion wird mit Treueerklärungen zum Warschauer Pakt, Beschwichtigungsreisen, Angriffen auf antisozialistische und revanchistische Kräfte, die durch häufigere Festnahmen der KOR-Leute glaubwürdig gemacht werden, hingehalten, und mit jeder Woche selbständiger Lösung werden ihr neue vollendete Tatsachen präsentiert. Zur Stabilisierung der politischen Basis nach innen schließlich erhält diese die Freiheit, mit Postenbesetzungen ihre Vorstellungen von der nationalen Linie einzubringen.
Akteur 4, dem Westen steht die polnische Regierungsmannschaft als großer Schuldner gegenüber, was jedoch gar nicht ohne weiteres als üble Knechtung und harte Abhängigkeit zu betrachten ist. Immerhin hat seit den schon vor dem Danziger Aufstand eingetretenen Anzeichen für einen absehbaren Staatsbankrott die Regierungsmannschaft keinen Schritt in Richtung Reduktion dieser Abhängigkeiten unternommen, was eine Umstellung der nationalen Wirtschaft, Verhandlungen mit dem eigenen Bündnis über Schuldenübernahme und eventuell Einstellung von Zahlungen und Lieferungen an den Westen erfordert hätte, worauf dieser auch nicht durch Entsendung eines Gerichtsvollziehers nach Polen und Verpfändung deutscher Ostgebiete hätte reagieren können. Ganz umgekehrt: Zu einer Lockerung der Verpflichtungen sieht die polnische Regierung offensichtlich gar keinen Grund, sie denkt daran so wenig, daß sie die Kredite der Bruderstaaten dankend annimmt, ihre Gesuche um ein paar weitere Milliarden aber kontinuierlich im Westen vorträgt - und das hat seinen Grund nicht im Geldmangel des RGW.
Den Nationalrevisionisten in Polen muß ein geradezu westlich-staatsmännischer Gedanke gekommen sein, daß nämlich Schulden ab einer gewissen Größe durchaus auch ein Mittel sind, sich seinen Gläubigern lieb und teuer zu machen. Wie sonst sind die Angebote zur weiteren und ausgedehnteren Benützung der polnischen Nationalökonomie zu verstehen:
"Dobrosielski legte Wert auf die Feststellung, daß die Kredite in jedem Fall 'bis zum letzten Groschen' zurückgezahlt werden. Als Polens größtes Kapital bezeichnete der stellvertretende Außenminister das Heer fachlich gut ausgebildeter Arbeitskräfte und die in bedeutendem Maß vorhandenen Rohstoffe."
Wie sonst Vorstellungen im Westen wie das Auftreten des jetzigen stellvertretenden Ministerpräsidenten Rakowski vor Managern in Davos, wo dieser - nicht nur Parteimitglied, sondern Führungsmensch! - damit wirbt,
"in meiner Heimat ist das Machtmonopol der Partei gebrochen",
und im Bitten um weitere Kreditierung gleich noch Zuverlässigkeit für die Kreditgeber demonstriert, indem er deren Berechnungen bezüglich des besonderen politischen "Risikos" anspricht:
"Zweifellos ist es eine politische Entscheidung, Polen weiterhin Kredite zu gewähren, und es ist eine Frage, ob unsere westlichen Partner dieses Risiko tragen wollen.",
und mit dem Risiko ist nicht die "Solidarität" gemeint.
Hier wird kundig auf die strategischen Überlegungen des Westens angespielt, die davon ausgehen, daß eine vollständige ökonomische Betreuung Polens eine Herausforderung an die Sowjetunion darstellt, die politische und militärische Umsicht gebietet.
Ironischerweise hat die polnische Krise bzw. deren Benützung für die westliche Offensive den polnischen Staatschefs eine Kalkulationsmöglichkeit eröffnet, die diese mit dem sicheren Instinkt von Nationalisten, denen eine Gelegenheit zur Relativierung eines lästigen Internationalismus geboten wird, zwar mit aller gebotenen Vorsicht, aber doch auch ziemlich eifrig ausschöpfen. Die Befreiung eines Herrschaftsprogramms von seinen revisionistischen Elementen nach innen - der Nutzen einer echten Volksherrschaft wird ja nicht einmal mehr in der Propaganda hochgehalten - und nach außen unter laufender Bekräftigung der politischen Zugehörigkeit zum Ostblock wird der Anschluß an den Westen als vielverheißende Anlagesphare vorbereitet - vollzieht sich in Polen mit beeindruckender Geschwindigkeit. Erstaunlich ist das allerdings insofern nicht, als der Nationalismus das einigende Band aller polnischen Politiker, von denen der Partei über die der Gewerkschaft bis hin zu denen im Klerus, ist. Um einer ganz echten polnischen Herrschaft willen werden Elemente revisionistischer Politik, wo sie dafür hinderlich sind und sich die Freiheit dazu ergibt, ohne Skrupel beseitigt und Mittel zur Etablierung einer solchen Herrschaft, so sie aus dem Westen kommen, ganz vorurteilslos ergriffen. Der Ost-West-Gegensatz bzw. dessen neuerliche Ausgestaltung durch den Westen, der diese Chance für ein nationales Programm in Polen eröffnet, ist allerdings zugleich dafür auch ein schmerzliches Hindernis. Denn darüber, wieweit eine Sanierung oder der wirtschaftliche Wiederaufbau Polens - so lautet ja mittlerweile die entsprechende Sprachregelung in unseren Zeitungen - unter westlicher Patronage ins Werk gesetzt werden kann, entscheiden nicht die polnischen und westlichen Banker und Wirtschaftsminister, sondern Washington und Moskau.
Der freie Westen
ist die einzige Partei, die rundum auf ihre Kosten kommt. Versehen mit der heuchlerischen Anteilnahme am Schicksal der polnischen Arbeiterklasse ist die politische Auswertung zügig vorangeschritten. Ganz unabhängig vom bisherigen russischen Verzicht auf Internention ist der politische Respekt des Imperialismus vor der Westgrenze des "sozialistischen Lagers" auf jeden Fall aufgekündigt und durch die Klarstellung ersetzt wieviel Weltmachtpolitik die westliche Seite ihrem Feind auch in Osteuropa nur noch zugestehen will: überhaupt keine.
Ganz ohne den "gegebenen Fall" wird von der Reagan-Regierung die amerikanische Ankündigung wahrgemacht, "gegebenenfalls" werde man die Verständigung über wechselseitige Rüstungskontrolle einstellen und die Sowjetunion durch beschleunigte Aufrüstung kompromißlos herausfordern. Die zielstrebige Unterstützung prowestlicher Dissidentengruppen, die sich um eine antikommunistische Politisierung der polnischen Arbeiterbewegung verdient machen, und eine entsprechende Infiltration der neuen Gewerkschaft wird die sowjetische Regierung leicht nachweisen können, wenn sie sich durch die weltöffentliche Beschwerde über eine ganz unzweifelhaft "völkerrechtswidrige Einmischung des Westens in die inneren Belange Polens" eine Rechtfertigung für härteres Durchgreifen verschaffen will. Die Drohung mit einer ökonomischen Schädigung des Ostens für den Fall, daß die Sowjetunion sich über das westliche Veto hinwegsetzt, wird schließlich auch schon "vorsorglich" in kleinen Dosen in die Tat umgesetzt. Daneben lassen sich die Früchte der Entspannungspolitik in Polen, nämlich der beachtliche Schuldenberg, auch ganz vorurteilslos begutachten, zu was sie sonst noch tauglich sind. Die spektakulären Kredit- und Nahrungsmittelzusagen der EG, allen voran die BRD, verschaffen neben der dem Osten immer wieder hingeriebenen Bekräftigung, wer für Polen letztlich zuständig ist, den Kreditgebern ebenso die wohlfeile moralische Legitimation für die heimische und auswärtige Öffentlichkeit. Wer füttert denn die hungrigen Polen mit seinen Butterbergen?! Und die EG legt auf diesen Nebeneffekt durchaus Wert:
Gegenüber den polnisclien Bittstellem konnte
"die EG die Erwartung aussprechen, daß die polnische Bevölkerung objektiv über die Hilfeanstrenpunpen der EG informiert wird, was bei den ersten Hilfen nach Brüsseler Eindruck nicht geschehen ist."
Daß die erste Abteilung dieser "Hilfe" - pro Pole 1,5 Pfund Butter und 3 Pfund Rindfleisch - zu großen Teilen noch gar nicht in Polen angekommen ist, weil bei aller Hilfsbereitschaft Zahlungsweise und Transportkosten ausgefeilscht werden müssen, daß auch solche "Hilfe" also selbstverständlich zu zahlen ist, erschüttert den Anschein von Selbstlosigkeit und den wohlgefalligen Vergleich mit den Nachkriegs-Care-Paketen keineswegs.
Aus naheliegenden Gründen sind andere Formen der "Hilfe" weniger publik. Die Bürgschaften der BRD für Lebensmittel, nunmehr 105 Mio. DM, nehmen sich bescheiden aus neben denen für Halbfabrikate, nämlich 370 Mio. DM, womit sich die BRD die Fortsetzung des laufenden Geschäfts mit der Ausnützung polnischer Arbeitskraft unter dem Titel betrieblicher Kooperation kreditiert.
Lächerlich angesichts des eigentlichen Geschäfts sind allerdings beide Posten. Denn die drohende bzw. bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit Polens, was Zinsen und '81 fällige Tilgungsraten alter Kredite betrifft, und die darauf bezogenen Neukreditierungs-, Umschuldungs- oder Moratoriumsgesuche sind nunmehr der eigentliche Geschäftsgegenstand. Und dabei verbindet sich der gesunde Geschäftssinn der Banker aufs schönste mit der offiziellen Linie der Ost-West-Konfrontation. Sicherheiten für sein Geld will man natürlich schon haben, und von daher verbieten sich zunächst einmal alle langfristigen Umschuldungsmaßnahmen, wie sie der polnische Partner vorziehen würde.
"Westliche Wirtschaftshilfe an Polen wird, ja sie muß so beschaffen sein, daß die Sowjets, falls sie einmarschieren sollten, oder ein Polen von Moskau aufgezwungener Statthalter kein fertiges Finanzierungspaket vorfände..."
Was liegt da näher, als die Sowjetunion gleich dazu aufzufordern, für Polen zu zahlen?
"Regierungen und Banken im Westen sowie die Ostblockstaaten müßten bei einer Neuordnung der polnischen Verbindlichkeiten zusammenwirken." (Lambsdorff)
Oder bankmäßig ausgedrückt, die RGW-Bank IBWZ
"wäre ein sympathischer Partner für eine Mittelaufnahme fur Polen, da bei ihr die RGW-Länder gemessen nach ihrer Beteiligung, die sich wieder am Außenhandelsvolumen orientiert, gesamtschuldnerisch haften würden."
Ein äußerst sympathischer Gedanke, für alle Eventualitäten im Falle Polens gleich den gesamten RGW samt seinen nationalen Westhandelinteressen sich verbürgen zu lassen. Die auf unmittelbare Schädigung der SU gerichtete Forderung, sich an den Kosten des polnischen Westhandels zu beteiligen, hat der Adressat zwar abgelehnt,
"Die Sowjetunion sehe keinen Wert in einer gemeinsamen Aktion. Moskau habe Polen seine Schulden bis 1985 gestundet. Die westlichen Kreditgeber könnten ähnlich verfahren" (Samjatin),
stattgegeben wird ihr aber - wenn auch nicht in Form einer "gemeinsamen Aktion" - schon laufend.
Daß der RGW sich weigert, sich insgesamt für die polnischen Schulden zu verbürgen und gleich auch noch seine Kreditinterna offenzulegen, heißt nun nicht, daß man westlicherseits Polen einfach im Regen stehen ließe. Der Außenminister der BRD sagt es so trefflich:
"Der Verzicht auf Einmischung bedeutet nicht die Ablehnung wirtschaftlicher Hilfe."
Nur - und da decken sich wiederum das bank- und staatsmännische Interesse - man will ja nicht einfach "gutes Geld schlechtem Geld nachwerfen", und nachdem Polen schon, wie es DIHT-Präsident Amerongen wiederum so trefflich sagt, "finanzpolitisch die Hosen heruntergelassen hat", kann auch Polen selbst sich für Sicherheiten verbürgen. Nur sieht dies dann etwas anders aus als in der reinen Kreditabteilung.
"Die Bundesrepublik wolle Polen helfen, aber gleichzeitig große Zurückhaltung gegenüber den inneren Verhältnissen des Landes üben. Allerdings werde erwartet, so sagte Genscher eindeutig in Richtung Moskau, daß alle es so hielten."
Und von wegen Nichteinmischung in die inneren Verhältnisse des Landes hat er gleich den Leiter seiner Wirtschaftsabteilung mitgebracht, der sich die "Zusicherung" abgeholt hat,
"daß Polen in der nächsten Woche seinen Gläubigerländern in Paris detaillierte Angaben über die Einzelverschuldung geben werde."
"wurde in Warschau bei den Gesprächen auch klargemacht, daß die westlichen Gläubigerstaaten einen zeitlich bestimmten wirtschaftlichen Stabilisierungsplan der Polen erwarten... Die Bundesrepublik strebt ein Verfahren an, das ungefähr die Kriterien des Internationalen Währungsfonds erfüllt, wobei die Bestimmungen nicht zur Conditio sine qua non gemacht werden sollen. Auch in Bonn ist man sich darüber einig, daß Polen nicht wie ein Entwicklungsland in Afrika behandelt werden kann."
Schließlich ist da ja auch weitaus mehr zu holen als in Afrika.
"Seitdem erkannt wurde, daß Verhandlungen über weitere Kredite zur Refinanzierung der Schulden sonst nicht weiterkommen, ist Warschau nunmehr offenbar bereit, seine wirtschaftspolitischen Pläne darzulegen."
Und seit aus den Verhandlungen mit der polnischen Außenhandelsbank verlautete -
"Polen trägt sich offenbar mit dem Gedanken, dem Internstionalen Währungsfonds beizutreten." -
"Kaum mehr eine Chance auf neue, nicht von Regierungen verbürgte Eurokredite ohne die Bereitwilligkeit der Polen, sich bei der Sanierung ihrer Wirtschaft von einer unabhängigen Institution kontrollieren zu lassen. Diese Institution ist der Internationale Währungsfonds." -,
steht doch der fachmännischen Begutachtung der polnischen Reichtümer nichts mehr im Wege. Der lehrbuchmäßig vorgeführte Übergang zum Einsatz einer ansehnlichen Verschuldung für die tatkräftige Beteiligung an der Wirtschaftspolitik eines fremden Souveräns stößt nur auf eine kleine Schwierigkeit:
"Die Schwierigkeiten jedoch ergeben sich dsraus, daß es an Beispielen fehlt, da man vergleichbare Vereinbarungen noch niemsls mit einem Ostblockland geschlossen hat."
Das Novum, daB der IWF einen echten realen Soiialismus zur "Sanierung" überwiesen bekommt, wird sich jedoch bewältigen lassen, da haben wir keine Zweifel und dafür steht auch die allmählich gewandelte Besprechung der polnischen Arbeiter. Die übergroße Sympathie für einen echten Klassenkampf, weil der den Osten so schön in Schwierigkeiten bringt, ist nicht mehr so aktuell, stattdessen bürgert sich auch hier die ganz normale Meinung zu solchen Störelementen ein: Während man an Freiheitssehnsucht und militantem Eintreten fur Menschenrechte gar nicht genug kriegen kann, geht auch für einen westlichen Sachverstand das Streiken langsam aber sicher zu weit und die Wirtschaft verträgt das nicht mehr. Aber die polnische Regierung hat der "Solidarität" ja schon vorsorglich die Zusage zum Streikverzicht abgenommen; und so kommen die Leute Walesas möglicherweise noch zu der Gelegenheit, ihrem Polen unter dem Kommando westlicher Manager und unter Zuhilfenahme westlicher Ausbeutungspraktiken zu dienen. - Möglicherweise, denn diese praktisch vorangetriebene Spekulation auf eine weitergehende Benützung Polens unter direkter wirtschaftspolitischer Mitwirkung hat ja ihre Voraussetzung darin, daß der Westen Polen zum Streitfall gegenüber dem Osten erklärt hat. Der spontane Besuch Breschnews in Prag anläßlich des tschechoslowakischen Parteitags, gab darüber Aufschluß, daß die Kolonialisierung Polens vorerst weitergehen darf. Natürlich sind weiterhin auch noch andere Lösungsmöglichkeiten im Schwange als die friedliche Angliederung an die freien Marktwirtschaften.
Nahrungsmittellieferungen nach Polen
(22. Sitzung am 18.2.1981)
Schröder (Wilhelminenhof, CDU/CSU):
Kann die Bundesregierung angeben, welche Grunde dafür verantwortlich sind, daß die beabsichtigten und auch vereinbarten Nahrungsmittellieferungen nach Polen in nur geringem Umfang und äußerst schleppend abgewickelt werden?
Gallus, Parlamentarischer Staatssekretär:
Die EG-Kommission hat unter Beteiligung der Mitgliedsstaaten im Verwaltungsausschußverfahren die Lieferung einer ganzen Palette von Waren beschlossen... Die Feststellung, daß unsere Nahrungsmittellieferungen an Polen nur in geringem Umfang und äußerst schleppend abgewickelt werden, trifft nicht zu. Im einzelnen ergibt sich folgender Sachstand. Von den bei uns lagernden EG-Interventionsbeständen sollen im Rahmen der EG-Beschlüsse 20000 Tonnen Butter geliefert werden. Bis Ende dieser Woche werden 12000 Tonnen Butter abgeflossen sein...
Aus den bei uns lagernden EG-Interventionsbeständen sollen auch 4000 Tonnen Rindfleisch geliefert werden. In Kreisen der Exportwirtschaft wird mit baldigem Vertragsabschluß gerechnet.
Schröder, (Wilhelminenhof, CDU/CSU):
Darf ich dann feststellen, daß die zahlreichen Zeitungsmeldungen der letzten Wuchen über einen schleppenden Anlauf der Nahrungsmittelhilfe für Polen nicht stimmen? Das muß man doch wohl so sehen.
Parl. Staatssekretär Gallus:
Das können Sie so sehen. Wir haben im Kabinett, soweit wir zuständig waren, zügig die notwendigen Beschlüsse gefaßt. Wenn es gewisse Verzögerungen gegeben hat, so lag es daran, daß Polen mit allen möglichen Stellen - auch mit anderen Ländern der EG - verhandelt hat, um noch günstigere Preise herauszuschlagen, und andererseits die Waren mit eigenen Lastwagen befördern wollte, die zum Teil nicht zur Verfügung standen.
Eigen (CDU/CSU):
Herr Staatssekretär, finden Sie es nicht eigenartig, daß, wenn Polen Hilfslieferungen an Nahrungsmitteln aus der Europäischen Gemeinschaft bekommt, gleichzeitig ständig Schlachtpferde aus Polen über Deutschland nach Frankreich transportiert werden?
Parl. Staatssekretär Gallus:
Herr Kollege, trotz dieser Nahrungsmittellieferungen geht natürlich der Handelsaustausch Polens weiter zum Teil auch mit höherwertigen Nahrungsmitteln, als sie eingekauft werden. Das trifft auf die Schlachtpferde nicht zu. Jedenfalls haben die Polen anscheinend einen Überschuß an Schlachtpferden, andererseits aber einen Bedarf an Schweinefleisch. In jeder Volkswirtschaft ist es so: Was man zuviel hat, verkauft man; was man zuwenig hat, muß man einkaufen. Das trifft auch für Polen zu. Trotz der prekären Lage dort sind die Menschen in Polen höchstwahrscheinlich nicht dazu zu bringen, in verstärktem Maße anstelle von Schweinefleisch Pferdefleisch zu essen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eben Geschmackssache!)
Sonst würde das ja nicht stattfinden.
(aus: "Das Parlament", Nr. 12/1981)