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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1981 erschienen.

Systematik

Von Wechmar in der Paulskirche
UNSER MANN IN NEW YORK

Vier Monate nach seiner Amtseinführung als Präsident der UNO-Vollversammlung gab Rüdiger von Wechmar seinen Landsleuten die Ehre, dem Erlebnis eines Vortrages des gewissermaßen ersten Welt-Bürgers beiwohnen zu dürfen: Geladen vom "Liberalen Zentrum", sprach er an historischer Stätte - in der Frankfurter Paulskirche - zum Thema "Der Nord-Süd-Konflikt - Bewährungsprobe für die Vereinten Nationen."

Wechmar trat auf als Diplomat vom Scheitel bis zur Sohle (resp. von der blank polierten Glatze bis zu den dito Schuhen), daher auch souveräner Kenner der Materie: Die Vereinten Nationen seien "ein suspektes Unternehmen", nämlich "eine Versammlung souveräner Staaten, ein Diskussionszirkel, in dem jeder gleichberechtigt ist". Seine bemerkenswerte Gleichsetzung - suspekt, weil jeder gleichberechtigt! - erläuterte er dahingehend, daß heute (im Unterschied zu ehedem, als "die westlichen Industriestaaten ihre Mehrheit der Stimmen voll ausnutzten, woran es nie eine Kritik gab") die "Entwicklungsländer" die meisten Stimmen in der UNO haben, weshalb "wir heute diejenigen sind, die kritisiert werden".

Dies sei jedoch kein Grund zur Besorgnis für die "westlichen Industriestaaten". Schließlich erschöpft sich die Qualität der Staaten, die es auf der Welt gibt, nicht darin, daß sie alle souverän sind:

"Die Stimmenmehrheit der Dritten Welt ist zwar eine Realität, der Wert der ohne den Westen getroffenen Entscheidungen jedoch recht reduziert, denn da wir Industrienationen sind, sind wir natürlich weiterhin tonangebend."

Daß das Vorhandensein von "Industrie", das Wechmar zum Kriterium seiner Scheidung der Staatenwelt erhob, die beschönigende Ausdrucksweise für die Vorherrschaft der kapitalistischen Ökonomie und der imperialistischen Staaten darstellt, ließ sich Wechmars Ausführungen durchaus entnehmen: Der Westen bezwecke, die "Sicherung seiner Rohstoffversorgung" wofür die "oft geschmähten Multis" wertvolle Beiträge lieferten (ihre riesigen Profite sind dann wohl nur gerecht!), sowie die "Sicherung unserer Investitionen in Drittländern"; damit beides zusammen auch wirklich gesichert ist, muß "unser vordringliches Interesse" das an "politischer Stabilität in den Entwicklungsländern" sein. Für die "stabile" Souveränität von allerhand Militärdiktaturen und sonstigen (manchmal sogar gewählten) Menschenschlächtern lassen "wir" denn auch so manche Mark an "Entwicklungshilfe" springen.

Die unschönen Resultate gelungenen imperialistischen Wirkens beflügelten dessen Mitgestalter, der es bis zum Präsidenten der Völkerfamilie gebracht hat, zu gekonnt idealistischen Tönen: "Unser menschliches Fassungsvermögen reicht gar nicht aus, um zu begreifen, daß in dieser Stunde 600 Millionen Menschen hungern." Selbst noch die unverschämte Schuldzuweisung, das Elend der Bevölkerung in der "Dritten Welt" liege an ihrer Unreife zum Gebrauch der Freiheit, gestaltete der Freiherr als Werben um Verständnis für die "Schwierigkeiten", die dieses hohe Gut erzeugen soll:

"Wir müssen Geduld haben, bis diese jungen Staaten es gelernt haben, mit ihrer neu erworbenen Freiheit fertig zu werden."

Damit hatte Wechmar sich selber das Stichwort gegeben, das offizielle Bild auszumalen, mit dem der bundesdeutsche Imperialismus sich so gerne umgibt:

"Der Sprung vom Kamel ins Industriezeitalter ist gefährlich; wir müssen diesen Ländern helfen, diesen Sprung mit uns zu tun. Auf diesem Gebiet ist die BRD führend."

Die Kumpanei der deutschen Politiker und Kapitalisten mit den Inhabern staatlicher Gewaltapparate in den "Entwicklungsländern" als Hilfe für deren Fortschritt hinzustellen, gelingt Leuten vom Schlage Wechmars nicht zuletzt deshalb so gut, weil sie an den Vorteilen des Wirkens diverser westlicher Weltpolizisten, vor allem natürlich der verbündeten Weltmacht Nr. 1, teilhaben, ohne (bislang!) ihre eigene Wehrmacht in der "Dritten und Vierten Welt" einzusetzen, und damit schon als wahre Unschuldslämmer dazustehen. Sehr diplomatisch deutete Oberdiplomat Wechmar dieses Verhältnis an: Er habe in nächster Zeit ein "vertrauliches Gespräch" mit dem neuen US-Außenminister Haig vereinbart, in welches er "durchaus mit einer eigenen Meinung" gehen werde, "die ich hier aber wegen meiner Funktion nicht sagen will und darf." Damit hatte er bereits genug gesagt. Noch in der Unterwürfigkeit gegenüber dem Repräsentanten der Macht, die in der Welt den Ausschlag gibt, fällt ein Abglanz dieser Macht auf einen Mann, der bedeutend genug ist, seine Linientreue noch mit einem eigenen Akzent zu Protokoll zu geben, und der sein Einverständnis mit den Absichten eines Reagan oder Haig in die diplomatische Formel kleidet:

"Gerade ein deutscher UNO-Präsident sollte nicht den Fehler machen, Belehrungen gegenüber anderen Staaten auszusprechen." Nicht unerwähnt bleiben soll schließlich folgendes Meisterstück eines deutschen UNO-Präsidenten in Sachen demokratischer Rassismus:

"Ich bin immer wieder erstaunt über den hohen Grad an Intelligenz und Bildung der Neger in der UNO. Ich wünschte, manche westlichen Kollegen hätten derartige geistige Fähigkeiten."

Der erfolgreiche westliche Politiker spricht seinem "Kollegen" Neger voller Herablassung das Lob aus, daß sogar ein Neger es (fast) so weit bringen kann wie er selbst!

Wechmar wurde von seinem Publikum leider nicht enttäuscht. Daß sein persönlicher Erfolg, als deutscher Diplomat der UNO-Vollversammlung vorzusitzen, ein scheinbar ganz unverfängliches Zeichen des Erfolgs des bundesdeutschen Imperialismus in der Welt darstellt, veranlaßte seine Zuhörer zu vollkommener Devotheit gegenüber diesem Aushängeschild nationaler Größe. Insofern war Wechmars Schlußwort nur gerecht:

"Ich muß Ihnen ein Kompliment machen: Sie haben sich als kenntnisreiches Publikum erwiesen". (Beifall) "Ich dachte, ich bekomme viel mehr Dampf gemacht." (Wohlgefälliges Gelächter)