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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1981 erschienen.
"Rechtsbruch in Bayern"?
DIE RECHTSORDNUNG ÜBERZEUGT GEWALTIG
Folgende Ungeheuerlichkeiten, so weiß man inzwischen, haben sich während einer knappen Woche in der Frankenmetropole zugetragen: Nach dem Aufflackem "gewalttätiger Ausschreitungen", die manchen an "bürgerkriegsähnliche Zustände" erinnerten, reagierten Polizei und Justiz mit den "größten Massenverhaftungen in der Geschichte der Bundesrepublik" und lösten damit wiederum die "machtvollsten Demonstrationen in der Nachkriegsgeschichte Nürnbergs" aus.
Was sich nach propagandistischen Tatarenmeldungen der "Stimme der DDR" anhört, ist diesmal Originalton West, also mindestens ebenso glaubwürdig. Der Höhepunkt des von allen berufenen Akteuren und Beobachtern liebevoll ausgeschmückten Schreckensgemäldes von Anarchie, Skandal und Massenbewegung ist einmütig darauf festgesetzt worden, daß in den bewegten Tagen irgendwer das Vertrauen der Bürger in den demokratischen Rechtsstaat auf kaum wiedergutzumachende Weise erschüttert haben soll; entweder die SPD durch Duldung "polizeifreier Räume" und Solidarisierung mit Rechtsbrechern, oder die CSU durch Anweisung zu "Willkürakten" und einem "unerhörten Justizskandal". Da sich jedermann entweder das eine oder das andere Urteil zugelegt hat, sich also zusammen mit seinen Politikern besorgt zeigt, die er - ohne daß überhaupt der Inhalt irgendeines Rechtes Gegenstand geworden wäre - als seine Freiheit interpretiert, muß der Staatsaktion leider ein Erfolg auf der ganzen Linie zugemessen werden. Angesichts der Praktizierung der Gewalt, über die der Rechtsstaat verfügt, ist selbst allen Betroffenen nur das Bekenntnis zum staatlichen Recht und für die eigene Gewaltlosigkeit eingefallen - ein ausdrücklich bedingungsloser Vertrauensbeweis der angeblich so "staatsfernen" Jugend! Dazu war es nur nötig, die zweckdienliche Uminterpretation der statuierten Exempel mitzumachen, wie sie öffentlich vorexerziert wurde.
I. Das überzeugende Argument des Staats: Seine Gewalt ist rechtmäßig Der gebrochene Landfrieden
Was das heißt, vergegenwärtigt ein Rückblick auf den Anlaß des staatlichen Eingreifens: einen nächtlichen Umzug von Hausbesetzern und Sympathisanten, bei dem Schaufenster eingeworfen und Autoantennen umgeknickt wurden. Diese Aktion richtete nach ihrer politischen Qualität ("Wut - im Bauch"?), Anlage und Auswirkung ungefähr so viel an und aus wie ein Innenstadtbesuch gewisser 1860-Fans, weswegen jede Beurteilung davon geschenkt ist. Dennoch genügte zum gewaltsamen Abfertigen der Beteiligten schon der Schein der Unbotmäßigkeit, womit sich auch die Frage erübrigt, auf welcher Seite überhaupt von Gewaltanwendung gesprochen werden kann; immerhin stehen sich hier vergewaltigte Fensterscheiben und gesetzlich vorgesehene Haftstrafen zwischen 6 Monaten und 10 Jahren gegenüber! Aber diejenigen, die ihrem eigenen Verständnis nach sogar die Ziele der Demonstranten teilen, bringen ja kein Wort der Kritik an dieser streng rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeit zustande, sondern stellen sich mit ihrer abgewogenen Verurteilung von "Rechtsbrüchen" auf beiden Seiten auch noch auf die Seite der demokratischen Differenzierung zwischen Unbeteiligten (die das Recht nicht treffen soll) und "wirklichen Gewalttätern" bzw. "Anstiftern" (denen mit längerer Inhaftierung keine Gewalt, sondern nur Recht geschieht). Na, wenn das nicht genau der Sinn der Polizeiaktion gewesen ist! Die Maßstäbe, die sich rechtsstaatliche Widerstandskämpfer gegen einen "Polizeistaat" da zu eigen machen, fallen ihnen als die wirklichen Ungeheuerlichkeiteihnen als die wirklichen Ungeheuerlichkeiten der ganzen Sache wohl gar nicht auf: Daß ihr geschätztes demokratisches Recht sich im Gegensatz zu aller öffentlichen Heuchelei natürlich nicht um den angestellten Sachschaden schert - das wäre ja nur ein Glas- und kein Landfriedensbruch -, sondern die erkennbare politische Absicht nach Kriterien des souveränen staatlichen Ermessens mit Strafen bedroht ("aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften" heißt es im Haftbefehl); daß also der Zweck dieses StGB-Paragraphen auch nicht die Verhinderung von Gewalt, sondern die Ermöglichung der Anwendung staatlicher Gewalt gegenüber Demonstranten ist, denen bereits das Aufreißen des Mauls als Beteiligung an Gewalttätigkeiten serviert werden kann; an "Gewalttätigkeiten" wohlgemerkt, die sich "gegen Sachen" richten, als ob diese - wie umgekehrt die mit allem Erfindungsreichtum von Tränengas bis zu den ins Auge gefaßten und ins Auge gehenden Gummigeschossen bedrohten "Landfriedensbrecher" - von dieser eigentümlichen Sorte von Gewalt etwas spüren würden!
Die Willkür der Justiz
liegt daher auch nicht dort, wo Öffentlichkeit und meinungsgebildete Bürger sie ansiedeln wollen: in einem Widerspruch zum Recht. Denn daß unschuldig Inhaftierte wieder freigelassen, in Grenzen auch rehabilitiert werden, darf man Justizminister Hillermeier ruhig glauben - deshalb ist ihre - Verhaftung doch noch lange nicht widerrechtlich gewesen, vielmehr "im Zuge der Ermittlungen unvermeidlich" oder wie das heißen mag. Gerade so hat sie die beabsichtigte Wirkung sicher nicht verfehlt: Erstens ist allein die erkennungsdienstliche Behandlung für die Zukunft der diesmal noch Unschuldigen sehr vielseitig verwendbar; zweitens hat man diesen drastisch vor Augen geführt, was ihnen blühen kann, wenn sie bei künftigen Demonstrationen nicht von sich aus sorgfältiger sortieren, wer mit ihnen marschiert; drittens ist ihnen noch dazu verdeutlicht worden, daß sie sich dieses Effekts ihrer "Gewaltlosigkeit" aber keineswegs zu sicher fühlen können; -weshalb sie viertens - wenn überhaupt - nur darin einen polizeilich halbwegs garantierten "friedfertigen Verlauf" ihrer Aktionen erwarten sollten, daß bereits der Inhalt der Demonstration nicht zu sehr auf Distanz zu gerade staatlich deklarierten Absichten schließen läßt - bekanntlich leicht ein Indiz für "Gewalttätigkeit"! Wobei die aus alternativen Parteiinteressen oder dem üblichen Rechtsillusionismus der Bürger allgemein beklagte "Rechtsunsicherheit" natürlich den Oberwitz ausmacht: Daß die Differenzierung von Demonstrations- oder auch Hausbesetzungsteilnehmern das eine Mal mit einer Kombination von "Dialog" und rücksichtsloser Verfolgung derjenigen, die sich darauf nicht einlassen wollen, das andere Mal durch den "harten Kurs" der zeitweiligen Gleichbehandlung beider Gruppen betrieben wird, ist die rechtlich abgesicherte Willkür, die der Justiz durch die Unkalkulierbarkeit ihrer Reaktionen zusätzlichen Handlungsspielraum verschafft und sie so zu einem politischen Instrument macht. Sehr unabhängig hat sie zu entscheiden, wann eine "Gefährdung der öffentlichen Sicherheit" zu konstatieren ist; dabei muß sie freilich ein Auge darauf haben, was die Jungs von der anderen Sparte der geteilten Staatsgewalt gerade wieder als "öffentliches Sicherheitsbedürfnis" entdecken. Und dazu wiedenm sind direkte Anweisungen, wie sie ein Fan der Gewaltenteilung ständig vermutet, gar nicht vonnöten: die Bedingungen, unter denen Richter entscheiden müssen, regeln alles von selbst, auch die Hektographienng von Haftbefehlen.
Vom Rechtsstaat
darf also jeder erwarten, daß er schon hält, was er verspricht. Schließlich verspricht er ja schon nichts anderes, als daß es rechtmäßig zugeht, wenn er etwas durchsetzt - und das ist für den, der das Recht selbst setzt, kein allzu großes Kunststück. Das Kunststück liegt eher bei den betroffenen Bürgem, die von dem unheimlichen Angebot an Freiheiten (als Rechte, die einem der Staat einräumt, früher gelegentlich betrachtet) inzwischen nur noch in der Weise Gebrauch machen wollen, daß sie sich im rein ideellen Besitz dieser hohen Güter bescheiden und jeden noch so matten Versuch anderer, ihre Freiheiten auszunutzen, als kompletten Mißbrauch derselben venrteilen. Gegeneinander nehmen sie sich also schon alle Freiheit heraus und berufen sich dazu wechselseitig auf die staatliche Ordnung, die ja immer ihre sein soll. Das gibt dann bekannt trostlose "soziale Konflikte": Die Hausbesetzer werden von Leuten der Anarchie geziehen, die ihren Wiilen zur Unterordnung unter dem Namen des Anstands und der Rechtlichkeit partout als ihre eigene Erfindung betrachten wollen - den Alternativen fällt umgekehrt genau dasselbe ein, bloß daß ihre Bedürfnislosigkeit und Kreativität (lateinisch für: alles selber machen) das glatte Gegenteil und zukunftsweisende Vorbild für die anderen sein soll; Oberschüler distanzieren sich mit der intelligenten Bemerkung "Steine sind keine Argumente" von Demonstranten, als ob ausgerechnet der Staat ein Argument wäre - umgekehrt lassen die letzteren sich die Einbildung angelegen sein, sie stünden kurz vor der physischen Explosion, als ob sie bis vor dem kritischen Moment einen Dialog nach dem andem vorgehabt hätten; in den jüngsten Auseinandersetzungen wollten gar alle miteinander jeweils durch ihre fiktiven Gegenspieler den "Ruf" ihrer Stadt, ihres Landes und ihrer Nation in Gefahr sehen: Nürnberg durch die CSU, die Bundesrepublik durch die SPD, usw. Wie ein roter Faden zieht sich durch diesen ganzen Blödsinn, den sich erwachsene Menschen wie auf Kommando gemeinsam freiwillig ausdenken, ein einziger Gedanke: Jeder will den anderen auf seine ideale Ordnungsvorstellung verpflichten, weil er damit seiner Botmäßigkeit gegenüber der wirklichen Staatsordnung den Anschein der höheren Berechtigung und Notwendigkeit verschafft; das muß ja ein Gefühl sein. Kein Wunder, daß sich der Staat selbst jedes Jahr mehr herausnimmt! Bis es soweit ist.
II. Eine Protestbewegung, die sich vom Recht gern überzeugt
Eins ist schon merkwürdig: Da hat es seit APO-Zeiten keine Demonstrationen von Schülern gegen staatliche Umtriebe gegeben - sie gingen brav zur Schule und weder die bundesrepublikanische Unterstützung des Schah-Regimes noch der Bau von Kernkraftwerken in Bayern waren ihnen ein Anlaß zum Protest. Seit Anfang März ist das ganz anders: Gleich drei Demonstrationen fanden unter reger Beteiligung der Nürnberger Schülerschaft statt. Was ist da bloß passiert, daß man sich so massiv herausgefordert sieht, sein Dagegensein zu demonstrieren?
Mit den Aktivitäten der Hausbesetzer, deren Demonstration der Anlaß fürs staatliche Zuschlagen war, hat man ja auch wenig am Hut; die Anzahl der tatsächlichen Hausbesetzer ist eher mickrig und vorangegangene Demonstrationen gegen die Räumung der besetzen Häuser zeichneten sich auch nicht gerade durch massenhafte Teilnahme von seiten der Jugend dieser Stadt aus. Die "Betroffenheit" durch den Polizeieinsatz, die plötzlich jeder für sich reklamiert, verdankt sich offenbar einer theoretischen Sympathie für die Hausbesetzer, die den Jugendlichen als Repräsentanten des Ideals gelten, das sie von sich selber haben: Ohne irgendeine bestimmte Kritik an den staatlichen Zumutungen zu haben, legen sie Wert darauf, als kritische Jungbürger zu gelten und verlangen vom Staat die Anerkennung dieses Status. Und nur, wenn sie diese bedroht sehen, dann geht's aber los!
Dabei bedarf diese Selbstdarstellung des eigenen kritischen Engagements, das an nichts etwas auszusetzen hat und sich in der selbstgefälligen Zurschaustellung eines inhaltsleeren Dagegenseins genug ist, auch noch eines Anlasses, bei dem "Unschuldige" und "Unbeteiligte" mit unter die Räder kamen, um in ihrem Dagegensein das Dafür nicht aufgeben zu müssen. Wer als kritisches Mitglied der Gesellschaft anerkannt sein will, das sich "selbstverantwortlich" um seine eigenen Probleme kümmert, kann sein kritisches Selbstverständnis zur Geltung bringen: Erst wenn der Staat zuschlägt, obwohl doch gar niemand etwas Böses getan hat, fällt so jemandem ein, daß er doch unbedingt kritisieren können wollen darf! Der Witz dabei ist, daß die Schüler auf diese staatstreue Kritik noch nicht einmal von, alleine gekommen sind. Daß ein polizeiliches Vorgehen wie in Nürnberg eine "Gefährdung" der Demokratie bedeute, weil es die jungen Menschen gegen den Staat aufbringen würde, mußte ihnen erst der Sozialkundelehrer ins Ohr blasen. Dementsprechend albern nehmen sich auch die auswendiggelernten Sprüche aus: Da stellen sich doch Schüler tatsächlich hin und verkünden lauthals, daß die CSU mit ihrem harten Vorgehen ihnen Gründe an die Hand geben könnte (!), das "Vertrauen in den Rechtsstaat zu verlieren". Mit einem solchen Standpunkt verliert man dieses Vertrauen nie und nimmer, denn diese mit einer Unbotmäßigkeit kokettierende 'Drohung' an den Staat geht ja von der Illusion und Forderung aus, der Staat sei für das "Gelingen" "unserer Ordnung" ganz furchtbar auf eine Jugend angewiesen, die sich nicht eines tumben Untertanenbewußtseins befleißigt, sondern in "kritischer Solidarität" zum Rechtsstaat steht. Wobei noch einmal zu bemerken ist, daß dieses "kritische Bewußtsein" auch nur dann auf den Plan tritt, wenn man dessen Möglichkeit für gefährdet zu erachten beliebt. Dabei könnte einem bei dieser Andienung an den Staat doch immerhin auffallen, daß sich der Staat einen Dreck um die Begeisterung der Jugend für ihn schert (und das nicht nur in Bayern) und er auch angesichts dieser Sorte von Dagegensein sich sicher sein kann, daß nach zwei Wochen das Theater vorbei ist.
Den Gipfel der Empörung - im doppelten Sinne - hat man an Nürnbergs Schulen anläßlich des "Maulkorbs", den man Nürnbergs Schulen umhängen will, erklommen. Die Anweisung der Kultusbürokratie, keine weiteren Diskussionen über den Polizeieinsatz zu führen, bot den prächtigen Anlaß, die Kritik-Erlaubnis-Diskussion in der zweiten Potenz zu führen: Jetzt regt man sich darüber auf, daß man sich nicht drüber aufregen darf, daß man nicht Kritik äußern darf. Denn mal ehrlich: 1. ist bei der Diskussion an den Schulen eh nur das Unverhältnismäßigkeits-Argument gefallen, 2. ist das doch schon überall diskutiert, warum will man es dann noch zum einhundertfünfzigstenmal diskutieren? Und 3. gäbe es ohne das Verbot von Diskussionen von seiten des KuMi für Schüler doch eh keinen Anlaß zu weiterer Aufregung. Oder hat irgendeiner im Sozialkundeunterricht schon mal gefordert, über die geplante Einführung eines Wehrkundeunterrichts an Deutschlands Schulen zu diskutieren?