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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1981 erschienen.

Systematik

KPdSU-Parteitag
WIE HÄTTET IHR'S DENN GERN?

"Auf seinem wohl letzten Parteitag rief Leonid Breshnew, 74, noch einmal, trotz Reagans Schelte, zum Akkord mit dem Westen, beklagte heimische Versorgungsmängel, empfahl Verzicht auf das utopische Parteiprogramm - und drückte sich um die brennendsten Probleme Polen und Afghanistan herum. Dann besetzten Soldaten den Sitzungssaal." (Erschöpfende Darstellung des Parteitags der KPdSU im Inhaltsverzeichnis des "Spiegel")

In einer "Versammlungshalle mit monströsen Dimensionen" (Süddeutsche Zeitung), "stundenlange stereotype Rechenschaftsberichte" (Frankfurter Rundschau), "präparierte Monologe werden verbreitet", "vom Manuskript (!) abgelesen", "dem Gros der 4994 Delegierten kommt dabei die rein zeremonielle Aufgabe zu, das oberste Zuhörergremium der Sowjetunion abzugeben. Das, was sich dabei vollzieht, als Debatte zu bezeichnen, ist selbstverständlich "irreführend". (Süddeutsche Zeitung) "Formell wäre es Aufgabe des achttägigen Parteitages gewesen zu diskutieren,... aber nur 14 Redner kamen in der Diskussion über die Hauptrichtungen der Wirtschaftsplanung zu Wort." (Wo doch gerade die "Welt" eine Planwirtschaft mit ordentlicher Diskussion über alles schätzt!) Und zum guten Schluß natürlich dann auch noch "spätstalinistischer Jubelstil". (Frankfurter Rundschau)

Das muß doch nicht sein, Genossen!

Im Mannheimer "Rosengarten" dagegen, "orangefarbene Sessel zwischen rotgetönten Hallenwänden aus massiver Buche" (SZ) "bietet Kohl eine staatsmännisch gestimmte, eine harmonische Gesamtschau, die sich die allermeisten Delegierten zu eigen machen". (Frankfurter Allgemeine) "Eine über weite Passagen hinweg kluge, eine nachdenkliche Rede, der weder Sensibilität abgeht noch die Kraft, veränderte Prioritäten zu setzen und" - Wahnsinn, das auch noch! - "ihnen Inhalte zu geben... Dabei ist sein Ghostwriter derselbe wie bisher." (SZ) "Dramatisch sind CDU-Parteitage selten. Dieser Mangel kommt der Partei jedoch gerade recht. Angesichts der Auseinandersetzungen in der Koalition, zumal in der SPD, gibt er ihr die Möglichkeit, Selbstbewußtsein zu demonstrieren, daß sie nicht ist wie diese da." (Die Zeit) "Mehr aussichtsreiche und geschlossene Gefolgschaft läßt sich gar nicht ausdenken." (Die Zeit) Daher auch zurecht "schier endloser Applaus, der sich wieder und wieder steigert. 'Helmut'-Rufe werden laut. Sie münden in Sprechchöre ein, die sich in ihrem Singsang sehnsüchtig anhören. Kohl macht keinen Versuch, solcher Überschwenglichkeit ein Ende zu bereiten." (SZ)

Statt einer "Regie", die, um "die Monotonie dieser Debatte aufzulockern", "offene Kritik an Erscheinungen" (SZ ) einbaut, um dann doch das Kritikniveau der FR zu verfehlen, "am Lack der Erfolgspropaganda darf bestenfalls mit stumpfen Fingernägeln gekratzt werden", ist in Mannheim ein Heiner Geißler am Werk, der "als exzellenter Manager des Parteiapparats Maßstäbe für andere Parteien setzt" (SZ), wie blendend er seinen Verein organisiert: "Der Parteitag diskutierte kontrovers mehrere Stunden lang. Die erwarteten scharfen Auseinandersetzungen blieben jedoch aus. Die CDU-Führung konnte sich mit ihren Vorstellungen in allen zentralen Punkten durchsetzen." (FAZ) Wer hätte das erwartet!

Nicht einfach mit der gleichen Elle gemessen

Nicht etwa, daß haargenau dieselben Mittel staatlicher Repräsentation in Moskau zielsicher mit einem Minus, in Mannheim mit einem Plus versehen würden - so primitiv gehen westliche Berichterstatter selbstredend nicht vor, eine Deutung muß schon hinzu. Ob ein unschuldiges Manuskript, entweder verfaßt von einem vorzüglichen Ghostsprücheklopfer die blutvolle Politikerpersönlichkeit oder, vorgelesen von einem Parteifunktionär, den kalten Apparat ausweist, ob der Applaus erregende Schauer verursacht, "wie bei der Jagd, wenn man den Hunden die Fährte des Wildes zeigt, daß sie hetzen dürfen" (SZ), oder den faden Nachgeschmack "kultartiger Bekundungen von Euphorie" (SZ) hinterläßt - der Maßstab macht's. Die Abwesenheit jeden freiheitlichen Moments, die kaum zu bestreitende Tatsache, daß die Sowjetunion keine Demokratie wie unsere hat, was sie zwar auch gar nicht will, was sich ihr aber trotzdem unermüdlich vorhalten läßt, dieser Universalmaßstab entlarvt unerbittlich noch die Saaldekoration als Element einer "Pseudodiskussion", um uns Demokratie vorzuspielen. Und das, obwohl Josef Riedmiller von der SZ schon wußte, daß sie "vorher 3 Monate Zeit zu einer Diskussion verwandten, die den Eindruck erwecken sollte, das ganze Sowjetvolk bestimme die Richtung der wirtschaftlichen Entwicklung." Lächerlichkeit! So etwas einem Berichterstatter aus einem Land vormachen zu wollen, in dem das Volk seinem Kanzler täglich knallharte Anweisungen über die "Richtung der wirtschaftlichen Entwicklung" gibt! Kein Wunder, daß bei der KPdSU statt "tiefgehender politischer Diskussion", wie sie der Harry Schleicher der FR von Moskau zu fordern hat, weit und breit nur "monolithische Einheit" zu entdecken ist, während die Leistung eines Helmut Kohl, seine CDU-Matschmänner "aus selbstzerstörerischen Querelen zu neuer Einheit formiert zu haben" sich sinnfällig in 2 Zentnern "hünenhafter Selbstsicherheit herausfordernd hochreckt." (SZ)

Alter, schrecklich alt, schön alt

Da auch im Osten Parteitage nicht nur im Redenhalten, Klatschen, Saalschmuck und sonstiger Regie bestehen, sondern auch Beschlüsse gefaßt oder besser Formen der Beschlußfassung präsentiert werden, dieselbe fade Begutachtung noch einmal von vorne. Postenwechsel im ZK, Politbüro und sonstwo:

"Das Regime der alten Männer."

Nix Demokratie, bloß Bürokratie:

"Wenn gilt, was alle Analytiker des sowjetischen Herrschaftssystems gemeinsam beobachtet haben, daß es ein durch und durch bürokratisches Partei-System sei, dann" logo: dann "gibt es darin keine Chance für Senkrechtstarter, für kometenhafte Aufstiege und überflieger jeder Art. Es muß wohl gelten, daß der Parteiapparat seine Geschöpfe formt und auf dem Wege nach oben so lange abschleift, bis die individuellen Kanten verschwunden sind." (SZ)

Du armes Sowjetvolk!

Die Verjüngung des ZK - wo bleibt sie bloß, wo bleibt sie bloß? "Moskaus Parteitag manifestiert Vergreisung auch personell" (Die Welt), "Gerontokratie", "Gesamtalter des Politbüros 966 Jahre", "Altersstarre im Kreml" (Die Zeit), "Durchschnittsalter im ZK 70 Jahre" (SZ), "the gerontocratic watchdogs of conservatism" (Newsweek).

Mörderisch gesund sind die Tattergreise mangels Verschleiß durch eine richtige Demokratie, die unsere Staatschefs ja bekanntlich erbarmungslos mürbt:

"Die Herrscher der Sowjetunion führen ein ruhigeres Leben als die Politiker in westlichen Ländern, denn weder gibt es nervenaufreibende innerparteiliche oder koalitionsinterne Dauerkonferenzen noch anstrengende Wahljagden..." (SZ) -

aber auch mörderisch ungesund:

"Schwerfällig erhebt sich Breschnew. Er zeigt ein freudloses, beinahe maskenhaft erstarrtes Lächeln, bei dem seine Augen zu schmalen Schlitzen werden... Die Hände müde ineinander gefaltet, schaut er mit bleischwerem Blick gedankenverloren wie jemand drein, der innerlich gar nicht präsent ist. Jedermann sieht, wie rapide das Ganze Breschnew verschleißt." (SZ)

Die SZ hat's raus: Den Russen fehlt der Politikerauswechselmechanismus:

"fehlt bisher ein geeigneter Mechanismus, der eine reibungslose, nämlich unspektakulär normale Wachablösung von greisen Politbüro-Mitgliedern möglich machen könnte."

Wie wäre es denn mit ein bißchen Parteien, Wahlen etc., um die Greise endlich loszukriegen? Oder sie haben doch einen und verraten ihn bloß nicht:

"Der Entscheidungsmechanismus innerhalb der sowjetischen Führung bleibt eines der bestgehütetsten Geheimnisse der Welt." (Die Welt)

Aber die FAZ hat es gelüftet:

das "Urgesetz sowjetischer Bürokratie: daß sie immer nur sich selbst reproduziert."

Diese Journalisten, diese freiwilligen Lügner im Staatsdienst, denen weder bei Reagan noch bei Pertini das Vergreisungsproblem aufstößt, was quält sie denn eigentlich? Seit wann ist denn Alter ein Argument für Politik? Die MG-Führungskader werden auch immer älter. Aber ihre 18 Bier am Tag schaffen sie immer noch und die Politik wird auch nicht erkennbar schlechter. Zugegeben, daß der gute Leonid ein bißchen ausgestopft aussieht, aber deswegen gleich dem Genossen Stalin ein Kompliment machen müssen, daß bei ihm wenigstens noch Leben in der Bude war -

"Die Zahl der Spitzenfunktionäre, die Stalin in der kurzen Spanne zwischen zwei Parteitagen umbringen ließ, ist höher als die der Führenden Genossen, die Breschnew während seiner ganzen Amtszeit in Pension schickte. Niemand ist in der Sowjetunion der siebziger Jahre sicherer gewesen... als die Parteiführung auf ihren pfründereichen Alterssitzen..." (Zeit) -

da müssen doch ausnahmsweise mal wir mit der Geschmacksfrage kommen! Die Lektüre der bundesdeutschen Mistblätter reicht uns allmählich, die machen einen ja fast zum Russenfreund. Dabei ist diese ganze Abteilung Russenhetze - gar keine, geheuchelte oder funktionsuntüchtige Demokratie - bloß die Pflicht gewesen. Das erledigt ein deutscher Journalist quasi als Vorspiel, die immergleiche Entlarvungsmasche, aktuell steht etwas anderes an, nämlich die Begutachtung des russischen Staatswesens binsichtlich seiner Funktionstüchtigkeit als Gewaltapparat, und da sind die 966 Jahre seiner Chefs überhaupt erst das richtige Argument, um alle gewünschten Nuancen des Feindbildes daraus "abzuleiten".

Alt, älter, kaputt...

"Wie einer, der im reißenden Fluß die Pferde nicht wechseln kann, ließ Breschnew auch in der Führungsspitze keine Änderung zu... " (Spiegel)

"Die Flucht zu den alten Männern... ist zugleich Ausdruck einer tiefen Ratlosigkeit angesichts der ungelösten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ideologischen Probleme, vor denen das sowjetische Imperium steht." (Die Welt)

Nichts schöner als am eingebildeten Krankenbett eines feindlichen Imperiums herumzugeiern und sich gemütlich-besorgt dessen Ideenlosigkeit, Unfähigkeit und Impotenz bezüglich der Beseitigung des ihm angedichteten drohenden Niedergangs zu Gemüte zu führen!

In der "Zeit" krankt das System an seiner Ideologie,

"fast alle Spitzenfunktionäre haben ihre mit Ideologie verholzten Papiere heruntergelesen; Reformvorschläge blieben aus,"

während Schleicher-Harry hinwiederum ideologisch nicht auf seine Kosten gekommen sein will:

"...der ideologische Atem ausgegangen. Die tiefgreifenden geistig-ideologischen Erosionserscheinungen im eigenen Machtbereich. Im ideologischen Bereich hat die Weltmacht Sowjetunion außer Waffen (?) kaum noch etwas zu bieten."

Hans Ulrich Kempski trauert den guten alten Zeiten ordentlicher Hetze nach, wenn heute nur ganz ausnahmsweise mal Castro sich

"in Abweichung von der faden Norm vorsichtiger Betulichkeit gegenüber den Vereinigten Staaten rhetorische Ausfälle leisten darf."

Und überhaupt trauern alle Korrespondenten, wegen der Inspiration, die ihnen die KPdSU einfach nicht geben kann oder will:

"Außer nichtssagenden Formeln und dem Einsatz ihrer Macht haben sie zu den brennenden Fragen der Gegenwart kaum etwas Neues zu bieten",

wo doch die ganze westdeutsche Journaille sehnlichst auf Antworten wartet. Nichts kommt. "Daß es bei dieser Herrschaft der Alten an neuen Konzepten mangelt, ist fast schon eine Gesetzmäßigkeit."

"Dramatische politische Ankündigungen oder Entscheidungen sind... von diesem Parteitag so wenig zu erwarten wie aufregende personelle Veränderungen..."

Noch einmal das Standardmuster: Die KPdSU kann nicht - mangels Demokratie.

"Der russische Staat und seine Diener sind nicht darauf eingerichtet, Probleme auf andere Weise aus der Welt zu schaffen als durch barsche Befehle, denen, wenn es not tut, die Staatsmacht Nachdruck verleiht" (SZ),

während der BRD-Staat sein Sparprogramm mit sanften Bitten an die Bürger heranträgt und bei den ersten Anzeichen von Unwilligkeit fallen läßt. Aber man muß auch mal den Ton wechseln: So schlecht sind, die Russen nun wiederum auch nicht.

Ganz zivile Aufforderungen zur Kapitulation

Ganz milde werden die Berichterstatter und bringen sogar Anerkennung zum Ausdruck: "Ihr Vermächtnis liegt im Realismus. Kein Sowjetführer hat bisher öffentlich eine so wirklichkeitsnahe Bilanz gezogen..." (Zeit)

"Die Form, die er wählte, war nicht so polternd wie früher, sondern substantieller, aber auch einfühlsamer..." (SZ)

Und woher diese plötzliche Komplimentiererei, bei der sich Kammerdiener-Kempski vom sowjetischen Ministerpräsidenten Tichonow, bzw. dessen

"selbstsicherer Gelassenheit... an einen Konzernmanager hanseatischer (!) Prägung erinnern"

läßt? Antwort:

"Denn Tichonow hat erstmals deutlich gemacht, daß man im Kreml keine Courage mehr zum Selbstbetrug hat. Statt dessen sind dort kühle Rechner am Werk. Sie nehmen in Kauf, das Feuer kommunistischen Glaubens bescheidener brennen zu lassen."

Wie sympathisch einem doch diese Kommunistenchefs werden können, wenn sie sich zum Kronzeugen dafür machen lassen,

"daß die prahlerische Selbstzufriedenheit von einst ausgelöscht ist und Platz gemacht hat einer nachdenklich maßvollen Tonart", zum Kronzeugen dafür, daß das bolschewistische "Imperium" ganz schön in der Scheiße sitzt, die man ihm von hier aus wünscht. Breschnews 74 Jahre sind ein ebenso hochkarätiger Beweis für den Verfallsprozeß der Sowjetmacht:

"Doch auf dem langen Weg zum Gipfel der Macht ist er immer mehr verfallen - und das Land mit ihm... Altersstarre im Kreml, Gärungsprozesse im Lande... Versorgungslage ständig verschlechtert... Demoralisierung und Korrumpierung... Technologie und Rationalität blieben auf der Strecke..." nix Maschine, nix Denken in Rußland..." (Zeit)

"Breschnew und Tichonow wissen oder ahnen zumindest daß das sowjetische Wirtschaftssystem den Ruin des Landes bedeutet. Sie spüren, daß aus materiellen Problemen morgen schwerwiegende Folgen erwachsen können..."

Eine kleine Zusammenbruchstheorie wird aus der traditionellen Parteitagsselbstkritik herausgedeutet, ganz selbstlos ein Vorschlag zur Abhilfe offeriert,

"Die Lösung wäre: Marktwirtschaft statt Planwirtschaft, Dezentralisierung des Riesenreiches...",

um sich dann vorurteilslos die Unmöglichkeit dieser Lösungsmöglichkeit zu bestätigen und wieder schadenfroh den Spekulationen über den unaufhaltsamen Niedergang zuzuwenden:

"Das aber wäre das Ende des bisherigen Systems - und so bleibt der Führung Breschnews nichts anderes, als mit den alten schartigen Instrumenten weiterzuwursteln. In diesem Sinne war der XXVI. Kongreß ein Parteitag der Erstarrung." (Die Welt)

Es kriselt in allen Ecken und Enden des Riesenreiches

"Afghanistan... die präventive innere Hygiene..." (SZ) -

sehr überzeugend: Um seine eigenen Moslems zu bewältigen, schlägt man am besten anderswo welchen aufs Haupt! -

"die russische Bevölkerung äußert offene Verbitterung..." (Die Zeit) -

wo ist bloß der russische Walesa? und der Verfall macht nicht einmal vor dem Militär halt:

"Die Innovationsschwäche im sowjetischen Rüstungsbau ist unverkennbar, technologische Anstöße kommen wie zu Zeiten Peters I. aus dem Westen."

Sowjetische Rüstungsschwäche, die nur durch westliche Hilfe einigermaßen kompensiert werde - da hat sich Herr Schmidt-Häuer, notorischer Russenkenner der "Zeit" aber entschieden vergaloppiert. Denn soweit darf das Wunschdenken in Sachen Schwäche des Hauptfeindes, das in ganz ziviler Form die Endlösung, gleich Kapitulation des Kommunismus als eine absehbar leicht zu bewältigende Aufgabe vor Augen führt, - so weit darf der unmilitärisch verbreitete Siegesoptimismus nicht gehen, daß er mit seinen Zusammenbruchsprophezeiungen die Notwendigkeit der militärischen Herbeiführung des gewünschten Endes überflüssig erscheinen läßt. Davor warnen alle Kommentatoren des Parteitags plichtschuldig in Anwendung des bewährten Musters: Der Hauptfeind ist a) zwar ökonomisch, ideologisch und sonstwie ziemlich schwächlich, also auch überwindbar, aber b) auch sehr böse oder unberechenbar, so daß man seinen Schwächeanfällen wohl von außen nachhelfen oder sich militärisch gegen seine kriegerischen Wahnideen wappnen müssen wird. Den gewissen Widerspruch, daß sub 1. der Feind ziemlich mühelos, eigentlich ganz von allein zu erledigen ist, während sub 2. immerhin das Erfordernis des 3. Weltkriegs begründet wird, ist der Natur der Sache nach nicht zu vermeiden: Die Aktualisierung des Feindbildes dient nichts geringerem als der Zuversicht in den Sieg. Und wenn wir die Russen dann zusammenhauen, sind sie natürlich selber schuld:

"Moskaus verstärkte militärische Macht und seine geschwächte wirtschaftliche Stellung könnten die Sowjets gefährlicher denn je machen, weil die Versuchung, innere Probleme durch auswärtige Abenteuer zu überdecken" - eine ganz vorzügliche Methode! -"wachsen wird. Die Ironie liegt darin, daß die hemmungslose militärische Aufrüstung der Sowjets eben zu jener Einkreisung beitragen könnte, die die Sowjets am meisten fürchten." (Newsweek)

Wirklich eine schöne "Ironie", daß die Zwangsidee der Russen, vom Westen bedroht zu werden, Europa mit Pershings und Cruise Missiles bestückt und China aufrüstet! Aber dem imperialistischen Denken gefällt sein Schwachsinn außerordentlich.

"Der innere Substanzverlust hat in den letzten Jahren die Zwangsidee verstärkt, alle sowjetischen Vorfelder sichern zu müssen... Moskaus Griff nach Afghanistan hat nicht nur die amerikanische Militärmaschinerie wieder auf Touren gebracht..." (Zeit)

Und um es noch einmal zu bekräftigen, daß es wirklich ganz allein die Russen sind - die Vorabklärung der Schuldfrage nimmt schon leicht debile Formen an, wenn "Zwangsideen" vorgeführt werden, die wundersamerweise die Militärmaschinerie anderer Mächte gegen sich zum Einsatz bringen, vielleicht führen die Russen auch noch den Krieg mit sich allein? -, noch einmal die Ableitung von Krieg aus ökonomischer Schwäche:

"Weil die Pragmatiker nicht wirtschaften dürfen, obwohl die Ideologen abgewirtschaftet haben, gerät der Kreml zunehmend in die Gefahr, sein von Auflösung bedrohtes Gesellschaftssystem nur noch in der permanenten Anspannung eines künstlich geschaffenen 'Kriegskommunismus' funktionstüchtig halten zu können." (Zeit)

Schöne Alternativen präsentieren die Berichterstatter der KPdSU bei der Ausdeutung ihres Parteitags: Entweder ihr gebt euch ein fach ganz freiwillig auf, macht einen auf Marktwirtschaft, Demokratie und Dezentralisierung, viele kleine Sowjetrepubliken, oder, da das ja leider nicht so ganz einfach geht, ihr werdet wegen innerlicher Auflösung einerseits und Zwangsideen andererseits wohl Krieg führen (und verlieren) müssen...

Und zur Untermauerung dieser der Sowjetunion angehängten Entwicklungsnotwendigkeiten ist die Begutachtung von Leonids Gesundheit wiederum ganz unerläßlich; hat er nun seine Rede selbst gehalten oder nicht; war er nun "leicht sonnengebräunt und wirkte erholt" (FAZ) oder "mag ein stundenlang unredigiert zu betrachtender Breschnew zu angestrengt schleppend wirken, physisch womöglich nicht mehr stark genug für zentrale Machtausübung"; warum hat sich das Fernsehen ausgeblendet; was steckt dahinter; was hat das zu bedeuten?

Methodenfragen der Gewaltausübung

Uns ist es ziemlich egal, ob die Segnungen, die die Herrschaft in Ost und West ihren Bürgern zuteil werden läßt, von vergreisten oder von Politikem mit Spannkraft ausgeteilt werden; uns ist ebenso scheißegal, ob deren Parteitage, auf denen deren Herrschaft sich möglichst überzeugend, vorführen will, nun mit ganz viel Diskussion oder mehr mit Einheit bestritten werden, ob die CDUler ihren Helmut "sehnsüchtig" die KPdSUler Breschnew aber "ehrfürchtig" beklatschen. Ob die Legitimation der Herrschaft auf "Kontinuität" Wert legt"auf den mit möglichst beständiger Amtsführung bis ins Greisenalter geführten "Beweis" für die unerschütterlich richtige Linie, oder ob die Freiheit des Volkes sich in der Alternative Strauß/Schmidt austoben darf und öfter mal "neue Gesichter" für die konjunkturgemäße Durchsetzung der Staatsgewalt sorgen - warum soll einem unbedingt eines davon lieber als - das andere sein?! Ob eine Staatsgewalt sich die Zustimmung der ihr Unterworfonen durch die Präsentation von sogenannton "Ideen", den philosophisch idealisierten Staatsnotwendigkeiten sichert und durch einen lebhaft inszenierten Streit darüber, was denn dieser Gewalt wohl am bekömmlichsten sei, oder ob sie ihre bruchlose und fraglose Einheit mit den Beherrschten durch eine "Diskussion von über 121 Millionen Menschen" unter Beweis stellen will, in der nach Auskunft des Genossen Breschnew 121-Millionen-mal

"die eherne Geschlossenheit der Reihen der Partei demonstriert und die Generallinie der Partei einmütig gebilligt",

wurde - das ist eine Methodenfrage der Gewaltausübung und wir meinen, es besteht angesichts der unübersehbaren Zwecke und Resultate der Herrschaft in beiden Lagern nicht der geringste Grund, sich an der Debatte über deren Vor- und Nachteile zu beteiligen. Die Geschmacksurteile a la Kempski, Schleicher und Schmidt-Häuer sollen sich die zu Gemüte führen, die sich ihre Staatsbürgerpflichten gern als Konsequenz ihrer feinsinnigen und wählerischen Entscheidung vorstellen. Was die neuerlichen Zusammenbruchstheorien betrifft, die sich die Parteitagskommentatoren erarbeitet haben, wobei sie sich köstlich darüber amüsieren, wenn z.B.

"Parteitagsdelegierte versichern, daß es in Zukunft in den Geschäften genügend Unterhosen zu kaufen gebe... System wirtschaftlich und gesellschaftlich in einer tiefen Krise..." (Die Welt)

oder darüber, daß man eigens einen "Gemüseminister" (FAZ) berufen hat, so ist dazu zweierlei zu bemerken. 1. schlägt das Wunschdenken bei der liebevollen Begutachtung der Schwachstellen der Sowjetunion und deren "Explosivkraft" doch etwas über die Stränge: Auch bei uns ist der Reichtum des Staates und dessen Schlagkraft nach außen nicht an der Menge der Unterhosen zu bemessen, die seine Bürger besitzen. 2. Ist uns ein Parteitag, der die Produktion von Unterhosen oder die Errichtung einer Wurstfabrik beschließt, weitaus sympathischer als so einer wie in Mannheim, der zur Unterstützung der sozial schwachen Mieter die Notwendigkeit steigender Mieten beschließt. Bloß ist ersteres leider auch nicht die Wahrheit über den XXVI. Parteitag der KPdSU.

Planung der realsozialistischen Kriegswirtschaft

Eine tröstliche Interpretation der nunmehr offiziellen Linie der USA, die UdSSR "totzurüsten", pflegt die Vorstellung, daß in der Durchführung dieses Programms den Sowjets einfach die Mittel ausgehen, Energie- und Rohstoffmangel weiteren Raketenbau verunmöglichen usf., so daß die Kreml-Chefs resigniert die Übergabeverhandlungen einleiten. Solche Vorstellungen täuschen sich über den Reichtum, über den diese Nation verfügt. Aber die Disposition über diesen Reichtum, wie sie der XXVI. Parteitag im Beschluß über die "Hauptrichtungen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der UdSSR für die Jahre 1981 bis 1985" festgelegt hat, entspricht durchaus dem von der Weltmacht Nr. 1 aufgezwungenen Programm der Aufrüstung ohne Wenn und Aber. Die heimlichen Stellungnahmen der Sowjetführer zum sozialistischen Kriegswirtschaftsprogramm lassen auch erkennen, daß diese Vorbereitung auf die Konfrontation nicht im Interesse der sowjetischen Politik liegt, wenngleich sie sich auf die Bedingungen des Wettrüstens einstellt. Die sowjetiache Weltmachtpolitik, deren Beanspruchung des Titels Friedenspolitik zwar genauso ideologisch ist wie die westliche, ist von anderer Natur als der US-amerikanische und europäische Imperialismus. (vgl. dazu MSZ Nr. 3/1981, Klarstellungen zur Sowjetunion)

Die Planung der nächsten 5 Jahre unter der absoluten Priorität der Rüstung geschieht mit einem heimlichen 'leider'. Deutlicher als mit der Rede von der "komplizierten und stürmischen Zeit", der "wichtigsten Frage, der Erhaltung dea Friedens", will man nicht werden, das verbietet sowohl das Selbstbewußtsein einer Weltmacht als auch der programmatische Optimismus revisionistischer Politik: Statt das eigene Volk über das Vorhaben des Westens gründlich und offen zu unterrichten, setzt man auf dessen Vertrauen in die Sowjetmacht, die der "wachsenden Aggressivität des Imperialismus" schon Paroli bieten wird.

Für revisionistische Gepflogenheiten sind die Parteitagsreden allerdings wiederum sehr deutlich:

"Ja, die sowjetischen Menschen blicken mit Zuversicht in das Morgen. Ihr Optimismus aber ist nicht die Selbstsicherheit, vom Schicksal verwöhnt zu sein." (Breschnew)

Sogenannte "schwierige Bedingungen"

Daß als Antwort auf die westliche Kampfansage ein immer größerer Teil des gesellschaftlichen Reichtums für die Rüstungsproduktion aufgewendet wird, haben die Parteitagsdelegierten nur in der tröstlichen Form mitgeteilt bekommen:

"Wir werden der Stärkung der Verteidigung des Landes auch weiterhin nicht nachlassende Aufmerksamkeit widmen."

Um es zu wiederholen: übel ist ein solches Verfahren nicht deshalb, weil es die Umrechnung der Rüstung in Anteil am Bruttosozialprodukt und damit den zahlenmäßigen "Beweis", wer die höhere der beiden Weltmächte ist, verunmöglicht. Das können Radio Free Europa und Radio Liberty dem Sowjetvolk, den zukünftigen 'soft targets' der Ami-Raketen, ja ersatzweise über den Äther mitteilen. übel ist der Ersatz von Aufklärung durch Zuversicht in die eigene "Verteidigung", weil so auf reviaionistisch das Volk darauf vorbereitet wird, im Krieg verheizt zu werden. Daß auch der reale Sozialismus ein Sparprogramm zugunsten der Rüstung auf die Tagesordnung gesetzt hat, in dem die gesamte Produktion daraufhin durchgemustert wird, was für das weitere Funktionieren unerläßlich ist und wo Mittel freigesetzt werden können, wird unter Angabe falscher bzw. vorgeschobener Gründe erläutert.

"Wie Sie wissen, werden in den 80er Jahren einige Faktoren wirksam, die die ökonomische Entwicklung erschweren. Einer von ihnen ist der Rückgang des Zuwachses an Arbeitskräften. Ein anderer ist die Erhöhung des Aufwandes bei der Erschließung der östlichen und nördlichen Landesteile..."

Als Gesetz der Produktuon sind beides Ideologien, die aber beide Wahrheiten über die Zwänge enthalten, die die realsozialistische Produktionsweise für die Produktion errichtet hat und die unter den jetzigen Bedingungen als Beschränkung der staatlichen Handlungsfreiheit besonders hinderlich erscheinen. Die Behauptung, die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft hinge von der Zunahme der ArbeiLskräfte ab, ist ökonomisch blanker Unsinn. Die Klage über zu wenig Arbeitskräfte bespricht die Ausbeutung, die nicht effektiv genug geschieht, die den Ersatz von Arbeitskräften durch moderne Technologie nicht planmäßig betreibt. Investitionen zur Erschließung weiterer natürlicher Reichtümer wiederum als Belastung der Wirtschaft zu besprechen, entspringt einem praktischem Umgang mit der Produktion, der den dort produzierten Reichtum für höhere Dinge in Anspruch nimmt und daher alle Erfordernisse der Produktion nicht als Mittel, sondern Beschränkung weiteren Reichtums behandelt.

Intensivierung absolut

Langsameres Bevölkerungwachstum und Sibirien müssen jedenfalls zur Begründung des sowjetischen Sparprogramms herhalten, das die gesamte Industrie, abgesehen von den notwendigen Ausnahmen, dem Diktat unterwirft,

"das ein vorrangiges Wachstum der volkswirtschaftlichen Endergebnisse gegenüber der Zunahme an Arbeitskräften und materiellem Aufwand... vorsieht... Die Erhöhung des Nationaleinkommens muß mit einer geringeren absoluten und relativen Zunahme der Investitionen als als den vorangegangenen fünf Jahren gesichert werden."

Gemäß den "Prinzipien des Marxismus-Leninismus" handelt es sich dabei natürlich nicht um ein Notprogramm, sondern mindestens um eine historische Aufgabe:

"Hinsichtlich ihrer historischen Maßstäbe, Bedeutung und Auswirkungen kann die gegenwärtig erfolgende Überleitung unserer Volkswirtschaft auf einen intensiven Entwicklungsweg zu Recht auf eine Stufe mit solchen einschneideaden Umgestaltungen wie der sozialistischen Industrialisierung gestellt werden, die das Antlitz des Landes von Grund auf veränderte."

Daß die Verweigerung oder Kürzung von Investitionsmitteln "einschneidende" Wirkungen hat, ist nicht zu bestreiten. Die Umdichtung in Phasen von extensiv zu intensiv aber, die so tut, als sei früher mit immer mehr Leuten und immer mehr Material produziert worden und als sei es nunmehr an der Zeit, etwas mehr auf Produktivität zu achten, als ob die Auflagen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität nicht seit jeher in den Plänen gestanden wären, diese Pseudo-Gesetzmäßigkeit ist die beschönigende Formulierung für den Auftrag, die Kräfte der Volkswirtschaft aufs äußerste anzuspannen ohne Erhohung der Kosten. Zu diesem Zweck werden die bewährten Vorschriften erneuert:

"Die Einsparung jeder Tonne Erdöl, Kohle und Metall zeitigt einen immer größeren Effekt, während der Schaden durch ihre unratioaelle Verwenduag immer spürbarer wird."

"Strenge Beerenzung für den Verbrauch aller Materialien..."

"Verbrauch von Eiseawalzgut um mindestens 18-20% verringern... bessere Nutzung von Metallschrott..."

"...bessere Ausnutzung der Produktionskapazitäten, der Maschinen, der Ausrüstungen und Transportmittel, Senkung der Stillstandszeiten..." usf. usf.

In ziemlich unmaterialistischer Weise wird das Verhältnis von Aufwand und Ertrag der konstruktiven Kritik unterzogen, daß bei geringerem Aufwand ein größerer Ertrag herauskommen muß. Oder direkt gesagt: das Sparprogramm und die Fortsetzung bzw. Erweiterung der Produktion muß möglich sein.

"Zum Kernstück der Wirtschaftspolitik wird etwas anscheinend Simples und Alltägliches - der wirtschaftliche Umgang mit den gesellschaftlichen Gütern und die Fähigkeit, alles, was wir besitzen, vollständig und zweckmäßig zu nutzen... Die Wirtschaft muß wirtschaftlich sein - das ist die Forderung der Zeit."

Der Auftrag an die Produktion, "was wir besitzen, vollständig zu nutzen", als würden dort nicht Gebrauchswerte geschaffen und vermehrt, ist letzlich eine einzige Aufforderung zum rücksichtlosen Gebrauch des subjektiven Elements der Produktion, das ja die besondere Eigenschaft besitzt bei fixem Preis sehr variabel in der Leistung zu sein.

Das Lob der Arbeit wird deshalb auch überreichlich gespendet.

Die Unterstellung, die Produktivitätssteigerung hinge vom Leistungseifer und der Einsatzfreude ab, ist eine Ideologie, die sich an den objektiven Bedingungen, unter die der Einsatzwille des einzelnen in einem industriellen Betrieb gesetzt ist, blamiert. Mit diesem Idealismus wird aber in der Sowjetunion Ernst gemacht und der Lohn als das Mittel behandelt, die Produktion ohne Mehraufwendung voranzutreiben.

"Wirtschaftlich sein" heißt im nächsten Fünfjahrplan vor allem,

"die Arbeitsorganisation nach dem System der Brigadeabrechnung konsequent einzuführen, die Festlegung der Normen zu vervollkommnen und die stimulierende Rolle der Löhne zu verstärken."

Die Brigadeentlohnung, die das Interesse an der Prämie zur wechselseitigen Erpressung zur Mehrarbeit und wechselseitigen Kontrolle benutzen will, erschwert zwar die Erzielung von Prämien. Aber alles Drehen an der Lohnschraube, um mehr Leistung zu erreichen, hat seine Grenze in den objektiven Bedingungen, ohne die Leistung nicht zu haben ist. Und daran soll ja gespart werden.

Strategische Ausnahmen: Energie, Rohstoffe...

Ausgenommen aus diesem Programm der "Wirtschaftlichkeit" sind Energieproduktion und Rohstoffgewinnung, vor allem die Erschließung Ost- und Nordsibiriens. Der extensive Ausverkauf dieser Artikel zum Zweck der Devisenbeschaffung, zum Teil auf Kosten des Bedarfs der eigenen Industrie, hat die Dringlichkeitsstufe zur Erschließung neuer Rohstoffvorkommen drastisch erhöht. Das schon fast peinliche Werben um westliche Hilfe belegt, welche neue Kampffront sich die sozialistische Wirtschaftspolitik im Bereich der Rohstoffversorgung geschaffen hat. Ironischerweise hat ausgerechnet die notgedrungene Anstrengung, diese Projekte zu beschleunigen, dazu geführt, sie zumindest teilweise von der Beachtung der Prinzipien der wirtschaftlichen Rechnungsführung zu entlasten. Geld, Arbeitskräfte und Produktionsmittel stehen dort - soweit vorhanden - ohne Bemessung an Gewinnplänen, Erfüllung von Kennziffern, Normativen etc. uneingeschränkt zur Verfügung.

Ausgenommen sind weiterhin Transport- und Bauwesen, aus dem einfachen Grund, weil die bisherige knappe Kalkulation dieser Bereiche zunehmend dazu geführt hat, die Produktionssteigerung in anderen Bereichen nutzlos zu machen. Verfaulende Lebensmittel in abgestellten Waggons, Maschinen, die verrosten, weil die Fertigstellung der Fabrikhallen sich verzögert, stockende Lieferungen, weil das Verkehrsnetz überlastet ist - das sind Verluste, die man sich unter den jetzigen Prioritäten zumindest nicht in dem Ausmaß leisten will. Abhilfe schaffen soll neben anderem da allerdings auch wieder das Universalmittel:

"Das neue Planjahrfünft wird zu einer harten Prüfung für die Bauarbeiter werden."

...und Landwirtschaft

Ausgenommen ist schließlich die Landwirtschaft. Hat man bislang das Eintreten von Versorgungsmängeln ziemlich großzügig in Kauf genommen, in Spekulation auf die Duldsamkeit des Volkes und den Ausgleich durch Importe, so hat die "Weltlage" die Gefahren solchen Vorgehens spürbar gemacht. Die Anwendung der "Weizenwaffe" durch die USA hat, worüber sich inzwischen ja auch die bundesdeutschen Zweifler an der Möglichkeit und Durchführbarkeit von Boykottmaßnahmen einig geworden sind, "Erfolge" gehabt. Und die Ausweitung dieser "Erfolge" dadurch, daß die USA den langfristigen Vertrag über das Mindestkontingent an Weizenverkäufen, der im September ausläuft, nicht erneuert, wird im State Department ganz vorurteilslos erörtert. Gemessen an bisherigen Maßstäben wird der landwirtschaftliche Sektor jetzt gewaltig ausgebaut, und zwar aus dem einfachen Grund, daß eine Versorgung der Bevölkerung, soweit sie vom Weltmarkt abhängig ist, in Zeiten wo diese Benutzung des Weltmarkts praktisch in Frage gestellt wird, ganz unmittelbar in Hungersnöte umschlagen kann. Daß die frühere Fast-Autarkie zugunsten der "Vorzüge der internationalen Arbeitsteilung" - so die idyllische Bezeichnung des Weltmarkts von revisionistischen Standpunkt - aufgegeben wurde, macht sich den Verantwortlichenjetzt unangenehm bemerkbar - als politisches Erpressungsmittel. Die russische Bevölkerung hat also keinen Wohlstand zu erwarten - gesorgt werden soll für das Minimum, das bei ausfallenden Käufen auf dem Weltmarkt da sein sollte.

Neben vermehrten Investitionen in die Landwirtschaft und in die dafür erforderlichen Industriezweige setzt man - ungeachtet aller ideologischen Bedenken - auf die privaten Nebenwirtschaften, die sich nunmehr großer staatlicher Wertschätzung erfreuen:

"Zwar waren und bleiben die Kolchosen und Sowchosen Grundlage der sozialistischen Landwirtschaft, aber das heißt ganz und gar nicht, daß man die Möglichkeiten der individuellen Nebenwirtschaften vernachlässigen könnte."

Denn:

"Die den Werktätigen gehörenden Obst- und Gemüsegärten, das Geflügel und das Vieh sind Teil unseres gemeinsamen Reichtums."

Das Schwein im Verschlag, Kartoffeln im Garten, das bißchen Arbeit ist ja im Grunde nichts als Freizeit - ein, vom Standpunkt einer rationellen Produktion aus betrachtet, zur Armut gehöriger Anachronismus gilt dem sowjetischen Stant, der ja auch so etwas wie die Entfesselung der Produktivkräfte in seinem Programm stehen hat, nunmehr als lobenswerte Einrichtung.

Daß es bei diesen Anstrengungen nicht um die Befriedigung von Bedürfnissen, sondern um die ganz funktionelle Versorgung geht, die Sorge um die Notwendigkeit, daß die Leute etwas zum Essen brauchen, wenn sie arbeiten sollen, beweist die die landwirtschaftlichen Maßnahmen ergänzende Preispolitik. Mit vorläufiger Ausnahme von Brot und Milchprodukten werden alle Lebensmittel verteuert in einem Maß, das die angekündigten Lohnsteigerungen weit in den Schatten stellt. Verteuerung auch aller anderen Konsumtionsgüter und Versprechen zur besseren Versorgung, die die Verwirklichung dieses Versprechens den "inneren Reserven" der Konsumtionsgüterindustrie und der "Ehre und dem Berufsstolz" der dort Beschäftigten anheimstellt, sind die andere Seite der Benützung des Volks durch das russische Sparprogramm. Bei der Sortierung der Massenbedürfnisse in Notwendigkeit und Luxus, die die realsozialistische Planung ja schon des längeren übt, bleibt nunmehr auf der Seite der Notwendigkeit kaum mehr als das übrig, was zur Existenz im wörtlichen Sinn erforderlich ist.

Die geistige Wehrbereitschaft

Sorgen um ihr Volk macht sich die KPdSU allerdings schon. In der gesamten letzten Abteilung seiner Rede widmete sich der Erste Sekretär dessen geistigen Bedürfnissen:

"Der Klassenfeind hat die Aktivität seiner Propagandainstrumente erhöht... Der sowjetische Mensch ist ein gebildeter und kulturvoller Mensch. Und wenn man mit ihm in einer geistlosen, bürokratischen Sprache spricht, ihn mit allgemeinen Phrasen ab speist, anstatt ihm die konkrete Verbindung zum Leben und zu den realen Fakten aufzuzeigen, dann schaltet er einfach den Fernsehapparat oder das Radio aus oder legt die Zeitung beiseite...

Sind bei uns die Formen der massenpolitischen Arbeit nicht ziemlich erstarrt?

Es war eine Sache, als die Menschen noch unzureichend geschult, wenig gebildet waren. Etwas anderes ist es, den Sowjetmenschen von heute anzusprechen...

Wir wollen, daß die Politik der Partei und die Tätigigkeit der Massen sich vereinigen, daß die Parteischulung die Menschen lehrt... Vom Propagandisten hängt es ab, ob sie eine Stätte sind, wo mitunter Langeweile herrscht, wo man nur die Pflichtstunden absitzt, oder ob sie im Gegenteil allerorts wirkliche Zentren lebendigen parteimäßigen Denkens und Auftretens darstellen."

Nicht daß die KPdSU übermäßige Schwierigkeiten hatte, mit Dissidenten und Oppositionellen fertigzuwerden - um die Bekämpfung offenen Widerstands geht es hier nicht, es geht wirklich um die Massen. Mit Karteileichen, Opportunisten, Karrieristen, Schiebern und schlicht Gleichgültigen läßt sich ein realer Sozialismus durchaus machen, auch über lange Jahre hinweg und auch mit gewissen Fortschritten. Bedenklich wird dem sozialistischen Staat die bedingte Loyalität und Staatsbegeisterung aber, wenn es auf Zeiten zugeht, in denen er seinen Massen Härteres abverlangt, als sich unter seiner Regie recht und schlecht durchzuschlagen und für ihn zu arbeiten. Mit einer ordentlichen Liebe zu Rußland allerdings, wenn auch nicht gerade mit "parteimäßigem Denken", damit kann der Sowjetstaat fest rechnen.