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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1981 erschienen.

Systematik


"ENDE DER ENTSPANNUNG"

Die Charakterisierung des vergangenen Jahrzehnts imperialistischer Weltgeschäfte als "Ära der Entspannungspolitik" war stets eine leicht durchschaubare Ideologie. "Entspannung" als Dauereinrichtung setzt ja immerhin genauso dauerhafte "Spannungen" zwischen den beteiligten Staaten voraus; wie sollte es die aber geben ohne eine Außenpolitik, die zuallererst einmal einen Interessenaegensatz zu ihrem Inhalt macht? Dabei sind auch "Spannung" und "Gegensatz" an und für sich niemals Zweck und Inhalt einer staatlichen Politik nach außen: Feindseligkeit in der Weltpolitik unterstellt noch allemal einen inhaltlichen Zweck maßgeblicher Souveräne, ein positives Interesse am Rest der Welt, dem andere Staaten zum Hindernis werden. Davon ist sehr vornehm nicht die Rede, wenn "Entspannung" als Staatszweck ausgegeben wird. Und dem ließe sich eigentlich entnehmen, daß "Entspannungspolitik" eben nichts mit einer Revision der politischen Zwecke zu tun haben will, die beständig zu weltpolitischen Kollisonen führen, sondern auf eine spezielle Verlaufsform der Durchsetzung dieser Zwecke und der Abwicklung daraus sich ergebender Konflikte hinauswill. Stattdessen gelten "Entspannungs"- und erst recht "Friedenspolitik" als Komplimente - so als praktizierten die Staaten in ihren imperialistischen Händeln untereinander keine materiellen Zwecke, sondern einen reinen Idealismus der diplomatischen Formen ihres Umgangs miteinander.

Diese ideologische gute Meinung über die "Entspannungsphase" geht noch nicht einmal zusammen mit ihrem Gegenstand zu Ende; im Gegenteil. Wenn seit ungefähr einem Jahr mit zunehmendem Nachdruck die zuvor mit großem Propagandagetöse eingeführten neuen diplomatischen Umgangsformen mit dem Osten außer Kraft gesetzt und für "gescheitert" erklärt werden, dann soll man nicht etwa auf den naheliegenden Schluß verfallen, daß diese Umgangsformen demnach also niemals der maßgebliche politische Zweck gewesen sind, sondern stets ein Mittel, das vom Standpunkt der Gegnerschaft aus in Betracht gezogen worden war und nunmehr als untauglich verworfen wird. An die guten Absichten der jetzt verabschiedeten Politik soll der Mensch jetzt in der Form glauben, daß er sich die Frage stellt: Wer ist schuld an deren Scheitern? - und sie damit auch schon beantwortet hat: Die anderen natürlich, die es mit der Entspannung im Grunde nie ehrlich gemeint haben! So tut der ideologische Schwindel über die "Entspannungswilligkeit" der bisherigen westlichen Politik seinen letzten und schönsten Dienst, indem er für die Rechtfertigung der neuen diplomatischen Linie im westlichen Vorgehen gegen die Interessen der Sowjetunion herhält. für eine Politik im Namen des "Endes der Entspannung".

Dieser Übergang selbst ist nämlich keineswegs ein bloß ideologischer - wenngleich schon gar nicht die Einführung eines bislang unbekannten neuen Zwecks in das weltpolitische Leben. Mit ihren apolopetischen Phraser. Kündigen die westlichen Staatsmänner ihren östlichen Kollegen sehr klar und eindeutig die Konsequenzen an, die sie aus den Erfolgen und Mängeln ihres Imperialismus der vergangenen 10 Jahre ziehen.

Anfang und Ende der "Entspannungspolitik" made in USA

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Bekanntlich beurteilen die USA ihre Teilnahme an der "Entspannungspolitik" des vergangenen Jahrzehnts rückblickend als eine Phase amerikanischer Schwäche und geradezu unverantwortlicher Nachgiebigkeit. Es ist ebenso bekannt und fast peinlich, daran zu erinnern, daß diese Selbsteinschätzung in jeder Hinsicht Unfug ist: Was die Wucht der strategischen Atommacht, die weltweite militärische Präsenz und die Potenz und Belastbarkeit der dafür geradestehenden Nationalökonomie betrifft, sind die USA allein dem gesamten Ostblock überlegen; was außer ihnen selbst und der Sowjetunion sonst noch als wirtschaftliche und militärische Macht zählt auf diesem Globus, das sind allesamt Verbündete der USA, die diese in aller Freiheit als ihre Führungsmacht anerkennen; der nicht vertraglich fest an sie gebundene - "blockfreie" - Rest der Welt wird von den USA und ihren imperialistischen Verbündeten so selbstverständlich und so erfolgreich als ihr botmäßiges Hinterland behandelt, daß die wenigen partiellen Ausnahmen - an einer Hand aufzuzählen: über Äthiopien, Angola, Afghanistan, Cuba reicht die Aufzählung der sowjetischen "Einbrüche" in die Domänen der freien Welt nicht hinaus! - gleich als unerhörte Eingriffe in die amerikanischen Lebensinteressen gelten; aus dem "sozialistischen Lager" ist mit China die zweite Großmacht hinter der Sowjetunion nicht bloß erfolgreich abgespalten worden, sondern zum feindseligsten Gegner des einstigen Partners geworden, der sich den USA als deren künftiges "Entwicklungsland" Nr. 1 anbietet. Trotzdem gibt es - offenkundig - einen Standpunkt, von dem aus die amerikanische Nation es fertigbringt, sich ihrer jüngsten Vergangenheit als einer Phase des Niedergangs und der Schwächlichkeit zu schämen. Verwiesen wird da auf die Tatsache, daß es überhaupt Verbündete der Sowjetunion außerhalb des "Warschauer Pakts" gibt; auf den Umstand, daß die Sowjetunion sich die Freiheit herausgenommen hat, eine Kriegsflotte aufzubauen und ein paar Stützpunkte für diese einzurichten; auf die Existenz eines mit der Atommacht der USA immerhin zahlenmäßig annähernd vergleichbaren Arsenals strategischer Raketen; auf die SALT-Abkommen, in denen die USA ihrem Gegner in aller Form den Rang eines gleichgewichtigen Kontrahenten zuerkannt und zugesichert haben, bei der weiteren Aufrüstung gegen ihn doch zugleich um ein Einvernehmen mit ihm bemüht sein zu wollen. Auskünfte über das tatsächliche "Kräfteverhältnis" auf dem Erdball sind diese "Argumente" nicht - wohl aber über den Maßstab, an dem die USA sich und ihr Verhältnis zur Sowjetunion messen. Ein ärgerliches Schwächezeichen ist das alles nur - dann aber in der Tat! - im Verhältnis zu dem Anspruch, völlig unangefochten und ohne den Zwang zu irgendeiner Rücksichtnahme auf irgendwen die ganze Welt militärisch im Griff zu haben und politisch über sie verfügen zu können.

Abbruch des "SALT-Prozesses"

Nun ist es keineswegs so, als ob die USA diesen Anspruch in den Zeiten der "Entspannungspolitik" jemals aufgegeben hätten; im Gegenteil. Mit der Aushandlung einiger Obergrenzen bei der Aufrüstung mit den wuchtigsten Atomwaffen im Rahmen des "SALT-Prozesses" haben sie ihr Bemühen um bedingungslose Überlegenheit keineswegs aufgegeben, sondern dem Umstand angepaßt, daß die Sowjetunion in der Atomrüstung halbwegs mitgehalten hatte, und es gegen gewisse daraus erwachsene Risiken abgesichert: gegen ineffektive und Fehlinvestitiönen bei der Raketenrüstung; gegen unvermutete Fortschritte der sowjetischen Aufrüstung; gegen die Gefahr, daß die Gegenseite durch ultimative Drohungen eigene Druchbrüche im "Rüstungswettlauf" zu verhindern suchen könnte; schließlich gegen die völlige Unkalkulierbarkeit des Atomkrieges selbst - vom damaligen Standpunkt aus ein entschiedener Fortschritt zu dem Ziel hin, eine bewaffnete Auseinandersetzung mit dem Osten, falls sie denn einmal "unausweichlich" werden sollte, in jeder Phase bestehen zu können. Das Moment von Anerkennung und Respektierung des Gegners, das in diesen Vereinbarungen natürlicherweise enthalten ist, war den USA durch den Umstand aufgezwungen, daß die Sowjetunion sich tatsächlich als zu fürchtende Gegenmacht behauptet hatte. Eben deswegen haben die USA ihren Entschluß, mit der Sowjetunion wie unter Gleichen zu verhandeln, aber nie einfach als die selbstverständliche Bedingung hingenommen, um das für nützlich erachtete Einvernehmen herzustellen, sondern stets als ein einseitiges Zugeständnis betrachtet und behandelt, für das der Gegenseite ein Preis abzuverlangen sei. Benannt wurde dieser Preis in Form des drohenden Hinweises, welche Aktivitäten des Gegners den "SALT-Prozeß" zu Fall bringen müßten - nämlich alle, mit denen die Sowjetunion praktisch ihr Interesse angemeldet hat, sich ebenfalls ein paar strategische Einflußgebiete zu verschaffen bzw. die, die sie hat, zu sichern und die Feindschaft Chinas sowie den "Verlust" so wichtiger Verbündeter wie Ägypten zu kompensieren. Mit dem Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan war der SALT II-Vertrag für die USA bereits endgültig gestorben - und damit klargestellt, daß es ihnen um die ausgehandelten praktischen Vorteile dieses Vertragswerks nur sehr bedingt gegangen war. Ganz unabhängig von dessen Inhalt behandelten die USA ihre bloße Bereitschaft, mit der Vertragsratifizierung die Sowjetunion ihrer formellen Anerkennung als gleichrangige Weltmacht zu versichern, schon als eine Leistung ihrerseits, die der Gegner sich erst zu verdienen habe, und zwar - logischerweise - durch den wenigstens stillschweigend praktizierten Verzicht darauf, sich irgendwie als gleichrangige Weltmacht zu betätigen. Das formelle Abrücken der USA von ihrem Anspruch, allein die maßgebliche Weltmacht zu sein, sollte ihr diplomatisches Mittel sein, der praktischen Verwirklichung dieses Anspruchs wieder einen Schritt näherzukommen. "Entspannungspolitik" war für die USA, andersherum gesagt, die Aufstellung und der Streit um die Durchsetzung höchst restriktiver Bedingungen, unter denen allein sie sich dazu bereitfinden wollten, der Sowjetunion überhaupt eine Behandlung als gleichberechtigten Verhandlungspartner zu gewähren.

Erpressungsdiplomatie ohne Angebote

Und deswegen liegt in der Logik der "Entspannungspolitik" ihr "Scheitern", nämlich ihre Aufkündigung durch die amerikanische Seite. Denn deren Ansinnen an die Sowjetunion, um ihrer formellen Anerkennung willen alle weltpolitischen Interessen und Machtpositionen abzuschreiben, mit denen sie der amerikanischen Weltmacht hinderlich ist, kann sich ja schwerlich befriedigt sehen. Ihren Nachdruck hat diese diplomatische Einladung zur Kapitulation deswegen auch immer schon aus der Kalkulation und impliziten Drohung mit härteren Erpressungsmitteln bezogen; genauso: die der Sache nach ultimativen "Entspannungs"-Angebote der USA waren nichts anderes als die diplomatiscne Form, in der die Kalkulation und Drohung mit deren Alternativen aufgestellt wurde. Diese imperialistische Wahrheit der amerikanischen "Entspannungspolitik" falsch, nämlich als Zugeständnis eines Freiraums verstanden zu haben, das ist der Vorwurf, den die neue US-Regierung an die Sowjetunion richtet. Sie nimmt davon Abstand, der Gegenseite noch einen Preis für "gute Behandlung" durch den Westen zu nennen, erklärt diese Sorte diplomatischer Erpressung offensiv für untauglich und kommt kompromißlos auf den Kern der Sache: ihre Absicht, die Sowjetunion zur Fügsamkeit dem amerikanischen Weltmachtanspruch gegenüber zu zwingen.

Sehr konsequent und ganz im Sinne ihres politischen Zwecks mündet so die amerikanische "Entspannungspolitik", die selber schon immer die Aufrüstung vorangetrieben hat, in eine noch stärker forcierte Rüstung, die sich üherhaupt nur noch am Machbaren orientiert; in die Stornierung aller Beziehungen; aus denen auch die Gegenseite einen Vorteil ziehen könnte; in eine Politik der politischen und notfalls militärischen Unterstützung sämtlicher Feinde, Schädigung aller im Verdacht der Sowjetfreundschaft stehenden Souveräne und Bewegungen und, wo noch "friedlich" möglich, der Sowjetunion selber; in die Beendigung gewohnter Formen des diplomatischen Respekts. Was an Diplomatie noch stattfindet, dient ziemlich ausschließlich der Mitteilung, daß die US-Politik sich diesen Übergang nicht nehmen lassen will, auch nicht durch noch so defensive Friedensangebote der östlichen Seite. Dafür nimmt die US-Regierung ihre eigene Ökonomie und ihr eigenes Volk ebenso rigoros in Anspruch wie ihre demokratischen Verbündeten.

Die BRD: Nutznießer und Scharfmacher der Entspannung

Seit die Führer der USA - längst vor "Afghanistan" hatte Carter mit seinem Aufstand gegen eine angebliche russische Kampfbrigade auf Kuba damit bereits begonnen! - die"Entspannungsphase" für beendet erklärt haben, trägt die Bundesregierung diesen neuen politischen Kurs nach Kräften aktiv mit. Sie hat den "Nachrüstungsbeschluß" der NATO maßgeblich mit durchgesetzt, Olympia boykottieren helfen, die Ultimaten bezüglich Polens mitformuliert. Über die Moskaureise des Kanzlers vor einem Jahr ist von keiner Seite je etwas anderes bekanntbeworden, als daß Schmidt dort die Entschlossenheit des Westens, die Besetzung Afghanistans nicht zu dulden und auf Zwangsmittel zur Abhilfe zu sinnen, kompromißlos dargelegt und die Gegenseite aufgefordert hat, durch Nachgiebigkeit den Frieden zu sichern - was ja wohl nichts anderes ist als ein diplomatischer Hinweis auf westliche Kriegsbereitschaft, wann immer die Sowjetunion noch so defensive Großmachtinteressen zu wahren sucht. Ein knappes Jahr später fährt Vizekanzler Genscher wieder nach Moskau, um in demselben Sinn die Unvereinbarkeit der beiderseitigen Standpunkte in Sachen Polen und Atomrüstung zu bekräftigen, eventuelle "Mißverständnisse" über den Ernst der Lage, so wie der Westen ihn meint, auszuräumen und klarzustellen, daß die Bundesregierung gewillt ist, sogar eine einseitige sowjetische Unterbrechung der Raketenrüstung als Anschlag auf den westlichen "Nachrüstungsplan" zurückzuweisen - selbst die reaktionärsten Teile der christlichen Opposition mögen diesem Ergebnis ihren Beifall nicht versagen. Könnerschaft hat die Bundesregierung auch schon immer darin bewiesen, beständig im Handeln des "Entspannungspartners" Gefahren für die Fortsetzung der "Entsgannung" auszumachen und auf diese Weise die Forderungen vorzustellen, von deren Erfüllung sie ihre fortdauernde Bereitschaft zu friedlichem Einvernehmen abhängig macht - derzeit betreffen diese u.a. ziemlich interne Angelegenheiten Polens: eine Polizeiaktion, ähnlich der Massenverhaftung in Nürnberg, in irgendeiner polnischen Stadt gegen eine Bauerndemonstration exekutiert, könnte der "Entspannung" schon den endgültigen "Todesstoß" versetzen.

Trotz solch eindeutiger Taten und Worte ist die Ideologie, die westdeutschen Sozialliberalen wären ein Bollwerk gegen den politischen Übergang, der unter dem Titel "Ende der Entspannung" durchgezogen wird, und würden bis an den Rand des Bruchs mit den USA die Politik friedlichen Einvernehmens mit dem Ostblock verfechten, keineswegs gestorben. Daß die Opposition, christlich wie sie ist, mit dem idiotischen Vorwurf hausieren geht, die SPD betriebe die Abkoppelumg vom Westen und wolle Deutschland den Russen ausliefern, ist dabei wenig überraschend. Aber auch kritische "Linke" und Friedensfreunde setzen unverdrossen darauf, ihr "Friedenskanzler" würde Deutschland schon aus dem Schlimmsten heraushalten; sie deuten sich die Ostlandreisen ihrer Obermacher als Good-will-Tour für den Frieden; und lieber legen sie sich die praktizierte Politik als Kompromiß zwischen eigentlich ganz entgegengesetzten edlen deutschen, europäischen oder sozialliberalen Absichten und ausländischen, insbesondere amerikanischen Pressionen zurecht, als daß sie die deutlichsten Auskünfte der Regierung über ihre Absichten und vor allem über ihr gutes Einvernehmen mit den USA für bare Münze nähmen. Die führenden Sozialliberalen selbst kokettieren ihrerseits bisweilen gern mit entsprechenden Andeutungen und schätzen jedenfalls auch diese kritische Sorte untertäniger Zutraulichkeit, solange das linke Bestreben, der eigenen Regierung "den Rücken zu stärken", nicht zu Protesten ausartet. Der ideologische Schein, die sozialliberale Bundesregierung meinte es mit "Entspannung" viel ehrlicher und menschenfreundlicher ernst als irgendwer sonst auf der Welt, ist schon arg stabil.

Bundesdeutsche Freiheiten

Tatsächlich hat er auch, wie jeder ideologische Schein, seine - erheblich weniger "menschenfreundliche" - reale Grundlage. Für die BRD war das Moment formellen Einvernehmens mit dem Gegner, das die USA mit ihrer "Entspannungspolitik" eine Zeitlang konzediert haben, eine nationale Chance: über die "Aussöhnung mit dem Osten" hat die Bundesregierung den Fortschritt geschafft von einer untergeordneten Partei im Weltgeschehen, die überall um die Berücksichtigung ihrer Sonderinteressen nachsuchen und Feilschen mußte, zu einem auch vom Gegner als gleichrangig anerkannten Gegenüber. Was die Sowjetunion von den USA gewollt hat: die politische Behandlung als gleichwertiger und gleichgewichtiger, prinzipiell zu respektierender Kontrahent und Mit-Macher vom Weltpolitik, das hat die BRD von der Sowjetunion bekommen. Dieser politische Durchbruch war überdies verbunden mit dem Aufbau des Ostgeschäfts als einer florierenden Nebenbranche bundesdeutscher Kapitalakkumulation; die ökonomischen Erfolge dieses Geschäftszweiges wiederum verschafften der Bundesregierung eine materielle Grundlage für ihre Position eines gleichrangigen "Partners" der sowjetischen Politik. Das ganze vielgerühmte Geschick dieser neuen Ost- und Weltpolitik lag dabei in dem matten Kunstgriff, immerzu unter weitestgehender diplomatischer Verlängerung des eigenen Nationalismus zu operieren und die nationalen Interessen stets im Namen und nach Maßgabe aller erdenklichen supra- und internationalen Ideale geltend zu machen. Sich als Friedensmacht aufzuführen, wurde so das erfolgreiche Instrument einer Politik zur endgültigen Wiederaufwertung des bundesdeutschen Staates; anders als bei allen westlichen Verbündeten, die in ihrer Politik wie erst recht in ihrer diplomatischen und ideologischen Selbstdarstellung ein solches Problem nicht kannten, beruft der sozialliberale Nationalismus des "Modell Deutschland" sich seither auf die Ideale der "Entspannungspolitik".

Die politische Praxis zu diesem Nationalismus des guten supranationalen Gewissens bestand und besteht in einem Imperialismus, der die Anerkennung der BRD als Friedensmacht zu seiner besonderen politischen Waffe gemacht hat. Gegenüber dem Osten nimmt die Bundesregierung sich unter Friedenskanzler Nr. 2 inzwischen die Freiheit heraus, als Hüter der "Schlußakte von Helsinki", als Vertreter der Menschenrechte und als quasi schiedsrichterlicher Sachwalter gemeinsamer Interessen aufzutreten und so die härtesten Ansprüche an das Wohlverhalten des Gegners anzumelden. Der Anschein einer weltpolitisch besonders problematischen ja schwachen Position, den die Bundesregierung sich da gerne gibt, so als wäre sie nirgends Urheber und überall nur betroffener Beobachter des bösen Weltgeschehens, steht zu dieser unbescheidenen Friedensdiplomatie keineswegs im Widerspruch, ist vielmehr eines ihrer wichtigsten Mittel. Gerade weil die "Entspannung" der Weg zur heutigen weltpolitischen Bedeutung der BRD war, und in dem Maß, wie die sowjetische Regierung ihren bundesdeutschen Kollegen ein aus sicherheits- und handelspolitischen Gründen besonders starkes Interesse an "Entspannung" und gutem Einvernehmen unterstellt, hat es ein besonderes Gewicht, wenn die deutschen "Entspannungspolitiker" jede Spekulation auf irgendwelche Differenzen im westlichen Bündnis zurückweisen und um "friedliche Auswege" ringen. Alles, was an der Lage der BRD prekär ist oder scheint, bürgt da für die absolute Ernsthaftigkeit jeder vorgetragenen Warnung vor einem "Ende der Entspannung". Als Materie bundesdeutscher Diplomatie erscheint die neue westliche Konfrontationspolitik als ein, womöglich "verzweifeltes", Ringen um die Rettung einer Politik des "friedlichen Ausgleichs", die beschlossene Aufrüstung geradezu als äußerste "Entspannungsaktion"; und das heißt umgekehrt: so wird mit einer entschiedenen "Kriegsvermeidungspolitik" von Bonn aus diplomatischer Druck angemeldet. Dabei verfügt die BRD in den Resultaten ihres Ostgeschäfts über das exakt angemessene materielle Mittel, um diese Sorte diplomatischen Drucks zu einer entsprechenden, nämlich dezidiert vormilitärischen Erpressung auszugestalten; die Behandlung des Falles Polen bietet dafür täglich Anschauungsmaterial.

In der Frage des optimalen Einsatzes dieses Mittels besitzt die BRD nun allerdings einen echten Streitpunkt mit den USA. Schon allein weil es sich bei ihren ökonomischen Erpressungsmitteln um ein nationales Geschäft handelt, begegnet die Bundesregierung bei ihrer Führungsmacht dem Verdacht, ihrerseits durch ihre östliche Kundschaft selber erpreßbar zu sein. Pfichtschuldigst tritt sie einen Beweis nach dem anderen an, daß ihre in jeder Hinsicht geschäftsmäßige Tour, mit der Sowjetmacht umzuspringen, der neuen Linie härterer Gegnerschaft und deren quasi-kriegswirtschaftlichen Kriterien keineswegs widerspricht, die profitträchtige Benutzung des Ostens also - auch im Fall "Röhren gegen das dadurch transportierte Erdgas"! - keinerlei volkswirtschaftliche Abhängigkeiten schafft, die dem völligen Abbruch der Geschäftsbeziehungen hinderlich sein könnten, wann immer dieser endgültig ansteht. Mehr noch: sie gibt damit an, daß sie für jeden und mit jedem Geschäftsabschluß der anderen Seite "Garantien" abverlangt, dafür nämlich, daß die politische Verwendung des vereinbarten "wechselseitigen Nutzens" als Druckmittel nur in west-östlicher Richtung funktionieren kann. Dabei handelt es sich keineswegs bloß um die ideologische Interpretation westdeutscher Sondervorteile für den bündnisinternen diplomatischen Gebrauch: größere Projekte werden tatsächlich nicht bloß nach kommerziellen Gesichtspunkten überprüft, sondern an ihrer politischen Verwendbarkeit gemessen - und unterbleiben nötigenfalls. Natürlich muß es in dieser Frage zu national, unterschiedlichen Einschätzungen kommen; der Zwist zwischen NATO-Partner und Führungsmacht ist aber auch im äußersten Fall ein sehr relativer. Denn auf der einen Seite kennen und schätzen ja auch die USA die erpresserischen Möglichkeiten, die das florierende westeuropäische Ostgeschäft geschaffen hat - spätestens seit sie am Fall Polen so unbedingt überzeugend durchexerziert werden. Umgekehrt ist auch die BRD durchaus dem Argument zugänglich, daß ein Geschäft vielleicht schon einfach deswegen zu sterben hat, weil es der östlichen Seite auch nützt. Die Chance, neben aller Gegnerschaft und als deren friedliche Unterabteilung noch vorteilhafte Geschäftsbeziehungen zum Osten aufrechtzuerhalten, ist für eine souveräne bundesdeutsche Regierung kein höchster Zweck und steht im Ernstfall allemal zur Disposition. Denn als NATO-Mitglied ist ihr das Eine grundsätzlich klar; daß die prächtigsten ökonomischen Erpressungsmittel untauglich sind für eine Konfrontation, die dem Gegner seine weltpolitische Bewegungsfreiheit radikal bestreiten und so seine Souveränität in Frage stellen will. Eine Regierung, die so wie die bundesdeutsche auf der "Nachrüstung" Westeuropas zu einem militärisch "gleichgewichtigen" Kontrahenten der Sowjetunion besteht, schätzt ihre ökonomischen Druckmittel sehr korrekt als bloß vormilitärische, also als vormilitärische ein.

Gemeinschaftliche Offensive mit nationalem "Umweg"

Was ist also von der speziellen "Entspannungsfreundlichkeit" der bundesdeutschen Weltpolitik zu haltem, an der sie angeblich bis an den Rand eines Zerwürfnisses mit den USA festhält?

Zweifellos gibt es das nationale Sonderinteresse, die neue Offensive des Westens gegen den Bestand der sowjetischen Weltmacht noch möglichst weitgehend in jenen Formen eines diplomatischen Einvernehmens abzuwickeln, in deren Rahmen und durch deren zielstrebige Ausnutzung die BRD sich zur vom Osten als gleichrangig respektierten Macht hochgearbeitet hat. Einen Gegensatz in der Sache begründet dieses Sonderinteresse aber keineswegs: nicht, was die Härte der beschlossenen Offensive betrifft, und noch nicht einmal unbedingt, was die neuen (un-)diplomatischen Umgangsformen der USA mit dem östlichen Hauptfeind angeht. Nur auf einem möchte die sozialliberale Bundesregierung beharren: daß sie die Freiheit behält, in der gemeinschaftlichen Offensive ihren besonderen diplomatischen "Umweg" einzuschlagen und unter ungerührter Ausnutzung ihrer erfolgreich durchgesetzten Selbstdefinition als Friedensmacht die Ultimaten der NATO als"Entspannungspolitik" vertreten zu dürfen. Alles "Zerwürfnis" reduziert sich also auf die ekelhafte Spezialität der BRD, mit der heuchlerischen Übersetzung der neuen offenen Aggressivität des US-Imperialismus in eine Serie westdeutscher Vermittlungsbemühungen das nationale Interesse in die Bündnispolitik produktiv mit einzubringen. Produktiv in zweierlei Hinsicht: Die nationaIe Position der BRD gewinnt selber an Gewicht in dem Maße, wie sie dem politischen Angriff des Westens zusätzliches Gewicht verleiht. Da mag noch so viel "persönliches Mißtrauen" zwischen den Obermachern der Verbündeten einreißen: Alles, worum die sich streiten, ist die Akzentsetzung in dieser Einigkeit von Bündniszweck und deutschem Nationalstandpunkt; und der "Streit" selbst ist nichts anderes als die konjunkturgerechte Verlaufsform der atlantischen "Partnerschaft": So sieht es aus, wenn die Bundesregierung alles daran setzt, mit dem ihr eigenen widerlichen Schiedsrichtergetue, in dem speichelleckerische Untertänigkeit und Weltmachtarroganz so perfekt zusammenfallen, die Aufkündigung diplomatischen Einvernehmens mit der Sowjetunion durch die USA zum Inhalt ihrer eigenen "Entspannungs"-Diplomatie zu machen. So übernimmt sie es - zur höheren Ehre der Nation! -, den Sowjetführern noch einmal extra, "unter Entspannungsbrüdern", klarzumachen, daß für den Westen inzwischen schon die bloß formelle Bereitschaft zum Verhandeln unter die "Zugeständnisse" fällt, die er nicht mehr machen will!

Und diese Spezialität soll man den Sozialliberalen als erstklassige Friedensliebe hoch anrechnen? sich unter ihrer Regierung "sicher" fühlen, bloß weil die Christen gerade mit dem radikalen Verzicht auf derlei "Extravaganzen" und ihrer faschistischen Variante von "Bündnistreue" für sich Reklame machen? ihre geheuchelten "Sorgen um die Entspannung" teilen und ihnen "gegen" die NATO-Kollegen "den Rücken stärken"? Wer so denkt, der zieht, auch noch froh und dankbar in den nächsten sozialliberalen Weltkrieg - froh und dankbar, weil die Sozialliberalen es sich damit garantiert schwerer gemacht haben als ihre christlichen Spießgesellen und weiterhin zuseben, daß sie das Beste daraus machen und ihn als Kampf um die "Entspannungspolitik" über die Bühne kriegen!