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Schmidt bei Reagan
DER SATELITTEN-KANZLER UND DER NEUE PRÄSIDENT
Das waren noch Zeiten, als der Kanzler in "Time" zum "Mann des Jahres" gekürt wurde, als er auf Weltgipfeln Spitze gewesen sein soll, als er dem amerikanischen Präsidenten (nachdem er zu Hause abfällige Bemerkungen über ihn hatte fallen lassen) gute Ratschläge fürs Regieren erteilte. Da war er obenauf und ließ sich gern mit Bismarck vergleichen. - Gegenwärtig leitet nicht nur der "Spiegel" aus der Miene des Kanzlers von 1978 sein 1980er Tief ab, auch Carter läßt drohend durchblicken, daß in seinen Memoiren Schmidt nicht gut wegkommen wird.
Was ist nur los mit dem "Macher", mit dem angeblichen Lehrmeister anderer Regierungschefs? Alt geworden, zu viel Staatsschulden gemacht, so daß er jetzt nichts mehr zu verteilen hat? Das kann doch nicht wahr sein. Wann hat er denn etwas verteilt und seit wann kratzt die Exekution von Staatsnotwendigkeiten das Ansehen und die Autorität eines Staatsmanns an? In Deutschland schon gar nicht! Das verflixte siebte (Regierungs-) Jahr wird's auch nicht sein, und Loki ist ihm doch noch nie auf den Wecker gegangen.
Helmut Schmidt ist der Souverän des souveränen deutschen Staates West, also wird es wohl an der Souveränität dieser souveränen Macht liegen, wenn der Stern des Kanzlers tiefer steht, wie - mit den saublödesten Begründungen - öffentlich gemunkelt und prophezeit wird.
Ein Besuch
fand noch im alten Jahr in Washington statt. Eigentlich war Abschiedsbesuch beim bald aus seinem Amt scheidenden Carter, dem "Unberechenbaren", wie man ihn in Europa gern - völlig unberechtigt - nennt. Abcr der Kanzler war besonders scharf auf ein Treffen mit dem zukünftigen amerikanischen Präsidenten, der schon jetzt als der "Berechenbare" angesehen wird. Der "nachbarliche Besuch bei Herrn Reagan" (Schmidt) kam zustande, und der deutsche Kanzler verstand es, ihn länger zu gestalten als vorgesehen. Ein bemerkenswerter Besuch:
Eine Begegnung zwischen zwei Politikern, die dem einen (Schmidt) viel wichtiger war als dem anderen (Reagan). Die BRD gilt zwar immer noch als der beste Bündnispartner der USA - ist es auch -, die ungebrochene Freundschaft zum großen Bruder wird ständig beteuert. Doch heißt das gerade nicht, daß sich in Washington gleichgestellte Souveräne trafen. Der Chef des bedeutensten europäischen Bündnispartners wollte unbedingt den zukünftigen Führer der Führungsmacht sprechen, als erster und nicht zu knapp. Es gelang, und das war auch schon der "diplomatische Erfolg" des kleinen Bruders.
Daß das nationale deutsche Interesse und überhaupt das der Europäer sich heute mehr denn je (aber wie ausgemacht) den Bündnisverpflichtungen unterzuordnen hat, deren Richtung und Ausmaß die USA angeben, hat der Kanzler schon unter der "sprunghaften" Regie Carters mitbekommen. Erst recht ist die Linie Reagans berechenbar, und man weiß in Bonn um die "neue Entschlossenheit", des Wahlsiegers Reagan. Der politische Wille der USA, in Sachen Ost-West-Beziehungen eine schärfere Gangart einzuschlagen, bedeutet für die europäischen Partner tatsächlich eine nicht unerhebliche Einschränkung ihres nationalen "Handlungsspielraums" - für die Deutschen stehen verstärkte Verteidigungsanstrengungen an und die segensreichen Ergebnisse der Ostpolitik auf dem Spiel:
"Nie zuvor war die Bundesrepublik Deutschland weltweit so stark in internationale Pflicht genommen, wie das heute der Fall ist, ob im Atlantischen Bündnis, ob in der Europäischen Gemeinschaft, ob im Kreis der führenden Industrienationen..." (Schmidt)
Das atlantische Bündnis fordert jetzt seine gewollten Zwecke ein. Deswegen sprach der Kanzler vor seinem Trip nach Washington mit Giscard d'Estaing und mit Margret Thatcher, um sowohl dieses "europäische Mandat" wie auch sich als "Wortführer" der Europäer zum Reagan mitzubringen. Nachdem er bei diesem "vertrauensvolle Erwartung" getankt hatte, plauderte er das "erwartungsvolle Vertrauen" aus, das er gern hätte:
"Der neue Präsident", so erklärte der Bundeskanzler, habe ihm "ein sehr starkes Gefühl vermittelt für den festen Willen", mit der Sowjetunion zu Verhandlungen über Rüstungsbegrenzungen zu kommen und sie "zäh und ausdauernd zu führen". Der Kanzlei lobte Reagans Bereitschaft zu enger Konsultation mit den Alliierten und befand überhaupt, Reagan sei ganz anders, als ihn die Presse in Europa dargestellt hat: "Dies ist kein Mann, der unnötige Risiken auf sich nimmt." (Zeit)
3. Ja, das hätte der Kanzler wirklich gern: volles Einvernehmen mit dem Ami-Präsidenten, und das unter möglichst weitgehender Berücksichtigung der europäischen und deutschen Interessen durch die USA. Weil es aber dem designierten Präsidenten an offizieller Demonstration dessen, wer in der Weltpolitik das Sagen hat, gelegen war, folgte von seinen Beratern unter gewußtem Bruch diplomatischer Höflichkeitsregeln Kritik an der Begegnung und an dem vom Bundeskanzler verbreiteten Ergebnis: Er habe sich Reagan geradezu aufgedrängt, ihm eine Stunde seiner wertvollen Zeit geraubt und überhaupt bestünden ernsthafte Differenzen in der Sache. Die Opposition in Bonn schlachtete das schadenfroh als "schlagende Ohrfeige für den deutschen Kanzler" gebührend aus.
Ob Ohrfeige oder nicht, ob die Demonstration von "Intimität" mit Reagan diplomatisch gelungen war oder zu durchsichtig - eines steht jedenfalls fest: So begegnet ein Satellit seiner Führungsmacht. Erst so tun, als würde die Qualität der deutschen Verteidigungsanstrengungen die Quantität 3% längst errreichen -
"daß - wie der Kanzler nicht müde wurde zu betonen - die westliche Strategie gegenüber der Sowjetunion neben der militärischen Komponente unbedingt auch der politischen, psychologischen und wirtschaftlichen Begleitung bedürfe" (Zeit) -,
dann die Zusage im Koffer, die quantitative Forderung der USA voll einzuhalten; schließlich das intime Vertrauen so hinfrisiert, als könne der Satellit so schmarotzerhaft weitermachen wie bisher. Wenn dann der Reagan sagt, was er vom Kanzler will, wird's gemacht.
Ein "Autoritätsverlust"?
Wie man's nimmt. Fürs Volk macht es keinen Unterschied zwischen Schmidt, dem Mann des Jahres, und Schmidt, dem Satelliten-Kanzler, der von Reagan seine Befehle entgegennimmt -- es merkt die Konsequenzen. Aber für das Ansehen des Souveräns schon. Immerhin ist der Kanzler in Zeiten der Entspannungspolitik und ihren fruchtbaren Folgen für die BRD groß geworden. Jetzt, wo die auf treue Bündnispartnerschaft zu den USA gebaute Souveränität wegen ihrer daraus resultierenden Verpflichtungen zurückstecken muß, muß er sich folgendes - ausgerechnet von einem jugendlichen Parteigenossen - sagen lassen:
"Wenn Lambsdorff die Wirtschaftspolitik bestimmen würde und Reagan die Außenpolitik, wäre dann nicht der Punkt erreicht, wo man sagen muß, wozu sind wir eigentlich an der Regierung?" (Gerhard Schröder)
- von einem Reagan-Berater:
"Der deutsche Kanzler soll sich gut überlegen, wessen Druck er länger standhalten kann: dem seiner Partei zu Hause oder dem amerikanischen hier." (Professor Richard Pipes)
Da kann es schon sein, daß an der Größe des Lehrmeisters der Welt etwas abbröckelt. Auf die Macht kommt's halt an bei einem Kanzler. Adenauer ließ noch genüßlich die Unfreiheit: "die Sowjets und ihre Satelliten" auf der Zunge zergehen. Ganz zu Unrecht, denn im Lexikon steht die richtige Definition der BRD im westlichen Bündnis:
"Satellitenstaat, ein formell unabhängiger, tatsächlich unter dem bestimmenden Einfluß einer Großmacht stehender Staat." (dtv-Lexikon)
So kann man dem Wunsch des Bundeskanzlers zu seinem 62. Geburtstag sogar eine ungeheuchelte Seite abgewinnen: "Ich wünsche mir für Deutschland und Europa, daß das Jahr 1981 ebenso friedlich verlaufen möge wie das Jahr 1980. ...Das ist einerseits ein politischer Wunsch, andererseits aber auch mein ganz persönlicher."
Nur, was heißt das für diejenigen, die auf diesem Gebiet nicht gefragt werden?