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Uruguay
MILITÄRDEMOKRATIE IM AUFSCHWUNG
"Einst galt Uruguay als die 'Schweiz Südamerikas': Ein vorbildlicher Sozialstaat mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt, demokratisch wie ein Musterland, gewaltige Exportüberschüsse." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.11.80)
"Uruguay galt bisher in der freien Welt als eine blutige, düstere Militärdiktatur." (Süddeutsche Zeitung, 2.12.80)
"Erst seit das Land zum probaten Mittel dieses Kontinents, zur Militärdiktatur griff, sind wieder bescheidene Wirtschaftserfolge zu verzeichnen." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.11.80)
"Uruguay sollte von jetzt an als Beispiel für friedliche demokratische Auflehnung stehen. Das Volk hat die Generäle mit dem Stimmzettel besiegt." (Süddeutsche Zeitung, 2.12.80)
Am 30. November 1980 soll es bei einer Volksabstimmung über eine neue Verfassung in Uruguay einen "Triumph der Bürger über die Tyrannei" gegeben haben. Das ist schon merkwürdig: Blutrünstige Militärdiktatoren stellen die von ihnen ausgeübte Herrschaft den Unterdrückten zur Disposition - und stecken prompt eine "Schlappe" ein!
Von wegen Schlappe! Mit der gleichen Gründlichkeit und Konsoquenz, mit der sie nach ihrem Putsch von 1973 durch Ausmerzung der Guerilla, Zerschlagung der linken Parteien und Gewerkschaften sowie Unterdrückung jeder Form von Kritik "Ruhe und Ordnung" herstellten, haben die Militärs in Uruguay ihren Entschluß in Szene gesetzt, ihre Herrschaft auf Dauer zu sichern. Ihre Konkurrenz aus den Reihen der offiziell aufgelösten bürgerlichen Parteien, die dem Verfassungsentwurf ablehnend gegenüberstanden, schon allein deshalb, weil man sie an seiner Ausarbeitung nicht beteiligt hatte, sollte durch ein Mehrheitsvotum beim Plebiszit zur Mitarbeit unter den von der Junta gesetzten Bedingungen gebracht werden. Selbstverständlich hatten die Militärs von Anfang an nicht vor, sich vom Ergebnis der Volksabstimmung abhängig zu machen. Das bewiesen sie nicht erst hinterher, als sie erklärten, die geplante de-jure-Installation der praktiziertrn Machtausübung (ein vom Militär beherrschter "Sicherheitsrat" soll die demnächst wieder erlaubten Wahlen - ohne die linken Parteien, versteht sich - kontrollieren und bei allen Tätigkeiten der so zustande kommendcn zivilen Regierungen das letzte Sagen behalten) auch ohne Rücksicht auf Volkes Stimme in Gang zu bringen. Vielmehr ging es schon vor und während der Abstimmung über diese neue Form der alten Militärregierung für europäischr Beobachter schon nicht ganz astrein demokratisch zu.
Die staatlich kontrollierten Medien standen nur den Befürwortern des Referendums zur Verfügung, kritisch eingestellte Gruppen aus den beiden großen "Traditionsparteien" Colorados und Blancos (die sich früher einvernehmlich die Macht geteilt haben) durften in bescheidenem Rahmen "zivile politische Aktivitäten nichtextremistischer Natur" für eine zeitlich knapp bemessene "Wahlkampfperiode" genau bis zur Schließung der Wahllokale und keine Minute länger entfalten - Abhaltung öfentlicher Versammlungen und vor allem Mobilisierung alter Klientelbeziehungen mittels "persönlicher Kettenkontakte" -, und Wahlschwindeleien waren natürlich auch an der Tagesordnung. Daß es alle diese fürsorglichen Maßnahmen nicht gebracht haben - 54% waren gegen das Verfassungsprojekt, 40% dafür -, war zwar von den Militärmachthabern so nicht vorgesehen (auch wenn ein ansehnliches Paket Nein-Stimmen gegenüber dem Ausland ein willkommener Ausweis der uruguayischen "Militärdemokratie" gewesen wäre, also einkalkuliert war), ist aber auch keine Tragödie: Das Referendum hat auf jeden Fall den Zweck erreicht, daß die Fraktionen in den politischen Parteien gezwungen waren, ihre Stellung zu den Militärs zu "überdenken"; schließlich war dle Armee ja von den Bürgerlichen selbst schon vor 1973 im Kampf gegen die "Subversion" der Tupamaros, der Gewerkschaften und des Volksfrontbündnisses "Frente Amplio" mit "Sondervollmachten" ausgestattet worden. Die Ausbootung der Politiker durch die Offiziere, die 1976 mit der Absetzung des zivilen Staatspräsidenten Bordaberry vorläufig beendet worden war, hatte jene zwar 'kaltgestellt', aber nicht ihre Ansprüche auf politische Mitsprache eliminieren können. Die Armee, die plötzlich "etwas ganz Ungewohntes: Macht genoß" (Neue Zürcher Zeitung, 11.12.80), ihre staatstragende Funktion also so ernst nahm, daß sie gleich über sich selber und den ganzen Staat befehligen wollte, tat (und tut) dies im wohlverstandenen nationalen Interesse: Bei der Durchführung eines "Programms zur Errettung der Nation" führte sie eine Säuberung unter den bürgerlichen Politikern durch, bei der die ehemaligen Träger der Staatsgewalt bis hinunter in die untersten Ränge in drei Kategorien eingeteilt wurden, deren oberste sich weiterhin - wenn auch innerhalb der durch die Zensur sehr eng gezogenen Grenzen - in politischen Fragen äußern durfte und zur Aufrechterhaltung der Administration im Brot blieb, während die "desgraciados" der- untersten Kategorie zu Unpersonen erklärt wurden, totales Berufsverbot erhielten, in den Gefängnissen verschwanden oder ins Exil getrieben wurden. Mit dem Referen dum gedachten die Militärs gerade diese von ihnen eroberte - und für uruguayische Verhältnisse neue - Machtposition (auch "die Lateinamerikanisierung Uruguays" genannt) langfristig zu etablieren, indem sie das Votum des Volkes für sich (und gegen die Politiker der ehemaligen Parteien) einsetzen wollten.
Die meisten Politiker aus den Reihen der Colorados und Blancos ("programmatisch kaum zu unterscheiden"), die seit Beginn des Jahrhunderts bis 1973 schiedlich friedlich in Form der "Kollegialregierung" (2/3 der Regierungssitze für die Mehrheit, 1/3 für die Opposition) gemeinsam das Land beherrschten und sich dazu regelmäßig alle paar Jahre vom Volk den Auftrag geben bzw. erneuern ließen, verweigerten allerdings dem Verfassungsprojekt die Zustimmung, weil sie, wenn sie schon (wieder) den Staat machen (sollen), sich von den Soldaten nicht allzusehr dreinreden lassen wollen.
Sie haben die Gelegenheit der Abstimmung benützt, um ihre Position im Machtschacher mit den Militärs durch eine "eindrucksvolle demokratische Demonstration" aufzuwerten. Daß die Obristen eine Aufsplitterung der bürgerlichen Parteien und ihres Anhangs tatsächlich erreicht hoben, zeigen über die immerhin 40% Ja-Stimmen hinaus nicht nur die zahlreichen schon vorher eingegangenen Angebote von Zivilisten, mit den Generälen in zukünftigen Regierungen zusammenzuarbeiten. Auch von den Kritikern des Referendums zeigen sich manche "gesprächsbereit": Man hat den Militärs bei aller Gegnerschaft Bereitschaft zur "Verständigung" signalisiert und seine Zusammenarbeit bei der Erstellung einer etwas modifizierten Verfassung angeboten, wobei man aus den 54% Gegenstimmen für sich sehr pragmatisch eine stärkere Verhandlungsposition ableitet. Das Volk nahm seinerseits die ihm gebotene Chance wahr, dem Militär seine Unzufriedenheit mit der Herrschaft in Form volle Stimmzetteln auszudrücken. Es votierte gegen die Repression durch die Armee, die über 1/5 der Bevölkerung aus dem Land trieb, gegen Zustände, unter denen man ständig mit seiner Verhaftung oder seinem "Verschwinden" rechnen muß. Gleichzeitig verbindet es mit einem Regime der Parteien die Erinnerung an bessere Zeiten, als der florierende Agrarexport noch die Basis für die Durchsetzung sozialstaatlicher Maßnahmen wie 8-Stunden-Tag etc. und die Vergabe von Posten in den verstaatlichten Industrien und im "aufgeblähten" Staatsapparat abgab, mit denen die Flügel der Blancos und Colorados Teile der vor allem städtischen Bevölkerung für sich gewannen. Inzwischen sieht es in Uruguay etwas anders aus: Die selbstverständlich "westlich orientierte" und vom Westen verständnisvoll begutachtete Militärregierung hat dem in- und ausländischen Kapital durch "Modernisierung des sozialen Netzes", Investitions- und Steuererleichterungen etc. einige Bedingungen des Geschäftemachens geschaffen - mit allen Folgen für die Lebensbedingungen der Massen (u.a. der Halbierung des Realeinkommens seit 1968).
Von "Schlappe", einer "vernichtenden (!) Wahlniederlage" oder gar einem "Sieg der Bevölkerung über das Militär" (Süddeutsche Zeitung) also keine Rede. Das siegreiche Volk der "Folterkammer Lateinamerikas" lebt weiterhin im Ausnahmezustand, harrt der künftigen Entscheidungen der Generäle und handelt sich von hiesigen Beobachtern hierzulande das Lob ein, daß der "Geist der Demokratie" auch durch Jahre der Diktatur nicht auszumerzen ist, und daß der einzig erfolgversprechende Widerstand gegen Diktatur der Kampf mit dem Stimmzettel ist.