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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1981 erschienen.

Friedenserziehung
AUFRÜSTUNG IM KLASSENZIMMER

Als am 5. Dezember des vergangenen Jahres die Kultusminister der Bundesländer auf ihrer Konferenz einmütig der Instruktion des Bundesverteidigungsministers Folge leisteten, indem sie gerechterweise beschlossen, in Zukunft nicht nur Kollegiaten in deutscher Sicherheitspolitik, sondern alle Schüler in Wehrkunde unterrichten zu lassen, da geschah in der hiesigen Öffentlichkeit nichts.

Keiner der mit der Kunst des Unterrichtens Betrauten witterte Gefahr für seinen den kleinen Kindern gewidmeten Idealismus durch die staatliche Indoktrinationsvorschrift (Lernziel: "Zustimmung zum Dienst"). Keine Eltern oder sonstige Erziehungsberechtigten sahen sich "aus Gewissensgründen nicht in der Lage, ihre Kinder an diesem Unterricht teilnehmen zu lassen" und ersparten sich somit die berechtigte Sorge, "eine gewissensmäßig begründete Nichtbeteiligung an diesem Unterricht würde als Zeichen politischer Unzuverlässigkeit gewertet werden" ("Spiegel" v. 3.7.78). Kein westdeutscher Pastor verbrannte sich öffentlich. Demnach gab es auch niemand durch die geplante "Militarisierung des Schulunterrichts" "Angefochtenen", dem bundesdeutsche Kirchenfürsten - vom Auftrag des Evangeliums genötigt - hätten beispringen müssen; etwa mit einem landesweiten Kanzelwort folgenden Inhalts:

"Junge Menschen, die die Schrecken des Krieges nicht kennen und zu einem differenzierten Urteil über die Risiken militärischer Friedenssicherung im nuklearen Zeitalter nicht in der Lage sind, werden durch den beabsichtigten Unterricht, der die Möglichkeit einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Ost und West als selbstverständlich voraussetzt und die Vorbereitung darauf zum Inhalt hat, in ihrer Friedensfähigkeit ernsthaft gefährdet."

("Kernsätze aus der 'Orientierungshilfe' des DDR Kirchenbundes" zum Wehrkundeunterricht in "Spiegel" v. 3.7.78)

Was beim systemverfeindeten anderen Deutschland als typisch böswilliger, staatsdoktrinärer Angriff auf friedensbeseelte Kinderherzen gewertet und von unserer freien Presse als erneute Bestätigung des alten Urteils, daß der Staatsapparat drüben ohne ideologische Unterdrückungsmaßnahmen geegen seine freiheitsliebenden Bürger überhaupt nichts putzt, freudig aufgegriffen wurde, war in der BRD schlicht kein Thema.

Daran, daß in den zwei dazwischenliegenden Jahren jenes ominöse "Zeitalter" an nuklearer Risikoeigenschaft verloren hätte-, kann's kaum liegen. Auch der staatliche Zweck des Unterrichtstoffes

  • Der sozialistische "Parteiplan" beabsichtigt, "die erzieherischen Potenzen des Unterrichtstoffes für die weitere Ausprägung der Wehrbereitschaft der Schüler, der Herausbildung ihres Wehrbewußtseins und ihrer Wehrmoral zu nutzen." (DDR-Unterrichtshilfen für Wehrkunde-Lehrer in "Spiegel" v. 15.10.1979)
  • Der demokratische Hans Apel will, "daß der Wehrdienst mit Anstand und Pflichtbewußtsein verrichtet" wird, und deshalb den künftigen Rekruten schon in der Schule "den Sinn des Dienstes deutlich machen". (Stern v. 4.10.80)

unterscheidet sich nur im potentiellen Kriegsgegner, für den die frühest-mögliche Schulung der absolut systemneutralen, weil militärischen Tugenden von Ordnung und Disziplin angestrengt wird. Denn daß im Staatssozialismus die bedingungslose Zustimmung zur militärischen Gewalt als "Kenntnisse... über Methoden der Imperialisten, Kriege auszulösen", in der westdeutschen Demokratie als "Garantie des Friedens durch die Nato" in die kleinen Köpfe gepaukt wird, unterstellt ja wohl von beiden Seiten "die Möglichkeit einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Ost und West als selbstverständlich" und rüstet dafür waffentechnisch und agitatorisch auf.

Warum sonst fühlte sich unser Wehrmachtschef - ohne danach gefragt zu werden - zu der von feinsinnigem Antikommunismus sprühenden Unterscheidung zwischen "Friedenserziehung" hier und "Wehrkunde" dort bemüßigt:

"...drüben werde zum Haß erzogen und der Dienst mit der Waffe als patriotisch gepriesen." (Süddeutsche Zeitung v. 6.12.80)

Etwa, weil er "ohne Feindbild debattiert"? Demnach wäre die öffentliche und garnicht jugendgefährdende Verherrlichung von Gewalt, die Hans Apel jüngst in Form festlicher Rekrutenvereidigungen zur Aufmöbelung des Wehrbewußtseins inszenieren ließ, ein einziger Beitrag zum national motivierten Aggressionsabbau gewesen und ganz unpatriotisch obendrein.

Der "Sinn", den die Regierenden neben feierlichen Aufmärschen der Wehrmacht auf deutschen Standplätzen auch in Klassenräumen an den Mann gebracht wissen wollen, überzeugt durch seine schlichte Tiefe:

"Minister Apel erklärte vor der Konferenz, die junge Generation frage zunehmend kritisch nach den Bedingungen für die Friedenssicherung in Europa. Mit den Kultusministern werde er die Bedingungen erörtern, wie man jungen Bürgern die Erkenntnis vermitteln könne, daß Dienst in der Bundeswehr Friedensdienst ist." (Süddeutsche Zeitung v. 6.12.80)

Nur der Friedenswille verdient Anerkennung, der sich in den Dienst der Kriegsvorbereitung seiner Herrschaft stellt, und nur der Bürger hat ein Anrecht auf den Genuß der goldenen westlichen Freiheit, der für sie bereit ist, im Bedarfsfall auf's Schlachtfeld zu ziehen. Eine "Erkenntnis", deren - jeder "Antihaltung" vorbeugende - Quintessenz den maßgeblichen Leuten im Staat deshalb, für die "fragende junge Generation" so anerziehenswürdig erscheint, weil sie mit ihrer fraglosen Praktizierung kalkulieren.

Die Befürchtung eines Berliner Schulsenators: "Wir wollen keinen Wehrkundeunterricht durch die Hintertür" ist trotzdem unbegründet. Hierzulande kommt die "Friedenserziehung" stramm demokratisch durch die Vordertür und vergewaltigt kein Kind in seiner von Kriegserfahrung noch unbefleckten Unschuld. Im Gegenteil. Die obersten Volksvertreter werden nicht müde, kundzutun, daß sie sich von nichts und niemandem ihre Jugend schlecht machen lassen. Es gilt das Gute, weil Dienstbare an "unseren jungen Menschen" hervorzuheben - "Wenn heute neue Lebensformen, einfachere Lebensbedürfnisse, Abkehr von materiellen Ansprüchen den Maßstab für viele junge,Menschen bilden, so sollten wir ältere das begrüßen." (Kanzler Schmidt in seiner Neujahrsansprache) -,

um so der begrüßenswerten Suche nach idealen Werten durch die pädagogische Hinführung auf das staatliche Idealbild vom wehrbereiten Bürger - in Uniform - zu entsprechen. So, soll neben der bereits im Sozialkunde-, Deutsch-, Geschichts-, Religions-, Ethik-, Biologie-Unterricht praktizierten wehrhaften Demokratie demnächst im Fach Friedenserziehung in die demokratische Wehrhaftigkeit als vornehmste staatsbürgerliche Tugend eingeführt werden. Angesichts solch eindringlicher Fürsorge seiner Regierenden für die rechte Orientierung des von ihnen favorisierten und deshalb jugendgemäßen "Maßstabs" der Opferfreudigkeit, mag offenbar kein anständig demokratisierter Bürger Anstoß daran nehmen, wozu Vater Staat die verpflichtende Wertschätzung seiner Militärmacht samt aller Tugtznden des Soldatenhandwerks auf den Lehrplan setzt. Wenn überhaupt, so fühlen sich die kritischen Zeitgenossen zu Demonstrationen ihrer Friedfertigkeit aufgerufen. Und das passenderweise ausgerechnet dann, wenn Politiker keine Gelegenheit auslassen, um öffentlich mitzuteilen, daß sie für die von ihrer geschaffenen Kriegsgründe von ihrem Volk nichts als die Qualität des Mitmachens, die aber mit allen Konsequenzen, erwarten. Wo der Staat in erzieherischen Anstrengungen um seine kleinen Staatsbürger zu erkennen gibt, daß er mit ihnen als künftigen Rekruten rechnen will, da wollen verantwortungsbewußte Menschen dem so "um Frieden Ringenden" nichts in den Weg legen. In vorweihnachtlichen Feldzügen gegen Zinnsoldaten und Spielzeugpanzer treten sie den reichlich überflüssigen Beweis an, daß es ganz in die Sachkompetenz eines eigens dafür abgestellten Kultusministerquartetts gehört, für eine "kindgerechte" Verankerung der Liebe zum wirklichen Soldat-Sein und echtem Kriegswerkzeug Sorge zu tragen.